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Sonntag, 24. März 2024

Folgen einer (teilweisen) Unleserlichkeit des Zustelldatums auf Briefumschlag

Das Urteil des OLG Koblenz stellt sich als Lehrbeispiel zu den Zustellungsvorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) dar. Streitig war, ob ein Einspruch gegen ein Versäumnisurteil rechtzeitig erfolgte. Das Landgericht hatte dies negiert und von daher diesen mit dem von der Beklagten mit der Berufung angegriffenen Urteil als unzulässig verworfen. Das Berufungsgericht (OLG Koblenz) musste sich damit auseinandersetzen, ob (und gegebenenfalls wann) das Versäumnisurteil prozessordnungsgemäß zugestellt wurde. Grundlage der Entscheidung des Landgerichts war, dass – nach vergeblichen Versuch der elektronischen Zustellung bei dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten – dieses schließlich in Papierform bei diesem zugestellt wurde, aber das Datum insoweit unleserlich war, als es „12.12. 2022“ oder „17.12.2022“ bedeuten konnte; der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gab an, er habe erst am 27.12.2022 von dem Urteil Kenntnis genommen. Letztlich hat das OLG das den Einspruch der Beklagten verwerfende Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen.

1. Das Landgericht ging von einer Zustellung am 12.12.2022 aus. Der Einspruch erfolgte am 02.01.2023, wäre mithin verfristet gewesen (die Einspruchsfrist beträgt zwei Wochen, § 339 Abs. 1 ZPO). Ausgehend von diesen Daten wäre die Entscheidung des Landgerichts nicht zu beanstanden gewesen (bei einer Zustellung am 17.12.2022 wäre die Frist gewahrt gewesen, da Fristablauf der 31.12.2022 wäre und, da die Frist auf einen Samstag fiel, mithin der nächste Werktag, der 01.01.2023, § 193 BGB). Wiedereinsetzung wurde der Beklagten nicht gewährt, da diese sich bei Unleserlichkeit bei Gerich hätte über das korrekte Zustelldatum informieren müssen. Das sah das OLG (zutreffend) anders. 

Abgestellt wurde vom OLG auf § 180 ZPO (Zustellung mit Postzustellungsurkunde per Einlegen in den Briefkasten, da niemand zur Entgegennahme angetroffen wurde). Diese Zustellung (am 12.12.2022) sei, so das Landgericht, von dem Postzusteller eindeutig auf der Postzustellungsurkunde vermerkt worden. Das reiche aber nicht, so das OLG. Denn nach § 180 S. 3 ZPO sei vom Zusteller das Datum der Zustellung ebenfalls auf dem zuzustellenden Umschlag zu vermerken. Der BGH habe mit Urteil vom 15.03.2023 - VII ZR 99/22 - zu einem Fall, bei dem sich kein Datum auf dem Umschlag befand (ein übrigens nicht seltener Fall) bereits entschieden, dass es sich bei hier um eine zwingende Zustellungsvorschrift iSv. § 189 ZPO handele und bei Verletzung dieser Vorschrift die Zustellung erst als mit dem Tag des tatsächlichen Zugangs als bewirkt gelte (die Gründe des BGH wurden vom OLG angeführt, u.a. die Schutzbedürftigkeit des Zustellungsempfängers). Die Schutzbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass die (förmliche) Zustellung der Sicherung des Nachweises von Zeit und Art der Übergabe des Schriftstücks diene, da sich die die Zustellung (wie ersichtlich) wichtige prozessuale Wirkungen (wie hier z.B. Fristen) knüpfen würden.

Die Grundform der Zustellung ist die körperliche Übergabe des Schriftstücks (§ 116 Abs. 1, § 177 ZPO); bei der Einlegung in den Briefkasten handelt es sich um eine Ersatzzustellung, die (an sich) nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des  § 189 ZPO erfolgen darf (wenn sie auch von Zustellern häufig trotz Anwesenheit des Empfängers vorgenommen wird, wie wir in unserer Kanzlei bei Zustelllungen an und selbst häufig feststellen).  § 180 S. 2 ZPO, so das OLG in Bezug auf die Entscheidung des BGH, knüpfe an das Einlegen in den Briefkasten die Fiktion der Bekanntgabe. Die Angabe des Datum der Einlegung auf dem Umschlag solle dem Empfänger eine Ungewissheit über den genauen Zeitpunkt des mit dieser Bekanntgabe genauen Zustellungszeitpunkts und damit gegebenenfalls Beginn einer Frist ausgleichen. 

Auch wenn vorliegend anders als in dem vom BGH entschiedenen Fall hier ein Datum vermerkt wurde, doch sei dort (wie der Senat des OLG bei Inaugenscheinnahme des Umschlags festgestellt habe) das Datum nicht eindeutig zu lesen gewesen (entweder 12.12.22 oder 17.12.22). Das unleserliche Datum sei wie der Fall des fehlenden Datums zu behandeln. Letztlich sei der Empfänger bei einem unlesbaren Datum in der gleichen Situation wie jener, bei dem kein Datum angegeben worden ist. Er könne nicht feststellen, wann eine Frist zu laufen beginne. Zwar lag hier ein Zeitfenster vor, insoweit lediglich der Tag (der 12. oder der 17) undeutlich war. Gleichwohl sei die Frist, so das OLG, nicht sicher zu berechnen. Nach § 180 ZPO könne nur ein konkretes (leserliches) Datum gemeint sein, welches auf dem Umschlag aufzunehmen ist. Da das Zustellungsverfahren dazu diene, als förmliches Verfahren für Rechtssicherheit zu sorgen und Daten nachweisen zu können, könne ein unleserliches Datum dienen Zweck ebenso wenig erfüllen wie ein fehlendes Zustelldatum. 

Damit sei die Zustellung (gemäß Postzustellungsurkunde am 22.12.2022) unwirksam. Nach der vom Kläger nicht widerlegten Angabe des Prozessbevollmächtigten der Beklagten habe dieser erstmals von dem Versäumnisurteil am 27.12.2022 Kenntnis genommen, weshalb mit diesem Datum der Lauf der Einspruchsfrist iSv. § 189 ZPO beginne.  Diese Rechtsansicht des OLG wird durch § 189 ZPO (Heilung von Zustellungsmängeln) gestützt, wonach bei Nichtnachweis einer formgerechten Zustellung das Datum gilt, zu dem das Dokument der betroffenen Person tatsächlich zugegangen ist. 

2. Die Klägerseite hatte eine Zustellungsvereitelung durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingewandt, da dieser im Rahmen der (zulässigen) elektronischen Übermittlung (über beA = besonderes elektronisches Anwaltspostfach) das (elektronische) Empfangsbekenntnis , trotz dreifacher Erinnerung, nicht abgegeben habe. Dem folgte das OLG aus zutreffenden Erwägungen nicht. 

Das OLG konstatiert, dass die Zustellung mittels elektronischen Empfangsbekenntnis dem Gericht eine kostengünstige und schnelle Zustellung bewirken kann. Allerdings erfordere dies die Mitwirkung des Empfängers. § 175 ZPO enthalte allerdings keine Verpflichtung zur Entgegennahme (allgemeine Ansicht, z.B. Vogt-Beheim in Anders/Gehle, ZPO 92 Aufl. 1024 zu § 175 Rn. 12); standesrechtliche Pflichten des Anwalts seien nicht entscheidend. Es genüge nicht, dass der Adressat das Schriftstück zur Kenntnis oder auch in Gewahrsam nähme (anders als bei Zustellung durch Gerichtsvollzieher oder Post), sondern er müsse auch den Willen haben, das Schriftstück zugestellt zu bekommen (also empfangsbereit sein). Dies geschehe in der Regel durch Unterschrift des Empfangsbekenntnisses (oder elektronische Bestätigung). Damit müsse der Anwalt zunächst Kenntnis von dem Schriftstück haben, bevor er entscheiden könne, ob er es als zugestellt ansehe. Er könne auch konkludent, so z.B. durch Überlassung an den Mandanten, den Annahmewillen zum Ausdruck bringen (Anm.: was allerdings dem Gericht in der Regel nicht bekannt ist). Das OLG weist auch darauf hin, dass die für eine Zustellung nach § 174 ZPO erforderliche Empfangsbereitschaft nicht alleine durch den Nachweis des bloßen Zugangs iSv. § 189 ZPO erfolgen könne, da zumindest eine konkludente Äußerung vorliegen müsse, das zur Empfangnahme angebotene Schriftstück als zugestellt entgegenzunehmen. Eine Verweigerung der Empfangnahme im Sinne einer Zustellung könne bei Nichtrücksendung des Empfangsbekenntnisses nicht ausgegangen werden, wenn die Gesamtumstände auf das Gegenteil hinweisen würden. Ein hierbei abweichender oder genteiliger Wille des Adressaten sei unbeachtlich, wenn er nach Außen keinen Ausdruck gefunden habe (BGH, Beschluss vom 13.01.2015 - VIII ZB 55/14 -). 

Vorliegend wurde das Empfangsbekenntnis vom Beklagtenvertreter nicht mit Datum und Unterschrift versehen an das Landgericht zurückgesandt. Anhaltspunkte für eine konkludente Empfangsbereitschaft gäbe es nicht.

 Damit sei gemäß § 189 ZPO von einer Zustellung am 27.12.2022 auszugehen und der Einspruch gegen das Versäumnisurteil rechtzeitig gewesen. 

OLG Koblenz, Urteil vom 13.12.2023 - 10 U 472/23 -

Donnerstag, 15. Februar 2024

Verspätete Einrede zur Vorleistungspflicht des Verbrauchers (§ 357 Abs. 4 BGB)

Der Kläger erhob gegen die Beklagte Klage auf Rückzahlung des im Voraus entrichteten Kaufpreises für ein Kfz in Höhe von € 59.270,00, nachdem er zuvor wirksam den Widerruf vom Vertragsabschluss erklärt hatte. Im Prozess machte die Beklagte die Vorleistungspflicht des Klägers nach § 357 Abs. 4 BGB (Rücksendung der Ware) geltend. Das Landgericht hatte der Beklagten, da ein Anlass zur Klage vor Rechtshängigkeit (d.h. Zustellung der Klage bei der Beklagten) weggefallen war und  nunmehr der Kläger die Klage zurückgenommen hatte, die Kosten des Rechtsstreits auferlegt (§ 269 Abs. 3 S. 3 ZPO), da die Beklagte Veranlassung zur Klage gegeben habe. Die Beschwerde der Beklagten wurde vom Kammergericht (KG) zurückgewiesen.

Ein Anlass zur Klage iSv. § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO bestünde jedenfalls dann, , wenn diese zum Zeitpunkt ihrer Einreichung zulässig und begründet war (BGH, Beschluss vom 17.12.2020 - I ZB 38/20 -) und ferner der Kläger vernünftigerweise habe davon ausgehen können, er werde ohne eine Klage nicht zu seinem Recht kommen (BGH, Beschluss vom 22.10.2015 - V ZB 93/13 -).

Der Kläger habe am 29.01.2023 gem. §§ 312c, 312g Abs. 1, 355 Abs. 1, 2, 356 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) BGB wirksam den Rücktritt erklärt und am 06.03.2023 die Klage auf Rückzahlung bei Gericht eingereicht. Fällig sei der Rückzahlungsanspruch binnen 14 Tagen nach Zugang der Widerrufserklärung geworden, §§ 357 Abs. 1, 355 Abs. 3 S. 2 BGB.

Die Beklagte vertrat die Ansicht, sie habe nach § 357 Abs. 4 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht, da § 357 Abs. 4 BGB eine Vorleistungspflicht des Klägers begründe. Dies halb sei die Klage von Anfang an derzeit unbegründet gewesen, da der Kläger seiner Vorleistungspflicht (so die Rücksendung der Ware) nicht nachgekommen wäre. Das KG bejahte die Vorleistungspflicht des Klägers in Bezug auf die von der Beklagten geltend gemachten Unterlagen (Zulassungsbescheinigung Teil I und Konformitätsbescheinigung), dass sich der Anspruch des § 357 Abs. 4 BGB nicht nur auf das Fahrzeug als solches bezöge, sondern auf die Rückgewähr der ebenfalls zur Hauptleistung des Verkäufers gehörenden Zulassungsbescheinigung (BGH, Urteil vom 15.06.1983 - VIII ZR 131/82 -). Bei dem Leistungsverweigerungsrecht des § 357 Abs. 4 BGB, auf welches sich die Beklagte schriftsätzlich bezogen habe, handele es sich jedoch nicht anders als in dem Fall des § 320 BGB, welches zu einer Zug-um-Zug-Verurteilung führe, um eine echte Einrede, woraus folge, dass in Ermangelung einer vorgerichtlichen Einrede die Klage im Zeitpunkt ihrer Erhebung noch begründet gewesen sei.

Weiterhin habe die Beklagte auch Veranlassung zur Klageerhebung gegeben. Ebenso wie ein Schuldner, der auf vorgerichtliche Zahlungsaufforderungen sein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB nicht ausübe (BGH, Beschluss vom 22.10.2015 - VIII ZB 3/04 -), könne der Schuldner Klageveranlassung geben, der ein rückwirkendes Leistungsverweigerungsrecht nicht vorprozessual geltend mache. Der Umstand, dass sich der Schuldner in Ermangelung der Vorleistung wirtschaftlich noh nicht als leistungsverpflichtet ansehen müsse, da der Verzug mit der Einredeausübung rückwirkend entfalle, ändere daran nichts. Erst die Einredeerhebung sei das den Rechtsstreit erledigende Ereignis (ähnlich zur Einrede der Verjährung BGH, Urteil vom 27.01.2010 - VIII ZR 58/09 -, und zur Aufrechnungserklärung BGH, Urteil vom 17.07.20003 – IX ZR 268/02 -). Entscheidend sei daher, ob nach dem Verhaltend es Schuldners der Gläubiger mit der Einredeerhebung habe rechnen müssen (BGH, Urteil vom 27.01.2010 aaO.).

Vorliegend habe der Kläger nicht mit der Einredeerhebung rechnen müssen sondern habe zur Überzeugung kommen müssen, dass er ohne Klage nicht zu seinem Recht käme. Die Beklagte habe nämlich nach Eingang des Widerrufs sogleich mit Schreiben vom 01.02.2023 den Widerruf bestätigt und einen Nachweis der Bankverbindung erbeten, „um die Erstattung des Zahlungsbetrages in die Wege zu leiten“. Auf eine Vorleistungspflicht es Klägers habe sie sich nicht berufen. Auf eine anwaltliche Zahlungsaufforderung des Klägers vom 16.02.2023 mit einer Wochenfrist habe sie nicht reagiert und auch diese nicht zum Anlass genommen, auf die Vorleistungspflicht hinzuweisen. Damit habe das Verhalten der Beklagten die Annahme des Klägers begründen können, die Beklagte würde die Rückzahlung des erheblichen Vorauszahlungsbetrages ohne sachliche Gründe hinauszögern, ohne sachliche Einwende zu haben oder vorbringen zu wollen.

Anmerkung: Gleiches gilt auch in dem Fall, dass der Verkäufer nicht zahlt, sondern sich im Prozess nunmehr (wirksam rückwirkend) auf die Vorleistungspflicht des Käufers beruft., Erklärt nunmehr der Käufer die Hauptsache für erledigt, sind dem Verkäufer die Kosten aufzuerlegen, § 91a ZPO.

Kammergericht, Beschluss vom 28.08.2023 - 8 W 34/23 -

Freitag, 28. April 2023

Fehlerhafte Übermittlung per beA an unzuständiges Gericht und Wiedereinsetzung

Nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.09.2021 verlängert worden war, leitete der Klägervertreter die Berufungsbegründung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) versehentlich an das Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Landgerichts, welches diese erst am 11.10.2021 an das Berufungsgericht weiterleitete. Unter Zurückweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) verwarf das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig. Dagegen wandte sich der Kläger erfolglos mit seiner Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH).

Der BGH hielt die Rechtsbeschwerde zwar nach §§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 S. 4, 238 Abs. 1 S. 1 ZPO für statthaft, aber wegen Fehlens der Voraussetzungen nach § 574 Abs. 2 ZPO für unzulässig. So sei hier weder das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) verletzt noch der Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art. 20 Abs. 3 GG).

Die Berufungsbegründung hätte bis zum 30.09.2021 bei dem Berufungsgericht eingehen müssen. Dies sei nicht erfolgt. Die Übersendung an das EGVP des Landgerichts könne die Frist nicht wahren. § 130a Abs. 5 S. 1 ZPO bestimme, dass das elektronische Dokument, dessen sich der Rechtsanwalt bedienen muss, erst wirksam bei dem zuständigen Gericht eingegangen sei, wenn es auf dem gerade für dieses Gericht eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das EGVP gespeichert worden sei, was mit der Übermittlung an das EGVP des Landgerichts nicht erfüllt würde. Das EGVP des Landgerichts sei nicht für den Empfang von Dokumenten für das Berufungsgericht bestimmt. Der Umstand, dass sowohl das Landgericht als auch das Berufungsgericht als Intermediär die Dienste des Landesbetriebs Information und Technik Nordrhein-Westfalen in Anspruch nähme könne daran nichts ändern, da beide Gerichte kein gemeinsames EGVP unterhalten, vielmehr durch entsprechende separate Posteingangsschnittstellen gesichert sei, dass der „Client“ eines Gerichts jeweils nur auf die an dieses Gericht adressierten Nachrichten zugreifen könne.

Der Kläger sei auch nicht ohne Verschulden iSv. § 233 S. 1 ZPO verhindert gewesen, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten, weshalb keine Wiedereinsetzung erfolgen könne; der Kläger habe sich das Verschulden seines Rechtsanwalts zurechnen zu lassen. Der Rechtsanwalt habe sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz innerhalb der laufenden Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten würden denjenigen bei (wie früher noch möglicher) Übersendung per Telefax entsprechen, weshalb es auch bei Nutzung des beA notwendig sei, den Versandvorgang zu überprüfen. Die nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO übermittelte automatisierte Bestätigung müsse kontrolliert werden und so geprüft werden, ob nach dem Sendeprotokoll die Übersendung an den richtigen Empfänger erfolgte. Diese Kontrolle habe der Rechtsanwalt selbst vorzunehmen, wenn er die Versendung des fristwahrenden Schriftsatzes übernehme. Vorliegend habe aber der Klägervertreter lediglich geprüft, ob die Übermittlung „erfolgreich“ gewesen sei (was im Sendprotokoll auch ausgewiesen wird), nicht aber, ob die Versendung an das richtige Gericht vorgenommen wurde.

Eine Wiedereinsetzung käme schon dann nicht in Betracht, wenn die Möglichkeit bestünde, dass die Versäumung der Frist auf dem festgestellten Verschulden beruht. Im fall der irrtümlichen Übermittlung der Berufungsbegründung an das erstinstanzliche Gericht wirke sich das Verschulden einer Partei bzw. ihres Verfahrensvertreters nicht aus, wenn der Schriftsatz so zeitig bei dem falschen Gericht eingehen würde, dass eine fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden könne. Hier sei das Berufungsgericht davon ausgegangen, der Kläger (Klägervertreter) habe nicht erwarten könne, dass bei einer nur einen Tag vor Fristablauf eingehenden Berufungsbegründung im EGVP eines unzuständigen Gerichts der Schriftsatz rechtzeitig an das Berufungsgericht weitergeleitet würde; diese Erwägung würde keinen Rechtsfehler erkennen lassen.

BGH, Beschluss vom 30.11.2022 - IV ZB 17/22 -

Sonntag, 12. Februar 2023

Bedarf der Widerruf einer Schenkung wegen groben Undanks einer Begründung ?

Der BGH hatte sich mit der Revision gegen eine Entscheidung des OLG Frankfurt zu befassen, die den Widerruf der mit notariell beurkundeten Übertragungen von Grundstücken in den Jahren 1993 und 1994 im Wege der vorweggenommenen Erbfolge an den Beklagten zum Inhalt hatte. Mit Schreiben vom 16.12.2011 widerrief die Übertragende die Schenkung wegen des Verhaltens des Beklagten in einem Verfahren vor dem LG Bonn und im Hinblick auf einen Erpressungsversuch des Beklagten. Der Beklagte wurde vom Landgericht antragsgemäß zur Herausgabe des (Mit-) Eigentums an den Grundstücken verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten wies das OLG Frankfurt die Klage insoweit ab. Die zugelassene Revision führte zur Aufhebung des Urteils des OLG und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits, da das OLG nicht (ausreichend) geprüft habe, ob eine Schenkung und bejahendenfalls ein Widerrufsgrund vorläge.

Das Landgericht hatte seien Entscheidung damit begründet, der Übertragung müsste eine Schenkung iSv. 516 BGB zugrunde liegen und die (zwischenzeitlich verstorbene) Übertragende hätte diesen wegen groben Undanks  gem. § 530 Abs. 1 BGB widerrufen müssen. Allerdings läge jedenfalls kein Widerruf iSv. § 530 BGB vor, da die Widerrufserklärung vom 16.12.2012 wegen fehlender Angabe eines Widerrufsgrundes unwirksam gewesen sei. Zwar seien Angaben getätigt worden, die aber nicht erkennen ließen, welches Verhalten des Beklagten konkret beanstandet würde.

Der BGH verwies darauf, er habe bisher (BGH, Urteil vom 22.10.2019 - X ZR 48/17 -) nur dazu entschieden, dass § 531 Abs. 1 BGB keine umfassende rechtliche Begründung des Widerrufs erforderlich sei und es ausreichend sei, dass der dem Widerruf zugrunde liegende Sachverhalt nur so weit dargestellt würde, dass der Beschenkte ihn von anderen Geschehnissen unterscheiden und die Einhaltung der in § 532 BGB für den Widerruf vorgegebenen Jahresfrist beurteilen sowie im Umkehrschluss feststellen könne, welche gegebenenfalls andere Vorfälle der Schenker nicht zum Anlass des Widerrufs genommen habe. Ob es einer diesen Anforderungen genügenden Begründung allerdings bedürfe, habe der zur Entscheidung berufene Senat bisher entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht offengelassen, da sie bei der Entscheidung vom 22.10.2019 nicht von Relevanz gewesen sei.

Nunmehr aber postulierte sich der BGH eindeutig und erklärte, dass es für den Widerruf einer Schenkung wegen groben Undanks keiner Begründung bedarf. Damit reicht mithin die Erklärung aus, dass die Schenkung wegen groben Undanks widerrufen wird.

Zwar würde in der obergerichtlichen Rechtsprechung von Oberlandesgerichten und dem überwiegendem Teil der Literatur die Mitteilung des Widerrufsgrundes (so wie vorliegend das OLG Frankfurt) für erforderlich gehalten, und zwar im Hinblick auf die Prüfung der Jahresfrist (§ 532 BGB) und eines  Widerrufsgrundes (§ 532 BGB). Ein teil der Literatur sei unter Bezugnahme auf den Wortlaut des Gesetzes der Ansicht, der Mitteilug des Widerrufsgrundes bedürfe es nicht; dieser Auffassung folgte der BGH.

Dabei verwies der BGH auf dem Wortlaut der Norm, die keine Mitteilung des Widerrufsgrundes in der Widerrufserklärung vorsehe. Aber auch aus dem Sinn und Zweck des § 531 Abs. 1 BGB sowie der §§ 530 und 532 BGB könne eine entsprechende Mitteilung des Widerrufsgrundes in der Widerrufserklärung nicht abgeleitet werden.

Zwar könne der Beschenkte in Ansehung der Folgen des Widerrufs ein schutzwürdiges Interesse daran haben, den Widerrufsgrund zwecks hinreichender Prüfung zu erfahren. Allerdings sei der Beschenkte nicht schutzlos gestellt. Die materielle Wirksamkeit eines Widerrufs sei an enge objektive und subjektive Voraussetzungen geknüpft und das Rückgabeverlangen könne im gerichtlichen Verfahren nur Erfolg haben, wenn in diesem gerichtlichen Verfahren (!) der Schenker (bzw. hier sein Rechtsnachfolger) die Voraussetzungen des groben Undanks darlege und beweise.

Es würde im Widerspruch zu diesem Regelungskonzept stehen, zusätzlichen Schutz durch ein formelles Begründungserfordernis zu gewähren, obwohl das Gesetz ein solches nicht vorsehen würde.

Dieses Ergebnis würde auch einem systematischen Vergleich mit den Voraussetzungen für die fristlose Kündigung eines Dienstvertrages aus wichtigen Grund (§ 626 BGB) entsprechen. Auch eine solche Kündigung würde das Vorliegen eines wichtigen Grundes als auch die Einhaltung einer (im Vergleich zu § 532 BGB deutlich kürzeren) Erklärungsfrist verlangen. Dort sei in § 626 Abs. 2 S. 3 BGB (anders als bei dem Schenkungswiderruf wegen groben Undanks) normiert, dass der Kündigende dem Gekündigten auf dessen Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitzuteilen habe; die Wirksamkeit der Kündigung hänge aber nicht davon ab, dass der Kündigende dem auch nachkomme. Vielmehr sei auch hier entscheidend, ob ein wichtiger Grund vorliegt und die Erklärungsfrist eingehalten wurde (BAG, Urteil vom 17.08.1972 - 2 AZR 415/17 -). Für den Widerruf einer Schenkung wegen groben Undanks, bei dem das Gesetz sogar keinerlei Begründung (also weder zusammen mit dem Widerruf noch auf Verlangen danach) vorsehe, könne nichts anderes gelten.

Anmerkung: Diese deutliche Entscheidung des BGH ist zu begrüßen, führte doch die Entscheidung aus 2019 zu der Irritation, es sei eine Begründung erforderlich. Die Begründung für den Widerruf wegen groben Undanks ist im Gesetz nicht vorgesehen.  Im Rahmen des § 626 BGB wird allgemein anerkannt, dass sie - da nicht im Gesetz normiert - auch nicht erfolgen muss; obwohl im Rahmen des § 626 BGB der Gekündigte nachträglich eine Begründung fordern kann, wird nach der Rechtsprechung des BAG diese Unterlassen des Kündigenden (zutreffend) nicht dahingehend sanktioniert, dass deshalb die Kündigung unwirksam wird. Umgekehrt ist in anderen Normen (so zur ordentlichen Kündigung  im Mietrecht in § 573 Abs. 3 BGB) explizit eine Begründung gefordert, deren Fehlen zur Unwirksamkeit der Kündigung führt (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 31.03.1992 - 1 BvR 1492/91 -). Nähme man einen Begründungszwangs bei der Widerrufserklärung an, würde durch die Rechtsprechung ein formales Tatbestandsmerkmal geschaffen, welches der Gesetzgeber nicht vorgesehen hat und damit das Gericht letztlich zu einen Ersatzgesetzgeber, was der Gewaltenteilung widerspräche.

BGH, Urteil vom 11.10.2022 - X ZR 42/20 -

Montag, 14. September 2020

Kündigung wegen verspäteter Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit


Der Kläger war langjährig Lagerist bei der Beklagten gewesen. Seit Juli 2016 war er durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Beklagte mahnte den Kläger mit Schreiben vom 11.01.2016 ab, da dieser vom 27.12. bis 30.12.2016 ohne Angabe von Gründen nicht zur Arbeit erschienenen sei, ferner mit Schreiben vom 10. und 15.03.2017, da er seine Anzeigepflicht im Krankheitsfall nicht entsprochen habe (die Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 22.02. bzw. 08.03 w017 hätten nicht rechtzeitig vorgelegen). Eine am 07.08.2017 (Montag) an der Pforte abgegebene Bescheinigung, nach der sich die Arbeitsunfähigkeit über den 04.08.2017 hinaus erstrecke, ging dem Vorgesetzten erst am 08.08.2017 zu. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 31.08.2017 zum 31.12.2017.

Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. Diese war in den ersten zwei Instanzen erfolgreich. Im Rahmen der Revision hob das BAG die Entscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht (LAG) zurück.

Eine Kündigung könne nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitsnehmers sozial gerechtfertigt sein. Dabei käme auch eine schuldhafte Verletzung einer sich aus § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG ergebenden (Neben-) Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich in Betracht. Diese Mitteilungspflicht gelte nicht nur für den Fall der Ersterkrankung, sondern auch der Fortdauer der darauf begründeten Arbeitsunfähigkeit über die zunächst mitgeteilte Dauer hinaus. Unverzüglich bedeute nach der anzuwendenden Legaldefinition in § 121 Abs. 1 S. 1 BGB „ohne schuldhaftes zögern“. Die Mitteilung müsse gegenüber einem vom Arbeitgeber autorisierten Mitarbeiter erfolgen (mangels besonderer Regelung an den Vorgesetzten oder eine Personalabteilung); die Überlassung an andere Mitarbeiter würde sich als Einschaltung von Boten darstellen, für die der Arbeitnehmer das Risiko trage.

Dem Tatsachengericht kommt, so das BAG, bei der Prüfung und Interessensabwägung, ob eine Kündigung durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers begründet seien, ein Beurteilungsspielraum zu. Auch im Rahmen des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs im Revisionsverfahren sah dies das BAG als fehlerhaft an, insoweit das LAG lediglich ein geringes Verschulden angenommen habe ohne Umstände festzustellen, die auf ein lediglich geringes Verschulden schließen ließen. Auszugehen sei von § 276 BGB (Vorsatz und Fahrlässigkeit), für die der Schuldner (und damit der Arbeitnehmer bei einer Pflichtverletzung) einzustehen habe. Das LAG habe allerdings lediglich darauf abgestellt, es habe eine Pflichtverletzung geringen Ausmaßes vorgelegen, womit es gerade nicht der Grad des Verschuldens, sondern lediglich das Gewicht der Pflichtverletzung angesprochen worden sei.

Nach § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG gehöre das Fehlen von betrieblichen Ablaufstörungen ebenso wie ein Vorhandensein zu einer notwendigen vollständigen Interessensabwägung bei einer auf Verletzung der Anzeigepflicht gestützten Kündigung. Fehlerhaft sei aber die Annahme des LAG, eine Pflichtverletzung bei unterlassener unverzüglicher Anzeige der Fortdauer der Erkrankung beeinträchtige die Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers weniger gravierend als die nicht unverzügliche Erstanzeige. Der Arbeitgeber könne grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Arbeitnehmer ohne anderslautende Mitteilung seine Arbeit nach Ablauf der mitgeteilten Erkrankungsdauer wieder aufnehme. Es bestünde auch nicht generell eine große Wahrscheinlichkeit, dass eine einmal eingetretene Arbeitsunfähigkeit über den mitgeteilten Zeitraum hinaus fortdauere. Es müssten Umstände belegt sein, die für den Arbeitgeber die Fortdauer hätten ersichtlich machen müssen. Auch bei längerem Ausfall des Arbeitnehmers müsse der Arbeitgeber nicht für einen längerfristigen Ersatz Sorge tragen.

Im weiteren Verlauf wird sich das LAG mit den Abmahnungen der beklagten beschäftigen müssen und klären müssen, ob die Anzeigen nach den Abmahnungen pünktlich erfolgten und sich damit der Kläger die Abmahnungen hat zur Warnung gereichen lassen.  

BAG, Urteil vom 07.05.2020 - 2 AZR 619/19 -

Montag, 9. Juli 2018

Zur (verneinten) Umdeutung einer Verteidigungsanzeige in einen Einspruch


Das Landgericht hatte gegen den Beklagten am 27.01.2017 ein Versäumnisurteil (im schriftlichen Vorverfahren wegen fehlender Verteidigungsanzeige des Beklagten) erlassen, welches dem Beklagten am 02.02.2017 zugestellt wurde. Der Beklagte hatte am 01.02.2017 Verteidigungsanzeige erklärt. Nach Zustellung des Versäumnisurteils erklärte der Beklagte mit seinem am 22.02.2017 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 21.01.2017 Einspruch gegen das Versäumnisurteil.

Der Einspruch wurde vom Landgericht verworfen. Die dagegen vom beklagten eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen.

Der Einspruch muss binnen zwei Wochen nach Zustellung des Versäumnisurteils erfolgen, § 399 Abs. 1 ZPO. Diese Frist war bei Eingang der Einspruchsfrist vom 21.02.2017 am 22.02.2012 bereits abgelaufen (Zustellung: 02.02.2017, Ablauf 16.02.2017). Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Notfrist wurde nicht gestellt und waren Gründe dafür für das Land- als auch Oberlandesgericht offenbar nicht ersichtlich.

Nur wenn die am 01.02.2017 bei dem Landgericht eingegangene Verteidigungsanzeige auch als Einspruch gegen das bereits am 27.01.2017 verkündete aber erst am 02.02.2017 eingegangene Versäumnisurteil ausgelegt werden könnte, wäre mithin rechtzeitig Einspruch eingelegt worden. Allerdings kam der Verteidigungsanzeige hier nicht die Wirkung (auch) eines Einspruchs zu. Eine entsprechende Auslegung oder Umdeutung sei, so das OLG nicht möglich. Einer Auslegung der verteidigungsanzeige auch als Einspruch stünde bereits die Unkenntnis des Beklagten von dem erst später zugestellten Versäumnisurteil entgegen.  Eine Umdeutung sei zwar prozessual grundsätzlich von einer fehlerhaften Prozesserklärung in eine zulässige und wirksame möglich,  wenn deren Voraussetzungen eingehalten würden und die Umdeutung dem mutmaßlichen Willen des Erklärenden entspräche und weiterhin dem nicht schutzwürdige Interessen des Gegners entgegen stünden. Hier aber ließe sich bezogen auf den Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung vor Zustellung des Versäumnisurteils nicht feststellen, dass der mutmaßliche Wille auf einen Einspruch gegen dieses Versäumnisurteil gerichtet gewesen sei. Der Wille, sich gegen eine Klage verteidigen zu wollen, beinhalte nicht automatisch den Willen, auch eine gerichtliche Entscheidung, nach der der Klage auf der Grundlage einer Schlüssigkeitsprüfung stattgegeben worden sei (klagestattgebendes Versäumnisurteil) angreifen zu wollen. Dies könne schon gar nicht in einem Fall wie vorliegend angenommen werden, in dem es um einen vergleichsweise überschaubaren Streitwert ginge und im Wesentlichen Rechtsfragen und eine richterliche Bewertung im Vordergrund gestanden hätten; in diesem Fall könne nicht davon ausgegangen werden, dass die beklagte Partei eine Entscheidung letztlich aus wirtschaftlichen Gründen nicht akzeptieren würde.

Eine Vergleichbarkeit mit der Entscheidung des OLG Braunschweig vom 09.05.1994 - 2 WF 37/04 -läge hier nicht vor, da dort anders als vorliegend zusammen mit der verteidigungsanzeige bereits die Klageerwiderung erfolgt sei (das OLG Köln hatte mit Beschluss vom 27.04.2001 - 10 WF 41/01 - allerdings bei dieser Konstellation auch einen wirksamen Einspruch negiert).

Hinweis: Ist unklar, ob eventuell bereits ein Versäumnisurteil erlassen wurde, empfiehlt es sich, zusammen mit einer Verteidigungsanzeige vorsorglich auch Einspruch gegen ein eventuell bereits erlassenes Versäumnisurteil einzulegen, da damit der Wille deutlich wird, dass auch eine Entscheidung des Gerichts qua Schlüssigkeitsprüfung nicht akzeptiert wird.

OLG Köln, Hinweisbeschluss vom 05.01.2018 - 5 U 65/17 -

Freitag, 3. März 2017

WEG: Wichtige Gründe für Abberufung eines Verwalters

Die Wohnungseigentümergemeinschaft hatte den klagenden Verwalter „aus wichtigem Grund“   abberufen. Das Amtsgericht hatte noch der vom Verwalter dagegen erhobenen Klage stattgegeben; die Berufung der Wohnungseigentümergemeinschaft führte zur Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung und zur Klageabweisung. Das Landgericht bejahte im Berufungsverfahren aus mehreren Gründen das Vorliegen eines wichtigen Grundes, wobei es darauf Hinweis, dass ein wichtiger Grund vorliegt, wenn der Gemeinschaft die Fortsetzung der Zusammenarbeit nicht mehr zugemutet werden kann und das Vertrauensverhältnis zerstört sei, wobei die einzelnen Gründe dafür nicht einmal auf einem Verschulden beruhen müssen. Abzuwägen wären die weitere Vertragsdauer, die beiderseitigen Verursachungsbeiträge und insbesondere das Fehlverhalten des Verwalters.


a) Führen der Beschlusssammlung

Dem Verwalter wurde zum Vorwurf gemacht, die Beschlusssammlung entgegen § 26 Abs. 1 S. 4 WEG nicht korrekt zu führen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich (wie hier) nicht mehr um eine Bagatelle handelt, da die Eigentümer darauf vertrauen dürfen, dass diese Sammlung aktuell, richtig und vollständig ist. Entgegen § 24 Abs. 7 Nr. 1 WEG wäre für eine Versammlung vom 20.12.2012 nicht der Ort der Versammlung benannt worden. Auch wenn damals die Klägerin noch nicht Verwalterin war, oblag ihr doch eine Korrekturpflicht. Im übrigen sei sie der Verpflichtung zur Benennung des Versammlungsortes für die Versammlung vom 22.01.2013 selbst nicht nachgekommen. Schwerwiegend sei, dass hinsichtlich eines Beschlusses in einer Versammlung vom 13.05.2013 der Beschluss nicht im Wortlaut in der Beschlussfassung wiederzufinden ist (es fehlen ganze Textpassagen).

Der Verwalter hätte auch nicht vor der Abberufung abgemahnt werden müssen. Dies sei nach § 24 Abs. 7 WEG nicht vorgesehen (BT-Drucksache 16/887, S. 35). Auf § 626 Abs. 2 WEG (2-Wochen-Frist für Kündigung nach Kenntnis des Kündigungsgrundes) käme es hier nicht an, da es sich um einen Organisationakt handele, der nicht von § 626 Abs. 2 BGB erfasst würde.

b) Entnahme von Geldern

Der Verwalter habe Gelder von dem Konto der WEG entnommen, die ihm nicht zugestanden hätten. Zwar begründete der Verwalter die Entnahmen mit einem jeweiligen Rechtsanspruch, der allerdings hier vom Landgericht nicht gesehen wurde. Dies ging zu Lasten des Verwalters.


LG Berlin, Urteil vom 02.10.2015 – 55 S 206/14 WEG -

Montag, 28. November 2016

Fitnessstudio: Kündigungsfrist bei Krankheit

Krankheit kann u.U. eine fristlose Kündigung des Vertrages mit einem Fitnessstudio rechtfertigen. Das Landgericht Darmstadt hat in seiner Entscheidung über die Berufung einer Nutzerin, die sich gegen die erstinstanzliche Verurteilung zur Zahlung weiteren Nutzungsentgeltes wandte, dahinstehen lassen, ob auch im Rahmen des § 314 Abs. 3 BGB die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB heranzuziehen sei. Da die beklagte Nutzerin von ihrer zur Sportunfähigkeit führenden Erkrankung seit dem 11.06.2014 wusste, allerdings erst eingehend bei der Klägerin am 13.08.2014 kündigte, sei die Frist nicht mehr angemessen im, Sinne des § 314 Abs. 3 BGB. In Ansehung der widerstreitenden Interessen könne die Beklagte nicht bei der Diagnose einer fortan bestehenden Sportunfähigkeit nach Belieben mit einer Kündigung zuwarten.

Zur vorausgegangenen Entscheidung >  AG Langen vom 30.05.2016 - 172/15 (11) -


LG Darmstadt, Urteil vom 19.10.2016 – 21 S 80/16 -

Samstag, 9. Juli 2016

Rechtzeitiger Befangenheitsantrag gegen Sachverständigen

Das OLG Bamberg hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wann ein Befangenheitsantrag gegen einen Sachverständigen zu stellen ist, damit er nicht als verspätet zurückgewiesen werden kann/muss (wie durch das Landgericht geschehen). Dabei hat der Senat die derzeitige rechtliche Situation aufgearbeitet und festgehalten:

Grundsätzlich ist ein Befangenheitsantrag binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen zu stellen, § 406 Abs. 2 S. 1 ZPO. Eine spätere Ablehnung kommt nach § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO nur in Betracht, wenn der Antragsteller geltend (und glaubhaft) macht, dass er ohne sein Verschulden an einer früheren Geltendmachung gehindert war. In diesen Fällen ist der Antrag entsprechend § 121 BGB unverzüglich nach Kenntnis des zu stellen.

Kommt es zur Anhörung des Sachverständigen und verhandelt danach die Partei zur Sache, verliert sie grundsätzlich ihr Ablehnungsrecht (in entsprechender Anwendung des § 43 ZPO). Allerdings könne dieses nicht schematisch negiert werden. Entscheidend sei auch hier darauf abzustellen, ob zu diesem Zeitpunkt der Partei der oder die Ablehnungsgründe bekannt sind. Beruht die Ablehnung auf einer Bezeichnung des Parteivortrages durch den Sachverständigen als „frech“, so dürfe nicht ohne Verlust eines möglichen Ablehnungsrechts verhandelt werden. Handelt es sich aber erst um später bekannt gewordene Umstände, würde es durch das rügelose Verhandeln noch nicht zum Verlust kommen.

Vorliegend hatte der Kläger den Sachverständigen nach dessen Gutachtenerstellung und Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 15.03.2016 mit Schriftsatz vom 24.03.2016 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Obwohl dies nach der Erstattung des Gutachtens und der Anhörung des Sachverständigen erfolgte, war hier die Frist gewahrt, da den Parteien im Anschluss an die Befragung des Sachverständigen eine Frist bis 05.04.2016 zur Stellungnahme zur Beweisaufnahme eingeräumt wurde. Damit erfolgte keine rügelose Einlassung und der Befangenheitsantrag wurde auch innerhalb der 2-Wochen-Frist gestellt.

Er war vorliegend in der Sache nach Auffassung des Senats nicht begründet.


OLG Bamberg, Beschluss vom 02.05.2016 – 4 W 38/16 -

Mittwoch, 1. Juni 2016

Fitnessstudio: Zur Rechtzeitig einer Kündigung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes

Die Beklagte schloss mit der Klägerin einen Vertrag über die Nutzung eines von der Klägerin betriebenen Fitness-Studios. Der Vertrag vom 03.03.2014 sollte auf 24 Monate laufen. Mit Schreiben vom 13.08.2014 kündigte die Beklagte den Vertrag fristlos. Sie behauptete eine (dauerhafte) Sportunfähigkeit und legte ein Attest vor, demzufolge die Sportunfähigkeit seit dem 11.06.2016 bestehen soll. Die Klägerin widersprach der Kündigung und klagte das vertraglich vereinbarte Nutzungsentgelt bis zum Zeitpunkt des möglichen Vertragsendes ein. Die Klage war erfolgreich.

Das Amtsgericht hat auf sich beruhen lassen, ob die behauptete Erkrankung als solche eine fristlose Kündigung des Vertrages mit dem Fitnessstudio rechtfertigen könne. Denn auch wenn dies unterstellt würde, wäre die darauf gestützte Kündigung nicht beachtlich. Entscheidend sei, dass nach § 314 Abs. 3 BGB der Berechtigte eine fristlose Kündigung nur in angemessener Frist erklären kann, die hier nach § 626 Abs. 2 BGB zwei Wochen betrage und mit Kenntniserlangung der für die Kündigung maßgeblichen Umstände beginne. Da in dem Attest vom 31.07.2014 die angebliche Sportunfähigkeit der Beklagten ab dem 11.06.2014 bescheinigt wurde, ist auch davon auszugehen, dass dies der Beklagten bekannt gewesen wäre. Damit wäre die Kündigung erst zwei Monate nach Kenntniserlangung erfolgt und mithin wegen Versäumung der Frist unwirksam. Die Beklagte wäre auch beweisfällig für ihre Behauptung geblieben, erst seit dem 31.07.2014 die ausreichende Kenntnis gehabt zu haben.


AG Langen, Urteil vom 30.05.2016 – 55 C 172/15 (11) -

Freitag, 22. Januar 2016

Mietrecht: Mieterhöhung wegen Modernisierung und Folgen einer zu geringen Ankündigung

Wer modernisiert kann die Kosten der Modernisierungsmaßnahmen auf die Mieter umlegen, § 559 BGB. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber einen Anreiz für Modernisierungen schaffen. Eine Voraussetzung der Umlegung der Kosten auf die Miete ist, dass der Vermieter zuvor die Mieter über die Modernisierungsmaßnahme informiert und ihnen auch die dadurch bedingte Mieterhöhung mitteilt. Unterlässt der Vermieter die vorherige Mitteilung, führt dies allerdings nicht zum Ausschluss der Mieterhöhungsverlangens. Vielmehr verschiebt sich nur der Termin, zu dem die erhöhte Miete geschuldet wird, um sechs Monate, § 559 Abs. 2 BGB.

Was aber ist, wenn der Vermieter zwar die notwendigen Informationen erteilt, die Kosten dann aber höher ausfallen mit der Folge, dass die tatsächliche Mieterhöhung höher ist als die  angekündigte ?
Hier sieht zunächst § 559b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BGB vor, dass eine Abweichung von bis zu 10% unbeachtlich ist.  

Im konkreten, vom BGH zu beurteilenden Fall lag die Abweichung nach oben über 10%. Der Vermieter vertrat hier die Auffassung, er könne die Mieterhöhung bis zur Steigerung von 10% zu dem gesetzlich vorgesehenen Primärtermin erhöhen und müssen nur im übrigen sechs Monate zuwarten (gestaffeltes Wirksamwerden). Seine Klage blieb erfolglos; nach Hinweisen des BGH nahm er seine Revision, die vom Berufungsgericht zugelassen wurde, zurück.

Der BGH wies auf die Einheitlichkeit des Erhöhungsbegehrens hin. Nach dem Gesetzeswortlaut stünde dem Vermieter bei Überschreiten der 10% gerade nicht das Recht zu, die Mieterhöhung zu der in § 550b Abs. 2 Satz 1 BGB benannten Primärfrist zu erhöhen. Sie könne erst insgesamt zu dem sechs Monate später liegenden Termin verlangt werden, § 559b Abs. 2 S. 2 BGB.


BGH, Hinweisbeschluss vom 06.10.2015 – VIII ZR 76/15 –