Montag, 14. September 2020

Kündigung wegen verspäteter Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit


Der Kläger war langjährig Lagerist bei der Beklagten gewesen. Seit Juli 2016 war er durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Beklagte mahnte den Kläger mit Schreiben vom 11.01.2016 ab, da dieser vom 27.12. bis 30.12.2016 ohne Angabe von Gründen nicht zur Arbeit erschienenen sei, ferner mit Schreiben vom 10. und 15.03.2017, da er seine Anzeigepflicht im Krankheitsfall nicht entsprochen habe (die Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 22.02. bzw. 08.03 w017 hätten nicht rechtzeitig vorgelegen). Eine am 07.08.2017 (Montag) an der Pforte abgegebene Bescheinigung, nach der sich die Arbeitsunfähigkeit über den 04.08.2017 hinaus erstrecke, ging dem Vorgesetzten erst am 08.08.2017 zu. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 31.08.2017 zum 31.12.2017.

Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. Diese war in den ersten zwei Instanzen erfolgreich. Im Rahmen der Revision hob das BAG die Entscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht (LAG) zurück.

Eine Kündigung könne nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitsnehmers sozial gerechtfertigt sein. Dabei käme auch eine schuldhafte Verletzung einer sich aus § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG ergebenden (Neben-) Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich in Betracht. Diese Mitteilungspflicht gelte nicht nur für den Fall der Ersterkrankung, sondern auch der Fortdauer der darauf begründeten Arbeitsunfähigkeit über die zunächst mitgeteilte Dauer hinaus. Unverzüglich bedeute nach der anzuwendenden Legaldefinition in § 121 Abs. 1 S. 1 BGB „ohne schuldhaftes zögern“. Die Mitteilung müsse gegenüber einem vom Arbeitgeber autorisierten Mitarbeiter erfolgen (mangels besonderer Regelung an den Vorgesetzten oder eine Personalabteilung); die Überlassung an andere Mitarbeiter würde sich als Einschaltung von Boten darstellen, für die der Arbeitnehmer das Risiko trage.

Dem Tatsachengericht kommt, so das BAG, bei der Prüfung und Interessensabwägung, ob eine Kündigung durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers begründet seien, ein Beurteilungsspielraum zu. Auch im Rahmen des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs im Revisionsverfahren sah dies das BAG als fehlerhaft an, insoweit das LAG lediglich ein geringes Verschulden angenommen habe ohne Umstände festzustellen, die auf ein lediglich geringes Verschulden schließen ließen. Auszugehen sei von § 276 BGB (Vorsatz und Fahrlässigkeit), für die der Schuldner (und damit der Arbeitnehmer bei einer Pflichtverletzung) einzustehen habe. Das LAG habe allerdings lediglich darauf abgestellt, es habe eine Pflichtverletzung geringen Ausmaßes vorgelegen, womit es gerade nicht der Grad des Verschuldens, sondern lediglich das Gewicht der Pflichtverletzung angesprochen worden sei.

Nach § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG gehöre das Fehlen von betrieblichen Ablaufstörungen ebenso wie ein Vorhandensein zu einer notwendigen vollständigen Interessensabwägung bei einer auf Verletzung der Anzeigepflicht gestützten Kündigung. Fehlerhaft sei aber die Annahme des LAG, eine Pflichtverletzung bei unterlassener unverzüglicher Anzeige der Fortdauer der Erkrankung beeinträchtige die Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers weniger gravierend als die nicht unverzügliche Erstanzeige. Der Arbeitgeber könne grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Arbeitnehmer ohne anderslautende Mitteilung seine Arbeit nach Ablauf der mitgeteilten Erkrankungsdauer wieder aufnehme. Es bestünde auch nicht generell eine große Wahrscheinlichkeit, dass eine einmal eingetretene Arbeitsunfähigkeit über den mitgeteilten Zeitraum hinaus fortdauere. Es müssten Umstände belegt sein, die für den Arbeitgeber die Fortdauer hätten ersichtlich machen müssen. Auch bei längerem Ausfall des Arbeitnehmers müsse der Arbeitgeber nicht für einen längerfristigen Ersatz Sorge tragen.

Im weiteren Verlauf wird sich das LAG mit den Abmahnungen der beklagten beschäftigen müssen und klären müssen, ob die Anzeigen nach den Abmahnungen pünktlich erfolgten und sich damit der Kläger die Abmahnungen hat zur Warnung gereichen lassen.  

BAG, Urteil vom 07.05.2020 - 2 AZR 619/19 -


Aus den Gründen:


Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - vom 8. Mai 2019 - 10 Sa 52/18 - aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Revisionsverfahren noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Der Kläger war bei der Beklagten langjährig als Lagerist beschäftigt. Er war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts seit Juli 2016 durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben.
In der Betriebsordnung der Beklagten heißt es auszugsweise:
        
„10.2 Erkrankung/Arbeitsausfall/Arbeitsverhinderung
        
Können Sie wegen Erkrankung oder aus einem anderen unvorhergesehenen Grund die Arbeit nicht aufnehmen, verständigen Sie bitte unverzüglich - am ersten Arbeitstag zum Beispiel telefonisch mit Angabe der Gründe und der voraussichtlichen Dauer - Ihren Vorgesetzten. Die Meldung an die Krankenkasse gilt nicht als Entschuldigung. …“
In einem an den Kläger gerichteten Schreiben vom 9. November 2016 wies die Beklagte darauf hin, dass dem Vorgesetzten bzw. dessen Vertreter unverzüglich mitzuteilen sei, wenn eine Arbeitsunfähigkeit bestehe. Außerdem sei deren voraussichtliche Dauer anzugeben. Die Abgabe oder Übersendung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genüge grundsätzlich nicht für eine unverzügliche Anzeige, da sie dem Vorgesetzten nicht vor Beginn der Kernarbeitszeit am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit bzw. von deren Verlängerung vorliegen könne. Die Grundsätze gölten nicht nur bei einer Ersterkrankung, sondern auch bei ihrer Fortdauer über den ursprünglich bescheinigten Zeitraum hinaus. Der Kläger hat bestritten, das Schreiben erhalten zu haben.
Die Beklagte mahnte den Kläger mit Schreiben vom 11. Januar 2017 ab, weil er vom 27. bis zum 30. Dezember 2016 ohne Angabe von Gründen nicht zur Arbeit erschienen sei, und mit Schreiben vom 10. und 15. März 2017, weil er seine Anzeigepflichten im Krankheitsfall verletzt habe. Die Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 22. Februar 2017 bzw. 8. März 2017 hätten dem Vorgesetzten nicht rechtzeitig vorgelegen.
Eine am Montag, dem 7. August 2017 an der Pforte abgegebene Bescheinigung über eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit des Klägers über den 4. August 2017 hinaus erreichte seinen Vorgesetzten erst am 8. August 2017 nach Beginn der Kernarbeitszeit.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 31. August 2017, dem Kläger am selben Tag zugegangen, zum 31. Dezember 2017.
Dagegen hat der Kläger fristgerecht die vorliegende Klage erhoben. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die ihm ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen habe die Beklagte stets rechtzeitig erhalten. Er habe zudem immer rechtzeitig vorher versucht anzurufen. Er erinnere sich daran, dass das Telefon manchmal nicht abgenommen worden sei.
Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - beantragt
        
festzustellen, dass die Kündigung der Beklagten vom 31. August 2017, zugegangen am 31. August 2017, rechtsunwirksam ist und das Arbeitsverhältnis über den 31. Dezember 2017 unverändert fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt diese ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht ihre Berufung gegen das der Kündigungsschutzklage stattgebende arbeitsgerichtliche Urteil nicht zurückweisen. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
I. Die Vorinstanzen haben den Klageantrag trotz seiner abweichenden Formulierung ohne Rechtsfehler (nur) als Kündigungsschutzklage iSv. § 4 Satz 1 KSchG verstanden und nicht (auch) als Begehren auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses bis zur letzten mündlichen Verhandlung.
II. Das Landesarbeitsgericht hat im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, eine schuldhafte Verletzung der Pflicht, unverzüglich die Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit über den ursprünglich mitgeteilten Zeitraum hinaus anzuzeigen, könne - nach Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls - eine Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial rechtfertigen.
1. Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist (BAG 5. Dezember 2019 - 2 AZR 240/19 - Rn. 75; 15. Dezember 2016 - 2 AZR 42/16 - Rn. 11).
2. Auch eine schuldhafte Verletzung der sich aus § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG ergebenden (Neben-)Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit ist grundsätzlich geeignet, die Interessen des Vertragspartners zu beeinträchtigen und kann daher - je nach den Umständen des Einzelfalls - einen zur Kündigung berechtigenden Grund im Verhalten des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG darstellen (BAG 16. August 1991 - 2 AZR 604/90 - zu III 2 und 3 d aa der Gründe; 31. August 1989 - 2 AZR 13/89 - zu II 1 a der Gründe).
a) Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Die Anzeigepflicht ist nicht auf den Fall einer Ersterkrankung beschränkt. Sie umfasst die Verpflichtung, auch die Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit über die zunächst angezeigte Dauer hinaus unverzüglich mitzuteilen (zu § 3 Abs. 1 Satz 1 LFZG vgl. BAG 16. August 1991 2 AZR 604/90 - zu III 1 a der Gründe). Daran hat sich mit dem insofern gegenüber § 3 Abs. 1 Satz 1 LFZG unveränderten Wortlaut von § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG nichts geändert. Die „voraussichtliche Dauer“ der Arbeitsunfähigkeit verlängert sich bei ihrer Fortdauer über die zunächst mitgeteilte Dauer hinaus und bedarf daher einer erneuten Information des Arbeitgebers. Nur dies entspricht Sinn und Zweck von § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Die Anzeigepflicht soll den Arbeitgeber in die Lage versetzen, sich auf das Fehlen des arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers möglichst frühzeitig einstellen zu können (zu § 3 Abs. 1 Satz 1 LFZG vgl. BAG 31. August 1989 - 2 AZR 13/89 - zu II 1 b der Gründe). Dieses Bedürfnis besteht auch bei einer Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit über den zunächst mitgeteilten Zeitraum hinaus und grundsätzlich auch unabhängig davon, ob der Arbeitgeber noch zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist. Soweit der Senat in der Vergangenheit ausgeführt hat, § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG gelte für die Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit „entsprechend“ (BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 30), bedeutet dies nicht, es bedürfe in diesem Fall einer analogen Anwendung der Bestimmung. Diese umfasst vielmehr bereits nach ihrem Wortlaut sowie dem Normzweck die entsprechende Verpflichtung auch bei Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit.
b) Nach der Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB bedeutet „unverzüglich“ auch im Rahmen des § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG „ohne schuldhaftes Zögern“ (zu § 3 Abs. 1 Satz 1 LFZG vgl. BAG 16. August 1991 - 2 AZR 604/90 - zu III 1 a der Gründe; 31. August 1989 - 2 AZR 13/89 - zu II 1 b der Gründe).
c) Die Mitteilung über die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit kann an einen vom Arbeitgeber zur Entgegennahme von derartigen Erklärungen autorisierten Mitarbeiter gerichtet werden. Fehlt es an einer besonderen Regelung, ist ein Vorgesetzter oder die Personalabteilung zu benachrichtigen (Schmitt/Küfner-Schmitt in Schmitt EFZG/AAG 8. Aufl. § 5 EFZG Rn. 36; ErfK/Reinhard 20. Aufl. EFZG § 5 Rn. 8; MüKoBGB/Müller-Glöge 8. Aufl. § 5 EFZG Rn. 6). Der Arbeitnehmer kann sich anderer Personen zwar als Boten bedienen, trägt dabei aber das Risiko der rechtzeitigen und zutreffenden Übermittlung (Schmitt/Küfner-Schmitt in Schmitt aaO Rn. 37; ErfK/Reinhard aaO).
III. Das Landesarbeitsgericht hat für seine Annahme, der Kläger habe im Zeitraum von weniger als einem halben Jahr insgesamt dreimal gegen seine Anzeigepflichten aus § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG verstoßen, keine ausreichenden Feststellungen getroffen.
1. Bezüglich der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit über den 4. August 2017 hinaus steht nach dem Berufungsurteil zwar fest, dass die Folgebescheinigung den Vorgesetzten des Klägers erst am 8. August 2017 nach Beginn der Kernarbeitszeit erreicht hat. Nicht festgestellt ist jedoch, ob der 7. oder 8. August 2017 überhaupt Arbeitstage des Klägers waren. Sollte dies nicht der Fall gewesen sein, ist nicht ausgeschlossen, dass nach Nr. 10.2 der Betriebsordnung der Beklagten die Information des Vorgesetzten im Lauf des 8. August 2017 noch rechtzeitig war. Widersprüchlich sind die Feststellungen des Berufungsgerichts zudem insoweit, als die Folgebescheinigung einerseits - unstreitig - am Nachmittag des 7. August 2017 an der Pforte abgegeben worden sein soll, andererseits - nach dem Beklagtenvorbringen - bereits um 11:08 Uhr an diesem Tag.
2. Das Landesarbeitsgericht hat keine Tatsachen festgestellt, aufgrund derer den Abmahnungen vom 10. und 15. März 2017 tatsächlich (schuldhaft) verspätete Anzeigen des Klägers zugrunde lagen. Nach dem Tatbestand des Berufungsurteils ist zwischen den Parteien vielmehr streitig gewesen, ob dem Vorgesetzten des Klägers nicht schon jeweils „rechtzeitig vor Beginn der Kernarbeitszeit“ die Folgebescheinigungen vorlagen.
IV. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung - unabhängig von seiner Annahme, der Kläger habe gegen seine Anzeigepflichten aus § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG verstoßen - aufgrund der vorzunehmenden Interessenabwägung als rechtsunwirksam angesehen. Auch diese hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung, ob eine Kündigung durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt ist, ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin geprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 5. Dezember 2019 - 2 AZR 240/19 - Rn. 78; 15. Dezember 2016 - 2 AZR 42/16 - Rn. 12). Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab genügt das angefochtene Urteil nicht.
2. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft ein lediglich geringes Verschulden des Klägers angenommen, ohne Umstände festgestellt zu haben, die auf einen nur geringen Verschuldensgrad schließen lassen.
a) Der Schuldner hat gem. § 276 Abs. 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Das Berufungsgericht hat nicht geprüft, welcher Grad des Verschuldens insoweit vorliegt. Nach dem Beklagtenvorbringen kommt sogar ein vorsätzlicher oder zumindest grob fahrlässiger Verstoß gegen die Pflicht zur rechtzeitigen Anzeige der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit in Betracht. Der Kläger hätte positive Kenntnis von der ihm insoweit obliegenden Pflicht gehabt, wenn ihm, wie die Beklagte behauptet hat, das Schreiben vom 9. November 2016 zugegangen ist.
b) Soweit das Landesarbeitsgericht darauf abgestellt hat, es habe eine Pflichtverletzung von geringerem Ausmaß vorgelegen, als wenn der Kläger seine Pflichten aus § 5 EFZG gänzlich unbeachtet gelassen hätte, ist damit das Gewicht der Pflichtverletzung als solche angesprochen, nicht der Grad des Verschuldens des Klägers.
3. Das Berufungsgericht hat ferner rechtsfehlerhaft angenommen, eine Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Erkrankung beeinträchtige das Dispositionsinteresse des Arbeitgebers generell weniger gravierend als die nicht unverzügliche Anzeige des erstmaligen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit.
a) Es hat dies damit begründet, dass das Nichterscheinen des Arbeitnehmers den Arbeitgeber in diesem Fall nicht unvorbereitet treffe. Diese Annahme wird - ohne dass sie durch konkrete Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt wäre - nicht von der gesetzlichen Ausgestaltung der Anzeigepflichten im Krankheitsfall getragen.
aa) Der Arbeitgeber kann grundsätzlich darauf vertrauen, der Arbeitnehmer werde, ohne eine anderslautende Anzeige, seine Arbeit nach Ablauf der mitgeteilten Dauer der Arbeitsunfähigkeit wieder aufnehmen. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG besteht für den Arbeitnehmer keine Pflicht zu bestätigen, dass es bei der zuletzt attestierten Dauer der Arbeitsunfähigkeit verbleibt. Er muss vielmehr ggf. ihre Fortdauer anzeigen. Es besteht auch nicht generell eine größere Wahrscheinlichkeit, dass eine einmal eingetretene Arbeitsunfähigkeit über den zunächst mitgeteilten Zeitraum hinaus fortdauert und nicht wie mitgeteilt endet. Das Dispositionsinteresse des Arbeitgebers kann demnach durch eine nicht unverzügliche Anzeige grundsätzlich unabhängig davon unterschiedlich schwer beeinträchtigt sein, ob es sich um eine Ersterkrankung oder ihre Fortdauer handelt. Dies hängt ab von den - festzustellenden - konkreten Umständen im Einzelfall, etwa davon, ob der Arbeitnehmer für termingebundene Arbeiten eingeplant und ob er durch andere Kollegen ersetzbar war.
bb) Das Landesarbeitsgericht hat auch bezogen auf den Streitfall keine seine Annahme rechtfertigenden Umstände festgestellt. Es fehlt an einer tatgerichtlichen Würdigung, wonach das Ausbleiben des Klägers über den 4. August 2017 hinaus die Beklagte tatsächlich nicht unvorbereitet getroffen habe. Das Berufungsgericht verweist vielmehr darauf, die Beklagte hätte das Arbeitsvolumen angesichts der seit Juli 2016 bestehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht nur kurzfristig anderweitig auffangen müssen und können. Sie hätte sich um eine längerfristige Ersatzlösung bemühen müssen. Dies ist zum einen nicht gleichbedeutend damit, dass sich die Beklagte im Streitfall tatsächlich um eine Ersatzlösung gekümmert und diesbezüglich auch Erfolg gehabt hat. Zum anderen trifft es nicht zu, dass ein Arbeitgeber für einen ausfallenden Arbeitnehmer ab einer bestimmten Dauer der Arbeitsunfähigkeit generell längerfristigen Ersatz suchen muss. Auch aus dem Berufungsurteil ergibt sich nicht, woraus eine solche Verpflichtung folgen soll. Vielmehr obliegt es der Organisationshoheit des Arbeitgebers, ob und ggf. wie er krankheitsbedingte Arbeitsausfälle kompensiert.
b) Für die Annahme des Landesarbeitsgerichts streitet entgegen seiner Auffassung auch kein allgemeiner Erfahrungssatz, wonach es eher unwahrscheinlich ist, dass ein Mitarbeiter nach einer langen Arbeitsunfähigkeit und einer Vielzahl von Folgekrankschreibungen „ohne anderslautende Verlautbarung“ den Dienst wieder antritt.
aa) Existenz und Inhalt eines vom Berufungsgericht herangezogenen allgemeinen Erfahrungssatzes sind vom Revisionsgericht voll überprüfbar. Allgemeine Erfahrungssätze dienen der Beurteilung von Tatsachen und haben somit die Funktion von Rechtssätzen (BAG 12. Dezember 1968 - 1 AZR 238/68 - zu 1 der Gründe, BAGE 21, 256; BGH 21. Januar 2000 - V ZR 327/98 - zu II 2 der Gründe; 15. Januar 1993 - V ZR 202/91 - zu 2 der Gründe).
bb) Der vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegte allgemeine Erfahrungssatz besteht nicht. Nach der Ausgestaltung der Anzeigepflichten in § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist vielmehr im Grundsatz zu erwarten, dass ein Arbeitnehmer „ohne anderslautende Verlautbarung“ die Arbeit auch nach einer langen Arbeitsunfähigkeit und einer Vielzahl von Folgekrankschreibungen im Anschluss an die zuletzt bescheinigte Dauer der Arbeitsunfähigkeit wieder aufnimmt. Dafür, dass dies generell dennoch „eher unwahrscheinlich“ sei, fehlt es an Feststellungen des Berufungsgerichts. Allein die fortgesetzte Dauer einer Arbeitsunfähigkeit spricht auch nicht allgemein dafür, dass eine Genesung unwahrscheinlicher wird. Erkrankungen können auch deshalb länger andauern und eine „Vielzahl“ von Folgekrankschreibungen erfordern, weil sie einen längeren, aber mit zunehmender Zeitdauer fortschreitenden Heilungsprozess erfordern.
c) Für die Annahme des Landesarbeitsgerichts spricht auch nicht die Regelung in Nr. 10.2 der Betriebsordnung. Eine Beschränkung der Anzeigepflicht auf den Fall der Ersterkrankung lässt sich ihrem Wortlaut nicht entnehmen. Die Formulierung „wegen Erkrankung“ umfasst sowohl Erst- als auch Folgeerkrankungen. Der „erste Arbeitstag“, an dem die Arbeit „wegen Erkrankung“ nicht aufgenommen werden kann, kann sowohl der erste Arbeitstag nach Eintritt einer Ersterkrankung sein als auch der erste Arbeitstag nach dem ursprünglich prognostizierten Ende der Erkrankung.
4. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Anzahl von vier Pflichtverletzungen im Zeitraum zwischen Juli 2016 und der Kündigung im Verhältnis zur Vielzahl von Arbeitsunfähigkeitszeiten, die vom Kläger anzuzeigen gewesen seien, lasse noch nicht auf eine beharrliche Pflichtverletzung schließen, wird ebenfalls bislang nicht von ausreichenden Feststellungen getragen. Es ist weder festgestellt, wie viele „Arbeitsunfähigkeitszeiten“ der Kläger im fraglichen Zeitraum anzuzeigen hatte, noch ob im letzten halben Jahr, in dem der Kläger dreimal gegen seine Anzeigepflichten verstoßen haben soll, alle übrigen Anzeigen rechtzeitig erfolgten. Sollte der Kläger seinen Anzeigepflichten nach den Abmahnungen vom 10. und 15. März 2017 bis Anfang August uneingeschränkt nachgekommen sein, könnte dies allerdings in der Tat dafür sprechen, dass er sich die Abmahnungen grundsätzlich hat zur Warnung gereichen lassen. Nach dem bisher festgestellten Sachverhalt ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass sich beide abgemahnten Pflichtverletzungen bereits vor dem 10. März 2017 ereigneten.
5. Soweit das Berufungsgericht angenommen hat, das Fehlen von betrieblichen Ablaufstörungen wirke sich auf die Interessenabwägung nicht aus, ist dies im Ergebnis dann nicht zu beanstanden, wenn die Interessenabwägung - ohne Rechtsfehler - auch unabhängig davon zugunsten des Arbeitnehmers ausfällt. Grundsätzlich gehört aber das Fehlen von betrieblichen Ablaufstörungen ebenso wie ihr Vorhandensein zu einer vollständigen Interessenabwägung bei einer auf die Verletzung der Anzeigepflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG gestützten Kündigung. Die Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung ist stets aufgrund einer umfassenden Würdigung aller im Einzelfall für die zukünftige Vertragsdurchführung relevanten Umstände zu prüfen. Dazu gehören auch die bisherigen und zukünftig zu erwartenden Auswirkungen einer Pflichtverletzung.
6. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das Landesarbeitsgericht zugunsten des Klägers seine im Großen und Ganzen unbeanstandete, fast zehnjährige Betriebszugehörigkeit sowie schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt aufgrund seiner Langzeiterkrankung gewertet hat.
V. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig (§ 561 ZPO). Der Kläger hat, soweit ersichtlich, neben ihrer Rechtsunwirksamkeit gem. § 1 Abs. 1 KSchG keine anderen Gründe für eine Unwirksamkeit der Kündigung vom 31. August 2017 geltend gemacht. Ebenso wenig ist der Rechtsstreit zugunsten der Beklagten entscheidungsreif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Ob die Kündigung vom 31. August 2017 sozial gerechtfertigt ist, steht noch nicht fest. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
1. Kommt das Landesarbeitsgericht erneut zum Ergebnis, dass der Kläger schuldhaft die Pflicht gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG zur Anzeige der Fortdauer seiner Arbeitsunfähigkeit über den 4. August 2017 hinaus verletzte, wird es die Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats und aller mit Blick auf die Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses relevanten Umstände des Streitfalls vorzunehmen haben.
2. Der Senat kann diese nicht selbst durchführen. Hierfür bedarf es ergänzender Feststellungen und einer darauf bezogenen tatgerichtlichen Würdigung, insbesondere zum Grad des Verschuldens des Klägers sowie zu den mit den Abmahnungen vom 10. und 17. März 2017 gerügten Verletzungen der Anzeigepflicht und dazu, ob der Kläger ihr danach - bis zu dem zum Anlass für die Kündigung genommenen Vorfall - wieder nachkam. Das Landesarbeitsgericht wird den Parteien zudem Gelegenheit zu geben haben, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats ergänzenden Vortrag zu den bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umständen zu halten. Auch ein Fehlen von Betriebsablaufstörungen schließt es nicht generell aus, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt ist (vgl. BAG 16. August 1991 - 2 AZR 604/90 -). Zum einen können entsprechende Störungen für die Zukunft dennoch nicht ausgeschlossen sein. Zum anderen kann es zu einer für den Arbeitgeber jedenfalls auf Dauer nicht mehr hinnehmbaren Erschwernis zumindest bei der Personaleinsatzplanung führen, wenn ein Arbeitnehmer immer wieder die Anzeigepflicht gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG verletzt.
3. Sollte das Landesarbeitsgericht erneut zum Ergebnis gelangen, die Berufung der Beklagten sei unbegründet, wird es den erstinstanzlichen Entscheidungsausspruch klarstellend gem. § 4 Satz 1 KSchG neu zu fassen haben.

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