Sonntag, 24. März 2024

Folgen einer (teilweisen) Unleserlichkeit des Zustelldatums auf Briefumschlag

Das Urteil des OLG Koblenz stellt sich als Lehrbeispiel zu den Zustellungsvorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) dar. Streitig war, ob ein Einspruch gegen ein Versäumnisurteil rechtzeitig erfolgte. Das Landgericht hatte dies negiert und von daher diesen mit dem von der Beklagten mit der Berufung angegriffenen Urteil als unzulässig verworfen. Das Berufungsgericht (OLG Koblenz) musste sich damit auseinandersetzen, ob (und gegebenenfalls wann) das Versäumnisurteil prozessordnungsgemäß zugestellt wurde. Grundlage der Entscheidung des Landgerichts war, dass – nach vergeblichen Versuch der elektronischen Zustellung bei dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten – dieses schließlich in Papierform bei diesem zugestellt wurde, aber das Datum insoweit unleserlich war, als es „12.12. 2022“ oder „17.12.2022“ bedeuten konnte; der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gab an, er habe erst am 27.12.2022 von dem Urteil Kenntnis genommen. Letztlich hat das OLG das den Einspruch der Beklagten verwerfende Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen.

1. Das Landgericht ging von einer Zustellung am 12.12.2022 aus. Der Einspruch erfolgte am 02.01.2023, wäre mithin verfristet gewesen (die Einspruchsfrist beträgt zwei Wochen, § 339 Abs. 1 ZPO). Ausgehend von diesen Daten wäre die Entscheidung des Landgerichts nicht zu beanstanden gewesen (bei einer Zustellung am 17.12.2022 wäre die Frist gewahrt gewesen, da Fristablauf der 31.12.2022 wäre und, da die Frist auf einen Samstag fiel, mithin der nächste Werktag, der 01.01.2023, § 193 BGB). Wiedereinsetzung wurde der Beklagten nicht gewährt, da diese sich bei Unleserlichkeit bei Gerich hätte über das korrekte Zustelldatum informieren müssen. Das sah das OLG (zutreffend) anders. 

Abgestellt wurde vom OLG auf § 180 ZPO (Zustellung mit Postzustellungsurkunde per Einlegen in den Briefkasten, da niemand zur Entgegennahme angetroffen wurde). Diese Zustellung (am 12.12.2022) sei, so das Landgericht, von dem Postzusteller eindeutig auf der Postzustellungsurkunde vermerkt worden. Das reiche aber nicht, so das OLG. Denn nach § 180 S. 3 ZPO sei vom Zusteller das Datum der Zustellung ebenfalls auf dem zuzustellenden Umschlag zu vermerken. Der BGH habe mit Urteil vom 15.03.2023 - VII ZR 99/22 - zu einem Fall, bei dem sich kein Datum auf dem Umschlag befand (ein übrigens nicht seltener Fall) bereits entschieden, dass es sich bei hier um eine zwingende Zustellungsvorschrift iSv. § 189 ZPO handele und bei Verletzung dieser Vorschrift die Zustellung erst als mit dem Tag des tatsächlichen Zugangs als bewirkt gelte (die Gründe des BGH wurden vom OLG angeführt, u.a. die Schutzbedürftigkeit des Zustellungsempfängers). Die Schutzbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass die (förmliche) Zustellung der Sicherung des Nachweises von Zeit und Art der Übergabe des Schriftstücks diene, da sich die die Zustellung (wie ersichtlich) wichtige prozessuale Wirkungen (wie hier z.B. Fristen) knüpfen würden.

Die Grundform der Zustellung ist die körperliche Übergabe des Schriftstücks (§ 116 Abs. 1, § 177 ZPO); bei der Einlegung in den Briefkasten handelt es sich um eine Ersatzzustellung, die (an sich) nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des  § 189 ZPO erfolgen darf (wenn sie auch von Zustellern häufig trotz Anwesenheit des Empfängers vorgenommen wird, wie wir in unserer Kanzlei bei Zustelllungen an und selbst häufig feststellen).  § 180 S. 2 ZPO, so das OLG in Bezug auf die Entscheidung des BGH, knüpfe an das Einlegen in den Briefkasten die Fiktion der Bekanntgabe. Die Angabe des Datum der Einlegung auf dem Umschlag solle dem Empfänger eine Ungewissheit über den genauen Zeitpunkt des mit dieser Bekanntgabe genauen Zustellungszeitpunkts und damit gegebenenfalls Beginn einer Frist ausgleichen. 

Auch wenn vorliegend anders als in dem vom BGH entschiedenen Fall hier ein Datum vermerkt wurde, doch sei dort (wie der Senat des OLG bei Inaugenscheinnahme des Umschlags festgestellt habe) das Datum nicht eindeutig zu lesen gewesen (entweder 12.12.22 oder 17.12.22). Das unleserliche Datum sei wie der Fall des fehlenden Datums zu behandeln. Letztlich sei der Empfänger bei einem unlesbaren Datum in der gleichen Situation wie jener, bei dem kein Datum angegeben worden ist. Er könne nicht feststellen, wann eine Frist zu laufen beginne. Zwar lag hier ein Zeitfenster vor, insoweit lediglich der Tag (der 12. oder der 17) undeutlich war. Gleichwohl sei die Frist, so das OLG, nicht sicher zu berechnen. Nach § 180 ZPO könne nur ein konkretes (leserliches) Datum gemeint sein, welches auf dem Umschlag aufzunehmen ist. Da das Zustellungsverfahren dazu diene, als förmliches Verfahren für Rechtssicherheit zu sorgen und Daten nachweisen zu können, könne ein unleserliches Datum dienen Zweck ebenso wenig erfüllen wie ein fehlendes Zustelldatum. 

Damit sei die Zustellung (gemäß Postzustellungsurkunde am 22.12.2022) unwirksam. Nach der vom Kläger nicht widerlegten Angabe des Prozessbevollmächtigten der Beklagten habe dieser erstmals von dem Versäumnisurteil am 27.12.2022 Kenntnis genommen, weshalb mit diesem Datum der Lauf der Einspruchsfrist iSv. § 189 ZPO beginne.  Diese Rechtsansicht des OLG wird durch § 189 ZPO (Heilung von Zustellungsmängeln) gestützt, wonach bei Nichtnachweis einer formgerechten Zustellung das Datum gilt, zu dem das Dokument der betroffenen Person tatsächlich zugegangen ist. 

2. Die Klägerseite hatte eine Zustellungsvereitelung durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingewandt, da dieser im Rahmen der (zulässigen) elektronischen Übermittlung (über beA = besonderes elektronisches Anwaltspostfach) das (elektronische) Empfangsbekenntnis , trotz dreifacher Erinnerung, nicht abgegeben habe. Dem folgte das OLG aus zutreffenden Erwägungen nicht. 

Das OLG konstatiert, dass die Zustellung mittels elektronischen Empfangsbekenntnis dem Gericht eine kostengünstige und schnelle Zustellung bewirken kann. Allerdings erfordere dies die Mitwirkung des Empfängers. § 175 ZPO enthalte allerdings keine Verpflichtung zur Entgegennahme (allgemeine Ansicht, z.B. Vogt-Beheim in Anders/Gehle, ZPO 92 Aufl. 1024 zu § 175 Rn. 12); standesrechtliche Pflichten des Anwalts seien nicht entscheidend. Es genüge nicht, dass der Adressat das Schriftstück zur Kenntnis oder auch in Gewahrsam nähme (anders als bei Zustellung durch Gerichtsvollzieher oder Post), sondern er müsse auch den Willen haben, das Schriftstück zugestellt zu bekommen (also empfangsbereit sein). Dies geschehe in der Regel durch Unterschrift des Empfangsbekenntnisses (oder elektronische Bestätigung). Damit müsse der Anwalt zunächst Kenntnis von dem Schriftstück haben, bevor er entscheiden könne, ob er es als zugestellt ansehe. Er könne auch konkludent, so z.B. durch Überlassung an den Mandanten, den Annahmewillen zum Ausdruck bringen (Anm.: was allerdings dem Gericht in der Regel nicht bekannt ist). Das OLG weist auch darauf hin, dass die für eine Zustellung nach § 174 ZPO erforderliche Empfangsbereitschaft nicht alleine durch den Nachweis des bloßen Zugangs iSv. § 189 ZPO erfolgen könne, da zumindest eine konkludente Äußerung vorliegen müsse, das zur Empfangnahme angebotene Schriftstück als zugestellt entgegenzunehmen. Eine Verweigerung der Empfangnahme im Sinne einer Zustellung könne bei Nichtrücksendung des Empfangsbekenntnisses nicht ausgegangen werden, wenn die Gesamtumstände auf das Gegenteil hinweisen würden. Ein hierbei abweichender oder genteiliger Wille des Adressaten sei unbeachtlich, wenn er nach Außen keinen Ausdruck gefunden habe (BGH, Beschluss vom 13.01.2015 - VIII ZB 55/14 -). 

Vorliegend wurde das Empfangsbekenntnis vom Beklagtenvertreter nicht mit Datum und Unterschrift versehen an das Landgericht zurückgesandt. Anhaltspunkte für eine konkludente Empfangsbereitschaft gäbe es nicht.

 Damit sei gemäß § 189 ZPO von einer Zustellung am 27.12.2022 auszugehen und der Einspruch gegen das Versäumnisurteil rechtzeitig gewesen. 

OLG Koblenz, Urteil vom 13.12.2023 - 10 U 472/23 -


Aus den Gründen

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 03.03.2023 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht Trier zurückverwiesen.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Mit seiner Klage vor dem Landgericht Trier hat er die (weitere) Gewährung von Versicherungsleistungen geltend gemacht; im Termin vom 03.11.2022 erging auf Antrag des Klägers gegen die Beklagte ein den Klageanträgen entsprechendes Versäumnisurteil, vgl. Bl. 50 f. eGA LG.

Das Versäumnisurteil konnte der Beklagten nicht auf elektronischem Weg zugestellt werden; trotz mehrfacher Monierung wurde kein Empfangsbekenntnis zurückgesandt. Das Gericht hat darauf die Zustellung des Versäumnisurteils an den Beklagtenvertreter in Papierform auf dem Postweg eingeleitet. Ausweislich der Postzustellungsurkunde (zu Bl. 55 eGA LG) erfolgte die Zustellung am 12.12.2022. Auf dem Zustellumschlag, vgl. BLD 28 (in Papierform), ist handschriftlich ebenfalls ein Datum eingetragen, das von den Prozessbeteiligten als „12.12.2022“ oder als „17.12.2022“ gelesen wird. Mit Schriftsatz vom 02.01.2023, am gleichen Tag bei Gericht eingegangen, hat die Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt.

Auf den Hinweis des Landgerichts, der Einspruch sei verfristet, hat die Beklagte dem mit Schriftsatz vom 18.01.2023 widersprochen und hilfsweise einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.

Mit dem angegriffenen Urteil hat das Landgericht diesen Einspruch als unzulässig verworfen. Es hat dazu ausgeführt, das Versäumnisurteil sei dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 12.12.2022 zugestellt worden, die Einspruchsfrist sei mit dem 27.12.2022 abgelaufen, der Schriftsatz, mit dem die Beklagte Einspruch eingelegt habe, sei jedoch erst am 02.01.2023 bei Gericht und somit nach Fristablauf eingegangen. Die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Einspruchsfrist seien nicht gegeben. Zwar sei die Einspruchsfrist grundsätzlich eine wiedereinsetzungsfähige Notfrist, die Beklagte habe diese Frist jedoch nicht ohne ihr Verschulden im Sinne des § 233 Satz 1 ZPO versäumt, sondern durch fahrlässiges Verhalten des Beklagtenvertreters, das ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei. Dieser habe nämlich die von ihm als „17.12.2022“ gelesene, aber tatsächlich unleserliche und mehrdeutige Eintragung des Datums auf dem Zustellungsumschlag (12.12.2022 oder auch 17.12.2022) nicht seiner Fristberechnung zugrundelegen dürfen, sondern hätte bei Beachtung der anwaltlichen Sorgfalt Maßnahmen ergreifen müssen, zum Beispiel eine telefonische Rückfrage bei Gericht, um das Zustelldatum zuverlässig aufzuklären. Dass er dies unterlassen habe, sei ursächlich für die Fristversäumung gewesen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese begründet.

Sie trägt vor,

das Landgericht habe fehlerhaft nicht geprüft, ob eine den Fristlauf auslösende Zustellung überhaupt stattgefunden habe. Wenn die Zustellung unwirksam sei, werde keine Einspruchsfrist in Gang gesetzt.

Gehe man doch von einer Zustellung am 12.12.2022 aus, so sei auf ihren Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Einspruchsfrist zu gewähren, denn eine Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagtenvertreters liege nicht vor.

Sie beantragt,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung das Versäumnisurteil vom 03.11.2022 auf den Einspruch der Beklagten vom 02.01.2023 hin – hilfsweise nach Gewährung von Wiedereinsetzung hinsichtlich der Einspruchsfrist in den vorigen Stand - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Hilfsweise beantragt sie,

die Sache unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen und schließt sich dem Hilfsantrag der Beklagten an.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und verweist darauf, dass die Beklagte zum Zustellungsversuch per beA keine Stellung genommen habe.

Zur ergänzenden Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie den gesamten Akteninhalt verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Auf die Hilfsanträge beider Parteien wird die Sache gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO an das Landgericht zurückverwiesen. Die Voraussetzungen nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen vor, denn mit dem angefochtenen Urteil wurde der Einspruch der Beklagten gegen ein Versäumnisurteil vom 03.11.2022 als unzulässig verworfen.

Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Zustellung des Versäumnisurteils vom 03.11.2022 an die Beklagtenvertreter am 12.12.2022 nicht wirksam war und die Zustellung gemäß § 189 ZPO als zum 27.12.2022 erfolgt gilt. Dann aber ist der Einspruch der Beklagten vom 02.01.2023 noch während des Laufs der Einspruchsfrist rechtzeitig beim Landgericht Trier eingegangen und durfte nicht wegen Fristversäumung als unzulässig verworfen werden.

1.

Die Zustellung an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten per Postzustellungsurkunde (im Folgenden: PZU) nach § 180 ZPO ist nicht wirksam erfolgt. Das Landgericht hat in der angegriffenen Entscheidung letztlich rechtsfehlerhaft angenommen, dass es vorliegend für eine wirksame Zustellung ausreicht, dass auf der Zustellungsurkunde das Zustelldatum, zu dem der Zusteller das maßgebliche Schriftstück, hier das Versäumnisurteil, bei dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten eingeworfen hat, eindeutig vermerkt ist.

a) Zwar liegt eine Zustellungsurkunde (vgl. zu Bl. 55 eGA LG) vor, aus der sich die Zustellung des Versäumnisurteils per PZU am 12.12.2022 ergibt, doch ist die Ersatzzustellung gleichwohl nicht wirksam erfolgt. Gemäß § 180 Satz 3 ZPO hat der Zusteller auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung ebenfalls zu vermerken. Der Bundesgerichtshof hat mit Versäumnisurteil vom 15.03.2023 - VIII ZR 99/22 (für einen Fall, in dem auf dem Umschlag gar kein Datum vermerkt war) entschieden, dass es sich bei der Verpflichtung des Zustellers gemäß § 180 Satz 3 ZPO, das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks zu vermerken, um eine zwingende Zustellungsvorschrift im Sinne des § 189 ZPO handelt mit der Folge, dass das Schriftstück bei einer Verletzung dieser Vorschrift erst mit dem tatsächlichen Zugang als zugestellt gilt, vgl. dort insb. Rn. 18 ff., zitiert nach juris.

Dies begründet der Bundesgerichtshof mit dem Wortlaut der Vorschrift, ihrer systematischen Stellung und der Schutzbedürftigkeit des Zustellungsempfängers.

Der Wortlaut des § 180 ZPO spreche nicht deshalb gegen eine Einordnung der Verpflichtung zur Anbringung eines Vermerks über das Datum der Zustellung als zwingende Zustellungsvorschrift, weil die hierzu in Satz 3 getroffene Bestimmung den übrigen Sätzen der Vorschrift, insbesondere der Regelung zur Wirkung der Einlegung in den Briefkasten (Satz 2), nachfolge. Weder die sprachliche Formulierung noch die Gesetzesmaterialien böten einen tragfähigen Anhaltspunkt für die Annahme, der Gesetzgeber habe mit der gewählten Reihenfolge der Sätze innerhalb der Vorschrift eine bestimmte rechtliche Einordnung der jeweils getroffenen Regelung zum Ausdruck bringen wollen, Rn. 19.

Auch in systematischer Hinsicht verdeutliche der Umstand, dass die Pflicht, das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks zu vermerken, ausdrücklich in der die Art und Weise dieser Form der Ersatzzustellung regelnden Vorschrift des § 180 ZPO enthalten sei und nicht in der Vorschrift über die - nur dem Nachweis dienende - Beurkundung der Zustellung (§ 182 ZPO), dass es sich bei der Anbringung des Vermerks um einen Bestandteil der Ersatzzustellung und nicht lediglich um einen Beurkundungsvorgang handeln solle. Dass dieser Bestandteil vom Gesetzgeber wiederum als wesentlich angesehen werde, ergebe sich daraus, dass die Vorschrift des § 182 Abs. 2 ZPO über den notwendigen Inhalt der Zustellungsurkunde in Nr. 6 die Aufnahme einer Bemerkung über das Anbringen des Vermerks als Nachweis für die Erfüllung der nach § 180 Satz 3 ZPO bestehenden Pflicht verlange, vgl. Rn. 20.

Schließlich erfordere auch die Schutzbedürftigkeit des Zustellungsadressaten die Einordnung des § 180 Satz 3 ZPO als zwingende Zustellungsvorschrift, denn die (förmliche) Zustellung diene der Sicherung des Nachweises von Zeit und Art der Übergabe des Schriftstücks, weil sich an die Zustellung wichtige prozessuale Wirkungen knüpfen. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe solle dokumentiert werden. Zudem gewährleisteten die Vorschriften über die Zustellung den Anspruch des Zustellungsadressaten auf rechtliches Gehör, indem sie sicherstellen, dass der Betroffene Kenntnis von dem zuzustellenden Dokument nehmen und seine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung darauf einrichten könne (vgl. BVerfGE 67, 208, 211). Im Hinblick auf diesen bei der Auslegung zu beachtenden verfassungsrechtlichen Rahmen komme bei der Beantwortung der Frage, ob die Verpflichtung zur Anbringung des Vermerks über das Zustellungsdatum eine zwingende Zustellungsvorschrift darstelle, dem Umstand maßgebliche Bedeutung zu, dass der Gesetzgeber bei dieser Form der Ersatzzustellung den Vorgang der körperlichen Übergabe eines zuzustellenden Schriftstücks als Grundform der Bekanntgabe (vgl. § 166 Abs. 1, § 177 ZPO) durch das Einlegen in einen Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung ersetze und hieran gemäß § 180 Satz 2 ZPO die Fiktion der Bekanntgabe geknüpft habe. Die Anbringung des Vermerks nach § 180 Satz 3 ZPO solle eine hieraus für den Zustellungsadressaten folgende Ungewissheit über den genauen Zeitpunkt der Zustellung und damit über den Beginn einer gegebenenfalls mit der Einlegung in Gang gesetzten Frist ausgleichen. Sie solle dem Zustellungsadressaten, der die an die Zustellung geknüpfte Rechtsfolge für und gegen sich gelten lassen muss, zu seinem Schutz den Tag der Zustellung bekannt geben. Damit stelle aber nicht nur die Einlegung in den Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung, sondern auch der Vermerk ein Surrogat für die körperliche Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks dar und sei somit als notwendiger Teil der Bekanntgabe anzusehen, vgl. Rn 21 - 23 m. w. N.

b) Vorliegend ist zwar vom Zusteller ein Datum eingetragen worden, dieses ist aber, wie das Landgericht tatrichterlich festgestellt hat, und was der Senat aus eigener Anschauung des im Original zur Akte gereichten Umschlags bestätigt, keinesfalls eindeutig zu lesen; vielmehr bleiben zumindest die Variationen der Leseweise 12.12.22 und 17.12.22 etwa gleich wahrscheinlich.

Dieser Fall des unleserlichen Datums ist dem Fall des fehlenden Datums gleichzustellen. Da, wie oben dargestellt, auch die Eintragung des Datums auf dem Zustellumschlag eine Surrogatfunktion für die Übergabe des Schriftstücks an den Zustellungsadressaten hat und die Kenntnis des Datums seinem Schutz und der fristgemäßen Wahrung seiner Rechte dient, ist festzustellen, dass er bei einem nicht lesbaren Datum auf dem Zustellumschlag letztlich in der gleichen Lage ist, als wenn ihm gar kein Datum mitgeteilt wird. Er kann nicht feststellen, wann Fristen für seine möglichen Rechtsbehelfe zu laufen beginnen. Auch wenn der Zustellungsempfänger dem unleserlichen Datum der Zustellung - wie hier - noch ein Zeitfenster, nämlich den leserlich vermerkten Monat der Zustellung entnehmen kann, ist allein durch diese Information der Lauf von Rechtsbehelfsfristen gerade nicht sicher zu berechnen. § 180 Satz 3 ZPO verlangt, das Datum auf dem Umschlag zu vermerken; schon diesem Wortlaut nach kann damit nur ein konkretes, dem Zeitpunkt der Einlegung in den Briefkasten nach § 180 Satz 2 ZPO entsprechendes und somit ein in dieser Weise leserliches Datum gemeint sein. Da die Zustellungsverfahren grundsätzlich dazu dienen, als förmliche Verfahren für Rechtssicherheit zu sorgen und Daten nachweisen zu können, kann ein unleserliches Datum diesen Zweck ebenso wenig erfüllen wie ein gänzlich fehlendes Zustelldatum. Zudem ist den Vorschriften zur Zustellung mit PZU keine Nachforschungspflicht des Zustellungsempfängers wegen des Zugangs der Zustellung zu entnehmen.

c) Die Zustellung am 12.12.2022 war somit unwirksam. Die Vorschrift des § 189 ZPO findet Anwendung. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten selbst hat das Versäumnisurteil nach seinem vom Kläger nicht widerlegten Vorbringen erstmals am 27.12.2022 zur Kenntnis genommen; dieses Datum ist somit für den Beginn des Laufs der Einspruchsfrist im Sinne des § 189 ZPO maßgeblich und der am 02.01.2023 beim Landgericht eingegangene Einspruch erfolgte somit noch fristgerecht.

2.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist vorliegend auch kein Fall der vereitelten Zustellung gegeben.

a) Nach Erlass des Versäumnisurteils vom 03.11.2022 hat die Geschäftsstelle des Landgerichts Trier dieses zunächst zum Zwecke der Zustellung den Prozessbevollmächtigten der Beklagten elektronisch gegen Empfangsbekenntnis zugeleitet, vgl. Bl. 53 eGA LG, und an die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses anschließend dreimal erfolglos erinnert.

b) Durch die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis kann die Geschäftsstelle grundsätzlich kostengünstig und schnell Zustellungen bewirken. Diese (eigenständige) Zustellungsform erfordert jedoch die Mitwirkung des Empfängers, was mit Abstrichen bei der Dokumentation des Zustellungsvorgangs korrespondiert, Münchener Komm. - Häublein/Müller, Kommentar zur ZPO, 6. A., § 174 Rn. 1.

Neben der Übersendung des zuzustellenden Schriftstücks und dem Zustellungswillen setzt die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis auch die Mitarbeit des Zustellungsempfängers voraus.

Nach Verfahrensrecht ist der Adressat nicht verpflichtet, eine Zustellung nach § 175 ZPO entgegenzunehmen; für den Rechtsanwalt besteht eine entsprechende Standespflicht, vgl. Zöller - Schultzky, ZPO, 35. A., § 175 Rn. 4. Zudem genügt es nicht, dass der Adressat das Schriftstück zur Kenntnis oder auch in Gewahrsam nimmt; er muss vielmehr – anders als bei einer Zustellung durch den Gerichtsvollzieher oder die Post – auch empfangsbereit sein, das heißt den Willen haben, das Schriftstück als zugestellt entgegenzunehmen. Dieser Wille muss sich auf ein bestimmtes Schriftstück beziehen und zum Ausdruck gebracht werden, was in der Regel durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses geschieht. Das bedeutet, der Anwalt muss zunächst vom Zugang des Zustellstücks Kenntnis erlangen, bevor er entscheidet, ob er es als zugestellt ansieht. Die Entgegennahme des Schriftstücks und seine – allgemeinen Anweisungen entsprechende – Bearbeitung durch das Personal des Adressaten haben nur vorbereitenden Charakter. Der Annahmewille muss nicht dadurch dokumentiert werden, dass der Empfänger den Vordruck des Empfangsbekenntnisses ausfüllt. Vielmehr kann er den Empfang und Annahmewillen auch anders bestätigen. So genügt es etwa, dass der Prozessbevollmächtigte sich in einer Rechtsmittelschrift auf das angegriffene Urteil mit den Worten „zugestellt am (…)“ bezieht. Der Annahmewille kann auch konkludent zum Ausdruck gebracht werden, etwa durch Übersendung des Urteils an die Mandanten, Raterteilung zur Einlegung der Berufung und Entgegennahme des dahingehenden Auftrags oder auch durch schriftsätzliches Einlassen auf das Schriftstück. § 179 ZPO findet keine Anwendung; denn verfahrensrechtlich (anders nach Standesrecht) besteht keine Pflicht zur Entgegennahme und Rücksendung des Empfangsbekenntnisses, vgl. Häublein/Müller, aaO, Rn. 6 m. w. N.

Die zumindest konkludente Äußerung des Willens, das Schriftstück zur Zustellung anzunehmen, ist zwingende Voraussetzung der wirksamen Zustellung. Zwar kann die für eine Zustellung nach § 174 ZPO erforderliche Empfangsbereitschaft nicht allein durch den bloßen Nachweis des tatsächlichen Zugangs im Sinne von § 189 ZPO ersetzt werden. Hinzukommen muss noch die zumindest konkludente Äußerung des Willens, das zur Empfangnahme angebotene Schriftstück dem Angebot entsprechend als zugestellt entgegenzunehmen (BGH, Beschluss vom 13.01.2015 – VIII ZB 55/14 –, Rn. 12, juris). Von einer Weigerung, das zuzustellende Schriftstück in Empfang zu nehmen, kann auch bei fehlender Rücksendung eines unterschriebenen Empfangsbekenntnisses nicht ausgegangen werden, wenn die Gesamtumstände gleichwohl in gegenteilige Richtung weisen und hinreichend zuverlässig auf die Empfangsbereitschaft des Adressaten schließen lassen. Ein hierbei vom Adressaten abweichend oder gegenteilig gebildeter Wille, das ihm übersandte Schriftstück (noch) nicht als zugestellt betrachten zu wollen, ist unbeachtlich, wenn er nach außen keinen Ausdruck gefunden hat, BGH, Beschluss vom 13.01.2015, a. a. O., Rn. 12.

c) Vorliegend ist das Empfangsbekenntnis von dem Beklagtenvertreter nicht unterschrieben und mit Datum versehen an das Landgericht zurückgesandt worden. Es sind auch keine Anhaltspunkte erkennbar, dass der Beklagtenvertreter empfangsbereit war und irgendwelche Maßnahmen ergriffen hätte, die konkludent seine Empfangsbereitschaft beinhaltet hätten. Solche Anhaltspunkte zeigt auch der Kläger nicht auf.

Damit ist gemäß § 189 ZPO von einer Zustellung des Versäumnisurteils vom 03.11.2022 an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 27.12.2022 auszugehen; da der am 02.01.2023 beim Landgericht Trier eingegangene Einspruch hiergegen noch rechtzeitig ist, hat das Landgericht Trier daher die Klageanträge noch in der Sache zu prüfen.

3.

Das zurückverweisende Urteil enthält keine Kostenentscheidung; diese ist dem erstinstanzlichen Schlussurteil vorzubehalten (vgl. Zöller-Heßler, ZPO, 35. Auflage, § 538, Rn. 58, m. w. N.).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO. Danach ist das Urteil für vorläufig vollstreckbar zu erklären, weil das Vollstreckungsorgan die Vollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil erst einstellen und getroffene Vollstreckungsmaßnahmen aufheben darf, wenn eine vollstreckbare Ausfertigung vorgelegt wird, aus der sich die Aufhebung der Entscheidung ergibt (§§ 775 Nr. 1, 776 ZPO; vgl. OLG München, Urteil vom 18.09.2002 - 27 U 1011/01 - Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 04.01.2018 - 7 U 146/15 - Rn. 61; Zöller-Heßler, a. a. O., Rn. 59).

Ein Grund, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO), besteht nicht.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 47, 48 GKG auf 57.536,12 € festgesetzt.


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