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Montag, 14. September 2020

Kündigung wegen verspäteter Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit


Der Kläger war langjährig Lagerist bei der Beklagten gewesen. Seit Juli 2016 war er durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Beklagte mahnte den Kläger mit Schreiben vom 11.01.2016 ab, da dieser vom 27.12. bis 30.12.2016 ohne Angabe von Gründen nicht zur Arbeit erschienenen sei, ferner mit Schreiben vom 10. und 15.03.2017, da er seine Anzeigepflicht im Krankheitsfall nicht entsprochen habe (die Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 22.02. bzw. 08.03 w017 hätten nicht rechtzeitig vorgelegen). Eine am 07.08.2017 (Montag) an der Pforte abgegebene Bescheinigung, nach der sich die Arbeitsunfähigkeit über den 04.08.2017 hinaus erstrecke, ging dem Vorgesetzten erst am 08.08.2017 zu. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 31.08.2017 zum 31.12.2017.

Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. Diese war in den ersten zwei Instanzen erfolgreich. Im Rahmen der Revision hob das BAG die Entscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht (LAG) zurück.

Eine Kündigung könne nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitsnehmers sozial gerechtfertigt sein. Dabei käme auch eine schuldhafte Verletzung einer sich aus § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG ergebenden (Neben-) Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich in Betracht. Diese Mitteilungspflicht gelte nicht nur für den Fall der Ersterkrankung, sondern auch der Fortdauer der darauf begründeten Arbeitsunfähigkeit über die zunächst mitgeteilte Dauer hinaus. Unverzüglich bedeute nach der anzuwendenden Legaldefinition in § 121 Abs. 1 S. 1 BGB „ohne schuldhaftes zögern“. Die Mitteilung müsse gegenüber einem vom Arbeitgeber autorisierten Mitarbeiter erfolgen (mangels besonderer Regelung an den Vorgesetzten oder eine Personalabteilung); die Überlassung an andere Mitarbeiter würde sich als Einschaltung von Boten darstellen, für die der Arbeitnehmer das Risiko trage.

Dem Tatsachengericht kommt, so das BAG, bei der Prüfung und Interessensabwägung, ob eine Kündigung durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers begründet seien, ein Beurteilungsspielraum zu. Auch im Rahmen des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs im Revisionsverfahren sah dies das BAG als fehlerhaft an, insoweit das LAG lediglich ein geringes Verschulden angenommen habe ohne Umstände festzustellen, die auf ein lediglich geringes Verschulden schließen ließen. Auszugehen sei von § 276 BGB (Vorsatz und Fahrlässigkeit), für die der Schuldner (und damit der Arbeitnehmer bei einer Pflichtverletzung) einzustehen habe. Das LAG habe allerdings lediglich darauf abgestellt, es habe eine Pflichtverletzung geringen Ausmaßes vorgelegen, womit es gerade nicht der Grad des Verschuldens, sondern lediglich das Gewicht der Pflichtverletzung angesprochen worden sei.

Nach § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG gehöre das Fehlen von betrieblichen Ablaufstörungen ebenso wie ein Vorhandensein zu einer notwendigen vollständigen Interessensabwägung bei einer auf Verletzung der Anzeigepflicht gestützten Kündigung. Fehlerhaft sei aber die Annahme des LAG, eine Pflichtverletzung bei unterlassener unverzüglicher Anzeige der Fortdauer der Erkrankung beeinträchtige die Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers weniger gravierend als die nicht unverzügliche Erstanzeige. Der Arbeitgeber könne grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Arbeitnehmer ohne anderslautende Mitteilung seine Arbeit nach Ablauf der mitgeteilten Erkrankungsdauer wieder aufnehme. Es bestünde auch nicht generell eine große Wahrscheinlichkeit, dass eine einmal eingetretene Arbeitsunfähigkeit über den mitgeteilten Zeitraum hinaus fortdauere. Es müssten Umstände belegt sein, die für den Arbeitgeber die Fortdauer hätten ersichtlich machen müssen. Auch bei längerem Ausfall des Arbeitnehmers müsse der Arbeitgeber nicht für einen längerfristigen Ersatz Sorge tragen.

Im weiteren Verlauf wird sich das LAG mit den Abmahnungen der beklagten beschäftigen müssen und klären müssen, ob die Anzeigen nach den Abmahnungen pünktlich erfolgten und sich damit der Kläger die Abmahnungen hat zur Warnung gereichen lassen.  

BAG, Urteil vom 07.05.2020 - 2 AZR 619/19 -