Posts mit dem Label zugang werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label zugang werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Freitag, 28. April 2023

Fehlerhafte Übermittlung per beA an unzuständiges Gericht und Wiedereinsetzung

Nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.09.2021 verlängert worden war, leitete der Klägervertreter die Berufungsbegründung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) versehentlich an das Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Landgerichts, welches diese erst am 11.10.2021 an das Berufungsgericht weiterleitete. Unter Zurückweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) verwarf das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig. Dagegen wandte sich der Kläger erfolglos mit seiner Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH).

Der BGH hielt die Rechtsbeschwerde zwar nach §§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 S. 4, 238 Abs. 1 S. 1 ZPO für statthaft, aber wegen Fehlens der Voraussetzungen nach § 574 Abs. 2 ZPO für unzulässig. So sei hier weder das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) verletzt noch der Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art. 20 Abs. 3 GG).

Die Berufungsbegründung hätte bis zum 30.09.2021 bei dem Berufungsgericht eingehen müssen. Dies sei nicht erfolgt. Die Übersendung an das EGVP des Landgerichts könne die Frist nicht wahren. § 130a Abs. 5 S. 1 ZPO bestimme, dass das elektronische Dokument, dessen sich der Rechtsanwalt bedienen muss, erst wirksam bei dem zuständigen Gericht eingegangen sei, wenn es auf dem gerade für dieses Gericht eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das EGVP gespeichert worden sei, was mit der Übermittlung an das EGVP des Landgerichts nicht erfüllt würde. Das EGVP des Landgerichts sei nicht für den Empfang von Dokumenten für das Berufungsgericht bestimmt. Der Umstand, dass sowohl das Landgericht als auch das Berufungsgericht als Intermediär die Dienste des Landesbetriebs Information und Technik Nordrhein-Westfalen in Anspruch nähme könne daran nichts ändern, da beide Gerichte kein gemeinsames EGVP unterhalten, vielmehr durch entsprechende separate Posteingangsschnittstellen gesichert sei, dass der „Client“ eines Gerichts jeweils nur auf die an dieses Gericht adressierten Nachrichten zugreifen könne.

Der Kläger sei auch nicht ohne Verschulden iSv. § 233 S. 1 ZPO verhindert gewesen, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten, weshalb keine Wiedereinsetzung erfolgen könne; der Kläger habe sich das Verschulden seines Rechtsanwalts zurechnen zu lassen. Der Rechtsanwalt habe sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz innerhalb der laufenden Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten würden denjenigen bei (wie früher noch möglicher) Übersendung per Telefax entsprechen, weshalb es auch bei Nutzung des beA notwendig sei, den Versandvorgang zu überprüfen. Die nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO übermittelte automatisierte Bestätigung müsse kontrolliert werden und so geprüft werden, ob nach dem Sendeprotokoll die Übersendung an den richtigen Empfänger erfolgte. Diese Kontrolle habe der Rechtsanwalt selbst vorzunehmen, wenn er die Versendung des fristwahrenden Schriftsatzes übernehme. Vorliegend habe aber der Klägervertreter lediglich geprüft, ob die Übermittlung „erfolgreich“ gewesen sei (was im Sendprotokoll auch ausgewiesen wird), nicht aber, ob die Versendung an das richtige Gericht vorgenommen wurde.

Eine Wiedereinsetzung käme schon dann nicht in Betracht, wenn die Möglichkeit bestünde, dass die Versäumung der Frist auf dem festgestellten Verschulden beruht. Im fall der irrtümlichen Übermittlung der Berufungsbegründung an das erstinstanzliche Gericht wirke sich das Verschulden einer Partei bzw. ihres Verfahrensvertreters nicht aus, wenn der Schriftsatz so zeitig bei dem falschen Gericht eingehen würde, dass eine fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden könne. Hier sei das Berufungsgericht davon ausgegangen, der Kläger (Klägervertreter) habe nicht erwarten könne, dass bei einer nur einen Tag vor Fristablauf eingehenden Berufungsbegründung im EGVP eines unzuständigen Gerichts der Schriftsatz rechtzeitig an das Berufungsgericht weitergeleitet würde; diese Erwägung würde keinen Rechtsfehler erkennen lassen.

BGH, Beschluss vom 30.11.2022 - IV ZB 17/22 -

Donnerstag, 16. März 2023

Zugang der (Wohnraum-) Kündigung bei Einwurf in Wohnungsbriefkasten und mündliche Information

Nach einem beendeten Mietverhältnis stritten die Parteien u.a. darüber, ob die Kündigungserklärung der Mieterin (Klägerin) rechtzeitig dem Vermieter (Klägerin) zugegangen ist. Die Mieterin hatte gegen den Vermieter eine Kautionsrückzahlungsklage erhoben, gegen die der Beklaget u.a. Aufrechnung  mit einer Mietforderung Mai 2020 mit der Begründung erklärte, die Kündigung sei ihm wirksam erst am 05.02.2020 zugegangen, weshalb das Mietverhältnis erst am 31.05.2020 geendet habe. Das Amtsgericht hat der Klage teilwiese stattgegeben, wobei es u.a. die Aufrechnungserklärung des Beklagten zu Lastend er Klägerin berücksichtigte. Die Berufung der Klägerin war, in Bezug auf die erklärte Aufrechnung, nicht erfolgreich.

Das Landgericht (LG) hat in seinem Berufungsurteil zunächst auf die allgemeine Regelung hingewiesen, derzufolge eine Kündigung spätestens am dritten Werktag eines Monats zum Ablauf des übernächsten Monats in Schriftform (§ 568 BGB) erfolgen muss (§ 573a Abs. 1 S. 1 BGB). Die Wirksamkeit hängt von deren Zugang bei dem Kündigungsempfänger ab (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Strittig war der Zeitpunkt des Zugangs.

Nach der (vom Beklagten bestrittenen) Behauptung der Klägerin will diese die Kündigung am 04.02.2020 um 22.30 Uhr in den Briefkasten der Wohnung des Beklagten geworfen haben und diesen unmittelbar vor dem Einwurf über die Gegensprechanlage über den Einwurf die Kündigungsschreiben informiert haben. Das LG  ließ es dahinstehen, ob es zu der behaupteten Information durch die Klägerin kam, da auch in diesem Fall der Zugang nicht vor dem 05.02.2020 erfolgt sei.

Zwar mag eine nicht verkörperte Willenserklärung über eine Gegensprechanlage ähnlich wie im Rahmen eines Telefonats als solche nach Annahme des LG als eine Willenserklärung unter Anwesenden zu beurteilen sein. Daraus folge aber nicht, dass eine verkörperte Willenserklärung (wie hier das Schreiben) alleine durch die vorherige Kontaktaufnahme zum Empfänger mittels Gegensprechanlage oder Telefon zu einer solchen unter Anwesenden würde. Vielmehr verbliebe es in diesem Fall dabei, dass unabhängig von der Kontaktaufnahme es dem Empfänger nicht möglich sei, die verkörperte Willenserklärung (das Schreiben) im unmittelbaren Kontakt zum Absender (hier Beklagten) in seinen Machtbereich zu verbringen.

Eine verkörperte Willenserklärung müsse gegenüber einem Anwesenden genauso zugehen wie verkörperte Willenserklärungen unter Abwesenden. In beiden Fällen käme § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zum Tragen. Damit müsse die Willenserklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangen, dass damit zu rechnen sei, der Empfänger könne von ihr Kenntnis nehmen. Bei Anwesenden würde die Abgabe der Willenserklärung und die erwartbare Kenntnisnahme zusammenfallen. Dies sei aber hier bei Abwesenden nicht der Fall, da die in Schriftform zufassende Kündigungserklärung durch Einlegung um 22.30 Uhr nicht trotz der telefonischen Information nicht entsprechend in den Machtbereich des Empfänger gelangt sei.

Vielmehr sei dem Beklagten am 3. Werktag, dem 04.02.2020, nur durch mündliche Information über den Einwurf des Kündigungsschreibens mitgeteilt worden, was als Kündigung wegen Nichteinhaltung der Schriftform des § 568 BGB nicht ausreichend sei.

Zwar sei die Kündigungserklärung durch Einwurf in den Briefkasten in den Machtbereich des Beklagten gelangt. Wann aber unter normalen Umständen mit einer Kenntnisnahme vom Inhalt durch den Beklagten zu rechnen sei, richte sich danach, wann nach den gewöhnlichen Verhältnissen mit einer Leerung desselben zu rechnen sei. Dabei sei nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen, sondern es sei im Interesse der Rechtssicherheit zu generalisieren (BGH, Urteil vom 21.01.2004 - XII ZR 214/00 -). Bis 18.00 Uhr werde in der Rechtsprechung danach noch ein Zugang am Tag des Einwurfs angenommen (BayVerfGH vom 15.10.1992 - Vf. 117-VI-91 -); erst erhebliche Zeit nach der allgemeinen Postzustellung in einen Wohnungsbriefkasten eingeworfene Schreiben würden erst als am nächsten Tag zugegangen gelten (BAG, Urteil vom 08.12.1983 - 2 AZR 337/82 -). Damit sei der beklagte nicht um 22.30 Uhr verpflichtet zu prüfen, ob bei ihm in den Wohnungsbriefkasten eine rechtserhebliche Erklärung in seinem Machtbereich eingegangen ist.

Auch durch die Mitteilung über die Gegensprechanlage ändere sich daran nichts. Dem Empfänger einer Erklärung sei zuzugestehen, sich zur Nachtzeit der Kenntnisnahme des Inhalts rechtserheblicher Erklärungen zu entziehen, auch wenn er darauf hingewiesen wird. Dies würde (in der Literatur) auch für via SMS eingehende Erklärungen angenommen, auch wenn der Empfänger einer SMS in der Regel durch einen Hinweiston auf einen Eingang einer Nachricht hingewiesen würde. Hier hätte der Beklagte zur Kenntnisnahme seine Wohnung verlassen müssen, also einen erheblichen Mehraufwand als gegenüber der Öffnung einer SMS betreiben müssen, was der Absender nicht erwarten könne.

LG Krefeld, Urteil vom 21.09.2022 - 2 S 27/21 -

Sonntag, 11. Dezember 2022

Widerruf eines Vergleichsangebots per Mail durch direkt nachfolgende Mail

Mit ihrer Klage machte die Klägerin restlichen Werklohn geltend. Über die Höhe des Werklohns bestand zwischen den Parteien Streit. Seitens der Beklagten wurde der Klägerin mit Schreiben vom 13.12.2018 eine Zahlung zur Erledigung der Angelegenheit ohne Anerkenntnis einer Rechtsverpflichtung angeboten. Die Klägerin antworte (durch ihren anwaltlichen Vertreter) mit Mail vom 14.12.2918, 9:19 Uhr, die Forderung belaufe sich auf € 14.347, 23 und eine weitere Forderung, mit Ausnahme des Verzugsschadens in Höhe der Anwaltskosten werde nicht erhoben. Mit weiterer Mail vom gleichen Tag, 9:56 Uhr, teilten der anwaltliche Vertreter der Klägerin der Beklagten mit, eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe sei durch die Klägerin noch nicht erfolgt, die E-Mail von 9:19 Uhr müsse daher unberücksichtigt bleiben; es könne derzeit nicht bestätigt werden, dass mit Zahlung des Betrages keine weiteren Forderungen erhoben würden. Nachdem die Klägerin unter dem 17.12.2018 eine Schlussrechnung über € 22.173,23 stellte, zahlte die Beklagte am 21.12.2018 € 14.347,23 auf die Hauptforderung und € 1.029m35 auf Rechtsanwaltskosten. Die Differenz ist streitgegenständlich gewesen.

Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen. Die Berufung wurde, unter Zulassung der Revision, zurückgewiesen. Allerdings hatte auch die Revision keinen Erfolg. Der BGH sah in der Zahlung vom 21.12.2018 das Zustandekommen eines Vergleichs des Inhalts, dass damit weitere Forderungen der Klägerin aus dem Vertrag der Parteien erloschen sind.

Die Mail des anwaltlichen Vertreters der Klägerin vom 14.12.2018, 9:19 Uhr, stelle sich als ein Angebot nach § 145 BGB dar. Es sei der Beklagten zu diesem Zeitpunkt wirksam zugegangen, § 130 BGB (Zugang bei Abwesenheit des Empfängers).  Sie würde nicht wirksam, wenn bereits vorher oder zeitgleich dem Empfänger ein Widerruf zugehen würde. Der Zugang bei dem Empfänger setze voraus, dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit habe, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Wann ein solcher Zugang bei einer E-Mail anzunehmen sei, sei in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt (und strittig). Allerdings biete der Rechtsfall keinen Anlass, diese Rechtsfrage umfassend zu beantworten.

Jedenfalls in den Fällen, in denen die E-Mail (wie vorliegend festgestellt) im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt würde, sei sie dem Empfänger in diesem Zeitpunkt zugegangen. Sie sei nämlich so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen habe zur Kenntnis nehmen können. Dass er sie tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen habe, sei für den Zugang nicht erforderlich.

Der für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver sei dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärung im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringe, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen könnten. Die E-Mails würden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet und der Empfänger würde über den Empfang unterrichtet. In diesem Zeitpunkt sei er in der Lage, die E-Mail abzurufen und sich deren Inhalt anzeigen zu lassen.

Der mit Mail von 9:56 Uhr erfolgte Widerruf sei verspätet gewesen. Da der Zugang bereits um 9:19 Uhr zur üblichen Geschäftszeit erfolgt sei, war ein wirksamer Widerruf gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 BGB ausgeschlossen gewesen.

Damit kam es nur noch auf die Frage der Rechtzeitigkeit der Annahme des Angebots an. Diese Annahme sah der BGH in der Zahlung vom 21.12.2018 als konkludent vorgenommen. Die Klägerin hatte keine Annahmefrist (§ 148 BGB) bestimmt gehabt. Gem. § 147 Abs. 2 BGB könne ein (wie hier) unter Abwesenden gemachter Antrag nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten dürfe. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass mit einer Antwort binnen zwei Wochen unter regelmäßigen Umständen zu rechnen gewesen sei, diese sei durch die den Annahmewillen konkludent zum Ausdruck bringenden Willen erfolgte Zahlung binnen sieben Tagen eingehalten worden, lasse Rechtsfehler nicht erkennen.

BGH, Urteil vom 06.10.2022 - VII ZR 895/21 -

Donnerstag, 16. Juni 2022

Abmahnung per Anhang zur E-Mail und dessen Zugang

Mit einer E-Mail sandte der Verfügungskläger über seinem Rechtsanwalt dem Verfügungsbeklagten (beide Internetverand-händler) ein Abmahnschreiben. In der Mail wurde um Beachtung des im Anhang befindlichen Dokuments gebeten, welches „zur Entlastung der angespannten Infrastruktur im Versandwesen nur auf elektronischen Weg zur Verfügung gestellt würde“. Die Mail war mit den Kontaktdaten des jetzigen Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers versehen, in der Betreffzeile stand „Unser Zeichen: A ./. B 67/20-EU“. Zwei PDF-Dateien waren beigefügt, die eine mit der Bezeichnung „20…EZ12984.pdf“ und die andere mit der Bezeichnung „Unterlassung.pdf“, wobei letztere den Entwurf für eine strafbewehrte Unterlassungserklärung enthielt.  Nachdem der Verfügungsbeklagte nicht reagierte, sandte der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers mit der gleichen Betreffzeile eine neue Mail, in der er lediglich schrieb: „Zur Erfüllung diesseitiger Ansprüche setzen wir eine Nachfrist bis zum 03.04.2020.“

Das Landgericht erließ die dann vom Verfügungskläger beantragte einstweilige Verfügung. Nach Zustellung derselben gab der Verfügungsbeklagte eine Abschlusserklärung (mit der er den letztlich anerkannte), behielt sich aber einen Kostenwiderspruch vor. Er legte gegen die einstweilige Verfügung Widerspruch, beschränkt auf die Kostenentscheidung ein und behauptete, er habe von beiden Mails keine Kenntnis erlangt, könne aber nicht ausschließen, dass diese im Spam-Ordner gelandet wären (was er nicht prüfen könne, da er diesen alle zehn Tage lösche). Das Landgericht erlegte ihm die Kosten auf. Dagegen wandte sich der Verfügungsbeklagte erfolgreich mit seiner sofortigen Beschwerde.

Das Beschwerdegericht vertrat die Ansicht, der Verfügungsbeklagte habe dem Verfügungskläger keine Veranlassung zur Klage gegeben, weshalb der Verfügungskläger in analoger Anwendung des § 93 ZPO die Kosten zu tragen habe. Es könne dem Verfügungsbeklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden, er habe auf die Anmahnung nicht reagiert.

Es könne dahinstehen, ob die Mails überhaupt bei dem Verfügungsbeklagten (ggf. im Spam-Ordner) zugegangen seien. Ein Zugang eine als Dateianhang zu einer Mail gesandtes Abmahnschreiben sei erst zugegangen, wenn der Empfänger den Dateianhang auch wirklich geöffnet habe. Da allgemein im Hinblick auf Virenrisiken gewarnt würde, Anhänge von E-Mails unbekannter Absender zu öffnen, könne von dem Empfänger nicht dessen Öffnung verlangt werden. Der Verfügungsbeklagte habe durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass er von beiden E-Mails des ihm zuvor nicht bekannten Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers keine Kenntnis erlangt und deshalb auch nicht geöffnet habe.

Anmerkung: Selbst wenn mithin vorliegend der Verfügungsbeklagte von beiden Mails Kenntnis gehabt haben sollte, hätte er die Kosten nicht zu tragen, da der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers ihm unbekannt war und er damit nicht hätte einschätzen können, ob sich nicht bei Öffnung des Anhangs Viren auf seinem PC ausbreiten.

OLG Hamm, Beschluss vom 09.03.2022 - 4 W 119/20 -

Freitag, 4. März 2022

Sofortiges Anerkenntnis der Zahlungspflicht aus Verkehrsunfall bei Streit über Zugang vorgerichtlicher E-Mails

Nach einem Verkehrsunfall will der Kläger über ihre Prozessbevollmächtigten zwei Mails an das Regulierungsbüro der mitverklagten Haftpflichtversicherung gesandt, auf welche keine Reaktion erfolgt sei, weshalb Klage erhoben wurde. Nach Klagezustellung kam es zu Gesprächen der Parteien, der Kläger (-bevollmächtigte) legte geforderte ergänzende Unterlagen der Beklagten vor, und die Beklagten zahlten die Klageforderung im Wesentlichen. Über die Kosten des Verfahrens konnten sie sich nicht einigen und erklärten übereinstimmend den Rechtsstreit unter Stellung wechselseitiger Kostenanträge in der Hauptsache für erledigt. Das Landgericht erlegte die Kosten dem Kläger auf. Gegen den Beschluss legte dieser sofortige Beschwerde ein, die vom Oberlandesgericht zurückgewiesen wurde.

Seine Entscheidung, weshalb die Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 ZPO begründete das Oberlandesgericht unter den Erwägungen, dass entgegen der Annahme des Klägers ein sofortiges Anerkenntnis vorläge. Dass zwei Regulierungsschreiben der Beklagten per Mail überlassen worden seien und dieser zugingen, sei vom Kläger darzulegen und zu beweisen, was nicht erfolgte.

Grundsätzlich habe der Versicherer zügig zu regulieren. Dem Versicherer sei aber nach einem Verkehrsunfall eine Prüfungsfrist zuzubilligen. Dies gelte erst recht, wenn der Anspruchsteller unvollständige Angaben mache oder Unterlagen fehlen würden. Vom Grundsatz habe das Verhalten der beklagten Versicherung nach Zustellung der Klage dem entsprochen, da sie dann entsprechend bei dem Klägervertreter nachgefragt habe. Die endgültige Prüfung sei danach der beklagten erst nach Zustellung der Klage möglich gewesen, nachdem im November/Dezember dann ergänzende Unterlagen vorgelegt worden seien. Danach habe der beklagte Versicherer die Zahlung gemäß Regulierungsaufforderungsschreiben vom 12.01.2021 geleistet. Dies sei iSv. § 93 ZPO „sofort“. Die Beklagten hätten keine Veranlassung zur Klage gegeben, wie es § 93 ZPO für ein sofortiges Anerkenntnis vorsieht.  

Dabei wies das OLG darauf hin, dass sie vorgerichtlich nicht zur Zahlung aufgefordert worden seien. Dieser Umstand ist zwar zwischen den Parteien streitig gewesen, insoweit der Kläger zwei Regulierungsaufforderungen seines Anwalts an die beklagte Versicherung behauptet, diese aber einen fehlenden Zugang behauptet. Das OLG sah sich veranlasst, hier im Rahmen des § 91a ZPO nach der Darlegungs- und Beweislast entscheiden.

Zunächst verwies das OLG darauf, dass nicht entscheidend sei, ob den Regulierungsanforderungen auf Klägerseite bereits alle aus Sicht der Beklagten notwendigen Unterlagen beigefügt waren (Angaben gemacht wurden). Jedenfalls könne der Geschädigte erwarten, dass der Versicherer nach einem Aufforderungsschreiben zügig reagiert und ggf. darauf hin weist, was nach seiner Ansicht zur Prüfung noch fehle. Reagiere der Versicherer auf mehrere Aufforderungsschreiben nicht, bestünde aus der Perspektive des Geschädigten Grund für die Annahme, er könne voraussichtlich ohne eine Klage seien Forderung nicht durchsetzen. Würde in dieser Situation Klag erhoben und erfolge dann ein Anerkenntnis, würde es sich nicht mehr um, ein „sofortiges Anerkenntnis“ iSv. § 93 ZPO handeln, auch dann nicht, wenn der Geschädigte die dem Versicherer überlassenen Unterlagen (und Angaben) nach Klageerhebung noch ergänzen müsse.  Welche Prüfungsfrist der Versicherer habe (Anm.: die Rechtsprechung nimmt hier unterschiedliche Zeiträume an, in der Regel zwischen vier und sechs Wochen) sei in diesem Fall aufgrund der Nichtreaktion unerheblich.

Mithin war vorliegend entscheidend, ob der Kläger vorgerichtlich Anforderungsschreiben an den beklagten Versicherer sandte. Bestünde Streit darüber, ob der Versicherer ein solches erhalten habe, läge die Beweislast für den Nichterhalt beim Schuldner (Versicherer), wie sich aus der Formulierung in § 93 ZPO ergäbe („Hat der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben…“); er habe mithin den Negativbeweis zu führen, dass keine Klageveranlassung bestand (der davon abweichende Beschluss des OLG Saarbrücken vom 17.05.2019 - 4 W 4/19 - berücksichtige nicht die Rechtsprechung des BGH, so dessen Beschluss vom 21.12.2006 - I ZB 17/06 -).

Da es sich um einen negativen Beweis handelt, der vom Versicherer zu erbringen ist, würde dem Gläubiger (Kläger) eine gesteigerte sekundäre Darlegungslast obliegen (BGH aaO.). Dazu würde gehören, dass substantiierte Angaben zur Absendung erfolgen. Hieran würde es vorliegend für die Versendung der E-Mails fehlen.

Die Anforderungen an die Substantiierung würden sich nach den Umständen des Einzelfalls richten. Bei einer anwaltlichen Zahlungsaufforderung (wie hier) sei es wie im Geschäftsverkehr allgemein üblich, dass abgesandte Mails auf dem Rechner gespeichert würden, damit später eine Kopie vorgelegt werden könne, wobei sich aus einer üblichen Dokumentation die E-Mail-Adressen des Absenders und des Empfängers sowie Datum und Uhrzeit ergeben würden. Der Kläger legte eine entsprechende Dokumentation zu seinen behaupteten Mails vom 23.12.2019 und 18.01.2020 nicht vor. Er trug auch nicht vor, weshalb dies entgegen der üblichen Organisation gelöscht worden seien. Damit seien die Angaben des Klägers zur Absendung der behaupteten Mails im Rahmen der sekundären Darlegungslast nicht ausreichend. Da der Kläger den Nachweis der Absendung nicht erbracht habe, könne nicht davon ausgegangen werden, dass sie bei dem Versicherer eingingen, weshalb er auch nicht habe reagieren können mit der Folge, dass von einem sofortigen Anerkenntnis nach § 93 ZPO auszugehen sei mit der Folge, dass der Kläger die Kosten des gerichtlichen Verfahrens zu tragen habe.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 01.12.2021 - 9 W 35/21 -

Mittwoch, 14. Juli 2021

Zur Auslegung und Inhaltskontrolle einer Gemeinschaftsordnung der Wohnungseigentümergemeinschaft

Im Rahmen einer Anfechtungsklage von Beschlüssen einer Wohnungseigentümer-versammlung gab das Amtsgericht der Klage mit der Begründung statt, die Einladung habe Wohnungseigentümer nicht rechtzeitig) erreicht. Im Kern ging es damit darum, ob die aus 1990 stammende Regelung der Gemeinschaftsordnung „Für die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung genügt die Absendung an die Anschrift, die dem Verwalter von dem Wohnungseigentümer zuletzt mitgeteilt wurde.“  Auszulegen und ggf. wie auszulegen ist und ob die Klausel wirksam ist, nachdem das Landgericht im Berufungsverfahren dem Amtsgericht folgte und der BGH im Rahmen der Revision entscheiden musste.

Amts- und Landgericht haben die Regelung dahingehend ausgelegt, dass sie zwar die Ordnungsgemäßheit der Absendung regele, es aber darauf ankäme, dass die Ladung auch tatsächlich bei dem Adressaten ankommt (im Anschluss an OLG Hamburg 21.06.2006 - 2 Wx 33/05 -). Dem folgt der BGH nicht. Die Klausel beziehe sich nicht lediglich auf Eigentümer, die einen Wohnsitzwechsel nicht ordnungsgemäß angezeigt hätten (und von daher bei fehlender Ladung daraus kein Anfechtungsanspruch hergeleitet werden könne). Allerdings sei im Übrigen gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB, der entsprechend anwendbar sei, nicht die fristwahrende Absendung sondern der Zugang bei den Wohnungseigentümern maßgeblich. Davon abweichende Regelungen in Gemeinschaftsordnungen seien aber weit verbreitet, wobei die hier verwandte Formulierung in der Literatur als „Zugangsfiktion“ bezeichnet werde, obwohl sie dem Wortlaut nach nicht den Zugang regele. Teilweise würde angenommen, dass die Klausel allgemein als Nachweis der rechtzeitigen Absendung ausrechend und wirksam sei, teilwiese nur einschränkend dahingehend ausgelegt, sie gelte nur in Bezug auf diejenigen Eigentümer, die ihre neue Anschrift nicht mitgeteilt hätten. Zutreffend sei die erstgenannte Ansicht, da sich für die einschränkende Klausel aus dem maßgeblichen Wortlaut nichts ergäbe. Aus ihr sei zu entnehmen, dass allgemein die rechtzeitige Absendung ausreichend sei und nicht auf den Zugang abgestellt werde.

Damit musste sich der BGH der Frage zuwenden, ob die so verstandene Regelung in der Gemeinschaftsordnung wirksam ist. Die Eigentümer könnten gem. § 10 Abs. 2 S. 2 WEG von den Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes abweichende Regelungen treffen, soweit dort nichts anderes bestimmt sei. Im Weiteren unterlägen die Regelungen einer Inhaltskontrolle. Bisher sei höchstrichterlich nicht entschieden, ob die §§ 307ff BGB auch auf die Gemeinschaftsordnung einer Wohnungseigentümergemeinschaft Anwendung finde oder ob unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls die Inhaltskontrolle am Maßstab des § 242 BGB (Treu und Glauben) auszurichten sei.

Bei Anwendung der §§ 307ff BGB könnte die Klausel § 308 Nr. 6 BGB unterfallen, wonach Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unzulässig seien, die vorsähen, dass Erklärungen des Verwenders von besonderer Bedeutung dem anderen Vertragsteil als zugegangen gelten würden. Eine direkte Anwendung der §§ 307ff BGB scheide aus, da es sich bei der einseitig vorgegebenen Gemeinschaftsordnung nicht um Vertragsbedingungen handele wie bei dem Abschluss eines Vertrages iSv. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB. Sie stünde einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer gleich. Eine analoge Anwendung scheide hier aber auch aus, da es an einer Vergleichbarkeit der Gemeinschaftsordnung mit einem schuldrechtlichen Vertrag als auch an einer planwidrigen Regelungslücke ermangele. An der planwidrigen Regelungslücke würde es bereits deshalb ermangeln, da die Wohnungseigentümer die ursprünglich einseitig vorgegebene Gemeinschaftsordnung jederzeit einstimmig (bei Öffnungsklauseln auch mit Mehrheitsbeschluss) ändern könnten, zudem unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 S. 3 WEG jeder Eigentümer eine Änderung unbilliger Klauseln verlangen (und einklagen) könne.

Auch wenn der teilende Eigentümer die Gemeinschaftsordnung vorgeben könne (und er sich so einseitig begünstigen könne) würde die nicht die Heranziehung des AGB-Rechts rechtfertigen können. Diese Regelungen ließen sich mit der auf einen Missbrauch der einseitigen Gestaltungsmacht durch den teilenden Eigentümer bezogenen Inhaltskontrolle des § 242 BGB bewältigen

Vereinbarungen der Wohnungseigentümer (und damit die Regelungen in der Gemeinschaftsordnung) dürften nicht treuwidrig sein. Abgesehen von den Fällen einseitiger Aufteilung sei wegen des weiten Gestaltungsspielraums der Wohnungseigentümer und des möglichen Anpassungsanspruch nach § 10 Abs. 2 S. 3 WEG allenfalls in Ausnahmefällen denkbar, Regelungen der Gemeinschaftsordnung, die sich in den Grenzen der §§ 134, 138 BGB hielten, wegen Verstoßes gegen § 242 BGB als unwirksam anzusehen. Das zugrunde legend sei die Regelung wirksam. Es würde kein spezifischer Zusammenhang mit einer einseitigen Aufteilung erkennbar, wie sich auch daraus ergäbe, dass es sich um eine gebräuchliche Regelung handele und keinen inhaltlichen Bezug zu dem teilenden Eigentümer aufweise. Weiterhin sei das aus § 130 Abs. 1 S. 1 BGB abgeleitete Zugangserfordernis abdingbar, weshalb es darauf ankomme, ob mit der Klausel in schwerwiegender Weise in das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht als unverzichtbares Mitgliedschaftsrecht eingegriffen würde und damit iSv. § 134 BGB gegen ein gesetzliches Verbot verstoße. Erforderlich sei hier eine Abwägung zwischen den Folgen für die Teilnahmerechte einerseits und die Interessen der Gesamtheit der Wohnungseigentümer. Ein gravierender Eingriff in das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht eines Eigentümers läge nicht schon vor, wenn dieses infolge eines Fehlers der Post nicht ausgeübt werden könne, zumal die Beschlussmängelklage auch noch möglich sei. Andererseits müsse en Verwalter darauf vertrauen dürfen, dass ein rechtzeitiger Postversand ausreichend ist, wobei ein Nachweis nicht möglich sei, es sei denn, die Ladungen würden per Einschreiben oder Boten zugestellt, was aber mit erheblichen Verwaltungs- und Kostenaufwand verbunden wäre, was dem Gesamtinteresse der Wohnungseigentümer widerspräche (unabhängig davon, dass bei dieser Vorgehensweise auch der Inhalt des jeweiligen Schreibens nicht nachgewiesen würde). Die Fassung rechtssicherer Beschlüsse sei aber ein elementares Interesse der Wohnungseigentümergemeinschaft, weshalb die als Zugangsfiktion anzusehende Klausel nicht treuwidrig sei.

BGH, Urteil vom 20.11.2020 - V ZR 196/19 -

Dienstag, 26. März 2019

Darf sich der Anwalt auf Angaben des Mandanten zu Zugangsdaten (hier: Kündigungsschreiben) verlassen ?


Die Klägerin machte gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche (in Form von Verdienstausfall) aus einem zwischen ihnen ehedem abgeschlossen Anwaltsvertrag geltend, gemäß dem der Beklagte die Klägerin in einem arbeitsgerichtlichen Kündigungsrechtsstreit vertrat, in dem die Kündigungsschutzklage wegen Versäumung der Klagefrist zurückgewiesen wurde.

Das Landgericht wies die Klage als unzulässig ab, das Oberlandesgericht als unbegründet. Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils des OLG und Zurückverweisung des Rechtsstreits.

Entgegen dem OLG ging der BGH davon aus, dass der Beklagte seine anwaltlichen Pflichten verletzt habe. Er hätte die Kündigungsschutzklage binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigungserklärung bei der Klägerin erheben müssen, § 4 Abs. 1 S. 1 KSchG. Er hätte die Einreichung der Klage auf den 13.01.2012 nur dann aufschieben dürfen, wenn gesichert gewesen wäre, dass die Kündigung der Klägerin erst am 23.12.20111 zugegangen sei.

Der Ehemann der Klägerin habe ihm mitgeteilt, dass die Kündigung am 23.12.2011 zugestellt worden sei. Dies sah der BGH nicht als ausreichend an, die Frist zu berechnen. Die Pflicht des Rechtsanwalts zur richtigen und umfassenden Beratung des Mandanten setze voraus, dass der Anwalt zunächst durch Befragen des Mandanten den Sachverhalt kläre, auf den es für die rechtliche Beurteilung ankäme. Ist dieser unklar oder unvollständig, dürfe sich der Anwalt nicht mit der rechtlichen Würdigung des ihm Vorgetragenen begnügen, sondern müsse sich bemühen, durch Befragung des Ratsuchenden ein möglichst vollständiges und objektives Bild der Sachlage zu gewinnen (BGH, Urteil vom 21.11.1960 - III ZR 160/59 -; BGH, Urteil vom 19.01.2006 - IX ZR 232/01 -). Nachfragen seien dann und insoweit nicht notwendig, soweit der Anwalt die Unrichtigkeit der Angaben des Mandanten weder kenne erkennen müsse. Dies sei aber auf Informationen tatsächlicher Art beschränkt. Sie gelte nicht in Bezug auf Informationen, die nur scheinbar tatsächlicher Natur seien. Werden vom Mandanten insbesondere Rechtstatsachen mitgeteilt, habe der Anwalt diese durch Rückfragen in die zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände und Vorgänge aufzulösen, oder, wenn dies keine zuverlässige Klärung ergebe oder erwarten lasse, weitere Ermittlungen anzustellen. Dieser Grundsatz sei hier verletzt worden.

Die Angaben des Mandanten über den Zugang eines Kündigungsschreibens seien wie Angaben über die Zustellung eines Urteils (dazu BGH, Beschluss vom 21.04.1994 - IX ZR 150/93 -) Rechtstatsachen. Der  gesetzlich verwandte Begriff des Zugangs werde rechtlich bestimmt. Ein Zugang unter Abwesenden setze voraus, dass die Willenserklärung so in den Bereich des Empfängers gelangt sei, dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit habe, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Wird ein Brief in einen Briefkasten geworfen, sei der Zugang bewirkt, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen sei (BGH, Urteil vom 05.12.2007 - XII ZR 148/05 -). Erfolge der Einwurf zu einer Tageszeit, zu der nach den Gepflogenheiten des Verkehrs noch mit einer Entnahme am gleichen Tag zu rechnen sei, gelte der Zugang als bewirkt; erfolge der Einwurf nach dieser Zeit, würde der Zugang erst zu einem späteren Datum als bewirkt anzusehen sein.  

Damit hätte der Beklagte sich mit der Angabe eines Zugangs am 23.12.2011 nicht begnügen dürfen. Das Kündigungsschreiben habe auf den 22.12.2011 datiert und sei mit der Aufschrift „per Boten“ versehen worden. Damit sei in Betracht gekommen, dass das Schreiben noch am 22.12.2011 in den Briefkasten zu einer Tageszeit eingeworfen worden sei, zu der noch mit einer Entnahme am gleichen Tag gerechnet werden konnte. Diese Möglichkeit sei durch die Angabe des Ehemanns der Klägerin auch nicht auszuschließen gewesen; es wäre nur dann auszuschließen gewesen, wenn sich aus der Erklärung des Ehemanns ergeben hätte, dass am 22.12.2011 der Briefkasten zu einer Zeit geleert worden wäre nach dem Zeitpunkt, zu dem gewöhnlich noch mit einer Entleerung zu rechnen sei. Eine solche Erkenntnis wäre aber nur möglich, wenn sich der Ehemann erkennbar für den Anwalt der Kriterien bewusst gewesen wäre, die für den Zeitpunkt des Zugangs maßgeblich seien. Diese Kenntnis könne (anders als das OLG angenommen habe, nicht als allgemein vorausgesetzt werden noch seien Umstände aufgezeigt worden, nach denen der Beklagte sich hier Gewissheit über entsprechende Kenntnisse des Ehemanns beschafft hätte. Damit hätte der Anwalt bei der Klägerin und deren Ehemann nachfragen müssen und, wenn ein Zugang am 22. Oder 23.12.2011 nicht geklärt werden könnte, den sichersten Weg wählen müssen, indem die Kündigungsschutzklage bereits am 12.01.2012 eingereicht wird. Indem der Beklagte ungeprüft die Angabe des Ehemanns zugrunde gelegt habe, habe der Beklagte eine Pflichtverletzung begangen, wobei nichts dafür spräche, dass er diese nicht zu vertreten habe (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB).  

Die Rückverweisung erfolgte, da die Klägerin nach dem Urteil des OLG nicht schlüssig vorgetragen habe, dass eine Pflichtverletzung des Beklagten den Schaden verursacht habe. Erst das OLG habe dafür ein Erfordernis gesehen, es aber verabsäumt, die Klägerin gem. § 139 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 1 ZPO darauf rechtzeitig  hinzuweisen; der Hinweis sei erst in der Berufungsverhandlung erfolgt, ohne Gelegenheit zum ergänzenden Vortrag zu geben.

BGH, Urteil vom 14.02.2019 - IX ZR 181/17 -

Dienstag, 6. Dezember 2016

Einwurf-Einschreiben – rechtliche Gleichstellung mit dem Einschreiben-Rückschein ?

Ausgangsfall: Die Beklagte wurde mittels Einwurf-Einschreiben von der Klägerin, einer GmbH, aufgefordert, einen angeblich noch offenen Betrag von € 15.000,00 auf deren Stammkapital zu zahlen und für den Fall der Nichteinhaltung der Frist gem. § 21 Abs. 1 S. 1 GmbHG den Ausschluss aus der Gesellschaft angedroht. Da Zahlung nicht erfolgte, wurde der Anteil der Beklagten kaduziert. Das Landgericht hat auf die Widerklage der Beklagten die Kaduzierung für Unwirksam erklärt. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin war erfolgreich. Mit der vom BGH zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Widerklageantrag weiter.

Streitpunkt war, ob die Kaduzierung nach § 21 Abs. 2 und 3 GmbHG deshalb unwirksam ist, da das Schreiben der Beklagten nur als Einwurf-Einschreiben überlassen wurde, da sich die Beklagte auf den Standpunkt stellte, dies genüge nicht den Anforderungen des § 21 Abs. 1 Satz 2 GmbHG. Danach hat die Mitteilung durch „eingeschriebenen Brief“ erfolgen. Hintergrund der Fragestellung war hier nicht, ob es sich bei dem Einwurf-Einschreiben an sich um einen „eingeschriebenen Brief“ handelt, sondern, ob dies mit der Wortwahl in der aus dem Jahre 1892 gab es nur das Übergabe-Einschreiben; das Einwurf-Einschreiben wurde 1997 eingeführt.

Vor diesem Hintergrund schließt der BGH zutreffend aus, dass sich der historische Gesetzgeber Gedanken über eine andere Form des Zugangs des Einschreibens als qua Übergabe gemacht habe. Allerdings lasse sich daraus nicht der Ausschluss des Einwurf-Einschreibens als Form des § 21 Abs. 1 S. 2 GmbHG herleiten. Zwar habe das BVerwG mit einem Urteil vom 19.09.2000 – 9 C 7/00 – zu § 2 Abs. 1 VwZG entschieden, ein Einwurf-Einschreiben sie nicht ausreichend; dies habe aber zum Hintergrund gehabt, dass in der Norm ausdrücklich die Übergabe benannt sei. So läge es hier nicht. Zu beachten sei auch, dass es auf die Zugangssicherung ankäme. Hier wäre auf § 130 BGB abzustellen.

Diese Zugangssicherung sei aber mit dem Einwurf-Einschreiben gewahrt. Die Sicherung des Zugangs sei so höher als bei dem Übergabe-Einschreiben (Einschreiben-Rückschein), da bei diesem lediglich eine Benachrichtigung über die Hinterlegung auf dem Postamt erfolgt, wenn der Empfänger nicht angetroffen wird.  Und es gäbe auch – auf Wunsch des Kunden – eine Reproduktion des elektronisch archivierten Auslieferungsbelegs: Unmittelbar vor dem Einwurf zieht der Postbote  das „Peel-off-Label“ ab, das zur Identifizierung der Sendung dient und klebt es auf einen vorbereiteten Auslieferungsbeleg. Auf diesem bestätigt er durch Datumsangabe und seine Unterschrift die Zustellung. Bei Einhaltung des Verfahrens wäre der Schluss gerechtfertigt, dass die Sendung tatsächlich in den Briefkasten des Empfängers gelangte. Für den Absender spräche damit bei Vorlage von Einlieferungsschein und Reproduktion des Auslieferungsbelegs der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Brief durch Einlegen in den Briefkasten dem Empfänger zugegangen ist.

Anmerkung: Der Entscheidung kommt auch außerhalb der Regelung des § 21 Abs. 1 S. 2 GmbHG grundsätzliche Bedeutung zu. Wurde bisher meist der Zugangsnachweis negiert, wird er jetzt grundsätzlich anzunehmen sein, es sei denn, der Empfänger widerlegt dies.

Die Negativbeweisführung dürfte dem Empfänger schwer fallen. Im Hinblick aber auf die sich häufende Fehlzustellung von Post, wie sie auch der Verfasser nahezu täglich bei der dem eigenen Posteingang feststellt, erscheint ohnehin die Vereinfachung der Zustellung mittels des Einwurfs in den Briefkasten mehr als fraglich, da teilweise die Formulare dafür bereits vorbereitet mitgebracht werden, beim Einwurf der Briefkasten, teilweise gar das Haus und der Empfänger, nicht korrekt beachtet werden. Hier wird derjenige, der von solchen Vorgängen bei der Postzustellung betroffen ist, dafür Sorge tragen müssen, dies künftighin genau zu dokumentieren, um über die Unzuverlässigkeit der Zustellung den Anscheinsbeweis eventuell erschüttern zu können. Ein probates Mittel der Dokumentation der Fehlzustellung ist die Beschwerde bei der Bundesnetzagentur (Tulpenfeld 4, 53113 Bonn, info@bentza.de).


BGH, Urteil vom 27.09.2016 – II ZR 299/15 -

Samstag, 27. September 2014

Internet-Shop: Anklicken der Widerrufsbelehrung nicht ausreichend

Dass bei einem Verkauf mittels eine Online-Shops eine Widerrufsbelehrung zu erfolgen hat ist allgemein bekannt. Dass aber der bloße „Zwang“ des Anklickens mit Häkchen eines als Bestätigung Widerrufsbelehrung zur Kenntnis genommen“ selbst mit dem Zusatz „ausgedruckt oder abgespeichert“ nicht ausreichend ist, hat nunmehr der BGH in seinem Urteil vom 15.05.2014 Dass auch bei einem Verkauf über einen Internet-Shop die Widerrufsbelehrung erforderlich ist, ist festgehalten.  

Der Betreiber eines Internet-Shops (Fernabsatzvertrag nach § 312b BGB a.F., § 312c BGB n.F.) muss nicht nur eine korrekte Widerrufsbelehrung erteilen, wobei dringend anzuraten ist, das offizielle Muster einer solchen schon zur Vermeidung einer sonst möglichen Unwirksamkeit zu verwenden. Die Widerrufsfrist läuft erst ab dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher (§ 13 BGB) eine den Anforderungen des § 360 BGB entsprechende Belehrung über sein Widerrufsrecht in Textform erhalten hat; dies galt bisher gem. § 360 Abs. 3 BGB und ist nach der Verbraucherrichtlinien 2014 (VRRL, abgedruckt in BGBl I 2013, 3642) nun in § 126b BGB normiert.

Während die Widerrufsfrist bei unterlassener oder fehlerhafter Widerrufsbelehrung nach der alten, bis zum Inkrafttreten der VRRL zum 13.06.2014 unbeschränkt galt, kann der Verbraucher jetzt nur noch binnen einer Frist von 12 Monaten und 14 Tagen nach Vertragsschluss von seinem Widerrufsrecht Gebrauch machen (§ 356a Abs. 3 BGB).

Um die gesetzliche Frist für den Widerruf von 14 Tagen (§ 355 Abs. 2 BGB) in Lauf zu setzen, ist neben der korrekten, den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Widerrufsbelehrung erforderlich, dass diese schriftlich erfolgt (§ 126b BGB). Die Bestätigung mittels des benannten Häkchens  im Kontrollkasten wertet der BGH im Hinblick auf ihre Rechtswirkung als Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB), was zusätzlich dadurch dokumentiert würde, dass der Verbraucher ohne das setzen den Bestellvorgang nicht abschließen kann. Dabei wird aber gerade diese Methode verwandt, um den vermeintlichen Nachweis einer Kenntnisnahme der Belehrung durch den Verbraucher zu erreichen. In diesem Zwang sieht der BGH eine Beeinträchtigung der Dispositionsfreiheit des Verbrauchers, die unzulässig sei. Dies unbeschadet dessen, dass ohne nachweislicher Belehrung die Widerrufsfrist nicht bzw. nach der neuen Rechtslage auf 1 Jahr und 14 Tage läuft.

Die Bestätigung durch Setzen des Häkchens habe, so der BGH, eine unzulässige Beweislastumkehr zu Folge und wäre deshalb unwirksam (§ 309 Nr. 12b BGB). Der Unternehmer trage die Beweislast für die Tatsachen, aus denen er die Nichteinhaltung der Frist herleiten will (§ 355 Abs. 3 Satz 3 BGB a.F., § 312k Abs. 2 BGB n.F.).  Dies ergibt sich letztlich allerdings auch bereits aus § 309 Nr. 12b BGB.

Zugegangen wäre die Widerrufsbelehrung dem Verbraucher, wenn er diese ausdruckt oder bei sich abspeichert. Diese dem Verbraucher gegebene Möglichkeit ändert allerdings nichts an der Verpflichtung des Betreibers des Online-Shop (Unternehmer, § 14 BGB) dafür Sorge zu tragen, dass ihm die Widerrufsbelehrung auch ohne sein eigenes Zutun zugeht. Eine Bestätigung über „ausgedruckt“ oder „abgespeichert“ führe aber zu u.U. wahrheitswidrigen Angaben, was vom gesetzlichen Leitbild abweicht.


Ausreichend ist im sogen. E-Commerce die Überlassung der Widerrufsbelehrung auch per E-Mail (§ 312c Abs. 2 BGB).  Da der Betreiber des Online-Shop ohnehin verpflichtet ist, einen eingegangenen Auftrag zu bestätigen, anempfiehlt es sich, die Mail (nicht lediglich als Anhang) um die korrekte und vollständige Widerrufsbelehrung zu ergänzen. 

BGH, Urteil vom 15.05.2014 - III ZR 368/13 -