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Sonntag, 4. August 2024

Qualifizierte und nicht qualifizierte Signatur sowie Risiken bei Versendung durch Dritte

Sowohl der BGH (Beschluss vom 28.02.2024 - IX ZB 30/23 -) wie auch der BFH (Beschluss vom 28.06.2024 - I B 21/23 (AdV) -) mussten sich mit der Frage auseinandersetzen, ob das Rechtsmittel (BGH: Berufung; BFH: Beschwerde) zulässig war, insoweit in beiden Fällen nicht der im jeweiligen Schriftsatz am Ende benannte Rechtsanwalt (BGH) bzw. Steuerberater (BFH) den jeweiligen Schriftsatz über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (BGH) bzw. besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach (BFH) versandte, sondern ein anderer Rechtsanwalt (BGH) bzw. Steuerberater (BFH) aus der gleichen Sozietät, im Fall des BGH mit qualifizierter elektronischer Signatur, im Fall des BFH ohne qualifizierte Signatur aus seinem elektronischen Postfach versandte. Der BGH nahm ein zulässiges Rechtsmittel an, der BFH sah hier ein unzulässiges Rechtsmittel.

1. Die Entscheidungen:

a) Im Fall des BGH legitimierte sich für den Beklagten die Rechtsanwaltssozietät G. (der der Beklagte angehörte) und wurde die Berufungsschrift von dem Beklagten einfach signiert (maschinenschriftliche Namensangabe mit Zusatz „Rechtsanwalt“) allerdings nicht von diesem, sondern dem der Sozietät angehörenden Rechtsanwalt J. qualifiziert elektronisch signiert und über dessen elektronisches Anwaltspostfach (beA) dem Gericht übermittelt. Das Berufungsgericht verwarf die Berufung als unzulässig.

Die dagegen erhobene Rechtsbeschwerde war erfolgreich. Die Berufungsschrift sei fristgerecht eingegangen, da die qualifizierte elektronische Signatur des RA J. ausreichend gewesen sei. Es fehle – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – nicht an einem nach außen in Erscheinung tretenden fehlenden Bindeglied zwischen der auf den Namen des Beklagten lautenden einfachen Signatur und der qualifizierten Signatur des RA J. § 130 Abs. 3 S. 1 ZPO verlange, dass das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person oder von dieser signiert würde; die einfache Signatur sei ausreichend, wenn der einfach signierende Rechtsanwalt den Schriftsatz selbst über den sicheren Übermittlungsweg (hier: beA) nach § 130a Abs. 4 ZPO übermittle. Würde der Schriftsatz mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen, entsprächen deren Rechtswirkung unmittelbar denen einer handschriftlichen Unterschrift gem. § 130 Nr. 6 ZPO. Der das Dokument mit qualifizierter elektronischer Signatur einreichende Rechtsanwalt übernehme für dessen Inhalt – ebenso wie bei einer handschriftlichen Unterschrift – die Verantwortung.

Nicht schädlich sei, dass am Schluss des Dokuments ein anderer Rechtsanwalt als derjenige stünde, der qualifiziert signiert habe. Unter Verweis auf seine Rechtsprechung zu §§ 520 Abs. 5, 130 Nr. 6 ZPO machte der BGH deutlich, dass eine Identifizierung des Urhebers des Schriftsatzes im Anwaltsprozess nicht bedeute, dass der Schriftsatz notwendig von dem bevollmächtigten Rechtsanwalt selbst verfasst werden müsse. Maßgeblich sei stets gewesen, dass der bevollmächtigte Rechtsanwalt den gegebenenfalls von einem anderen Rechtsanwalt formulierten Schriftsatz nach eigener Prüfung genehmige und unterschreibe, wobei im Zweifel angenommen werden konnte, dass der Unterzeichner mit der Unterschrift auch die Verantwortung für den bestimmenden Schriftsatz übernehme. Es habe auch keines klarstellenden Zusatzes (wie „für“) bedurft. Denn durch die Unterzeichnung ließe sich entnehmen, dass er anstelle des Verfassers die Unterschrift leiste und damit als weiterer Hauptbevollmächtigter oder Unterbevollmächtigter auftrete. Dies gelte auch für den elektronischen Rechtsverkehr. Die qualifizierte elektronische Signatur entspräche der Unterschrift.

Danach unterläge es keinem Zweifel, dass RA J. als sozietätsangehöriger und damit vom Beklagten beauftragter Rechtsanwalt diesen mit Anbringung seiner qualifizierten elektronischen Signatur habe vertreten wollen und zugleich iSv. § 130a Abs. 3 S. 1 Fall 1 ZPO die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes seines Kollegen, den dieser verfasst und nur einfach signiert hatte, übernehmen wollte.

b) Im Fall des BFH stritten die Parteien um die gewerbesteuerliche Behandlung von Dividenden. Neben einen Einspruch gegen einen Bescheid des Finanzamtes ließ die Antragstellerin bei dem Finanzgericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) nach § 69 Abs. 3 S. 1 FGO stellen. Das Finanzgericht wies den Antrag zurück, wogegen die Antragstellerin (die vom Finanzgericht zugelassene) Beschwerde erhob. Der BFH wies die Beschwerde als unzulässig zurück.

Dabei stellte der BFH auf § 52a Abs. 1 FGO ab und führte zur Bedeutung der qualifizierten elektronischen Signatur deren Bedeutung unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BGH vom 28.02.204 aus. Allerdings sah es die Zulässigkeit der Beschwerde als nicht gegeben an.

Dabei stellte der BFH darauf ab, dass „die Unterschrift auf dem Schriftsatz“ mit einfacher Signatur versehen gewesen sei und vom Steuerberater E. stamme, während die Übermittlung über das besondere Steuerberaterpostfach (beSt) der Steuerberaterin F. erfolgte. Zwar waren beide Sterberater Partner der prozessbevollmächtigten Steuerberaterkanzlei. Doch war dies nach dem BFH nicht ausreichend. Der durch den sicheren Übermittlungsweg ausgewiesene Absender sei nicht identisch mit der Person, die durch ihre Unterschrift die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen habe, weshalb die Beschwerde nicht wirksam eingereicht worden sei.

2. Weitergehende Hinweise:

Der BFH verwies in seiner Entscheidung auf die o.g. Entscheidung des BGH. Der Unterscheid liegt darin, dass im Fall des BGH der übermittelnde Rechtsanwalt den bestimmenden Schriftsatz qualifiziert elektronisch signierte, was hier nicht erfolgte. Garde durch die qualifizierte Signatur konnte der BGH davon ausgehen, dass der mit qualifizierter Signatur das Schriftstück über sein elektronisches Postfach versendende Anwalt der Sozietät als Haupt- oder Unterbevollmächtigter auftritt und die Verantwortung für den Schriftsatz übernehmen wollte.  Mangels einer qualifizierten Signatur der Steuerberaterin war diese Annahme im Fall des BFH nicht möglich.

Befindet sich eine (grundsätzlich ausreichende) einfache Signatur auf dem (bestimmenden) Schriftsatz, ist darauf zu achten, dass bei Versendung über das elektronische Postfach (sei es beA, beSt oder auf einem anderen sicheren Übermittlungsweg) derjenige, der weiterleitet, qualifiziert signiert.

In diesem Zusammenhang darf noch auf folgende Entscheidungen verwiesen werden:

a) Der BGH hat im Rahmen einer Revision in einer Strafsache mit Beschluss vom 18.10.2022 - 3 StR 262/22 - die Revision als unzulässig verworfen. Die Revisionsschrift war von dem zum Pflichtverteidiger bestellten Strafverteidiger (grundsätzlich zulässig) nur maschinenschriftlich signiert. Doch wurde sie nicht von ihm aus seinem  besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) versandt, sondern – mit qualifizierter Signatur – von einem anderen, am Verfahren nicht beteiligten Rechtsanwalt, der weder Pflichtverteidiger des Angeklagten noch allgemeiner Vertreter des Pflichtverteidiger (§ 53 Abs. 2 S. 1 BRAO) war und auch keine Vollmacht des Angeklagten als Wahlverteidiger hatte. In diesem Fall wäre aufgrund der Singularität der vorliegenden Vollmacht selbst dann die Revision zu verwerfen gewesen, wenn der qualifiziert signierende Rechtsanwalt Sozietätsmitglied einer Sozietät mit dem Pflichtverteidiger gewesen wäre.

b) Gründe für eine Wiedereinsetzung hatte der BFH in dem oben benannten Verfahren nicht gesehen und ausgeführt, die Antragstellerin habe Gelegenheit gehabt, dazu vorzutragen, was nicht erfolgt sei.

Hierzu ist der Beschluss des BAG vom 14.09.2020 - 5 AZB 23/20 - von Interesse, mit dem dieses den Beschluss des Landesarbeitsgericht, mit dem die Berufung als unzulässig verworfen wurde, aufhob und Wiedereinsetzung gewährte. Die Berufungsschrift war in diesem Fall nicht nur nicht qualifiziert signiert gewesen (was grundsätzlich nicht erforderlich ist, liegt nicht z.B.  eine Ausnahme wie oben im Fall des BGH vor), sondern es fehlte auch eine einfache Signatur. Das angefochtene Urteil war am 21.02.2019 zugestellt worden, die Berufungsschrift aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) am 20.03.2019 dem Landesarbeitsgericht (LAG) zugeleitet. Mit Verfügung vom 21.03.2019, 14:02 Uhr, teilte der Vorsitzende den Zugang der Berufungsschrift vom Vortag und das Aktenzeichen mit. Nachdem der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Berufungsbegründung fristgerecht (und ordnungsgemäß mit einfacher Signatur) eingereicht hatte, wies das LAG auf den Mangel in der Berufungsschrift hin. In der Folge verwarf das LAG die Berufung unter Zurückweisung des zeitlich rechtzeitig gestellten Wiedereinsetzungsantrages.

Die dagegen eingelegte Beschwerde hatte Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) ließ auf sich beruhen, ob ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten vorlag, da eine Kausalität für die Verfristung nicht festgestellt werden könne. Es sei ein faires Verfahren zu gewährleisten (Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips, Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art, 20 Abs. 3 GG). Aus eigenen Fehlern des Gerichts dürften keine konkreten prozessualen Nachteile für die Partei abgeleitet werden. Zwar gäbe es keine generelle Pflicht der Gerichte, die Formalien eines elektronischen Dokuments sofort zu prüfen. Hier aber sei nach der zeitlichen Folge ein Hinweis möglich gewesen, habe doch nach dem Eingang des Dokuments am 20.03.2019 noch ein voller Tag bis 24:00 Uhr zur Einreichung einer prozessordnungsgemäßen Berufungsschrift zur Verfügung gestanden. Bereits zum Zeitpunkt der Verfügung des Vorsitzenden durch Signierung um 14:02 Uhr am, 21.03.2019 war dem Vorsitzenden ersichtlich, dass die Berufungsschrift nicht ordnungsgemäß signiert war. Es hätte der Prozessbevollmächtigte informiert werden müssen und können. Ohne besondere Anstrengung hätte dies telefonisch oder mittels Telefax erfolgen können. Damit war Wiedereinsetzung zu gewähren.

Es lohnt sich also in entsprechenden Fällen Einsicht in die Gerichtsakte zu nehmen, um die zeitlichen Folgen und Möglichkeiten  festzustellen.

c) Insgesamt empfiehlt es sich, neben der einfachen Signatur auch qualifiziert elektronisch zu signieren.  

BGH, Beschluss vom 28.02.2024 – IX ZB 30/23 -

BFH, Beschluss vom 28.06.2024 – I B 41/23 (AdV) -

Dienstag, 11. Juli 2023

(Fehlende) Signatur auf Schriftsatz und Verjährung

Der Kläger machte Schadensersatzansprüche geltend mit der Begründung, der Beklagte habe seiner Verkehrssicherungspflicht nicht genügt und deshalb habe er sich verletzt. Das Amtsgericht wies die Klage wegen Verjährung ab.  Dagegen wandte sich der Kläger erfolglos mit seiner Berufung.

Die Verjährung eines eventuellen Schadensersatzanspruchs des Klägers trat mit Ablauf des 31.12.2021 ein. Die Klage wurde am 25.12.2021 durch elektronische Übermittlung lediglich der ersten Seite der Klageschrift und der Anlagen zur Klageschrift durch an anwaltlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers bei dem zuständigen Amtsgericht eingereicht worden. Mit dem 27.12.2021 wurde der Kläger zur Zahlung des Gerichtskostenvorschusses aufgefordert. Unter dem 26.01.2022 wurde der Prozessbevollmächtigte des Klägers aufgefordert seine ersichtlich unvollständige Klage zu vervollständigen, was er dann auch unter Überlassung der kompletten Klageschrift tat. Der Beklagte erhob u.a. die Einrede der Verjährung. Mit Verweis auf die eingetretene Verjährung wurde die Klage abgewiesen. Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner Berufung. Mit Hinweisbeschluss vom 31.05.2023 wies das Landgericht darauf hin, dass es beabsichtige seine Berufung zurückzuweisen. Nachdem der Kläger darauf innerhalb gesetzter Frist nicht reagierte, wies das Landgericht seine Berufung mit Beschluss vom 03.07.2023 unter Bezugnahme auf den Hinweisbeschluss vom 31.05.2023 zurück.

Vom Grundsatz her war die Verjährung bei Einreichung einer Klage am 25.12.2021 noch nicht eingetreten, da Verjährungsablauf der 31.12.2021 war. Streitig war im Hinblick auf den Eintritt der Verjährung, ob die unvollständige Klage geeignet war, den Eintritt der Verjährung zu hemmen, § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Vorliegend entsprach aber die Klageschrift, so wie sie eingereicht wurde, nicht den prozessualen Anforderungen, was erst nach dem Hinweis durch das Amtsgericht im Januar geheilt wurde.

Das Landgericht wies in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht darauf hin, dass ein elektronisches Dokument wie die Klageschrift mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der den Schriftsatz verantwortenden Person versehen sein müsse oder aber von der verantwortenden Person (einfach) signiert sein müsse und ferner auf einem sicheren Übermittlungsweg (wie dem „besonderen elektronischen Anwaltspostfach“ (beA) eingereicht werden müsse, § 130a Abs. 3, Abs. 4 ZPO. Die Klageschrift, wie sie am 25.12.2021 auf einem sicheren Übermittlungsweg als elektronisches Dokument eingereicht wurde, war nicht qualifiziert signiert. Sie wurde nur mit einer Seite (der erste Seite) eingereicht, die auch nicht unterschrieben war.  Die einfache Signatur hätte hier bei der elektronischen Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg ausgereicht, wäre aber auch erforderlich gewesen, § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO.

Eine Ausnahme von dem Erfordernis der einfachen Signatur habe hier auch nicht vorgelegen. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hinwies, er sei, wie aus seinem Briefkopf auf der übermittelten Seite der Klageschrift ersichtlich sei, als Einzelanwalt tätig, rechtfertige dies nicht die Annahme einer Ausnahme. Der BGH habe zwischenzeitlich mit Beschluss vom 07.09.2022 - XII ZB 215/22 - entschieden, dass die einfache Signatur (z.B. durch maschinenschriftlichen Namenszug oder eingescannter Unterschrift) ebenso wie die eigene Unterschrift oder die qualifizierte Signatur die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Verfahrenshandlung  ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringe, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Fehle es daran, sei das Dokument nicht ordnungsgemäß eingereicht worden.  Auch wenn der Briefkopf darauf deute, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers seine Kanzlei als Einzelanwalt betreibe, schließe dies nicht aus, dass ein angestellter Rechtsanwalt tätig sei, ohne auf dem Briefbogen benannt zu sein; auch könnten freiberufliche Rechtsanwälte in der Kanzlei tätig sein. Entsprechend habe zudem auch bereits zuvor das BAG das BAG am 14.09.2020 - 5 AZB 23/20 - entschieden.

Das Fehlen des Namens am Ende des Dokuments (hier der ersten Seite) könne auch nicht durch einen eingangs des Dokuments benannten Namen des Rechtsanwalts ersetzt werden, da dennoch die Möglichkeit bestünde, dass der Schriftsatz von einer anderen Person (namentlich nichtanwaltlichen Personal oder einem externen Rechtsanwalt, der in anwaltlicher Vertretung tätig würde) stamme. Das könne ohne Beweisaufnahme nicht geklärt werden, die allerdings diesbezüglich ausgeschlossen sei.

Auch gehe die Annahme des Klägers fehl. Das Amtsgericht hätte ihn bereits im Zusammenhang mit der Übermittlung der Kostenrechnung  für den Gerichtskostenvorschuss auf die fehlende Wirksamkeit der Klageerhebung hinweisen müssen. Die Bearbeitung des Klageverfahrens erfolge gem. § 12 Abs. 1 S. 1 GKG erst nach Zahlung der angeforderten Gerichtskosten. Die Akte sei der Abteilungsrichterin des Amtsgerichts erst nach Eingang des Vorschusses am 25.01.2022 vorgelegt worden.

Anmerkung: Rechtsanwälte sind grundsätzlich verpflichtet, ihre Schriftsätze (und dies gilt auch für bestimmende Schriftsätze wie die Klageschrift) als elektronische Dokument den Gerichten auf einem sicheren Übermittlungsweg zuzuleiten (§ 130a ZPO). Diese müssen signiert werden (regelmäßig am Ende des Dokuments eine Namensangabe des verantwortenden Rechtsanwalts) oder mit einer qualifizierten Signatur des verantwortenden Rechtsanwalts versehen sein.

LG Kassel, Hinweisbeschluss vom 31.05.2023 - 1 S 177/22

Sonntag, 30. April 2023

Gefährdet das „besondere elektronische Anwaltspostfach“ (beA) die Verjährungshemmung ?

§ 130d S. 1 ZPO bestimmt, dass „vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich enzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt … eingereicht werden, … als elektronisches Dokument zu übermitteln“ sind. Dabei sind bestimmte Formen zu wahren (so PDF, Signatur). Nur dann, wenn dies „aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften“ (so Post, Telefax) zulässig, § 130d S. 2 ZPO. Entsprechende Regelungen, wie hier zum Zivilverfahren, gelten auch nach den Prozessordnungen anderer Gerichtsbarkeiten (z.B. § 55a VwGO).

Der BGH hat mit seinem Beschluss vom 30.11.2022 - IV ZB 17/22 - (siehe den unten stehenden Beitrag vom 28.04.2023) aufgezeigt, dass bei der Übermittlung von Schriftsätzen an Gerichte höchste Sorgfalt geboten ist. Versehentlich hatte dort der Rechtsanwalt die Berufungsbegründung nicht an das zuständige Oberlandesgericht, sondern an das Landgericht versandt. Die Berufung wurde vom Oberlandesgericht - zu Recht, wo der BGH - verworfen, da mit dem Zugang beim Landgericht nicht ein notwendiger fristgerechter Zugang bei dem Oberlandesgericht gewahrt wurde. Das Verschulden des Rechtsanwalts wird der Partei zugerechnet. In diesem Fall hat allerdings der Mandant einen Schadensersatzanspruch gegen seinen Rechtsanwalt, vorausgesetzt, die Berufung wäre erfolgreich gewesen (was im Rahmen einer Klage auf Schadensersatz dann von dem darüber zur Entscheidung berufenen Gericht zu klären wäre).

Aber wie steht es um den Anspruch des Mandanten, wenn aus technischen Gründen eine Übermittlung des Schriftstückes an das Gericht nicht möglich ist ? Hier bietet zwar § 130d S. 2 ZPO dem Rechtsanwalt die Möglichkeit, nach den „allgemeinen Vorschriften“ seinen Schriftsatz an das Gericht zu senden. Dies ist allerdings für den Rechtsanwalt mit erheblichen Mehraufwand verbunden: Nach § 130d S. 3 ZPO muss der Rechtsanwalt die vorübergehende Störung glaubhaft machen, selbst dann, wenn sie gerichtsbekannt ist (so ArbG Lübeck, Urteil vom 01.10.2020 - 1 Ca 572/20 -, Rn. 87). Erfolgt die Glaubhaftmachung nicht, nicht ausreichend oder verspätet, kann sich daraus auch eine Schadensersatzpflicht des Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten ergeben.

Leider sind Störungen im elektronischen Verkehr mit Gerichten häufig. Nachzulesen sind sie auf der offiziellen Seite des beA zur „beA Verfügbarkeit“.  Dort kann man eine fehlende Verfügbarkeit aber nicht sogleich finden, wenn sie eintritt, sondern mit (unterschiedlicher) zeitlicher Verzögerung), weshalb der gewissenhafte Rechtsanwalt zunächst das Problem bei seiner Anwendung versucht zu finden (verschiedene Versuche, runter- und hochfahren des PC pp.). Interessant wird dies, wenn man ein Problem bei dem Versand feststellt, seinen Softwarespezialisten anruft, dieser Prüfungen vornimmt und dann plötzlich festgestellt wird, dass unter „beA Verfügbarkeit“ plötzlich der Systemausfall eingestellt wird, allerdings mit einer zeitlichen Verschiebung von 15 Minuten, und nach Behebung des Mangels der zeitliche Verzug zur eigenen Feststellung plötzlich mit 20 Minuten deklariert wird (so wie ich es vor einigen Wochen erleben durfte).

Grundsätzlich wäre, folgt aus einer nicht möglichen Versendung aufgrund einer vorübergehenden technischen Störung (sei es am eigenen System oder beim Empfänger) eine Fristversäumung, eine Wiedereinsetzung möglich. Allerdings erfordert dies, dass die Frist oder Notfrist ohne Verschulden nicht eingehalten wurde, § 233 ZPO. Ein verschulden wird man grundsätzlich annehmen können, wenn der Weg des § 130d S. 2 ZPO möglich wäre.

Allerdings ist dem Rechtsanwalt die Möglichkeit des § 130d S. 2 ZPO verwehrt, wenn er den gem. § 130d S. 1 BGB das Schriftstück per beA an das Gerichts- oder Verwaltungspostfach des zuständigen Gerichts sandte und die nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO übermittelte automatisieret Bestätigung (Sendeprotokoll) den erfolgreichen Zugang bei dem adressierten (und zuständigen) Gericht bestätigt. Ergibt mithin die Prüfung des Sendeprotokolls, dass das Schriftstück ordnungsgemäß eingegangen ist, hat er alles getan, um eine Frist zu wahren und für den Fall, dass das Schriftstück bei dem Gericht gleichwohl nicht einging, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er erkennt oder erkennen muss, dass der Bestätigungsvermerk falsch ist und innerhalb der Frist des § 234 ZPO Wiedereinsetzung beantragt.

Das rechtliche Problem liegt allerdings darin, dass die Wiedereinsetzung lediglich den Ablauf einer prozessualen Frist betrifft, nicht (auch) den Ablauf einer materiellen Frist. Soll mit einer Klage oder sonstigen Antrag (z.B. ein Antrag auf Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens, § 485 ZPO) die Verjährung gehemmt werden (§ 204 BGB), so ist Voraussetzung der rechtzeitige, vor Ablauf liegende Eingang des entsprechenden Antrages bei Gericht erforderlich (und dessen Zustellung bei der Gegenseite „demnächst“). Problematisch ist dies in dem Fall, wenn zwar nach dem Sendeprotokoll der rechtzeitige Eingang bei Gericht bestätigt wird, dieser aber tatsächlich nicht erfolgte.

beA ist unberechenbar. Man denke an die großflächige Störung im Zeitraum vom 18.04.2023 (18.00 Uhr) bis zum 21.04.2023 (21.20 Uhr) in Niedersachen, Nordrhein-Westfalen und Teilen von Baden-Württemberg (zeitmäßig teilweise anders); Sendungen an Gerichte in diesen Bundesländern waren nicht möglich. Nicht genug damit: Für einige Versender war dies nicht erkennbar, das sie ein Sendeprotokoll mit einem Vermerk über den erfolgreichen Eingang erhielten, obwohl ein solcher nicht vorlag. Insoweit erfolgte unter „beA Verfügbarkeit“ der Eintrag:

„Es kann nicht sichergestellt werden, dass Daten, die im Zeitraum vom 18.04.2023, 18:00 Uhr bis zur Einstellung des Produktionsbetriebs am 20.04.2023 um 8:30 Uhr versendet worden sind, beim adressierten Empfänger angekommen sind. Die in diesem Zeitraum versandten Daten müssten dann erneut eingereicht werden.“

Diese erneute Einreichung mag in Ansehung von § 233 ZPO unproblematisch sein, da ein Verschulden des Versenders nicht angenommen werden kann. Anders stellt sich dies aber dar, wenn mit dem Schriftsatz die Verjährung gehemmt werden sollte. Die Wiedereinsetzung in die abgelaufene Verjährungsfrist ist im Gesetz nicht geregelt. Das Gesetz nennt lediglich Umstände, die zwingend zu einer Hemmung führen, wie z.B. die bei Gericht eingehende Klage oder die Zustellung des Antrages auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens (allerdings rückwirkend auf den Eingang bei Gericht, wenn die Zustellung „demnächst“ erfolgt, also nicht durch Verschulden des Antragstellers verzögert wird, § 167 ZPO).

Das hätte zur Konsequent, dass dem Rechtsanwalt, der auf die Richtigkeit des Sendeprotokolls vertrauen durfte, kein Sorgfaltsverstoß vorgeworfen werden kann, ihm gegenüber also Schadensersatzansprüche nicht erfolgreich geltend gemacht werden können. Ein Amtshaftungsanspruch gegen das jeweilige Bundesland gem. § 839 BGB dürfte aber auch nicht erfolgreich sein. Es kann zwar geltend gemacht werden, dass die Gerichte und damit das Bundesland (ebenso wie die Rechtsanwaltschaft) dafür Sorge tragen müssen, dass sie im beA-Verfahren über ihr EGVP erreichbar sind, doch können technische Pannen auftreten, die ein Verschulden (welches auch im Rahmen des § 839 BGB erforderlich) nicht zwingend begründen. Diskutabel wäre allenfalls, ob die grundlegende Verpflichtung zur Nutzung von beA und Einreichung mittels eines elektronischen Dokuments über das EGVP des zuständigen Gerichts angesichts der hohen Instabilität des Systems (wie schon die Auflistung auf „beA Verfügbarkeit“ ergibt) ein zumindest fahrlässiges Verhalten darstellt, welches grundsätzlich für den Amtshaftungsanspruch ausreichend ist. Allerdings sind die Länder nur ausführende Organe; die zwingende Umsetzung (zum 01.01.2022) hat der Bundesgesetzgeber beschlossen.

Danach verbliebe es bei dem Schaden des Mandanten, der keine Ansprüche gegen eine Dritten geltend machen kann. Dieses Ergebnis wäre nicht nur unbillig, es würde auch gegen den Justizgewährleistungsanspruch des Art. 2 Abs. 1 GG sprechen. Dieser ist tangiert, wenn nicht der Staat sicherstellt, dass innerhalb der gesetzlichen Frist (hier der Verjährungsfrist) gerichtliche Maßnahmen eingeleitet werden können. Fällt das dafür vorgesehene elektronische System aus und kann deshalb (unverschuldet) der Anspruch nicht bei Gericht anhängig gemacht werden, kommt der Staat seiner sich aus Art. 2 Abs. 2 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG bestehenden Verpflichtung nicht nach. Zwar hat er den Ausfall des Systems in § 130d S. 2 ZPO berücksichtigt, nicht aber den Fall, dass der Absender entgegen den tatsächlichen Umständen ein den erfolgreichen Eingang bei dem zuständigen Gericht bestätigendes Sendeprotokoll erhält und mithin keine Veranlassung hat, einen alternativen Sendeweg zu wählen. Es wäre § 204 BGB dahingehend zu ergänzen, dass die Hemmungsfristen auch dann als gewahrt gelten, wenn das Dokument nach dem Sendeprotokoll gem. § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO bei dem zuständigen Gericht eingegangen sein soll.

Der Gesetzgeber hat ersichtlich diesen Fall nicht bedacht. Damit liegt eine Gesetzeslücke vor. In der Gesetzesbegründung zu § 130a Abs. 5 ZPO zu Satz 2 heißt es (BT-Drs. 17/1234 S. 26) heißt es zum Sendeprotokoll:

„Hierdurch soll der Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit erlangen, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind.“

Hierdurch soll der Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit erlangen, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind.

Es könnte hier der Rechtsgedanke des § 206 BGB zur höheren Gewalt aufgegriffen werden. Nach § 206 BGB wird die Verjährung gehemmt, wenn innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist höhere Gewalt die Rechtsverfolgung hindert. Hier wird aber verlangt, dass innerhalb der letzten sechs Monate vor Eintritt der Verjährung die Rechtsverfolgung gehindert sein muss. Werden z.B. aus einem Werkmangel Ansprüche kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist geltend gemacht und kommt es nun dazu, dass durch Ausfall des elektronischen System bei dem zuständigen Gericht kein Eingang des die Verjährungshemmung bewirkenden Schriftsatzes erfolgt, der Rechtsanwalt gleichwohl ein den Eingang bestätigendes Sendeprotokoll erhält, könnte in Ansehung der 6-Monats-Frist des § 206 nicht auf diesen rekrutiert werden. Der Gläubiger hätte bereits früher den Anspruch geltend machen können; kannte er seien Anspruch früher noch nicht, erfuhr er erst kurz vor Ablauf davon, musste er zwar zunächst den Unternehmer zur Nachbesserung auffordern, um mögliche Kosten des Verfahrens zu ersparen für den Fall, dass der Werkunternehmer die Nachbesserung vornimmt, doch würde dies die fehlende Hemmungswirkung des § 206 BGB nicht tangieren. Der Gesetzgeber hatte bewusst davon Abstand genommen, die Hemmung auf alle Fälle auszudehnen, in denen der Gläubiger ohne Verschulden an der Rechtsverfolgung gehindert war (BT-Drs. 14/6040 S. 119).  

Höhere Gewalt iSv. § 206 BGB wird angenommen, wenn der Gläubiger an der Verfolgung seiner Rechte selbst unter Wahrung der äußersten, billigerweise zu erwartenden Sorgfalt und Anstrengung gehindert worden ist (BAG, Urteil vom 07.11.2002 - 2 AZR 297/01 -; BGH, Urteil vom 06.07.1994 - XII ZR 136/93 - mwN.). Wenn in dem Fall des fehlerhaften Sendeprotokolls schlicht die Durchführung der Versendung des Schriftsatzes an das Gericht nicht möglich gewesen wäre oder als nicht erfolgreich gekennzeichnet worden wäre, hätte der Rechtsanwalt noch einen alternativen Versandweg gem. § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO wählen können. Dem Sendeprotokoll zu vertrauen kann nicht gegen die anzuwendende Sorgfalt und Anstrengung sprechen; es kann nicht erwartet werden, dass stets von der Rechtsanwaltskanzlei bei den entsprechenden Gerichten angerufen wird und nachgefragt wird, ob das Schriftstück eingegangen ist, zumal es dann auch nicht mehr des Sendeprotokolls bedürfte, welches gerade diese Unsicherheit beseitigen und eine Kontrolle des Rechtsanwalts ermöglichen soll.

Der Umstand, dass hier nicht früher der Antrag gestellt wird, kann hier auch nicht (entsprechend § 206 BGB) dem Gläubiger angelastet werden. Er kann - unabhängig davon, ob ihm im Einzelfall eine frühere Antragstellung mit Wirkung der Verjährungshemmung möglich ist -  darauf vertrauen, dass der Justizgewährungsanspruch jederzeit gegeben ist, und mithin auch ein Schriftstück kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist ordnungsgemäß bei dem Gericht eingeht, wenn er ein entsprechendes Sendeprotokoll erhält.

Von daher wäre in diesem Fall nach dem Rechtsgedanken des § 206 BGB zur höheren Gewalt bei einem Fehler des Sendeprotokolls die Verjährungsfrist als gewahrt anzusehen.

Andernfalls bliebe nur die Möglichkeit, soll mittels eines bestimmten Antrages die Verjährung nach § 404 BGB gehemmt werden, den Antrag nicht nur elektronisch zu übermitteln, sondern zusätzlich auch als Telefax oder durch Einwurf in den Gerichtsbriefkasten. Stellt sich dann heraus, dass der elektronisch über beA gesandte Antrag wegen eines Systemfehlers entgegen dem Sendeprotokoll nicht bei Gericht eingegangen ist, unverzüglich die Annahme der richtigen Übertragung glaubhaft zu machen und auf den bereits rechtzeitig dem Gericht auf anderweitigem Weg zugeleiteten Antrag zu verweisen.


Freitag, 28. April 2023

Fehlerhafte Übermittlung per beA an unzuständiges Gericht und Wiedereinsetzung

Nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.09.2021 verlängert worden war, leitete der Klägervertreter die Berufungsbegründung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) versehentlich an das Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Landgerichts, welches diese erst am 11.10.2021 an das Berufungsgericht weiterleitete. Unter Zurückweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) verwarf das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig. Dagegen wandte sich der Kläger erfolglos mit seiner Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH).

Der BGH hielt die Rechtsbeschwerde zwar nach §§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 S. 4, 238 Abs. 1 S. 1 ZPO für statthaft, aber wegen Fehlens der Voraussetzungen nach § 574 Abs. 2 ZPO für unzulässig. So sei hier weder das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) verletzt noch der Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art. 20 Abs. 3 GG).

Die Berufungsbegründung hätte bis zum 30.09.2021 bei dem Berufungsgericht eingehen müssen. Dies sei nicht erfolgt. Die Übersendung an das EGVP des Landgerichts könne die Frist nicht wahren. § 130a Abs. 5 S. 1 ZPO bestimme, dass das elektronische Dokument, dessen sich der Rechtsanwalt bedienen muss, erst wirksam bei dem zuständigen Gericht eingegangen sei, wenn es auf dem gerade für dieses Gericht eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das EGVP gespeichert worden sei, was mit der Übermittlung an das EGVP des Landgerichts nicht erfüllt würde. Das EGVP des Landgerichts sei nicht für den Empfang von Dokumenten für das Berufungsgericht bestimmt. Der Umstand, dass sowohl das Landgericht als auch das Berufungsgericht als Intermediär die Dienste des Landesbetriebs Information und Technik Nordrhein-Westfalen in Anspruch nähme könne daran nichts ändern, da beide Gerichte kein gemeinsames EGVP unterhalten, vielmehr durch entsprechende separate Posteingangsschnittstellen gesichert sei, dass der „Client“ eines Gerichts jeweils nur auf die an dieses Gericht adressierten Nachrichten zugreifen könne.

Der Kläger sei auch nicht ohne Verschulden iSv. § 233 S. 1 ZPO verhindert gewesen, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten, weshalb keine Wiedereinsetzung erfolgen könne; der Kläger habe sich das Verschulden seines Rechtsanwalts zurechnen zu lassen. Der Rechtsanwalt habe sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz innerhalb der laufenden Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten würden denjenigen bei (wie früher noch möglicher) Übersendung per Telefax entsprechen, weshalb es auch bei Nutzung des beA notwendig sei, den Versandvorgang zu überprüfen. Die nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO übermittelte automatisierte Bestätigung müsse kontrolliert werden und so geprüft werden, ob nach dem Sendeprotokoll die Übersendung an den richtigen Empfänger erfolgte. Diese Kontrolle habe der Rechtsanwalt selbst vorzunehmen, wenn er die Versendung des fristwahrenden Schriftsatzes übernehme. Vorliegend habe aber der Klägervertreter lediglich geprüft, ob die Übermittlung „erfolgreich“ gewesen sei (was im Sendprotokoll auch ausgewiesen wird), nicht aber, ob die Versendung an das richtige Gericht vorgenommen wurde.

Eine Wiedereinsetzung käme schon dann nicht in Betracht, wenn die Möglichkeit bestünde, dass die Versäumung der Frist auf dem festgestellten Verschulden beruht. Im fall der irrtümlichen Übermittlung der Berufungsbegründung an das erstinstanzliche Gericht wirke sich das Verschulden einer Partei bzw. ihres Verfahrensvertreters nicht aus, wenn der Schriftsatz so zeitig bei dem falschen Gericht eingehen würde, dass eine fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden könne. Hier sei das Berufungsgericht davon ausgegangen, der Kläger (Klägervertreter) habe nicht erwarten könne, dass bei einer nur einen Tag vor Fristablauf eingehenden Berufungsbegründung im EGVP eines unzuständigen Gerichts der Schriftsatz rechtzeitig an das Berufungsgericht weitergeleitet würde; diese Erwägung würde keinen Rechtsfehler erkennen lassen.

BGH, Beschluss vom 30.11.2022 - IV ZB 17/22 -