Montag, 6. Januar 2025

Geht dingliches Vorkaufsrecht zugunsten Familienangehörigen dem Mietervorkaufsrecht vor ?

Die Eheleute haben im Zuge ihrer Scheidung ein gemeinsames Haus in Wohnungseigentum geteilt und drei Wohnungen gebildet. Von denen zwei der Beklagte und eine die Klägerin erhielt. Gleichzeitig wurden wechselseitig dingliche Vorkaufsrechte bewilligt. Zu der einen in 2019 vom Beklagten verkauften Wohnung mit einem Kaufpreis von € 29.000,00 übte die Klägerin ihr Vorkaufsrecht aus. Der Mieter der Wohnung übte sein Mietervorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 BGB aus. Der Beklagte und der Mieter schlossen sodann einen notariellen Vertrag, der die Einzelheiten regelte. Der Mieter wurde als Eigentümer im Grundbuch eingetragen, danach das Vorkaufsrecht der Klägerin gelöscht. Gegen die Löschung erhob die Klägerin Widerspruch und auf ihre Rechtsbeschwerde wies das OLG das Grundbuchamt an, einen Widerspruch gegen die Löschung im Grundbuch einzutragen (Beschluss vom 27.04.2023 - V ZB 58/22 -). Mit der Klage begehrte die Klägerin vom Beklagten die Auflassung des Eigentums an der Wohnung Zug um Zug gegen Zahlung von € 27.000 nebst Bewilligung der Eintragung als Eigentümerin, vom Beklagten vereinnahmte Mieten, Nutzungsentschädigung sowie Feststellung der Erstattungspflicht möglicher weiterer Schäden, Das Landgericht wies die Klage ab, das Oberlandesgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung von € 4.610,90 an die Klägerin und wies im Übrigen die Berufung der Klägerin zurück.  Die Revision der Klägerin führte im Umfang der Zulassung derselben zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das OLG.

Ein Anspruch der Klägerin auf Auslassung könne sich nur aus der Ausübung des dinglichen Vorkaufsrechts ergeben. Ein solcher Kaufvertrag – von dem das OLG ausgegangen sei und der BGH dies deshalb hier voraussetzen müsse – vorausgesetzt wäre zu beachten, dass das dingliche Vorkaufsrecht der Klägerin gegenüber dem Vorkaufsrecht des Mieters den Vorrang genieße. Damit käme die Klägerin in den Genuss der Vormerkungswirkung nach § 1098 Abs. 2 BGB iVm. §§ 883 Abs. 2, 888 BGB mit der Folge, dass die Verfügung des Beklagten zugunsten des Mieters ihr gegenüber unwirksam wäre (BGH, Beschluss vom 27.04.2023 – 58/22 -). Die zu Unrecht gelöschte Vormerkung hätte deren Vormerkungswirkung nicht beseitigt. Damit könne die Klägerin weiterhin die Auflassung Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises verlangen und der Beklagte wäre wegen der relativen Unwirksamkeit der Veräußerung an den Dritten (Mieter) auch in der Lage, den Anspruch zu erfüllen.

Das dingliche Vorkaufsrecht genieße jedenfalls dann Vorrang vor dem Vorkaufsrecht des Mieters, wenn es von dem Eigentümer zugunsten eines Familienangehörigen iSv. § 577 Abs. 1 S. 2 BGB bestellt würde. Dieser Fall läge gier vor, da auch die Geschiedenen weiterhin als Familienangehörige anzusehen seien.

Auch käme es nicht darauf an, ob das dingliche Vorkaufsrecht bereits zum Zeitpunkt der Begründung des dinglichen Vorkaufsrechts bereits bestand (wie es vorliegend der Fall war). Dieser Vorrang des dinglichen Vorkaufsrechts ergäbe sich aus dem gesetzgeberischen Regelungskonzept in § 577 BGB. Da der Vermieter das Wohnungseigentum auch nach Überlassung der Wohnung an den Mieter an einen Familienangehörigen verkaufen könne, ohne dass dies ein Vorkaufsrecht des Mieters begründen würde, wäre unerfindlich, weshalb das Mietvorkaufsrecht bei einem nach Überlassung der Wohnung an den Mieter einem für einen Familienangehörigen bestellten Vorkaufsrecht vorgehen sollte.

BGH, Urteil vom 27.09.2024 - V ZR 48/23 -


Aus den Gründen:

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 7. März 2023 aufgehoben, soweit darin über die Teilabweisung des Klageantrags zu 7 und die Abweisung des Klageantrags zu 11 hinaus zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Im Zuge der Trennung vereinbarten sie im Jahre 2016 in notarieller Urkunde die Teilung ihres gemeinsamen Hauses in Meißen in Wohnungseigentum. Dabei wurden drei Wohnungen gebildet, von denen der Beklagte zwei Wohnungen (Nr. 2 und Nr. 3) und die Klägerin eine Wohnung erhielt. Die Parteien bewilligten sich gegenseitig dingliche Vorkaufsrechte. Unter anderem wurde für die Klägerin im Dezember 2016 ein Vorkaufsrecht an der Wohnung Nr. 3 in das Grundbuch eingetragen. Im Jahre 2019 verkaufte der Beklagte seine beiden Wohnungen an Dritte. Für die Wohnung Nr. 3 (im Folgenden: Wohnung) wurde ein Kaufpreis von 27.000 € vereinbart. Die Klägerin erklärte mit Schreiben vom 25. Juni 2019 an den beurkundenden Notar die Ausübung des Vorkaufsrechts für die Wohnung, die bereits vor Aufteilung in Wohnungseigentum an einen Dritten (nachfolgend Mieter) vermietet worden war. Der Mieter übte das Mietervorkaufsrecht gegenüber dem Beklagten aus. Im Oktober 2019 schlossen der Beklagte und der Mieter einen notariellen Vertrag, in dem die Einzelheiten zu dem durch den Vorkauf zustande gekommenen Kauf geregelt wurden. Der Mieter wurde als Eigentümer in das Wohnungsgrundbuch eingetragen. Am 31. März 2022 wurde das für die Klägerin eingetragene Vorkaufsrecht gelöscht. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wies der Senat das Grundbuchamt an, einen Widerspruch gegen die Löschung des Vorkaufsrechts einzutragen (Beschluss vom 27. April 2023 - V ZB 58/22, NJW-RR 2023, 863).

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - von dem Beklagten die Auflassung des Eigentums an der Wohnung Zug um Zug gegen Zahlung von 27.000 € und Bewilligung der Eintragung als Eigentümerin in das Grundbuch (Antrag 1), Zahlung von weiteren 5.600 € nebst Zinsen wegen vereinnahmter Mieten bis Juni 2021 (Antrag 5), Zahlung einer Nutzungsentschädigung von 280 € im Monat nebst Zinsen ab Juni 2021 (Antrag 6) sowie die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für eventuelle weitere Schäden wegen der Nichtübereignung der Wohnung (Antrag 8). Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat den Beklagten auf den Antrag zu 7 verurteilt, an die Klägerin 4.610,90 € nebst Zinsen zu zahlen, und die Berufung der Klägerin im Übrigen zurückgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter, soweit sie bislang erfolglos geblieben sind, mit Ausnahme der Teilabweisung des Klageantrags zu 7 und der Abweisung des Klageantrags zu 11.

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht meint, die Klägerin habe keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Auflassung der Wohnung, da ein Kaufvertrag durch die Ausübung ihres dinglichen Vorkaufsrechts nicht zustande gekommen sei. Die Klägerin habe das Vorkaufsrecht zwar fristgerecht ausgeübt und der Notar sei auch empfangsberechtigt gewesen. Der Wirksamkeit stehe aber das Vorkaufsrecht des Mieters aus § 577 Abs. 1 BGB entgegen. Dieses sei nicht nach § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen, weil der Beklagte die Wohnung nicht an die Klägerin, sondern an Dritte verkauft habe. Das Vorkaufsrecht des Mieters aus § 577 BGB gehe dem gewillkürten dinglichen Vorkaufsrecht jedenfalls dann vor, wenn letzteres - wie hier - bei Überlassung der Wohnung noch nicht bestanden habe. Auf die zeitliche Reihenfolge der Ausübung der Vorkaufsrechte komme es nicht an. Der Mieter habe das Vorkaufsrecht fristgerecht ausgeübt. Mangels Kaufvertrags zwischen der Klägerin und dem Beklagten seien auch die weiteren geltend gemachten Ansprüche hinsichtlich der Wohnung nicht gegeben.

II.

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Auflassung nicht verneint werden.

1. Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass sich ein Anspruch der Klägerin auf Auflassung des Wohnungseigentums nur aus einem durch die Ausübung des dinglichen Vorkaufsrechts zwischen ihr und dem Beklagten zustande gekommenen Kaufvertrag (i.V.m. § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB) ergeben kann. Richtig ist auch, dass das Zustandekommen eines solchen Kaufvertrags voraussetzt, dass - wovon das Berufungsgericht offenbar ausgeht und was jedenfalls für die Revisionsinstanz zu unterstellen ist - die Klägerin ihr Vorkaufsrecht wirksam ausgeübt hat und dass das dingliche Vorkaufsrecht der Klägerin gegenüber dem gesetzlichen Vorkaufsrecht des Mieters Vorrang genießt. Dann käme die Klägerin in den Genuss der Vormerkungswirkung nach § 1098 Abs. 2 BGB i.V.m. § 883 Abs. 2, § 888 BGB und wäre die zugunsten des Mieters vorgenommene Verfügung des Beklagten ihr gegenüber unwirksam (vgl. Senat, Beschluss vom 27. April 2023 - V ZB 58/22, NJW-RR 2023, 863 Rn. 37). Die zu Unrecht erfolgte (vgl. Senat, Beschluss vom 27. April 2023 - V ZB 58/22, aaO Rn. 7 ff., 37) Löschung des Vorkaufsrechts hätte die Vormerkungswirkung nicht beseitigt (vgl. Senat, Urteil vom 15. Dezember 1972 - V ZR 76/71, BGHZ 60, 46 zur Auflassungsvormerkung; Grüneberg/Herrler, BGB, 83. Aufl., § 883 Rn. 19 aE). Die Klägerin könnte von dem Beklagten weiterhin die Auflassung des Wohnungseigentums Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises verlangen. Dieser wäre aufgrund der relativen Unwirksamkeit der Veräußerung an den Dritten auch in der Lage, den Anspruch zu erfüllen und der Klägerin das Eigentum zu verschaffen.

2. Rechtsfehlerhaft ist aber die Annahme des Berufungsgerichts, diese Voraussetzungen lägen nicht vor, weil das Vorkaufsrecht des Mieters gegenüber dem dinglichen Vorkaufsrecht der Klägerin Vorrang genieße.

a) Wie der Senat zwischenzeitlich in einem zwischen der hiesigen Klägerin und dem Mieter als Beteiligten geführten Rechtsbeschwerdeverfahren entschieden hat (Beschluss vom 27. April 2023 - V ZB 58/22, NJW-RR 2023, 863), genießt das dingliche Vorkaufsrecht jedenfalls dann Vorrang vor dem Vorkaufsrecht des Mieters, wenn es von dem Eigentümer zu Gunsten eines Familienangehörigen i.S.v. § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB bestellt wurde. So liegt es hier, denn Eheleute sind auch dann als Familienangehörige im Sinne dieser Regelung anzusehen, wenn sie geschieden sind (Senat, Beschluss vom 27. April 2023 - V ZB 58/22, aaO Rn. 31 mwN).

b) Soweit die Revisionserwiderung mit dem Berufungsgericht der Ansicht ist, das für den Familienangehörigen bestellte dingliche Vorkaufsrecht könne jedenfalls dann keinen Vorrang vor dem gesetzlichen Vorkaufsrecht des Mieters haben, wenn es - wie hier - bei Überlassung der Wohnung an den Mieter noch nicht bestanden habe, trifft dies ebenso wenig zu wie die Annahme der Revisionserwiderung, der Senat habe diese Frage noch nicht entschieden. Der Beschluss des Senats vom 27. April 2023, der keine Einschränkung hinsichtlich der zeitlichen Reihenfolge enthält, ist just zu dem auch in diesem Verfahren gegenständlichen Sachverhalt ergangen, und ihm lässt sich zweifelsfrei entnehmen, dass der Vorrang des dinglichen Vorkaufsrechts des Familienangehörigen auch dann gilt, wenn dieses erst nach Überlassung der Wohnung an den Mieter bestellt wurde. Der Senat begründet die Vorrangigkeit des für den Familienangehörigen bestellten dinglichen Vorkaufsrechts nämlich mit dem gesetzgeberischen Regelungskonzept in § 577 BGB und der wertungsmäßigen Gleichstellung des Verkaufs der an den Mieter überlassenen Wohnung durch den Vermieter an eine ihm nahestehende Person mit der Bestellung eines Vorkaufsrechts für eine solche Person (vgl. Senat, Beschluss vom 27. April 2023 - V ZB 58/22, NJW-RR 2023, 863 Rn. 34 f.). Wenn der Vermieter das Wohnungseigentum auch nach Überlassung der Wohnung an den Mieter direkt an den Familienangehörigen verkaufen könnte, ohne dass der Mieter zum Vorkauf berechtigt wäre, ist nicht ersichtlich, warum das Mietervorkaufsrecht Vorrang gegenüber einem nach Überlassung der Wohnung an den Mieter für einen Familienangehörigen bestellten dinglichen Vorkaufsrecht haben sollte (vgl. Senat, Beschluss vom 27. April 2023 - V ZB 58/22, aaO Rn. 35). Für die Annahme, der Senat habe sich mit dieser Konstellation nicht befasst, ist somit kein Raum.

III.

1. Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil noch weitere Feststellungen zu treffen sind. Mangels Entscheidungsreife ist die Sache daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

2. Das Berufungsgericht wird nunmehr die Voraussetzungen des Auflassungsanspruchs zu prüfen und sich dann gegebenenfalls auch mit den weiteren Klageanträgen zu befassen haben, die es bislang - aus seiner Sicht folgerichtig - schon mangels Zustandekommen eines Kaufvertrags zwischen den Parteien als unbegründet angesehen hat.


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