Freitag, 24. Januar 2025

Videoüberwachung bei gestörten Nachbarschaftsverhältnis

Die Einbrüche in Wohnungen und Einfamilienhäuser häufen sich, weshalb auch immer mehr Eigentümer dazu übergehen, ihre Wohnung oder ihr Haus durch Videoanlagen überwachen zu lassen. Allerdings ist dies problematisch, wie das Urteil des AG Gelnhausen – unter Bezugnahme auf anderweitige Entscheidungen – belegt. Der Verfügungskläger hatte beantragt, dass eine  Videoüberwachungskamera am Nachbarhaus so betrieben werden müsse, dass Geschehnisse auf dem Grundstück des Verfügungsklägers nicht erfasst und entsprechende Aufnahmen künftighin unterlassen würden.

Das Amtsgericht (AG) sah den Antrag als nach §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB begründet an. Dabei sei unerheblich, ob das Haus des Verfügungsklägers bereits bewohnt würde. Da diese Eigentümer seien, läge der Anspruchsgrund bereits in ihrer Person. Es läge eine nicht gerechtfertigte Verletzung deren allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor, welches über §§ 1004 Abs. 1, 823 BGB geschützt sei und den Antrag begründe. Es käme auch nicht darauf an, ob die Kamera das Grundstück der Verfügungskläger erfassen könne oder nicht.

Ausreichend für den Unterlassungsanspruch sei, dass ein sogenannter Überwachungsdruck erzeugt würde (z.B. LG Hamburg, Urteil vom 18.01.2018 - - 304 O 69/17 -; OLG Köln, Urteil vom 22.09.2016 - - I-15 U 33/16 -; für Nachbarrecht AG Brandenburg, Urteil vom 22.01.2016  - 31 C 118/14 -; für Mietrecht LG Berlin, Urteil vom 28.10.2015 - 67 S 82/15 -; für Wohnungseigentum AG Bergisch Gladbach, Urteil vom 03.09.2015 - 70 C 17/15 -). Erforderlich sei, dass dritte Personen eine Überwachung ernsthaft befürchten müssten, was dann der Fall sei, wenn eine Überwachung aufgrund konkreter Umstände nachvollziehbar und verständlich wäre. Dafür sei bereits ein angespanntes Nachbarschaftsverhältnis ausreichend und dass die Kamera mittels eines nach außen nicht wahrnehmbaren elektronischen Steuerungsmechanismus auf das Nachbargrundstück ausgerichtet werden könne. Der Überwachungsdruck könne nur dann ausscheiden, wenn der Winkel der Kamera nur mit erheblichen und sichtbaren Aufwand auf das Nachbargrundstück gerichtet werden könne (BGH, Urteil vom 16.03.2010 - VI ZR 176/09 -). Der elektronische Sicherungsmechanismus sei hier unstreitig.

Das AG nahm eine Interessensabwägung vor und negierte ein überwiegendes Interesse des Verfügungsbeklagten an solchen Videoaufnahmen. Es sei zwar ein legitimes Interesse der Verfügungsklägers, sein Eigentum zu schützen. Dieser Schutzzweck gehe aber mit einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Verfügungsklägers einher. Es müsse in Ansehung des bereits deutlich angespannten Nachbarschaftsverhältnisses eine weitere Eskalation verhindert werden. Die Verfügungskläger hätten die Möglichkeit, Videoaufzeichnungen ihres Eigentums nach den Grundsätzen des Urteils des BGH aaO. durchzuführen.

Anmerkung: Der Verweis auf das Urteil des BGH zur möglichen Durchführung einer Installation ist nicht weitergehend als die Ausführungen in dem Urteil des BGH. Es müsse sichergestellt werden, dass weder der angrenzende öffentliche Bereich noch benachbarte Privatgrundstücke oder der gemeinsame Zugang zu diesen von der Kamera erfasst wird.

AG Gelnhausen, Urteil vom 04.03.2024 - 52 C 76/14 -


Aus den Gründen:

Tenor

1. Der Verfügungsbeklagten wird aufgegeben, die auf ihrem Grundstück ... in ... installierte Kamera so zu betreiben, dass diese Geschehnisse auf dem Grundstück des Antragstellers ... nicht erfasst und entsprechende Aufnahmen in Zukunft zu unterlassen.

2. Der Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Unterlassungsverpflichtung ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Verfügungsbeklagte.

Beschluss

Der Streitwert wird festgesetzt auf 3.000,- €.

Tatbestand

Der Verfügungskläger begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung die Unterlassung von Videoaufzeichnungen.

Der Verfügungskläger ist Eigentümer des Grundstücks ... in ...die Verfügungsbeklagte Eigentümerin des benachbarten Grundstücks ... in .... Auf dem Grundstück des Verfügungsklägers befindet sich ein Mehrfamilienhaus mit Mietwohnungen, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob diese Wohnungen bereits vermietet sind. Zwischen den Parteien besteht ein seit Jahren angespanntes Nachbarschaftsverhältnis, was seine Grundlage insbesondere in einem Bauvorhaben des Verfügungsklägers und der damit einhergehenden Nutzung des Grundstücks der Verfügungsbeklagten hat. Jedenfalls seit nach Weihnachten 2023 ist unter einem Balkon des auf dem Grundstück der Verfügungsbeklagten stehenden Hauses eine Kamera installiert, die teilweise von den Balkonen des Hauses auf dem Grundstück des Verfügungsklägers sichtbar ist, wobei streitig ist, inwiefern die Kamera dazu in der Lage ist, das Grundstück des Verfügungsklägers tatsächlich zu erfassen. Die Kamera besitzt einen elektronischen Steuerungsmechanismus dergestalt, dass sie in der Lage ist, selbstständig Personen nachzuverfolgen, wobei auch hier der genaue Umfang der Nachverfolgungsfunktion streitig ist. Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.12.2023 forderte der Verfügungskläger die Verfügungsbeklagte auf, die Störung zu unterlassen. Mit Schreiben vom 29.12.2023 ließ die Antragsgegnerin mitteilen, eine Kamera mit Ausrichtung auf das Gebäude des Antragstellers nicht zu verwenden.

Der Verfügungskläger beantragt,

der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, die auf ihrem Grundstück ... in ... installierte Kamera so zu betreiben, dass diese Geschehnisse auf dem Grundstück des Antragstellers ... in ... nicht erfasst und entsprechende Aufnahmen in Zukunft zu unterlassen;

der Antragsgegnerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Unterlassungsverpflichtung ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anzudrohen.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässigen Anträge sind begründet.

I.

Der Verfügungskläger hat gegen die Verfügungsbeklagte einen Anspruch auf die im Tenor bezeichneten Maßnahmen aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB.

Unerheblich ist, ob in dem Haus des Verfügungsklägers tatsächlich bereits Mieter wohnen. Unstreitig steht dieses im Eigentum des Verfügungsklägers, so dass der Anspruchsgrund bereits in seiner Person selbst liegt. Unabhängig davon ist das Gericht aufgrund der vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der Mieter des Verfügungsklägers davon überzeugt, dass jedenfalls seit Mitte Dezember 2023 Mieter in dem Objekt wohnen.

Der Anspruch des Verfügungsklägers ist in einer nicht gerechtfertigten Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründet, das über §§ 1004 Abs. 1, 823 BGB zu dem im Tenor bezeichneten Anspruch führt.

Soweit zwischen den Parteien streitig ist, ob die Kamera das Grundstück des Klägers erfassen kann oder nicht, kommt es hierauf entscheidungserheblich nicht an.

Nach ständiger Rechtsprechung ist es erforderlich, für einen Unterlassungsanspruch aber auch ausreichend, dass ein sog. Überwachungsdruck erzeugt wird (vgl. hierzu LG Hamburg ZD 2018, 491; OLG Köln NJW 2017, 835; LG Bonn, NJW-RR 2005, 1067; LG Darmstadt, NZM 2000, 360; AG Winsen/Luhe, Urt. v. 30.12.2005 - 16 C 1642/05, BeckRS 2010, 11190; vgl. weiter für das Nachbarrecht AG Brandenburg, ZD 2016, 380; für das Mietrecht LG Berlin, ZD 2016, 189; für das Wohnungseigentumsrecht AG Bergisch Gladbach, NJW 2015, 3729). Maßstab ist, dass dritte Personen eine Überwachung durch die Kamera ernsthaft objektiv befürchten müssen. Dies ist immer bereits dann erfüllt, wenn die Befürchtung einer Überwachung durch vorhandene Kameras aufgrund konkreter Umstände nachvollziehbar und verständlich erscheint. Dafür ist bereits ausreichend, dass ein angespanntes Nachbarschaftsverhältnis besteht und die Kamera eines mittels nach außen nicht wahrnehmbaren elektronischen Steuerungsmechanismus auf das Grundstück des Nachbarn ausgerichtet werden kann. Es kommt dabei lediglich darauf an, dass die Kamera eine solche Funktion besitzt. Ob sie angewendet wird, ist unerheblich. Ein Überwachungsdruck kann nur dann ausscheiden, wenn der Winkel der Kamera nur mit erheblichem und sichtbarem manuellen Aufwand, also eben nicht durch einen elektronischen Steuerungsmechanismus, auf das Nachbargrundstück gerichtet werden kann (BGH NJW 2010, 1533). Dass die Kamera einen elektronischen Steuerungsmechanismus hat, ist zwischen den Parteien allerdings unstreitig. Im Übrigen konnte der Verfügungskläger durch die zur Akte gereichten Lichtbilder auch hinreichend glaubhaft machen, dass die Kamera sich selbstständig drehen kann und das Grundstück des Verfügungsklägers erfassen kann. So zeigt das Lichtbild Anlage AS 7 eindeutig die Balkonbrüstung des benachbarten Hauses, zudem aber ebenso eindeutig die vollständige Kamera.

Ein überwiegendes Interesse der Verfügungsbeklagten an solchen Videoaufnahmen ist nicht erkennbar. Dass die Verfügungsbeklagte ihr Eigentum schützen will, stellt zwar durchaus ein legitimes Interesse dar. Vorliegend geht dieser Zweck aber mit einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Verfügungsklägers einher. In Anbetracht des ohnehin schon deutlich angespannten Nachbarschaftsverhältnisses muss ein Anlass für eine weitere Eskalation verhindert werden. Die Verfügungsbeklagte hat die Möglichkeit, eine Videoaufzeichnung ihres Eigentums anhand der Grundsätze des zitierten Urteils des BGH durchzuführen. Sofern die Videoaufzeichnung aber erfolgt wie in diesem Fall, ist dies unzulässig.

Die Androhung von Zwangsgeld hat ihre Grundlage in § 890 Abs. 2 ZPO. Der Antrag ist auch in der gestellten Form begründet. Der Verfügungsbeklagten kann nicht aufgegeben werden, jegliche Kameraüberwachung ihres Grundstücks in aller Zukunft zu unterlassen, allerdings solche, die geeignet ist, das Grundstück des Verfügungsklägers zu erfassen.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Einer Tenorierung der vorläufigen Vollstreckbarkeit bedurfte es nicht, da sich diese aus dem Wesen der einstweiligen Verfügung selbst ergibt, § 929 ZPO.





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