Der Kläger wollte mit seinem Fahrzeug vom Parkplatz eines Discounters auf die Straße fahren, wo er mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1. kollidierte, indem er gegen dessen rechte Seite fuhr. Zur rechten Seite (aus Sicht des Klägers) der Ein- und Ausfahrt des Parkplatzes befand sich eine Fußgängerampel. Nach Behauptung des Klägers habe der Beklagte diese Ampel bei Rotlicht passiert. Das Landgericht wies die Schadensersatzklage ab. Die Berufung gegen das Urteil wies das OLG zurück.
Das OLG geht nicht von einer Unabwendbarkeit des Verkehrsunfalls für die Beklagtenseite aus, § 17 Abs. 3 StVG. Bei einem Verkehrsunfall zweier Kraftfahrzeuge sei im Rahmen der erforderlichen Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden sei, wobei unter Berücksichtigung der von den Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen seien. Dabei habe jeder Halter die Umstände zu bewiesen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Abs. 1 u. 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten wolle (BGH, Urteil vom 13.02.1996 - VI ZR 126/95 -).
Das OLG stellte auf § 10 StVO ab. Diese Norm verlange von demjenigen, der aus einem Grundstück, einer Fußgängerzone oder einem verkehrsberuhigten Bereich auf die Straße oder von anderen Straßenteilen oder über einen abgesenkten Bordstein auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren wolle, sich dabei so zu verhalten habe, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei, andernfalls ggf. ein Einweiser erforderlich sei (erhöhte Sorgfaltspflicht). Käme es im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Ein- oder Ausfahren zu einem Verkehrsunfall spreche zudem der Beweis des ersten Anscheins für einen unfallursächlichen Verstoß des Ein-/Ausfahrenden iSv. § 10 StVO (OLG Hamm, Urteil vom 02.03.2018 – I-9 U 54/17 -).
Die Ampel habe nicht den ein- aus ausfahrenden verkehr des Parkplatzes geregelt, sondern habe nur dem Fußgängerverkehr gedient. Der Kläger sei vom Parkplatz auf die bevorrechtigte Straße gefahren. Damit käme es nicht darauf an, ob die rechts von der Ausfahrt stehende Ampel durch Rotlicht die die Weiterfahrt doch für den Verkehr auf der Straße sperrte. Das Vertrauen darauf, dass Fahrzeuge an der Fußgängerampel anhalten würden, entbinde den Einfahrenden nicht von der erhöhten Sorgfaltspflicht nach § 10 StVO (OLG Hamm, Urteil vom 16.02.2016 – 9 U 108/15 -).
Auf Beklagtenseite habe kein Sorgfaltsverstoß vorgelegen; insbesondere sei nicht klägerseits nachgewiesen worden, dass der Beklagtenfahrer bei Rotlicht über die Fußgängerampel gefahren sei. Damit sei eine Unabwendbarkeit des Verkehrsunfalls für ihn gegeben (Anm.: andernfalls hätte er sich im Rahmen der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs den Verkehrsverstoß zurechnen zu lassen, wobei im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen wäre, dass das Rotlicht der Fußgängerampel nicht dem Schutz des einfahrenden Verkehrs dient, s.o., und mithin der Verstoß des Klägers gegen § 10 StVO im Rahmen der Haftungsabwägung schwerer wiegen würde).
Schleswig-Holsteinisches
Oberlandesgericht, Urteil vom 14.02.2023 - 7 U 63/22 -