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Dienstag, 8. Oktober 2019

Kritik auf Facebook an Politikern (hier Künast): Was ist (noch) von Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gedeckt ?


Wer verteilt muss auch einstecken können – so etwa könnte man die Entscheidung des LG Berlin zusammenfassen, mit der es den Antrag der Grünen Bundestagsabgeordneten Renata Künast auf Zulassung der Auskunft über Bestandsdaten zu bestimmten Seiten auf Facebook gegen deren Betreiber zurückwies.

Ausgangspunkt war ein Post auf Facebook, der auf einen Artikel in der Welt vom 24.05.2015 über Künast („…Politikerin … gerät in Erklärungsnot“) verwies, in welchem im Hinblick auf einen Bericht der „Kommission zur Aufarbeitung der Haltung des Landesverbandes Berlin … zu Pädophilie und sexualisierter Gewalt gegen Kinder“ sowie einer darin benannten Äußerung von Künast während einer Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus 1986 ausgeführt wurde:

„Während eine grüne Abgeordnete über häusliche Gewalt spricht, stellt ein CDU Abgeordneter die Zwischenfrage, wie die Rednerin zu einem Beschluss der Grünen in Nordrhein-Westfalen stehe, die Strafandrohung wegen sexueller Handlungen an Kindern solle aufgehoben werden. Doch statt der Rednerin ruft, laut Protokoll, X (Anm.: Künast) dazwischen: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist.“ Klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt okay ?“

In dem Post soll der Verfasser nach den landgerichtlichen Entscheidungsgründen daraus neben einem Bild der antragstellenden Politikern die Aussage   Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut  jetzt.“ gebildet haben.

Die Antragstellerin bestritt nach den Entscheidungsgründen, dass sie Geschlechtsverkehr zwischen Kindern und Erwachsenen billigen würde, solange keine Gewalt im Spiel sei. Sie habe nie Geschlechtsverkehr mit Kindern (mit oder ohne Gewalt) befürwortet, vielmehr mit dem Zwischenruf nur darauf aufmerksam machen wollen, dass der falsche und pauschale Vorwurf in der stattfindenden Debatte im Abgeordnetenhaus keine Bewandtnis habe, da es bei Beschluss der Grünen in Nordrhein-Westfalen um Gewaltfreiheit gegangen sei. Weiterhin machte sie geltend, dass es sich bei bestimmten verwandten Begriffen um Beleidigungen gehandelt habe.

Das Landgericht stellte demgegenüber darauf ab, dass es sich bei den von der Antragstellerin beanstandeten Tweets um zulässige Meinungsäußerungen handeln würde, die dem Ersuchen auf Gestattung einer Auskunft entgegen stehen würden, § 14 Abs. 3 TMG iVm. § 3 Abs. 3 NetzDG. Es müsste der Tatbestand bestimmter strafrechtlicher Normen erfüllt sein und zudem dürften die Inhalte nicht gerechtfertigt sein.

Bei den beanstandeten Äußerungen würde es sich um Meinungsäußerungen, nicht um Tatsachenbehauptungen handeln. Eine Tatsachenbehauptung läge nur vor, wenn sie mit den Mitteln des Beweises überprüfbar sei. Danach könne auch eine Äußerung, die auf Werturteilen beruhe, eine Tatsachenbehauptung sein, wenn durch sie bei dem Adressaten der Eindruck eines konkreten, lediglich in einer Wertung eingekleideten Vorgangs entstünde. Würden Tatsachenbehauptung und Wertung zusammenwirken, sei der Text grundsätzlich insgesamt von der Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG (Meinungsfreiheit) erfasst. Würde die Äußerung im Rahmen der Vermengung von Tatsachen und Meinung geprägt durch eine Stellungnahme, eines Dafürhaltens oder Meinens, sei sie als Werturteil und Meinungsäußerung insgesamt vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung  geschützt, ohne dass eine isolierte Betrachtung stattfinden dürfe (BGH, Urteil vom 30.01.1996 - VI ZR 386/94 -).

Der Einfluss des Grundrechts würde verkannt, wenn der Äußerung ein Sinn gegeben würde, den sie objektiv nicht habe oder wenn ihr bei mehreren möglichen Deutungen eine Auslegung gegeben werde, ohne die anderen möglichen Auslegungen überzeugend auszuschließen. Verkannt würde das Grundrecht auch, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft würde, mit der Folge, dass sie am Grundrechtsschutz nicht teilnehmen würde (BVerfG, Beschluss vom 09.10.1991 - 1 BvR 1555/88 -). Stünde die Äußerung im Zusammenhang mit einer Sachauseinandersetzung, könne nicht von Schmähung ausgegangen werden. Das gelte allenfalls dann nicht, wenn der diffamierende Gehalt so erheblich sei, dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang nur als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheine, was z.B. bei Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter - etwa aus der Fäkalsprache – der Fall sein könnte( BVerfG, Beschluss vom 05.12.2008 - 1 BvR 1318/07 -). Allerdings bleibe dies grundsätzlich auf die Privatfehde beschränkt; bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage liege Schmähkritik nur ausnahmsweise vor.

Die von der Antragstellerin angegriffenen Äußerungen seien Reaktionen auf den Post eines Dritten auf Facebook (deren Betreiberin die Antragsgegnerin ist) gewesen. Der Post würde den Einwurf der Antragstellerin zitieren und so würdigen, wie er von der Öffentlichkeit wahrgenommen würde. Auch wenn die Antragstellerin ihren Einwurf anders verstanden wissen will, würde er doch von der Öffentlichkeit als Zustimmung zu dem benannten Gesetzesentwurf der Grünen im Landtag von NRW verstanden. Wenn aber die Ausübung von Sex mit Kindern nur noch unter Strafe gestellt werden solle, wenn Gewalt im Spiel sei, hieße dies zum einen, dass es gewaltfreien Sex mit Kindern gäbe, zum anderen, dass er ohne Ausübung von körperlicher oder psychischer Gewalt toleriert würde. Nichts anderes würde in dem Post im zweiten Halbsatz („ist Sex mit Kindern doch ganz ok“) zum Ausdruck gebracht.

Die Reaktionen auf diesen Post seien zulässige Meinungsäußerungen. Sie seien zwar teilweise sehr polemisch und überspitzt und zudem sexistisch. Die Antragstellerin, die jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Entscheidung keine öffentliche Berichtigung oder Klarstellung vorgenommen habe, habe sich aber mit ihrem Zwischenruf zu einer die Öffentlichkeit in ganz erheblichem Maße berührenden Frage geäußert und damit den Widerstand der Bevölkerung provoziert. Zudem müssten Politiker in stärkerem Maße Kritik hinnehmen als Privatpersonen (OLG Köln, Urteil vom 09.12.2014 - 15 U 148/14 -). Da damit alle Kommentare einen Sachbezug hätten, würden sie keine Diffamierung und damit keine Beleidigung nach § 185 BGB darstellen. Das gelte so für
  •           eine in ein Bild von Starwars eingefügte Äußerung „Knatter sie doch mal einer so wichtig durch, bis sie wieder normal wird!“ (das sei zwar geschmacklos, jedoch eine mit dem Stilmittel der Polemik angewandte sachliche Kritik, bei der es nicht um die Diffamierung der Person gehen würde und die Antragstellerin würde auch nicht zum Gegenstand sexueller Fantasien gemacht)

  •           die Äußerung „Wurde diese „Dame“ vielleicht als Kind ein wenig viel gef… und hat dabei etwas von ihrem Verstand eingebüßt….“ (dies sei polemisch und überspitzt aber nicht unzulässig; dass die Äußerung sexualisiert sei, sei das Spiegelbild der Sexualisiertheit des Themas)

  •           die Bezeichnung „Pädophilen-Trulla“ (dies sei keine Beleidigung iSv. § 185 StGB)

  •           die Äußerungen „Dachschaden“ und „hohl wie Schnittlauch“ (sie stünden im Kotext und würden keine Diffamierung der Antragstellerin darstellen)

  •           die Äußerung „Pfui du altes …s Dreckschwein“ (im Zusammenhang mit dem Zwischenruf würde sich dies nicht als Diffamierung oder Beleidigung iSv. § 185 StGB  darstellen)

  •           die Bezeichnung der Antragstellerin als krank (dies würde eine Meinungsäußerung darstellen)

  •         die Bezeichnung als „Schlampe“ (ebenfalls abzielend auf eine Auseinandersetzung in der Sache)

  •           die Bezeichnung „Drecks Fotze“ (hier sei zwar die Grenze dies noch hinnehmbaren gegeben; da die Antragstellerin aber selbst im sexuellen Bereich in die Öffentlichkeit gegangen sei und aus Sicht der Öffentlichkeit von ihr die nicht kritisierte Entpönalisierung des gewaltfreien Geschlechtsverkehrs mit Minderjährigen mit Kindern erhebliches Empörungspotential in der Bevölkerung habe, müsse sich die Antragstellerin auch diese weit überzogene Kritik gefallen lassen).

Anmerkung: Die Abgrenzung von (Formal-) Beleidigung und Schmähkritik zu (noch) zulässiger Meinungsäußerung ist im Einzelfall schwierig. Richtig hat das Landgericht vom Ansatz her getrennt zwischen einer rein privaten Fehde und einer Auseinandersetzung mit einer öffentlich interessierenden Frage, wobei sicherlich auch beachtlich ist, dass sich hier zunächst die Antragstellerin selbst äußerte und ihre Äußerung dann Gegenstand der weiteren, von ihr beanstandeten Tweets war. Wer, wie hier die Antragstellerin, im öffentlichen Leben steht, muss (zumal bei Bundestagsdebatten) hinnehmen, dass eventuell unbedachte Bemerkungen oder auch nur entsprechende Zwischenrufe Gegenstand einer Auslegung sind, die nicht notwendig dem entsprechen müssen, was tatsächlich gemeint war; es wäre an der Antragstellerin gewesen, statt evtl. unbedacht einen Zwischenruf zu machen (von dessen Auslegung sie sich nicht einmal öffentlich distanzierte), zunächst die gewählten Worte in ihrer Tragweite zu überdenken und erst dann auszusprechen. Wenn als Reaktion auf die (jedenfalls mögliche) Auslegung der Äußerung eines Politikers eine teils „überzeichnende“ Kritik erfolgt, die vom Grundsatz her für sich auch Schmähungen und Formalbeleidigungen enthält, so ist bei der Wertung richtigerweise (wie vom LG Berlin angenommen) auf den Kontext abzustellen: Ist die Kritik ausgerichtet auf die Äußerung, ist eine zulässige Meinungsäußerung solange anzunehmen, solange sie noch den Kernbereich der angegriffenen Äußerung betrifft und nicht darüber hinaus geht. Hier liegt die Schwierigkeit der (tatrichterlichen) Würdigung. 

LG Berlin, Beschluss vom 19.09.2019 - 27 AR 17/19 -