Die Klägerin war geistig
behindert und litt am Prader-Willi-Syndrom sowie einer insulinpflichtigen
Zuckerkrankheit. Sie wohnte in einem Wohnheim für geistig behinderte Menschen,
deren Trägerin die Beklagte war. Am 19.04.2013
bat die Klägerin eine Betreuerin um die ihr, wie in der Vergangenheit, dann
erteilte Erlaubnis, ein Bad zu nehmen. Die Klägerin ließ in einer Badewanne
Wasser mittels eines Einhebelmischers ohne Begrenzung der Heißwassertemperatur ein. Anders als in den
früheren Fällen führte die von ihr gewählte Einstellung aber dazu, dass das
ausströmende Wasser derart heiß war, dass sie schwerste Verbrühungen an den
Füßen und Unterschenkeln erlitt. Sie schrie laut und konnte sich selbst aus der
Situation nicht befreien, was erst gelang, als ein anderer (behinderter) Heimbewohner
das Wasser abließ und eine Pflegekraft rief. Als Folge war die Klägerin u.a. nicht
mehr gehfähig du auf einen Rollstuhl angewiesen.
Die Klage wurde abgewiesen und
die gegen das klageabweisende Urteil gerichtete Berufung zurückgewiesen. Auf
die Revision wurde die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und der
Rechtstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
zurückverwiesen.
Durch den Heimvertrag seien Obhutspflichten
der Beklagten gemäß § 241 Abs. 2 BGB zum Schutze der körperlichen
Unversehrtheit der ihr anvertrauten Klägerin begründet worden und es habe eine
inhaltsgleiche allgemeine Verkehrssicherungspflicht der Bewohner vor
Schädigungen bestanden, die ihnen wegen Krankheit oder sonstiger körperlicher
oder geistiger Einschränkungen durch sie selbst oder durch die Einrichtung und
bauliche Gestaltung des Heims drohten. Eine schuldhafte Verletzung begründe
sowohl Schadensersatzansprüche wegen vertraglicher Pflichtverletzung (§ 280
Abs. 1 BGB) als auch korrespondierend damit deliktische Ansprüche aus §§ 823,
831 BGB. Die entsprechenden Pflichten des Trägers des Heimes seien auf die in
vergleichbaren Heimen üblichen (gebotenen) Maßnahmen begrenzt, wobei Maßstab
das Erforderliche und das für die Heimbewohner und Pflegepersonal Zumutbare sei.
Zu beachten sei, dass beim Wohnen im Heim die Würde sowie die Interessen und
Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die
Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner
zu wahren und auch zu fördern sei (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HeimG).
Der konkrete Inhalt der
Verpflichtung, einerseits die Menschenwürde und das Freiheitsrecht eines
körperlich oder geistig behinderten Heimbewohners zu achten und andererseits
seine körperliche Unversehrtheit zu schützen, müsse an Hand der Umstände des
konkreten Einzelfalls entschieden werden. DIN-Normen, die für bestimmte
Gefahrenlagen technische Regelungen enthalten würden, seien im Einzelfall zur
Konkretisierung der Pflichten des Heimträgers zu berücksichtigen. Zwar hätten
DIN-Normen keine normative Geltung sondern als solche nur Empfehlungscharakter,
wobei sie die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben könnten, aber auch hinter
diesen zurückbleiben könnten. Doch würden sie die widerlegbare Vermutung begründen,
den Stand der allgemein gültigen Technik wiederzugeben, weshalb sie zur Feststellung von Inhalt und Umfang von
Verkehrssicherungspflichten herangezogen werden könnten, auch außerhalb ihres
unmittelbaren Anwendungsbereichs. Jeweils habe aber der
Verkehrssicherungspflichtige eigenverantwortlich di erforderliche Maßnahme zu prüfen
und dürfe nicht die Norm unbesehen umsetzen. Die Zumutbarkeit von
Sicherungsvorkehrungen sei dabei unter Abwägung der Wahrscheinlichkeit der
Gefahrverwirklichung, möglichen Schadensfolgen und des mit ihnen verbundenen
Aufwandes vorzunehmen. Damit könne ein Heimbewohner erwarten, dass der
Heimträger ihn vor einer in einer DIN-Norm beschriebenen Gefahrenlage schützt,
wenn er selbst auf Grund körperlicher oder geistiger Einschränkungen dazu nicht
in der Lage sei. Der Heimträger müsse in diesem Fall entweder die Empfehlung
der DIN-Norm umsetzen oder aber die entsprechende Sicherheit auf andere Art
gewährleisten.
Vorliegend sei die DIN EN 806-2 (Technische
Regelungen für Trinkwasser-Installationen) einschlägig, wonach die Anlagen für
erwärmtes Trinkwasser so zu gestalten seien, dass das Risiko von Verbrühungen
gering sei. Der Umstand, dass die Klägerin in der Vergangenheit beim Baden
nicht habe beaufsichtigt werden müssen und es auch keiner Kontrolle der
Temperatur des einlaufenden Wassers bedurft habe würde hier die Haftung nicht
entfallen lassen.
Nicht nur habe es das Berufungsgericht
unterlassen Feststellungen dazu zu treffen, ob in vergleichbaren Heimen eine
Installation zur Temperaturbegrenzung oder ein gleichwertiger Verbrühungsschutz
zum üblichen Standard gehört (dafür würden viele veröffentlichte Entscheidungen
sprechen). Jedenfalls aber ergäbe sich aus der DIN-Norm, dass eine Begrenzung
der Temperatur auf 43° C empfohlen wird (hier soll es sich um eine Temperatur
von ca. 60° C gehandelt haben). Auch wenn die DIN-Norm noch nicht zum Zeitpunkt
der Erstellung der Anlage gegolten hat und selbst keine Nachrüstung vorsehe, sei
sie durch ihren Hinweis auf die allgemeine Gefahrenlage beachtlich und benenne
auch ausdrücklich als schutzbedürftigen Benutzerkreis „Krankenhäuser, Schulen,
Seniorenheime usw.“. Daraus ergäbe sich, dass diese Norm auch (nachträglich) in
dem Heim der Beklagten zu berücksichtigen gewesen sei, in dem Personen leben,
die trotz eines gewissen Grades an Selbständigkeit (anders als in einem
Pflegeheim) zu einem eigenständigen Leben ohne Betreuung nicht in der Lage
seien.
Die Wasserinstallation habe keine
Temperaturbegrenzung gehabt und betrug – entsprechend der Empfehlung zur Vermeidung
von Legionellen – ca. 60° C, mithin so heiß, dass es binnen kürzester Zeit zu
schwerwiegenden Verbrühungen habe kommen können. Es spräche vieles dafür, dass
die Klägerin dies nicht rechtzeitig habe erkennen können, wogegen nicht
spräche, dass in der Vergangenheit nichts geschehen sei. Es sei hier, mangels
Feststellungen des Berufungsgerichts dazu, davon auszugehen, dass eine geistige
Behinderung (Gen-Defekt) bei der Klägerin vorläge, wonach sie auf unerwartete
Situationen nicht adäquat reagieren könne.
Da die Beklagte bzw. ihr Personal
die Behinderung der Klägerin bekannt gewesen sei, läge Fahrlässigkeit nach §
276 Abs. 2 BGB (iVm. § 278 S. 1 BGB bzw. § 831 BGB) vor.
BGH, Urteil vom 22.08.2019 - III ZR 113/18 -