Donnerstag, 13. Juni 2019

Ergänzungspflegschaft bei Abschluss eines Vertrages für minderjährige Kinder ?


Die Beteiligte zu 2. war zusammen mit ihren 2007 und 2011 geborenen Kindern Alleinerbin Ihres ehedem als Landwirt tätigen Ehemannes und wollte ein landwirtschaftlich genutztes Grundstück langfristig verpachten, wozu sie die Genehmigung des Familiengerichts im Hinblick auf die Beteiligung ihrer Kinder beantragte. Ohne vorherige Anhörung der Beteiligten zu 2. bestellte das Amtsgericht (Familiengericht) für die Vertretung der Kinder bei der Eingehung des Pachtvertrages die Beteiligte zu 1. (eine Rechtsanwältin) als Ergänzungspflegerin. Die dagegen von der Beteiligten zu 1. Eingelegte Beschwerde wurde vom OLG zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss wandte sich die Beteiligte mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, die erfolgreich war.

Vorliegend geht es um die Frage, wann eine Ergänzungspflegschaft bei Vornahme von Rechtsgeschäfte (zwingend) anzuordnen ist. Liegt ein solcher Grund nicht vor, darf auch die (mit zusätzlichen Kosten für die Beteiligte zu 1. verbundene) Ergänzungspflegschaft nicht angeordnet werden. Letztlich stellt sich die Bestellung des Ergänzungspflegers als (teilwiese) Entziehung der gesetzlichen Vertretungsmacht gem. § 1793 Abs. 1 S. 1 BGB dar.

Der BGH wies in seinen Beschluss zutreffend darauf hin, dass hier § 41 Abs. 3 FamFG („Ein Beschluss, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand hat, ist auch demjenigen, für den das Rechtsgeschäft genehmigt wird, bekannt zu geben.“), den das OLG zur Stützung seiner die Beschwerde zurückweisenden Beschluss benannte, nicht einschlägig sei. Aus § 43 Abs. 3 FamFG folge nicht, dass die Entziehung der Vertretungsmacht gem. § 1793 Abs. 1 S. 1 BGB über die in §§ 1795 und 1796 BGB benannten Fälle hinaus erfolgen könne, da sich § 41 Abs. 3 FamFG nur auf einen am Genehmigungsverfahren nicht Beteiligten, selbst verfahrensfähigen Vertretenen beziehe, nicht aber verlange, dass das nicht verfahrensfähige Kind für eine Bekanntgabe (und auch für die Vertretung im Genehmigungsverfahren) einen Ergänzungspfleger benötige. Es fehle hier an einer gesetzlichen Grundlage für die Anordnung der Ergänzungspflegschaft, weshalb sich ein über die bestehenden Ermächtigungen hinausgehender Eingriff in das Elternrecht verbiete. Die gesetzliche Vertretung des Kindes in Kindschaftsverfahren durch die Eltern sei als Bestandteil des Elternrechts eine wohlerwogene Entscheidung des Gesetzgebers (BGHZ 191, 48; BGH vom 27.06.2018 - XII ZB 46/18 -).

In Fällen der vorliegenden Art würde der gesetzliche Vertreter bereits durch das Gericht kontrolliert. Ein Bedürfnis, hier eine weitere Kontrolle durch einen anderen Vertreter des Rechtsinhabers zu schaffen, bestehe nicht, soweit kein Interessenswiderstreit bestünde (BGH vom 12.02.2014 - XII ZB 592/12 -). Bei einem Interessenswiderstreit aber greift die Entziehungsmöglichkeit nach § 1796 Abs. 2 BGB; diese Voraussetzungen wurden hier nicht festgestellt. Mutter und Kinder würden sich hier in der gleichen Vertragsstellung (als Verpächter) bei dem Vertrag mit einem Pächter befinden, weshalb eine Interessenskollision ausscheide, da die Interessen gleichgerichtet seien. Ob der Vertragsabschluss dem Kindeswohl entspräche, sei in dem gesonderten Verfahren zu klären (hat also mit einer streitigen Pflegschaftsbestellung nichts zu tun). Auch ein in § 1795 BGB enumerativ aufgeführter Fall des Ausschlusses der Vertretung lag ersichtlich nicht vor.

Die Pflegerbestellung durch das Amtsgericht, gebilligt durch das OLG, sei auch bereits deshalb rechtwidrig, da sie eindeutig über die Bekanntgabe einer Entscheidung nach § 41 Abs. 3 FamFG hinausgehen würde und auch über die Vertretung der Kinder im Genehmigungsverfahren hinausginge, insoweit nach der Anordnung die Ergänzungspflegerin auch bei der Eingehung des Pachtvertrages mitwirken sollte. Die Beschlüsse vom Amtsgericht und OLG ließen nicht erkennen, auf Grund welcher Gründe davon ausgegangen werden könnte, die Mutter könne die Kinder nicht beim Abschluss des Vertrages vertreten.

Der vorliegende Fall zeigt auf, dass das Familiengericht, eventuell zur eigenen (argumentativen) Entscheidungsfindung einen Dritten in Form des Ergänzungspflegers hinzuziehen will. Es sollte schon im Kosteninteresse stets sorgfältig von Betroffenen geprüft werden, ob die Anordnung der Ergänzungspflegschaft rechtlich geboten ist; ermangelt es an einer Rechtsgrundlage, sowohl vom Grundsatz als auch möglicherweise (wie vorliegend hinzu kam) von der Reichweite, sollten die gebotenen Rechtsmittel eingelegt werden.

Allerdings hinterlässt diese Entscheidung gleichwohl einen bitteren Beigeschmack: Der Antrag auf familiengerichtliche Genehmigung wurde wohl Anfang 1917 gestellt, das Amtsgericht entschied im März 2017, das OLG Nürnberg am 19.06.2017. Das gesamte Verfahren hatte mithin zwei Jahre und drei Monate gedauert. Dies können Jahre gewesen sein, in denen es zu keinen Pachteinnahmen kam. Hinzu kommen die Kosten des Verfahrens. Auch wenn Gerichtskosten nicht anfielen, so musste sich die Beteiligte zu 2. (Mutter) jedenfalls vor dem BGH anwaltlich vertreten lassen, wofür Kosten von ihr zu tragen waren, die sie nicht erstattet bekommt (es denn, sie wäre diesbezüglich rechtsschutzversichert und könnte sich dort insoweit „schadlos“ halten). Hier handelt es sich nicht um eine Willkür des BGH, sondern um Umstände, die in den gesetzlichen Regelungen ihren Grund haben. Ist Anwaltszwang vorgesehen, so wäre jedenfalls bei Fehlentscheidungen der Gerichte, soweit nicht ein anderer Kostenschuldner in Betracht kommt, eine Reglung aufzunehmen, wonach die notwendigen außergerichtlichen Kosten vom Staat zu tragen sind. Da allerdings bei Rechtstreitigkeiten der vorliegenden Art idR. der juristische Laie ohnehin überfordert sein dürfte, sollte dies sogar generell gelten.

BGH, Beschluss vom 03.04.2019 - XII ZB 359/17 -

Mittwoch, 12. Juni 2019

Sofortiges Anerkenntnis: Kostenlast Beklagter bei Entbehrlichkeit einer vorgerichtlichen Zahlungsaufforderung


Der Kläger wurde durch fingierte Anrufe des Beklagten getäuscht, indem ihm vorgegaukelt wurde, er stünde im Visier einer Diebesbande und die Kriminalpolizei würde bei ihm vorbeikommen, um sein Bargeld sicherzustellen. Der Gehilfe des Beklagten erschien dann beim Kläger als vermeintlicher Kriminalbeamter und der Kläger übergab ihm € 15.700,00.  Ohne vorhergehende Zahlungsaufforderung oder Mahnung erhob der Kläger gegen den Beklagten Klage auf Zahlung dieses Betrages. Der Beklagte erkannte den Anspruch sofort an. Das Landgericht hatte sodann die Kosten des Verfahrens dem Kläger auferlegt, da der Beklagte mangels einer vorhergehenden Zahlungsaufforderung keine Veranlassung zur Klage gegeben habe. Die gegen die Kostenentscheidung vom Kläger eingelegte sofortige Beschwerde (§§ 99 Abs. 2, 567 Abs. 1 ZPO) war erfolgreich und führte zur Kostentragung des Beklagten gem. § 91 Abs. 2 ZPO.

Das OLG hat dahinstehen lassen, ob für eine Kostentragung gem. § 93 ZPO neben dem sofortigen Anerkenntnis auch eine zeitnahe Zahlung, die hier nicht erfolgte, erforderlich ist (dies ist in Rechtsprechung und Literatur streitig; ablehnend wohl BGH, Urteil vom 27.06.1970 - VIII ZR 233/78 -).  Entgegen der Annahme des Landgerichts läge nämlich bereits deshalb kein sofortiges Anerkenntnis vor, da der Beklagte Veranlassung zur Klage gegeben habe.

Eine Veranlassung zur Klageerhebung wird angenommen, wenn aus dem Verhalten der Beklagten Partei vor dem Prozess bei vernünftiger Betrachtung  ein hinreichender Anlass für die Annahme besteht, dass ohne gerichtliche Geltendmachung das Recht nicht realisiert werden kann (BGH aaO.; BGH, Beschluss vom 08.03.2005 - VIII ZB 3/04 -). Wer sich in Zahlungsverzug (jedenfalls bei vorangegangener Mahnung) befindet, hat stets Anlass zur Klageerhebung gegeben, weshalb in diesem Fall die Kostenfolge eines sofortigen Anerkenntnisses nach § 93 ZPO entfällt (BGH, Urteil vom 10.02.2011 - VII ZR 53/10 -).

Das OLG ging vorliegend von einem Zahlungsverzug des Beklagten (trotz fehlender vorgerichtlicher Zahlungsaufforderung) aus: Der Beklagte habe mittels einer Straftat dem Kläger das Geld entzogen. Daher befinde er sich bereits gem. §§ 848, 849 BGB mit der Entziehung in Verzug, ohne dass es hier einer Zahlungsaufforderung oder Mahnung bedurft hätte. Dies stützte das OLG auf den Umstand, dass der Beklagte strafrechtlich (nur) wegen zweier Delikte und damit einer überschaubaren Anzahl von Geschädigten verurteilt worden sei und sich in keiner Weise um die Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen, mit denen er sich in Verzug befunden habe, bemüht habe. Deshalb habe der Kläger davon ausgehen dürfen, dass eine Zahlungsaufforderung vor Klageerhebung folgenlos bleiben würde und lediglich eine unnötige Förmelei darstellen würde.

Vom OLG wird auf eine davon abweichende Entscheidung des BGH (Beschluss vom 30.05.2006 – VI ZB 64/05 -) verwiesen, in dem der BGH ausführte dass zwar möglicherweise bei einem Anspruch aus unerlaubter Handlung wegen Veruntreuung von Geldbeträgen ein sofortiger Verzug vorliegen könne, jedoch bei einer Anzahl von 845 Taten bei 41 Geschädigten und der daraus resultierenden Vielzahl von Ansprüchen sowie in Ansehung der Inhaftierung des Schädigers die Auffassung der Vorinstanz nicht zu beanstanden sei, der Geschädigte hätte nicht davon ausgehen können, dass eine vorgerichtliche Kontaktaufnahme ohne Erfolg geblieben wäre. Das OLG hat hier in Ansehung der geringen Anzahl von Taten/Geschädigten den Rückschluss gezogen, dass vorliegend jedenfalls die Kontaktaufnahme unterbleiben durfte.

Festzuhalten bleibt mithin, dass alleine die Annahme eines Verzugs bei einem Anspruch aus unerlaubter Handlung im Zusammenhang mit einer strafrechtlichen Vermögensschädigung bereits zum Zeitpunkt der Tathandlung nicht schon gefolgert werden kann, dass es einer vorgerichtlichen Zahlungsaufforderung nicht bedarf. Es kommt ersichtlich auf die Umstände des Einzelfalls an, die hier vom OLG zugrunde gelegt und in diesem Fall zugunsten des geschädigten Klägers gewürdigt wurden.

OLG Köln, Beschluss vom 25.01.2019 - 10 W 19/18 -

Dienstag, 11. Juni 2019

Betriebsgefahr nach § 7 StVG: Entladevorgang beim LKW auf öffentlicher Straße


Der LKW des Beklagten Halters hielt vor einem Grundstück. Zum Entladen stand er, bei laufendem Motor auf Stützen und das auf dem LKW befindliche Baumaterial wurde mittels eines auf dem LKW angebrachten hydraulischen Krans entladen. Während des Vorgangs platzte ein Hydraulikschlauch des Krans und ausströmendes Öl verbreitete sich an der Hausfassade und im Vorgarten der Kläger. Diese nahmen die Beklagten (Halter und Versicherer des LKW) auf Schadensersatz in Anspruch. Der Klage wurde vom Landgericht stattgegeben, da sich die Betriebsgefahr des LKW nach § 7 Abs. 1 StVG verwirklicht habe.


Die Norm des § 7 Abs. 1 StVG begründet einen Schadensersatzanspruch des Geschädigten, ohne dass es auf ein Verschulden des Schädiger ankäme. Vor diesem Hintergrund stellt sich immer wieder die Frage, ob sich die Betriebsgefahr verwirklicht, wenn ein Fahrzeug in irgendeiner Art und Weise an dem Schadensgeschehen beteiligt ist. Hier müsste also die Schädigung der Betriebsgefahr des LKW zuzurechnen sein. Dies wurde vom Landgericht bejaht. Dem folgte das OLG und wies die Berufung nach § 522 ZPO zurück.

Das OLG verwies darauf, dass sich grundsätzlich ein Schaden „bei dem Betrieb“ eines Fahrzeuges ereigne, wenn sich in ihm die die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben. Der Vorgang müsse sich in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmungsgemäßen Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Fahrzeuges zugetragen haben (BGH, Urteil vom 08.12.2015 - VI ZR 139/15 -). Allerdings sei es bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktion erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeuges als eine der Fortbewegung und dem Transport dienenden Maschine (vgl. § 1 Abs. 2 StVO) bestünde, da, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion keine Rolle mehr spiele und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt würde, eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ausscheide (BGH aaO.; BGH, Urteil vom 24.03.2015 - VI ZR 265/14 -).

Das OLG nimmt an, dass auch bei einem stehenden Fahrzeug mit Arbeitsfunktion eine Verbindung mit dem Betrieb des Kraftfahrzeuges gegeben sei, wenn das Kraftfahrzeug im inneren Zusammenhang meiner seiner Verkehrs- und Transportmittelfunktion entladen würde, selbst dann, wenn es (wie hier) mit einer speziellen Entladevorrichtung entladen würde. Die Haftung greife auch dann, wenn das Entladen in dem in Anspruch genommenen Verkehrsraum für andere Verkehrsteilnehmer eine Gefahr darstelle, worunter nicht nur die Gefahr durch das entladene Fahrzeug als solches falle, sondern auch diejenige, die von der Entladevorrichtungen und dem Ladegut ausgehe (BGH, Urteil vom 08.12.2015 - VI ZR 139/15 -: Entladen von Heizöl aus einem Tanklastwagen).

Es sei vorliegend nur von einem Zufall abhängig, dass das Öl das Grundstück traf und nicht den Verkehrsraum. Andere Verkehrsteilnehmer oder Grundstücke der Anlieger. Von daher unterscheide sich der Sachverhalt auch von demjenigen in der Entscheidung des BGH vom 27.05.1975 - VI ZR 95/74 -, bei dem ein auf einem Hof abgestellter Tanklastzug in ein danebenliegenden Silo entladen habe und dabei das Silo beschädigt wurde.

Auch durch das Ausfahren der Stützen würde sich nichts an dem Ergebnis ändern können. Dadurch bedingt läge kein von den Beklagten angenommener Fall des § 8 Nr. 1 StVG vor, da der LKW konstruktionsbedingt nicht so verändert würde, dass er als Fahrzeug nicht auf ebener Fahrbahn mehr als 20km/h fahren könne.

OLG Köln, Beschluss vom 21.02.2019 - 14 U 26/18 -

Montag, 10. Juni 2019

Vollstreckungskosten des Gläubigers gegen den Schuldner durch Kosten aus Klage gegen Drittschuldner


Die Gläubigerin, die eine titulierte Forderungen gegen den Schuldner hatte, erwirkte am 16.08.2017 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss  (PfÜ) gegen einen Mieter des Schuldners wegen Mietzinsansprüchen für September bis November 2017, die sie mit diesem pfändete und zur Einziehung an sich überweisen ließ. Der Mieter, der mit dem PfÜ Drittschuldner wurde, anerkannte in der vorgeschriebenen Drittschuldnererklärung die Forderung der Gläubigern und kündigte Zahlung an, § 840 ZPO. Da er aber nicht zahlte,  erhob die Gläubigerin gegen ich Zahlungsklage. Es erging gegen den Drittschuldner Versäumnisurteil; die Kosten des Rechtsstreit wurden für die Gläubigerin gegen den Drittschuldner in diesem Verfahren mit € 323,00 festgesetzt.

Nunmehr beantragte die Gläubigern diese Kosten gem. § 788 Abs. 1 S. 1 ZPO gegen den Schuldner festzusetzen. Dieser Antrag wurde (auch Beschwerdeverfahren) abgelehnt. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hob der BGH den Beschluss des Beschwerdegerichts auf und verwies die Sache an das Beschwerdegericht zurück.

 Der BGH führte aus, dass das Beschwerdegericht zutreffend davon ausgegangen sei, dass die Kosten eines Rechtsstreits zwischen dem Gläubiger und dem Drittschuldner über eine gepfändete und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesenen Forderung als Kosten der Zwangsvollstreckung nach § 788 Abs. 1 S. 1 ZPO erstattungsfähig seien (BGH, Beschluss vom 14.01.2010 - VII ZB 79/09 -).

Ferner sei auch richtig, dass diese Kosten nur gegen den Schuldner festsetzungsfähig seien, soweit sie notwendig waren. Dies sei dann anzunehmen, wenn der Prozess gegen den Drittschuldner nicht von vornherein aussichtslos war. Dabei sei auf die maßgebliche Sicht des Gläubigers bei Erteilung des Klageauftrags abzustellen. Da der Drittschuldner die gepfändete Forderung als begründet anerkannt, aber nicht beglichen habe, sei aus Sicht des Gläubigers keine andere erfolgversprechende Möglichkeit außer der Klage geblieben.

Allerdings war das Beschwerdegericht der Auffassung, eine Festsetzung der Kosten gegen den Schuldner käme erst dann in Betracht, wenn eine Zwangsvollstreckung gegen den Drittschuldner erfolglos geblieben sei. Seine davon abweichende Rechtsauffassung begründete der BGH wie folgt:

Drittschuldnerklage und deren Vorbereitung seien Vollstreckungsmaßnahmen, die unmittelbar dem Vollzug des die Forderung des Schuldners gegen den Drittschuldner betreffenden PfÜ dienen würden. Die Kosten würden sich daher im Verhältnis zum Schuldner nicht als Prozess-, sondern Vollstreckungskosten darstellen, für die das Veranlassungsprinzip gelte; der Schuldner habe sie zu tragen, da er die titulierte Forderung des Gläubigers nicht erfüllt und von daher die Vollstreckungsmaßnahme ausgelöst habe (BGH, Beschluss vom 20.12.2005 - VII ZB 57/05 -).

Auch sei die Festsetzung nicht von einem vorherigen Beitreibungsversuch bei dem Drittschuldner abhängig, wodurch zusätzliche Kosten entstehen würden. Ein solche Vollstreckung gegen den Drittschuldner im Rahmen der Vollstreckung gegen den Schuldner widerspräche dem Sinn und Zweck des § 788 Abs. 1 S. 1 ZPO, nach dem dem Gläubiger ein rasches und einfaches Verfahren zur Durchsetzung seines Anspruchs zur Verfügung stehen solle. Die Festsetzung gegen den Schuldner entfalle nur, wenn die Kosten vom Drittschuldner nach Abschluss des Verfahrens freiwillig gezahlt würden. Im übrigen gäbe es keine vorrangige Haftung des Drittschuldners, für die es im Gesetz keine Stütze gäbe, zumal wenn der Gläubiger nach seinen Erkenntnissen zum Zeitpunkt des Klageauftrages nicht absehen könne, ob der Drittschuldner ihm die Kosten auch ohne Vollstreckung erstatten würde.

 Anderweitiges sei auch nicht aus den Entscheidungen des Senats in Beschlüssen vom 14.01.2010 - VII ZB 79/09 - und vom 20.12.2005 - VII ZB 57/05 - zu entnehmen. Zwar habe dort der Senat ausgeführt, die Festsetzung sei nur zulässig, wenn die Kosten nicht beim Drittschuldner beigetrieben werden könnten.  Dem hätten Sachverhalte zugrunde gelegen, nach denen der Gläubiger gegen die Drittschuldner keinen Kostenerstattungsanspruch gehabt habe. Ausdrücklich würde klarstellend festgehalten, dass für die Festsetzungsfähigkeit der Kosten einer Drittschuldnerklage nach § 788 Abs. 1 S. 1 ZPO eine vorherige Vollstreckung des Gläubigers gegen den Drittschuldner nicht erforderlich sei. Vorliegend folge die Festsetzungsfähigkeit bereits aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss und der fehlenden Zahlung durch den Drittschuldner.

Die Zurückverweisung erfolge, da sich das Beschwerdegericht noch keine Feststellungen zur Höhe der festzusetzenden Kosten getroffen habe.

BGH, Beschluss vom 03.04.2019 - VII ZB 58/18 -

Donnerstag, 6. Juni 2019

Verkehrssicherungspflicht: Sturz über Bordstein am Standort eines Verkaufsstandes


Die Klägerin, die mit ihrer Klage materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche von dem beklagten als Betreiber eines Spargelstandes begehrte, stürzte ihrer Behauptung zufolge nach dem Einkauf von Spargel. Der Spargelstand befand sich unstreitig auf dem Parkplatz eines Einkaufsmarktes im Bereich einer Parktasche, deren eine Seite zu einem Fußweg führte, der mit einem Bordstein von der Parktasche abgetrennt war. Die Klage wurde abgewiesen.

Vom Landgericht wurde darauf hingewiesen, dass bei angenommener Richtigkeit des Sturzes der Klägerin über den Bordstein beim Verlassen des Spargelstandes stürzte. Eine Haftung würde hier eine Verkehrssicherungspflichtverletzung des Beklagten voraussetzen. Damit müsste der Beklagte einen zusätzlichen gefahrenkreis eröffnet haben; im Rahmen dessen würde ihm die Pflicht treffen, allgemeine Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung Dritter zu verhindern. Dabei müsse der Verkehrssicherungspflichtige aber nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen, sondern nur für solche, mit denen bei bestimmungsgemäßen (oder nicht ganz fernliegenden bestimmungswidrigen) Gebrauch zu rechnen sei und deren Abwendung auch wirtschaftlich zumutbar sei. Eine völlige Gefahrlosigkeit von Verkehrsflächen könne nicht erwartet werden , weshalb vom Verkehrssicherungspflichtigen nur diejenigen Gefahren beseitigt werden müssten, die von dem Nutzer trotz erforderlicher Sorgfalt nicht erkennbar seien und auf der er sich nicht einstellen könne (BGH, Urteil vom 13.07.1989 - III ZR 122/88 -).  

Hier handele es sich, wie aus Lichtbildern deutlich würde, nicht  um eine leicht überstehende Kante, sondern um ein gut und schon von Weitem erkennbares, sich deutlich vom Boden abhebendes Hindernis. Hinzu käme, dass sich die Fläche des Parkplatzes vor der Einfassung eine andere Pflasterung aufweise als der Fußweg dahinter. De4r Bereich sei durch die Einfassung gegliedert und auch die übrigen Parkflächen seien durch die Randsteine vom Fußweg abgegrenzt, weshalb der Blick des Verkehrsteilnehmers auf die Einfassung gelenkt sei.

Von daher käme es auf die Höhe der Einfassung nicht an, die aber bei 15 – 17cm eine Höhe habe, mit der Fußgänger regelmäßig konfrontiert würden, so beim Betreten von Bordsteinen (Gehwegen) von der Fahrbahn aus.

Selbst wenn man aber hier den Bordstein als Gefahrenquelle ansehen würde, obläge nicht dem Beklagten eine Abwendungspflicht. Diese läge bei dem Betreiber des Parkplatzes. Unabhängig davon sei erkennbar dass die Bordsteine den Parkplatzbereich deutlich vom Fußweg abtrennen sollen und damit einer Gefahr vorbeugen sollen, die darin bestünde, dass auf der einen Seite Personen aussteigen und  Fahrzeugtüren sich öffnen und in den Fußweg hineinragen, während danebwn Fußgänger laufen.

Zwar könne durch das Aufstellen des Standes auf einer solchen Parkbucht eine neue Gefahr geschaffen werden, für die der Standbetreiber verkehrssicherungspflichtig sei. Dieser Umstand läge hier nicht vor. Die Gefahr, dass Personen von der Parkbucht aus über den Bordstein unmittelbar auf den Fußweg gehen würden, bestehe nicht nur dann, wenn sich auf der Parkbucht ein Verkaufsstand befände, sondern auch dann, wenn die Fläche zum Parken genutzt würde. Es sei auch gerichtsbekannt, dass Personen, die in der Parkbucht parken würden, dort aussteigen würden und quer über die Parkbucht und damit den Bordstein auf den Fußweg gehen würden, solange sie keinen Einkaufswagen haben.  Da damit jedenfalls vom Standbetreiber hier keine neue Gefahrenquelle geschaffen worden sei, wäre selbst dann eine Haftung des Beklagten nicht gegeben, wenn man der Annahm sein wollte, dass der Bordstein als solcher eine Gefahrenquelle darstellen würde, da dann nur der Betreiber des Parkplatzes haftbar wäre, nicht der Beklagte als Betreiber des Spargelstandes.

LG Darmstadt, Urteil vom 08.05.2019 - 11 O 200/18 -

Mittwoch, 5. Juni 2019

WEG: Kostentragung bei Mehrfachparkern


Die Klägerin war Mitglied der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG); mit dem Sondereigentum der Klägerin war das an zwei oben auf einem Vierfachparker belegen Kfz-Stellplätzen verbunden.  Die Gemeinschaftsordnung (GO) als Teil der Teilungserklärung (TE) enthielt in § 7 zu den Instandhaltungspflichten u.a. die Regelung, demzufolge jeder Sondernutzungsberechtigte auf seine Kosten die dem Sondernutzungsrecht unterliegende Fläche zu unterhalten und instandzuhalten habe (§ 7 Abs. 2 GO). In § 13 Abs. 2 S. 4 GO war zu Zahlungsverpflichtungen geregelt, dass die auf die Sondereigentümer entfallenden Anteile der Kosten nach den Verhältniswerten der Miteigentumsanteile ermittelt würden; expressis verbis hieß es dann zu den Mehrfachparkern, dass die Kosten von deren Unterhaltung von den jeweiligen Eigentümern eines Doppel- bzw. Vierfachparkers getragen würden. Weiter hieß es, dass die gesamten Kosten der Tiefgarage auf die Sondernutzungsberechtigten zu gleichen Teilen umzulegen seien.

Nach Arbeiten in 2016 an dem fraglichen Vierfachparker teilte die Verwaltung im Rahmen der Jahresabrechnung die Kosten auf die vier Parker zu je ¼ auf, weshalb die Klägerin ½ der Kosten zu tragen hatte. Die beschlossene Jahresabrechnung hat das Amtsgericht auf die Anfechtungsklage der Klägerin in diesem Punkt für unwirksam erklärt; die Berufung der Beklagten wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Die zugelassene Revision führte dann zur Aufhebung der vorangegangenen Entscheidung und Klageabweisung. Die Umlage der Kosten auf die jeweiligen Sondernutzungsberechtigten nach Köpfen entspräche der Kostentragungsregelung der GO. Dabei stützt sich der BGH auf zwei Erwägungen, die getrennt von einander zu diesem Ergebnis führen:

a) Das Berufungsgericht hatte angenommen, die Regelungen in § 7 Abs 2 und 13 Abs. 2 GO seien nebeneinander anzuwenden. Das sei falsch. Es würde nur die Regelung in § 7 GO greifen.

§ 7 Abs. 2 S. 2 GO spricht von einem Sondernutzungsrecht unterliegenden „Flächen“, weshalb zwar nach dem Wortsinn damit auch die zugewiesenen Sondernutzungsflächen an Mehrfachparkern gehören könnten. Allerdings würde bei der nächstliegenden Auslegung die Regelung nur die in § 1 Abs. 4 TE angesprochenen Sondernutzungsrechte an Terrassen und Gartenflächen, nicht aber die Stellplätze auf Mehrfachparkern betreffen. Es handele sich bei der regelung in § 7 GO um eine Ausnahme der gesetzlichen Aufgabenverteilung in § 21 Abs. 1 und 5 Nr. 2 WEG, wonach an sich die Instandhaltung und –setzung Aufgabe aller Eigentümer sei. Dies soll aber für Räumlichkeiten und Flächen, an denen Sondernutzungsrechte bestehen, auf die Inhaber dieser Sondernutzungsrechte verlagert werden, die damit natürlich auch die Kosten insoweit tragen sollen. Dieses Ziel ließe sich aber bei Mehrfachparkern nicht erreichen, da es zu einer geteilten Verantwortung je nach Bauteil kommen würde; während es für die Kostentragung des Sondernutzungsberechtigten darauf ankäme, ob das Bauteil seinem Sondernutzungsrecht explizit zugeordnet werden könne, wären tragende Teile und der Motor Gemeinschaftseigentum und müssten alle Eigentümer dafür aufkommen. Schon die Abgrenzung sei mit Schwierigkeiten verbunden, da Mehrfachparker geschlossene Einheiten darstellen würden mit aufeinander abgestimmten Bauteilen. Obwohl § 7 hier zu einer Vereinfachung der Abrechnung führen soll, würde eine entsprechende Auslegung, die § 7 auf die Mehrfachparker anwendet eine unnötige Komplizierung vorsehen und entspräche eines solche Auslegung auch nicht der nächstliegenden Auslegung.

b) Es sei zudem offensichtlich, dass § 13 Abs. 2 S. 4 GO eine Sonderreglung zur Verteilung der Kosten bei Instandsetzung und –haltung von Mehrfachparkern darstelle. Diese würde als speziellere Regelung der allgemeinen, nicht einmal auf die Mehrfachparker ausdrücklich hinweisenden Regelung zur Kostentragung im Sondernutzungsbereich des § 7 GO vorgehen. Die Struktur der Regelungen ergebe, dass für Mehrfachparker keine von der gesetzlichen Regelung abweichende Instandhaltungs- und Instandsetzungspflicht vorgesehen werden sollte, sondern nur eine abweichende Kostenregelung.

BGH, Urteil vom 22.03.2019 - V ZR 145/18 -

Montag, 3. Juni 2019

Tarifvertrag: Kein Verschlechterungsverbot bei Ablösung von Tarifverträgen infolge Betriebsübergang


Vereinfacht ging es in dem Verfahren vor dem BAG um einen Betriebsübergang gem. § 613a BGB: Die Klägerin war bei der übernommenen Gesellschaft (S-Klinikum) tätig und dort war der TVöD-K anwendbar. In dem Arbeitsvertrag der Klägerin hieß es in § 3 u.a.: „Für das Arbeitsverhältnis finden die Bestimmungen der für den Angestellten jeweils geltenden Tarifverträge in der z. Zeit geltenden Fassung und den dieses ergänzenden rechtlichen Bestimmungen Anwendung.“. Nachdem der Betrieb der Klägerin von der Beklagten übernommen wurde, wandte diese den bei ihr geltenden Haustarifvertrag an. Die Klägerin vertrat die Auffassung, ihr Arbeitsverhältnis richte sich aufgrund von § 613a Abs. 1 S. 2 BGB weiterhin nach den bei der S-Klinikum  geltenden tarifvertraglichen Regelungen und sie erhob eine Auskunftsklage zur Berechnung einer Jahressonderzahlung nach § 20 TVöD-K für das Jahr 2014 und begehrte darüber hinaus Zahlung zusätzlichen Gehalts und Überstundenvergütung.

Das Arbeitsgericht hatte der Klage unter Abweisung im Übrigen hinsichtlich der Jahressonderzahlung stattgegeben. Die Berufungen der Parteien wurden vom Landesarbeitsgericht, welches die Revision zuließ, zurückgewiesen. Die Revision der Klägerin wurde vom BAG zurückgewiesen und auf die Revision der Beklagten die Klage insgesamt abgewiesen.

Streitentscheidend war, welcher tarifvertraglichen Regelungen zur Anwendung kommen, ob also gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB auch die tarifvertraglichen Regelungen des S-Klinikums weiterhin zu beachten sind (transformierender Normbestand der Tarifverträge s-Klinikums).

Die von der Klägerin in Bezug genommenen Tarifverträge galten nach Feststellung des BAG zum Zeitpunkt des Betriebsübergags auf die Beklagte kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Klägerin und des S-Klinikums, §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG. Allerdings gelte hier nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB die Regelung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB (transformierender Normtatbestand) nicht, wenn die vormals durch den normativ geltenden Tarifvertrag bestimmten Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrages mit demselben Regelungstatbestand, an den der Betriebserwerber und der Arbeitgeber gebunden seien (kongruenten Tarifgebundenheit) geregelt werden (BAG, Urteil vom 09.04.2008 - 4 AZR 164/07 -). Dies sei der Fall, wenn entweder der Tarifvertrag des Erwerbers eine eigene Regelung dazu enthalte oder aber wenn diesem Tarifvertrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sei, dass dieser die im Arbeitsverhältnis fortwirkenden Tarifregelungen insgesamt ablösen solle.

Danach habe der unmittelbar und zwingend geltende Haustarifvertrag der Beklagten den Tarifvertrag des S-Klinikums insgesamt abgelöst.  Er erfasse nach seinem betrieblichen Geltungsbereich auch die übernommene S-Klinik. Haustarifverträge würden, soweit nichts anderes bestimmt sei, in der Regel für alle Arbeitsverhältnisse des tarifschließenden Unternehmens vereinbart, weshalb sie auch für später hinzukommende Arbeitnehmer dieses Arbeitgebers gelten würden, auch bei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unvorhersehbaren Entwicklungen (BAG, Beschluss vom 20.02.2018 - 1 ABR 53/16 -).  Er sei darauf gerichtet, die Arbeitsbedingungen der vom Geltungsbereich umfassten Arbeitsverhältnisse vollständig und umfassend zu regeln (wird näher ausgeführt).

Eine etwaige Verschlechterung der Arbeitsbedingungen aufgrund der Anwendung des Haustarifvertrages habe danach seinen Grund nicht „allein“ in dem Betriebsübergang, sondern in der normativen Geltung des bei der Beklagten ohnehin geltenden Tarifvertrages. Der Haustarifvertrag habe damit weder zum Ziel noch zur Folge, dass sich die Arbeitsbedingungen alleine aufgrund des Betriebsübergangs verschlechtern würden. Die Ablösung der Tarifverträge beinhalte die Möglichkeit, dass sich die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer zu ihrem Vorteil als auch zu ihrem Nachteil verändern könnten.

BAG, Urteil vom 23.01.2019 - 4 AZR 445/17 -