Montag, 8. Juli 2024

Unwirksamkeit eines Vergleichs wegen fehlerhafter Angaben eines Sachverständigen ?

Die Parteien hatten am 10.11.2023 vor dem Senat des OLG einen Vergleich in einem Rechtstreit geschlossen, in dem der Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld infolge ärztlicher Behandlung begehrte. Diesem Vergleich stimmte der Kläger sofort zu, die Beklagten behielten sich ein Widerrufsrecht bis zum 01.12.2023 vor, von dem sie keinen Gebrauch machten. Mit Schriftsatz vom 14.11.2923 erklärte der Kläger gegenüber dem Beklagtenvertreter die Anfechtung des Vergleichs bzw. seiner Willenserklärung zum Abschluss des Vergleichs gem. §§ 119, 123 BGB. Unter Stellung seiner vormaligen Anträge beantragte er die Fortsetzung des Verfahrens, demgegenüber die Beklagten beantragten festzustellen, dass der Rechtstreit durch den Vergleich erledigt sei. Das OLG stellte die Erledigung des Rechtstreits durch den Vergleich durch Endurteil fest (dazu BGH, Beschluss vom 18.09.1996 - VIII ZB 28/96 -).

Die Beweislast dafür, dass ein abgeschlossener Vergleich nicht den Prozess beendet habe, trage derjenige, der sich darauf berufe (vorliegend der Kläger).

Der Kläger hatte sich vorliegend auf die Unrichtigkeit eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens berufen. Nach dem auch auf einen Prozessvergleich anwendbaren § 779 Abs. 1 BGB sei ein Vergleich unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zu Grunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspreche und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden wäre. Damit, so weiter der Senat, sei der Fall beiderseitigen Irrtums über einen Umstand, der außerhalb des Streits der Parteien gelegen habe, geregelt. Allerdings sei die Richtigkeit von Angaben gerichtlicher Sachverständiger kein von den Parteien als feststehend zu Grunde gelegter Sachverhalt (OLG Hamm, Urteil vom 21.05.2005 - 13 U 25/04 -). Vor dem Vergleich seien die Möglichkeit und Verfügbarkeit alternativer Behandlungsmethoden streitig gewesen, wozu sich der Sachverständige geäußert habe. Dies sei auch der Streitbeilegung zugrunde gelegt worden. Damit aber stünde fest, dass die Parteien gerade nicht übereinstimmend vom Bestehen alternativer Behandlungsmethoden ausgegangen seien, sondern dies erst durch das Gutachten ermittelt worden sei. Mithin habe sich der Kläger nur in einem tatsächlichen Irrtum über einen Umstand befunden, der bereits vor dem Vergleich streitig bzw. ungewiss gewesen sei. Die Parteien würden selbst das Risiko übernehmen für streitige und ungewisse Umstände, deren Bedeutung und Folgen zur Streitbeilegung im Vergleich geregelt würden, die in Wahrheit aber von angenommenen Größen abweichen würden.  Ein beiderseitiger Irrtum, wie er § 779 Abs. 1 BGB voraussetze, habe nicht vorgelegen.

Auch infolge der vom Kläger erklärten Anfechtung des Vergleichs sei dieser nicht unwirksam. Dazu müsste der Tatbestand des § 119 BGB verwirklicht sein, was nicht der Fall sei. Der Kläger habe sich nicht iSv. § 119 Abs. 1 BGB über den Inhalt seiner Erklärung im Irrtum befunden, sondern diese Erklärung abgeben. Irrtümer über Motive oder im Rahmen der Kalkulation seien bei dem Abschluss eines Prozessvergleichs unbeachtlich. Damit könnten selbst unrichtige Angaben des Sachverständigen nicht die Anfechtung rechtfertigen, auch wenn diese die Höhe der Vergleichssumme beeinflusst haben sollten. Es würde sich um einen bloßen (unbeachtlichen) Motivirrtum in Form einer Fehlvorstellung handeln.

Die Behandlungsmethode stelle sich auch nicht als verkehrswesentliche Eigenschaft eines Vergleichs iSv. § 119 Abs. 2 BGB dar.

Ebenso würde hier nicht § 123 Abs. 2 BGB greifen. Eine arglistige Täuschung oder bewusst falsche Angabe durch den Sachverständigen sei nicht dargelegt worden. Zudem wäre nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich, dass die Beklagten – was erforderlich wäre – diese mutmaßliche arglistige Täuschung des Sachverständigen kannten oder hätten kennen müssen. Zu diesen Punkten stelle der Kläger nur Mutmaßungen an, was nicht ausreichend ist.

OLG Hamm, Beschluss vom 12.04.2024 - 26 U 2/23 -

Samstag, 6. Juli 2024

Grundsteuer: Wertfeststellung nach dem Bundesmodell und Gegengutachten

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat eine Beschwerde gegen eine Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz, mit der einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung aus einem Grundsteuerwertbescheid entsprochen worden war, zurückgewiesen. Allerdings erfolgte die Zurückweisung der vom Finanzamt eingelegten Beschwerde nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen, sondern auf der Grundlage der materiellen Rechtmäßigkeit.

Grundlage war ein Grundsteuerwertbescheid in Rheinland-Pfalz. Die Ermittlung in Rheinland-Pfalz (wie auch in Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein) erfolgt nach dem Bundesmodell. Der BFH folgte zwar dem Finanzgericht darin, dass der angefochtene Bescheid ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit aufwerfe und damit das Gericht der Hauptsache die Vollziehung des angefochtenen Bescheides nach § 69 Abs. 3 iVm. Abs. 2 FGO aussetzen könne. Ernstliche Zweifel würden bestehen, wenn neben Gründen für die Rechtmäßigkeit des Bescheides gewichtige Umstände gegen die Rechtsmäßigkeit zutage treten würden, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken würden. Bei der vorzunehmenden summarischen Prüfung sei von dem Vortrag der beteiligten und der Aktenlage auszugehen, wobei für die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung (AdV) die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen müssten.

Vorliegend hatte der Senat nach dem Vortrag der Parteien und der Aktenlage lediglich einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Diese Zweifel würden sich aus der verfassungskonformen Auslegung der Bewertungsvorschriften ergeben, da danach die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, dass bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit gegeben werden müsse, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.

Bei der Neureglung der Grundsteuer sei der Belastungsgrund nach der gesetzgeberischen Vorstellung die durch den Grundbesitz vermittelte Möglichkeit einer ertragsbringenden Nutzung, die sich im Sollertrag widerspiegelt und eine objektive Leistungsfähigkeit vermittle (BT-Drs. 19/11085, 84).

Die Besteuerung müsse den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen und das daraus folgende Übermaßverbot bei der Besteuerung beachten. Dass sei nur gewahrt, wenn gewährleistet ist, dass sich das Gesetz auf der Bewertungsebene am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel orientiert und den Sollertrag mittels einer verkehrswertorientierten Bemessungsgrundlage bestimme (BT-Drs. 19/11085, 90). Unterschiede im Einzelfall zum Wert nach §§ 217 ff BewG und dem gemeinen Wert müssten grundsätzlich hingenommen werden, solange ein Verstoß gegen das Übermaßverbot entweder durch verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift oder durch eine Billigkeitsmaßnahme abgewandt werden könne. Eine Verletzung des Übermaßverbots läge vor, wenn der vom Finanzamt festgestellte Wert den nachgewiesenen gemeinen Wert um 40% oder mehr übersteige (BFH, Urteil vom 16.11.2022 - II R 39/20 -).

Der Senat wies darauf hin, dass er bereits zu verschiedenen Bewertungsnormen entschieden habe, dass bei einem Ausschluss von Billigkeitsmaßnahmen in verfassungskonformer Auslegung der betreffenden Vorschriften der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot zuzulassen sei, wenn der Gesetzgeber einen solchen Nachweis nicht ausdrücklich geregelt habe. Bestünde diese Möglichkeit, seien die pauschalierenden und typisierenden Bewertungsvorschriften nicht verfassungswidrig.

Auch vorliegend sei nach dem Siebenten Abschnitt des Bewertungsgesetzes eine abweichende Wertfeststellung aus Billigkeitsgründen nicht vorgesehen (s. § 220 S. 2 BewG). Damit seien die vorgenannten Rechtsprechungsgrundsätze zu übertragen , weshalb ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestünden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass dem Antragsteller im Hauptsacheverfahren der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts gelinge.

Vorliegend habe der Antragsteller Umstände vorgetragen, die einen erfolgreichen Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts für die gesamte wirtschaftliche Einheit mit der erforderlichen Abweichung zu dem im typisierten Verfahren festgestellten Grundsteuerwert im Hauptsacheverfahren möglich erscheinen ließen: Baujahr 1880 und schlechter Instandhaltungszustand wegen unterbliebener Renovierungen, weshalb dem Gebäude kein erheblicher Mehrwert beizumessen sei und die wirtschaftliche Einheit nur mit dem Bodenwert abzüglich etwaiger Freilegungskosten zu bewerten sei (sogen. Liquidationsobjekt). Es seien nach den Ausführungen auch Zweifel begründet, dass sich mit dem Gebäude im benannten Zustand die gesetzlich typisierten Mieterträge erzielen ließen, wie sie vom Finanzamt mit einem typisierten Reinertrag von € 3.635,28 bzw. kapitalisierten Reinertrag iHv. € 64.998,81 angenommen wurden.

Offen ließ der BFH, ob ein vom Finanzgericht angenommenes strukturelles Vollzugsdefizit bestünde, da nicht gewährleistet sei, dass die Gutachterausschüsse bei der Ermittlung des Bodenrichtwertes sämtliche wertbeeinflussenden Grundstücksmerkmale berücksichtigen würden. Denn – s.o. – der Antragsteller habe die Möglichkeit, den Nachweis eines geringeren gemeinen Wertes zu führen. Anmerkung: Das ist zwar in der Sache richtig, führt aber zu einer erheblichen Belastung des Steuerpflichtigen, der in Ansehung von Ungenauigkeiten der Gutachterausschüsse mit der Beweislast wie auch ggf. den Kosten (für das Gutachten) beschwert wäre, zudem eine Ungenauigkeit bis 40% hinzunehmen hätte.

Offen ließ der BFH auch, ob verfassungsrechtliche Zweifel ein einer gleichheitsgerechten Bewertung bestehen, da – so das Finanzgericht – im typisierten Bewertungsverfahren nach §§ 252 ff BewG nur eine unzureichende Differenzierung nach der Lage der Gebäude und der Größe des Grundstücks erfolge, da der Antragsteller vorliegend keine lage- oder größenbedingt unzutreffenden Wertfeststellungen gerügt habe.

BFH, Beschluss vom 27.05.2024 - II B 78/23 (AdV) -

Mittwoch, 3. Juli 2024

Sitzverlegung einer GmbH ins Ausland

Die Gesellschafter hatten den Beschluss gefasst, den Sitz der GmbH von B. in Brandenburg nach M. in Belarus (Weißrussland) zu verlegen. Diese Sitzverlegung meldete die Antragstellerin zum Handelsregister an, welches die Eintragung zurückwies. Das OLG Brandenburg wies die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin zurück.

Das OLG verwies auf § 4a GmbHG, in dem explizit bestimmt ist, dass der Ort im Inland Sitz der Gesellschaft ist, der in der Satzung bestimmt ist. Damit sei eine Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes ins Ausland ausgeschlossen. Der Ausschluss führe dazu, dass er auch im Handelsregister nicht gewahrt werden könne.

Anmerkung: Zu unterscheiden sind der Satzungssitz und der Verwaltungssitz. Nur der Satzungssitz wird von § 4a GmbHG umfasst, nicht der Sitz der Verwaltung. D.h., dass die GmbH ihre Verwaltung (also ihre Geschäftsleitung) ohne weiteres ins Ausland verlegen könnte. Der Verwaltungssitz wird nicht im Handelsregister eingetragen.

Eine Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland sollte schon in Ansehung steuerlicher Konsequenzen zuvor geprüft werden.

Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 20.03.2024 - 7 W 10/24 -

Samstag, 29. Juni 2024

Voraussetzungen für Trennung in gemeinschaftlicher Wohnung (§ 1567 BGB)

Für die Feststellung des Zeitpunktes für wechselseitige Auskunftspflichten zum Trennungsvermögen im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung der Beteiligten im Scheidungsverbundverfahren kam es darauf an, wann sich die Parteien getrennt hatten. Dabei war zu berücksichtigen, dass sie weiterhin innerhalb des gemeinsamen Ehehauses wohnten. Aus der Ehe waren drei noch minderjährige Kinder hervorgegangen. Nachdem die Eheleute bereits im Haus getrennte Schlafzimmer bezogen hatten teilte der Antragsgegner (AG) der Antragstellerin (AS) am 13.01.2021 mit, er sei „praktisch schon ausgezogen im Keller“. Mit E-Mail vom 20.01.2021 schrieb die As dem AG, dass sie zu dem Schluss gekommen sei, dass es für sie alle besser sei, wenn sie getrennt leben würden. Der AG schlief bereits im Untergeschoss und benutzte das dortige Badezimmer schwerpunktmäßig, die AS das Badezimmer im Obergeschoss, wo sie das dortige ehemalige Schlafzimmer alleine bzw. mit den Kindern nutzte. Eine intime Beziehung bestand zwischen den Eheleuten nicht mehr. Gemeinsame Mahlzeiten fanden nur in Anwesenheit der Kinder statt. Gelegentlich fanden wechselseitige Handreichungen (Einkäufe und sonstige Besorgungen) statt. Im Januar 2021 tauschten sich die Eheleute über die Folgen der Trennung aus und im Februar beauftragten sie jeweils einen Rechtsanwalt zwecks Regelung der Trennungsfolgen. Im Februar 20021 beauftragte die AS auch einen Immobilienmakler und zog am 09.03.2021 aus dem Haus aus. Im amtsgerichtlichen Verfahren stellten sie wechselseitig Auskunftsanträge. Durch den vom AG angefochtenen Teilbeschluss wies das Amtsgericht den Antrag des AS zurück und gab dem Antrag des AG statt. Zur Begründung wies das Amtsgericht darauf hin, der AS sei es nicht gelungen, den taggenauen Trennungszeitpunkt substantiiert darzulegen.

Das Oberlandesgericht gab der Beschwerde der AS statt. Trennungszeitpunkt sei der 20.01.2021 und nicht, wie vom AG angenommen, der 09.03.2021. Damit sei der Stichtag für die Vermögensauskunft der 20.01.2021.

§ 1567 BGB regelt, dass eine häusliche Gemeinschaft auch dann nicht mehr besteht, wenn die Ehegatten innerhalb der ehelichen Wohnung getrennt leben. Es handele sich hier, worauf das OLG verweist, um eine objektive Voraussetzung, und als subjektive Voraussetzung, dass zumindest ein Ehegatte die häusliche Gemeinschaft erkennbar nicht mehr herstellen wolle, da er die eheliche Gemeinschaft ablehne.

Objektive Voraussetzung: Ein Ehegatte müsse aus der ehelichen Wohnung ausziehen. Dazu bedürfe es aber keiner vollkommenen Trennung, vielmehr genüge eine räumliche Situation entsprechendes Höchstmaß der Trennung., die das Getrenntleben auch nach außen sichtbar mache. Ein reines räumliches Nebeneinander ohne persönliche Beziehung stünde dem nicht entgegen.   Es dürfe kein gemeinsamer Haushalt mehr geführt werden und es dürften keine wesentlichen Beziehungen mehr bestehen; verbleibende Gemeinsamkeiten müssten sich als unwesentlich für ein eheliches Zusammenleben darstellen, weshalb – trotz eines strengen Maßstabes vereinzelt bleibende Versorgungsleistungen bzw. Handreichungen der Ehegatten füreinander ohne besondere Intensität oder Regelmäßigkeit einem Getrenntleben nicht entgegen stehen würden. Ein freundschaftlicher, anständiger und vernünftiger Umgang der Ehegatten sei auch nicht ausgeschlossen, insbesondere dann, wenn gemeinsame Kinder im Haushalt leben würden, da die Ehegatten nach der Trennung über die Elternschaft verbunden blieben und zum Wohl der Kinder zum Wohlverhalten verpflichtet seien (arg. § 1684 Abs. 2 BGB). Das OLG verweis darauf, dass das Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft danach zu beurteilen sei, wie diese vor der Krise der Ehe zu bewerten gewesen sei, also mit Blick auf den ehemals gemeinsamen Haushalt.

Subjektive Voraussetzung: Hier sei eine Prognose vorzunehmen.  Hier seien unter Beachtung des objektiven Maßstabs zu entscheiden, ob die Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr zu erwarten sei.

Diese objektiven und subjektiven Voraussetzungen für ein Getrenntleben in der ehelichen Wohnung sah das OLG als zum Stichtag 20.01.2021 gegeben an.

Vorliegend er objektiven Voraussetzungen: Der AG habe seine Schlafstätte nebst Badezimmer im Keller alleine genutzt. Auch die übrigen Räume seien nicht mehr im gewohnten Umfang gemeinsam genutzt worden. Seit dem 20.01.2021 habe keine persönliche, von Intimitäten oder gelegentlichen Zuwendungen geprägte Beziehung mehr bestanden, ebenso wenig wie ein eheliches Leben im gemeinsamen Haushalt in einer Weise, wie es vormals das eheliche Miteinander geprägt habe. Vereinzelte Einkäufe bzw. Erledigungen (wie das Abholen gereinigter Kleidungsstücke, seien unwesentlich und entsprächen so der allgemeinen Höflichkeit und Hilfsbereitschaft. Das gelte auch für gemeinsame Mahlzeiten mit den Kindern oder eines mit Blick auf die Kinder höflichen Zuwartens.

Zum Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen: Auch hier lägen die Trennungsvoraussetzungen zum 20.01.2021 vor, da die AS dem AG ihren Willen, die häusliche Gemeinschaft abzulehnen, mit ihrer Mail von diesem Tag objektiv für den Betrachter deutlich zum, Ausdruck gebracht habe.  Mit der Mail habe sich das zuvor objektiv bereits vollzogene Geschehen manifestiert und die Erklärung bilde eine klare Zäsur im zuvor fließenden Trennungsvorgang.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.03.2024 - 1 UF 160/23 -

Dienstag, 25. Juni 2024

Amtspflichtverletzung wegen unterlassener Straßensperrung bei Sturm ?

Der Kläger befuhr bei einem orkanartigen Sturm eine Straße, wobei es sturmbedingt zu einer Schädigung seines Fahrzeugs durch einen umstürzenden Baum kam. Er machte gegen den Träger der Straßenbaulast Schadensersatzansprüche geltend, da er die Auffassung vertrat, dieser hätte die Straße wegen des Sturms sperren müssen. Seine Klage wurde abgewiesen; das OLG erließ einen Beschluss gem. § 522 ZPO um den Kläger darauf hinzuweisen, dass es gedenke die Berufung zurückzuweisen.

Dabei ging das OLG auch davon aus, dass dem Träger der Straßenbaulast als Amtspflicht die Pflicht zur Erhaltung der Verkehrssicherheit obliege. Diese erstrecke sich auch auf die der Straße zuzuordnenden Straßenbäume (nicht auf Bäume, die am Rand eines an eine Straße grenzenden Waldstücks stünden). Hier seien die Maßnahmen zu treffen, die einerseits gegen Astbruch und Umsturz erforderlich seien, andererseits unter Berücksichtigung des umfangreichen Baumbestandes der öffentlichen Hand auch zumutbar seien. Deshalb genüge es, wenn die Standsicherheit dieser Bäume in regelmäßigen Abständen kontrolliert würde. Dabei seien die als Gefahr anzusehenden Bäume oder teile derselben zu entfernen; sollte dies in angemessener Zeit nicht möglich sein, könne dem Träger der Straßenbaulast die Pflicht treffen, die Straße bis zur Beseitigung des gefahrbringenden Baumes für den Verkehr zu sperren. Der Kläger habe nicht erklärt, dass der Träger der Straßenbaulast bei Baumkontrollen eine fehlende Standsicherheit durch den Baum festgestellt habe.

Auch der Umstand, dass nicht jede von einem Baum oder einem Ast ausgehende Gefahr von außen erkennbar sei, rechtfertige keine andere Beurteilung. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht läge nur dann vor, wenn Anzeichen verkannt oder übersehen würden, die nach der Erfahrung auf eine weitere Gefahr durch den Baum hinweisen würden (BGH, Urteil vom 21.01.1965 - III ZR 217/63 -).

Die Möglichkeit, dass bei einem Sturm auch ein gesunder Straßenbaum umfallen oder Teile davon abbrechen und damit Verkehrsteilnehmer gefährden können, begründe keinen Anspruch.  Die dem Träger der Straßenbaulast obliegende Straßenverkehrssicherungspflicht umfasse nur diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend halte, um andere vor Schäden zu bewahren (BGH, Urteil vom 06.02.2007 - VI ZR 274/05 -). Hierbei sei zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden könne. Der Grundsatz laute, dass im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht sein müsse, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich halte. Danach müsse nicht ein eine Straße oder ein Teil einer Straße bei einem aufkommenden Sturm zum vorbeugenden Schutz abgesperrt werden.

Auch müsse der Verkehrssicherungspflichtige nur diejenigen Gefahren ausräumen bzw. vor ihnen warnen, die für den Benutzer bei erforderlicher Sorgfalt nicht rechtzeitig erkennbar seien oder auf die er sich nicht rechtzeitig einrichten könne (OLG Köln, Beschluss vom 07.01.2016 - 7 U 160/15 -). Es sei aber allgemein bekannt, dass bei einem orkanartigen Sturm unversehens Gegenstände oder umstehende Bäume oder Teile von ihnen auf die Straße stürzen, weshalb sich jeder Verkehrsteilnehmer auf die Gefahren selbst einstellen könne.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 28.06.2023 - 11 U 170/22 -

Freitag, 21. Juni 2024

Nachweis der Testier(un)fähigkeit

Die Parteien stritten nach dem Tod des Erblassers über die Testierfähigkeit desselben zu dem Zeitpunkt, zu dem er sein (notarielles) Testament errichtete.  Das Nachlassgericht hatte ein Sachverständigengutachten dazu eingeholt, wobei Behandlungsunterlagen verschiedener Ärzte beigezogen wurden. Es kam danach zu dem Ergebnis, dass der Verstorbene zum Zeitpunkt der Erstellung des umstrittenen Testaments Testierunfähig gewesen sei. Es habe an diesem Tag bei dem Verstorbenen eine Bewusstseinsstörung vorgelegen, die sich auf seine Einsichts- und Willensfähigkeit ausgewirkt habe. Die davon betroffene Beteiligte zu 1. Legte gegen den Beschluss Beschwerde ein, der das Nachlassgericht nicht abhalf. Die Beteiligte zu 1. legte sodann ein Gutachten eines anderen Sachverständigen vor, welches sie eingeholt hatte, demzufolge der Verstorbene mit überwiegender Wahrscheinlichkeit doch testierfähig gewesen sei. Das Beschwerdegericht (OLG) hörte den vom Nachlassgericht beauftragten Sachverständigen noch einmal an.

Die Beschwerde hatte Erfolg. Der zur Entscheidung berufene Senat des OLG habe auch nach der Anhörung des vom Nachlassgericht beauftragten Sachverständigen zu den im Gegengutachten benannten Einwendungen nicht die notwendige Überzeugung für eine Testierunfähigkeit feststellen können.

Der Sachverständige habe eine Schlussfolgerung aus einer in der Pflegedokumentation der Klinik, n der sich der verstorbene befand, gezogen, nach der bei dem Verstorbenen in der Nacht für der Protokollierung des Testaments ein Delir vorgelegen haben soll, was nach Auffassung des Sachverständigen dazu führe, dass der Betroffene, der sich davon nicht binnen weniger Stunden erholen könne, nicht mehr logisch denken und handeln könne (dem sich nach Nachlassgericht angeschlossen hatte).  Dem wollte der Senat „bei notwendiger eigener kritischer Würdigung“ nicht folgen. Zwar sei der vom Nachlassgericht beauftragte Sachverständige bei seiner Auffassung geblieben, doch seien seine Folgerungen nach Auffassung des Senats nicht zwingend. Allerdings habe er eingeräumt, dass keines der von ihm benannten Anzeichen für en Delir zwingend ein Delir bedeute. Zudem wurde eingeräumt, dass es für die dokumentierten Eintragungen auch Ursachen geben könne, die in keinem Zusammenhang mit einem Delir stünden. Es reiche nicht aus, das die Eintragungen in einem bestimmten Sinn interpretiert werden könnten.

Nach der Konzeption des § 2229 BGB gelte jedermann, der das 16. Lebensjahr vollendet habe, solange als testierfähig, bis das Gegenteil zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen sei (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 07.06.2023 - 8 W 71/22 -). Es sei damit bei einer erwachsenen Person grundsätzlich von deren Geschäfts- und Testierfähigkeit auszugehen. Das Fehlen sei die Ausnahme. Könne nicht mit hinreichender Sicherheit die Geschäfts- oder Testierfähigkeit geklärt werden, ginge dies zu Lasten des-(derjenigen, die sich auf eine fehlende Geschäfts- oder Testierfähigkeit berufen.

OLG Zweibrücken, Beschluss vom 24.04.2024 - 8 W 60/23 -

Dienstag, 18. Juni 2024

Durchsetzung von Mängelansprüchen bei WEG mit verselbständigten Untergemeinschaften

Die Klägerin, selbst Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE), teilte als Bauträgerin das Grundstück, auf dem sich zwei Häuser befanden, wobei sie in jedem der Häuser (G-Str. 54 und G-Str. 56) Untergemeinschaften bildete. In der Gemeinschaftsordnung war aufgenommen worden, dass „die auf dem Grundstück aufstehenden Wohngebäude … im Ergebnis so weit wie möglich getrennt und unabhängig voneinander behandelt werden (sollen), so dass die Einheiten 1 bis 8 (G-Str. 54) und die Einheiten 9 – 13 (G-Str. 56) jeweils eine gesonderte Wirtschaftsgemeinschaft und hinsichtlich ihres Gebäudes eine eigene, getrennte Eigentümergemeinschaft bilden“. Ferner war aufgenommen, dass jede Untergemeinschaft eine eigene Eigentümerversammlung abhält, „die nur diese Gemeinschaft betrifft“.

Auf der außerordentlichen Eigentümerversammlung der Gesamtgemeinschaft vom 04.02.2020 wurde u.a. beschlossen, die Ausübung der auf die ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums gerichteten Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüche pp. die den Erwerben gegen die Klägerin als Bauträger zustehen, an sich zu ziehen. In der Folge wurde von der GdWE Klage gegen die Klägerin erhoben, wobei es sich bei den geltend gemachten Mängeln ausschließlich um solche handelte, die sich auf das Objekt G-Str, 54 bezogen. In einer weiteren Eigentümerversammlung vom 15.10.2021 der Gesamtgemeinschaft wurde zum Einen beschlossen, den Prozess zunächst fortzusetzen und ein vom Gericht beauftragtes Gutachten abzuwarten um dann mit der Klägerin einen Vergleich anzustreben (TOP 14), zum Anderen wurde eine Sonderumlage zur Prozessfinanzierung beschlossen (TOP 15). Die Klägerin wandte sich mit ihrer Klage gegen die benannten Beschlüsse der Versammlung vom 15.10.2021.

Während das Amtsgericht der Klage stattgab, wurde sie vom Landgericht abgewiesen. Die vom Landgericht zugelassene Revision wurde vom BGH zurückgewiesen.

Der BGH stellte fest, dass die Gesamtgemeinschaft zu TOP 14 Beschlusskompetenz hatte. Sie habe auf der Grundlage des Beschlusses vom 04.02.2020 die auf Mängelbeseitigung gerichteten Rechte durch den nicht angefochtenen Beschluss wirksam an sich gezogen und sei deshalb auch am 15.10.2021 befugt gewesen, über die mit dem Prozess verbundenen Folgeangelegenheiten zu entscheiden. Den Beschluss über die Vergemeinschaftung der Mängelrechet vom 04.02.2020 habe auch nur die Gesamtgemeinschaft, nicht die Untergemeinschaft G-Str. 54 fassen können.

Es könnten in Mehrhausanlagen durch Vereinbarung gem. § 10 Abs. 1 S. 2 WEG weitgehend verselbständigte Untergemeinschaften gebildet werden. Damit könnte den Mitgliedern der für einzelnen Gebäude gebildeten Untergemeinschaften durch die Gemeinschaftsordnung zwar die Kompetenz eingeräumt werden, unter Ausschluss anderer Eigentümer die Durchführung von Instandhaltungs-, Instandsetzungs- und Sanierungsmaßnahmen für das zu der jeweiligen Untergemeinschaft gehörende Gebäude zu beschließen, wenn zugleich bestimmt sei, dass auch diese Mitglieder alleine für die Kosten aufzukommen haben. Gleichwohl müsse aber auch dann, wenn die Untergemeinschaften in eigener Zuständigkeit über Lasten und Kosten entscheiden könnten, eine einheitliche Jahresabrechnung für die Gesamtgemeinschaft erstellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 16.07.2021 –-V ZR 163/20 -). Offen bleibe, wie es sich verhalte, wenn nach der Teilungserklärung eine eigene Teilversammlung abgehalten werden dürfe und gleichwohl die Gesamtversammlung abstimmte.

Die Rechte wegen Mängeln des Gemeinschaftseigentums stünden den Erwerben aus den jeweiligen mit dem Veräußerer abgeschlossenen Verträgen zu. Der Erwerber könne deshalb solange seine individuellen Rechte aus dem Vertrag gegen den Veräußerer selbst verfolgen, solange dadurch nicht schützenswerte gemeinschaftsbezogene Interessen der Wohnungseigentümer oder schützenswerte Interessen des Veräußerers beeinträchtigt würden. Die GdWE sei von vornherein für die Geltendmachung und Durchsetzung solcher Rechte alleine zuständig, die ihrer Natur nach gemeinschaftsbezogen seien und ein eigenständiges Vorgehen der einzelnen Wohnungseigentümer nicht zulassen würden. Das würde das Minderungsrecht und den kleinen Schadenersatz betreffen. Darüber hinaus könne die GdWE im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung des Gemeinschaftseigentums die auf ordnungsgemäße Herstellung desselben gerichteten Rechte durch Mehrheitsbeschluss an sich ziehen (BGH, Urteil vom 15.01.2010 - V ZR 80/09 -).

Diese Beschlusskompetenz zur Vergemeinschaftung von Mängelrechten würde auch dann der Gesamtgemeinschaft (und nicht der Untergemeinschaft) zustehen, wenn die Mängel nur den einer Untergemeinschaft zugeordneten Teil einer Anlage betreffen würden. Ansonsten wäre eine effektive Rechtsverfolgung beeinträchtigt. Zum Einen würde sich vielfach zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Vergemeinschaftung noch nicht sicher abschätzen lassen, ob sich ein Sachmangel auf das Gebäude mit den Mängelsymptomen beschränkt, zum Anderen sei denkbar, dass ein Haus einer Mehrhausanlage einen Mangel aufweise, die Mangelsymptome aber an einem anderen Haus zum Vorschein treten würden. Es müsse aber von vornherein klar und eindeutig feststehen, welchem Rechtsträger die Beschlusskompetenz zustünde; dies sei nur zu erreichen, wenn wie Beschlusskompetenz alleine der Gesamtgemeinschaft zugeordnet würde.

BGH, Urteil vom 23.01.2024 - V ZR 132/23 -