Die Parteien stritten nach dem Tod des Erblassers über die Testierfähigkeit desselben zu dem Zeitpunkt, zu dem er sein (notarielles) Testament errichtete. Das Nachlassgericht hatte ein Sachverständigengutachten dazu eingeholt, wobei Behandlungsunterlagen verschiedener Ärzte beigezogen wurden. Es kam danach zu dem Ergebnis, dass der Verstorbene zum Zeitpunkt der Erstellung des umstrittenen Testaments Testierunfähig gewesen sei. Es habe an diesem Tag bei dem Verstorbenen eine Bewusstseinsstörung vorgelegen, die sich auf seine Einsichts- und Willensfähigkeit ausgewirkt habe. Die davon betroffene Beteiligte zu 1. Legte gegen den Beschluss Beschwerde ein, der das Nachlassgericht nicht abhalf. Die Beteiligte zu 1. legte sodann ein Gutachten eines anderen Sachverständigen vor, welches sie eingeholt hatte, demzufolge der Verstorbene mit überwiegender Wahrscheinlichkeit doch testierfähig gewesen sei. Das Beschwerdegericht (OLG) hörte den vom Nachlassgericht beauftragten Sachverständigen noch einmal an.
Die Beschwerde hatte Erfolg. Der zur Entscheidung berufene Senat des OLG habe auch nach der Anhörung des vom Nachlassgericht beauftragten Sachverständigen zu den im Gegengutachten benannten Einwendungen nicht die notwendige Überzeugung für eine Testierunfähigkeit feststellen können.
Der Sachverständige habe eine Schlussfolgerung aus einer in der Pflegedokumentation der Klinik, n der sich der verstorbene befand, gezogen, nach der bei dem Verstorbenen in der Nacht für der Protokollierung des Testaments ein Delir vorgelegen haben soll, was nach Auffassung des Sachverständigen dazu führe, dass der Betroffene, der sich davon nicht binnen weniger Stunden erholen könne, nicht mehr logisch denken und handeln könne (dem sich nach Nachlassgericht angeschlossen hatte). Dem wollte der Senat „bei notwendiger eigener kritischer Würdigung“ nicht folgen. Zwar sei der vom Nachlassgericht beauftragte Sachverständige bei seiner Auffassung geblieben, doch seien seine Folgerungen nach Auffassung des Senats nicht zwingend. Allerdings habe er eingeräumt, dass keines der von ihm benannten Anzeichen für en Delir zwingend ein Delir bedeute. Zudem wurde eingeräumt, dass es für die dokumentierten Eintragungen auch Ursachen geben könne, die in keinem Zusammenhang mit einem Delir stünden. Es reiche nicht aus, das die Eintragungen in einem bestimmten Sinn interpretiert werden könnten.
Nach der Konzeption des § 2229 BGB gelte jedermann, der das 16. Lebensjahr vollendet habe, solange als testierfähig, bis das Gegenteil zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen sei (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 07.06.2023 - 8 W 71/22 -). Es sei damit bei einer erwachsenen Person grundsätzlich von deren Geschäfts- und Testierfähigkeit auszugehen. Das Fehlen sei die Ausnahme. Könne nicht mit hinreichender Sicherheit die Geschäfts- oder Testierfähigkeit geklärt werden, ginge dies zu Lasten des-(derjenigen, die sich auf eine fehlende Geschäfts- oder Testierfähigkeit berufen.
OLG Zweibrücken, Beschluss vom
24.04.2024 - 8 W 60/23 -
Aus den Gründen:
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu
1) wird der Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Germersheim vom
05.04.2023 abgeändert wie folgt:
1. Der Erbscheinsantrag des Beteiligten
zu 5), M. W., gemäß der Urkunde des Notars Dr. S. vom 09.05.2021 wird
zurückgewiesen.
2. Der Beteiligte zu 5) M. W. hat die Gerichtskosten des Verfahrens zu tragen. Eine Kostenerstattung wird nicht angeordnet.
II. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Eine Kostenerstattung wird nicht angeordnet.
Gründe
I.
Der am
27.12.2018 verstorbene Erblasser war verheiratet gewesen mit der am 26.07.2016
vorverstorbenen H.S., geb. B. Die Ehe war kinderlos geblieben. Der Erblasser
hat auch keine sonstigen Abkömmlinge.
Die Eheleute
hatten unter dem 09.05.2000 vor dem Notar Dr. W. in G. einen Erbvertrag
geschlossen, in dem sie sich (unter Ziffer I. 2. des Erbvertrages) gegenseitig
zu Alleinerben des jeweils Erstversterbenden eingesetzt sowie weiter (unter
Ziffer II. des Erbvertrages) bestimmt haben, dass Erben des Längstlebenden ihre
konkret benannten Neffen und Nichten (die Beteiligten zu 1) bis 11) sowie ein
weiterer – im Zeitpunkt des Erbfalls aber kinderlos vorverstorbener – Neffe)
und dazu an Stelle eines bereits damals verstorben gewesenen Neffen dessen
Abkömmlinge, die Beteiligten zu 12) und 13), sein sollten. Hinsichtlich der
Einsetzung der Erben des Längstlebenden war dabei im Erbvertrag geregelt, dass
diese „Verfügungen in Abschnitt II … einseitig getroffen und … vom
Längerlebenden beliebig geändert und aufgehoben werden“ können.
Nach dem Tod
seiner Ehefrau errichtete der Erblasser während eines Aufenthaltes in einem
Krankenhaus unter dem 16.11.2018 ein notarielles Testament (Urk.R.Nr. 2181
V/2018 der Notarin V. in Germersheim), mit dem er die früheren
testamentarischen Erbeinsetzungen aufhob und zu seiner alleinigen und
ausschließlichen Erbin die Beteiligte zu 1) berief. Des Weiteren setzte er in
dem Testament zwei Vermächtnisse für seine Schwester und seine Schwägerin aus.
Nach dem Tod
des Erblassers sind der vorgenannte Erbvertrag und das vorgenannte Testament
des Erblassers durch das Nachlassgericht eröffnet worden.
Mit Schriftsatz
vom 07.05.20219 ließ der Beteiligte zu 5) über seine Verfahrensbevollmächtigten
einen Erbscheinsantrag gemäß der Urkunde des Notars Dr. S. in H. vom 06.05.2019
beim Nachlassgericht einreichen, mit der er die Erteilung eines Erbscheins auf
der Grundlage des Erbvertrags vom 05.05.2000 beantragte, der die Beteiligten zu
1) bis 11) als (Mit-)Erben zu je 1/12 und die Beteiligten zu 12) und 13) als
(Mit-)Erben zu je 1/24 ausweisen sollte. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass
der weiter im Erbvertrag als Erbe benannte Neffe Stefan Götz ohne Hinterlassung
von Abkömmlingen vorverstorben sei, so dass dessen Erbteil den übrigen Erben
anwachse. Das Testament vom 16.11.2018 sei unwirksam, da der Erblasser zu
diesem Zeitpunkt nicht mehr testierfähig gewesen sei.
Die Beteiligte
zu 1) ist dem Antrag entgegengetreten und hat dessen Zurückweisung beantragt.
Sie hat vorgetragen, dass der Erblasser sehr wohl testierfähig gewesen sei und
die Notarin sich auch habe ein Attest zur Frage der Testierfähigkeit vorlegen
lassen sowie bei der Beurkundung selbst keine Zweifel an der Testierfähigkeit
des Erblassers gehabt habe.
Das
Nachlassgericht hat ein Gutachten der Sachverständigen Dr. N. zur Frage der
Testierfähigkeit/Testierunfähigkeit des Erblassers bei der Errichtung des
Testamentes vom 16.11.2018 eingeholt, wobei ärztliche Behandlungsunterlagen von
verschiedenen Ärzten und der Klinik beigezogen waren und welches die
Sachverständige dreimal mündlich nach der Vernehmung einer Vielzahl von Zeugen
und Anhörung von mehreren Beteiligten ergänzt bzw. erläutert hat. Wegen der
Einzelheiten wird insoweit auf das schriftliche Gutachten der Sachverständigen
Dr. N. vom 24.06.2020 (Bl. 164 ff. d.A.) sowie die Terminsprotokolle vom
07.07.2021 (Bl. 347 ff. d.A.), 26.11.2021 (Bl. 424 ff. d.A.) und 07.12.2022
(Bl. 558 ff. d.A.) Bezug genommen.
Danach hat das
Nachlassgericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 05.04.2023 entschieden,
dass es die zur Begründung des Erbscheinsantrags vom 06.05.2019 erforderlichen
Tatsachen als festgestellt erachtet. Zur Begründung hat das Nachlassgericht
ausgeführt, dass die Erbfolge sich nach dem Erbvertrag vom 09.05.2000 richte.
Die im Testament des Erblassers vom 16.11.2018 verfügte Änderung sei nicht
wirksam, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts
feststehe, dass der Erblasser zu diesem Zeitpunkt testierunfähig gewesen sei.
Die kompetente und erfahrene psychiatrische Sachverständige Dr. N. sei nach der
persönlichen Anhörung aller Zeugen und der umfassenden Auswertung der
medizinischen Unterlagen zu dem nachvollziehbaren und begründeten Ergebnis
gekommen, dass bei dem Erblasser am 16.11.2018 eine Bewusstseinsstörung
vorgelegen habe, die sich auf dessen Einsichts- und Willensfähigkeit ausgewirkt
und infolgedessen eine Testierfähigkeit nicht mehr vorgelegen habe. Die
Sachverständige habe sich dabei in erster Linie an den medizinischen
Dokumentationen orientiert, die eine gewisse Objektivität besäßen. Nach diesen
Unterlagen habe bei dem Erblasser am 15.11. und in der Nacht zum 16.11.2018 ein
Delir vorgelegen. Eine solche Delirdiagnose könne sicher gestellt werden. Ein
Mensch, der an einem akuten Delir leide, lebe aber in einer anderen Welt und
könne reale Situationen nicht mehr erfassen. Das logische Denken sei nicht mehr
gegeben, weil der Patient sich zu sehr auf Einzelheiten konzentriere. Für
Außenstehende sei ein solches Delir nicht auf den ersten Blick erkennbar.
Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung und auch der Auswertung der Fachliteratur
könne die Sachverständige ausschließen, dass der delirante Zustand des
Erblassers, der am 15.11.2018 definitiv vorgelegen habe, sich innerhalb weniger
Stunden oder Tage mit der Folge remittiert habe, dass am 16.11.2018 keine
Hirnfunktionsstörung mehr gegeben gewesen sei. Eine Verbesserung sei vielmehr
erst nach ca. einer Woche bis 2 Monaten zu erwarten. Diesen Feststellungen
schließe sich das Gericht aufgrund eigenständiger und eingehender Prüfung an
und lege diese daher seiner Entscheidungsfindung zu Grunde. Auch die Aussagen
der Zeugen führten nicht zu einer anderweitigen Beurteilung. Die medizinisch
ausgebildeten Zeugen hätten sich bei ihren Aussagen auf die dokumentierten
Befunde und Feststellungen bezogen und keine konkreten eigenen,
darüberhinausgehenden Erinnerungen an den Erblasser als Patienten mehr gehabt.
Soweit sonstige Zeugen Angaben zum Zustand des Erblassers gemacht hätten,
könnten medizinisch bzw. psychiatrisch nicht geschulte Zeugen Auffälligkeiten
nicht sicher erkennen oder ausschließen, da dies nur durch explizite
Explorationen möglich sei. Insoweit stünden auch die Aussagen der Zeugin V. als
beurkundende Notarin und der Zeugen E. der Einschätzung der Sachverständigen
nicht entgegen.
Gegen diesen
Beschluss hat die Beteiligte zu 1) Beschwerde eingelegt und sich dabei auf ihre
früheren Schriftsätze zur Stellungnahme und einen darin gestellten Antrag auf
Einholung eines Gegengutachtens bezogen.
Das
Nachlassgericht hat der Beschwerde gemäß dem Beschluss vom 15.06.2023 nicht
abgeholfen, da die Beschwerde keine neuen Aspekte enthalte, die nicht schon
vorgebracht und im Beschluss behandelt seien.
Mit Schriftsatz
ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 16.11.2023 hat die Beteiligte zu 1) sodann
ein zwischenzeitlich von ihr eingeholtes privates „Gegengutachten“ vom
10.11.2023 zu den Akten gereicht (Bl. 8 ff. eAkte Beschwerde), das zu dem
Ergebnis kommt, dass der Erblasser mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im
Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vom 16.11.2023 noch testierfähig
gewesen sei.
Der Senat hat
im Hinblick auf die substantiiert erhobenen Einwendungen gegen das Gutachten
nochmals die mündliche Erläuterung durch die vom Nachlassgericht beauftragte
Sachverständige Dr. N. angeordnet. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme
wird insoweit auf das Protokoll über den Termin vom 16.04.2024 (Bl. 56 ff.
eAkte Beschwerde) Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde
der Beteiligten zu 1) ist zulässig gemäß §§ 58 Abs. 1, 59
Abs. 1, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG.
Insbesondere hat die am 30.05.2023 eingegangene Beschwerdeschrift auch die
Beschwerdefrist gewahrt, da der angefochtene Beschluss der Beteiligten zu 1) am
27.04.2023 zugestellt worden ist, der 27.05.2023 jedoch ein Samstag und der
29.05.2023 ein Feiertag (Pfingstmontag) waren, so dass die Monatsfrist des
§ 58 Abs. 1 FamFG gemäß § 16 Abs. 1 und 2 FamFG i.V.m.
§ 222 Abs. 2 ZPO noch bis zum 30.05.2023, 24:00 Uhr, lief.
In der Sache
führt die Beschwerde letztlich zum Erfolg. Denn der Senat konnte - auch nach
der erneuten mündlichen Erläuterung ihres Gutachtens durch die Sachverständige
Dr. N. zu den sich aus dem von der Beteiligten zu 1) eingeholten privaten
„Gegengutachten“ ergebenden Einwendungen - nicht die notwendige Überzeugung
gewinnen, dass der Erblasser bei der Errichtung des notariellen Testamentes vom
16.11.2018 während seines Krankenhausaufenthaltes in der Asklepios
Südpfalzklinik in Germersheim nicht testierfähig war.
Der Schluss der
Sachverständigen, dass der Erblasser bei der Errichtung des notariellen
Testamentes vom 16.11.2018 testierunfähig gewesen sei, beruht letztlich auf der
aufgrund der in der Pflegedokumentation der Klinik festgehaltenen Eintragungen
gewonnenen Überzeugung, dass bei dem Erblasser am 15.11.2018 ein „Delir“
vorgelegen habe, bei Vorliegen eines solchen „Delirs“ ein Betroffener nicht
mehr in der Lage sei, seine reale Situation zu erfassen und ihm ein logisches
Denken und Handeln nicht möglich sei, und ein solcher deliranter Zustand sich
nicht innerhalb von wenigen Stunden oder Tagen soweit remittieren könne, dass
von dem Verschwinden der Hirnfunktionsstörung auszugehen sei. Diesen
Feststellungen und Beurteilungen hatte sich das Nachlassgericht nach eigener
kritischer Würdigung angeschlossen.
Nach der
erneuten mündlichen Anhörung/Erläuterung der Sachverständigen vermag der Senat
sich jedoch bei notwendiger eigener kritischer Würdigung den Ausführungen im
Hinblick auf das Vorliegen eines „Delirs“ bei dem Erblasser am 15.11.2018 nicht
anzuschließen.
Zwar ist die
Sachverständige Dr. N. bei ihrer nochmaligen mündlichen Anhörung durch den
Senat im Ergebnis dabei geblieben, dass sie vom Vorliegen eines „Delirs“ bei
dem Erblasser am 15.11.2018 ausgeht, jedoch erscheinen dem Senat die von ihr
ausgeführten Anhaltspunkte, aus denen sie diesen Schluss gezogen hat, nicht so
zwingend, dass der Senat diesem Schluss folgt. Die Sachverständige hat insoweit
ausgeführt, dass es im wesentlichen drei Aspekte sind, die ihren Schluss
begründen: nämlich zum Einen die für den Morgen des 15.11.2018 dokumentierte
besondere Müdigkeit bzw. Sediertheit des Erblassers, zum Zweiten die für die
Nacht zum 16.11.2018 dokumentierte vermehrte Unruhe des Erblassers sowie - vor
allem - zum Dritten ein wahnhaftes Erleben des Erblassers, das die
Sachverständige daraus ableitet, dass der Erblasser sich gemäß der vorliegenden
Dokumentation des Krankenhauses in der Nacht mehrfach über ein abgeklemmtes
Kabel beschwert habe. Die Sachverständige hat indes eingeräumt, dass keines
dieser Anzeichen zu dem von ihr gezogen Schluss auf das Vorliegen eines
„Delirs“ bei dem Erblasser zwingt und der Erblasser ja nicht in einer
psychiatrischen sondern einer somatischen Klinik untergebracht gewesen sei,
weshalb das dortige Pflegepersonal psychiatrische Symptome nicht so sehr im
Blick habe und diese auch nicht immer dokumentiere.
Des Weiteren
hat die Sachverständige eingeräumt, dass es für die dokumentierten Eintragungen
auch Ursachen geben könne, die nicht mit einem „Delir“ im Zusammenhang stehen,
sondern auf andere Erkrankungen zurückzuführen sein können, insbesondere -
zumindest teilweise - auf die hepatischen Encephalopathie, die bei dem
Erblasser zweifelsfrei vorgelegen hat. Weiterhin ist aus der
Pflegedokumentation keineswegs sicher zu entnehmen, dass hinsichtlich des
„abgeklemmten Kabels“ tatsächlich ein wahnhaftes Erleben des Erblassers in der
Nacht zum 16.11.2018 gegeben war. Zwar erscheint es ohne weiteres möglich, die
dokumentierten Eintragungen in diesem Sinne zu deuten. Das reicht jedoch aus
Sicht des Senates nicht aus, um die notwendige Überzeugung zu gewinnen, dass hier
tatsächlich von Wahnvorstellungen des Erblassers als Ursache für den Vermerk
auszugehen ist. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Sachverständige Dr. N.
eine sehr erfahrene Ärztin und Sachverständige, gerade auch auf dem
geriatrischen Gebiet ist und die besonderen Anforderungen bzw. Schwierigkeiten
einer „post mortem“-Begutachtung kennt. Jedoch ist die juristische Beurteilung,
ob von Testierfähigkeit oder Testierunfähigkeit auszugehen ist, von dem Senat
zu treffen und dieser kann das Vorliegen von Testierunfähigkeit bei der
Errichtung eines Testament durch einen Erblasser nur dann feststellen, wenn der
Senat selbst - beraten von dem gerichtlich beauftragten Sachverständigen - zu
einer entsprechenden Überzeugung gelangt (vgl. Grüneberg/Weidlich, BGB, 83.
Auflage, § 2229 Rdnr. 12 m.w.N.). Nach der Konzeption des § 2229 BGB
(Störung des Geistestätigkeit als Ausnahme) gilt nämlich jedermann, der das 16.
Lebensjahr vollendet hat solange als testierfähig, bis das Gegenteil zur vollen
Überzeugung des Gerichts bewiesen ist (vgl. etwa Beschluss des Senats vom
07.06.2023 - 8 W 71/22), weshalb bei einer erwachsenen Person grundsätzlich
davon auszugehen ist, dass diese geschäfts- und testierfähig ist. Das Fehlen
der Geschäfts- bzw. Testierfähigkeit ist demgegenüber die Ausnahme. Kann nicht
mit der hinreichenden Sicherheit geklärt werden, ob eine Person zu einem
bestimmten Zeitpunkt geschäfts- bzw. testierunfähig war, so geht dies zu Lasten
desjenigen, der sich in einem gerichtlichen Verfahren auf die Geschäfts- oder
Testierunfähigkeit beruft (vgl. Grüneberg/Weidlich, BGB, 83. Auflage,
§ 2229 Rdnr 11 m.w.N.; ebenso § 2353 Rdnr 40; Sticherling in
MüKo-BGB, 9. Auflage, § 2229 Rdnr. 81; Kroiß, ZEV 2023, S. 575, 576,
je m.w.N.). Da der Schluss der Sachverständigen Dr. N. hinsichtlich des
Vorliegens von Testierunfähigkeit bei dem Erblasser letztlich darauf beruht,
dass sie vom Vorliegen eines „Delirs“ bei dem Erblasser am 15.11.2018 ausgeht,
dieser Schluss aber - auch nach den eigenen Darlegungen der Sachverständigen
selbst - nicht zwingend erscheint, weil die Feststellungen auf denen er beruht,
die entsprechende Einschätzung nicht mit hinreichender Sicherheit tragen, ist
der Senat nicht mit dem ausreichenden Grad an Gewissheit davon überzeugt, dass
der Erblasser bei der Errichtung des Testamentes vom 16.11.2018 testierunfähig
war.
Weitere Ansätze
zur Aufklärung des Sachverhaltes sind nicht ersichtlich. Insoweit hat das
Nachlassgericht den Sachverhalt umfassend aufgeklärt und alle in Betracht
kommenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft. Insbesondere hat auch die
durchgeführte Vernehmung der behandelnden Ärzte und des Pflegepersonals zu dem
Zustand des Erblassers am 15. bzw. 16.11.2018 keine weiteren Erkenntnisse
bringen können, da diese keine unmittelbaren Erinnerungen an den Erblasser und
dessen Zustand im fraglichen Zeitraum mehr hatten und sich nur auf ihre
niedergelegten Dokumentationen beziehen konnten. Diese ärztlichen bzw.
pflegerischen Dokumentationen lagen der Sachverständigen Dr. N. vor und die
Vernehmung der Zeugen wurde auch in deren Beisein durchgeführt, so dass es ihr
möglich war, konkrete Fragen zu den für ihre Begutachtung notwendigen
Anknüpfungstatsachen zu stellen.
Nach alledem
kann das Vorliegen einer Testierunfähigkeit beim Erblasser im Zeitpunkt der
Errichtung des notariellen Testaments vom 16.11.2018 nicht mit der notwendigen
Sicherheit festgestellt werden, so dass im vorliegenden Fall gemäß der sich aus
den gesetzlichen Regelungen ergebenden Grundregel von der Testierfähigkeit des
Erblassers und damit von der Wirksamkeit des am 16.11.2918 errichteten
Testaments auszugehen ist, zumal sonstige Umstände, die die Wirksamkeit des
Testamentes in Frage stellen könnten, nicht ersichtlich sind.
Ist aber das
Testament des Erblassers vom 16.11.2018 wirksam, so ist dieses für die Erbfolge
nach dem Erblasser maßgebend und der von dem Beteiligten zu 5) gestellte
Erbscheinsantrag gemäß der Urkunde des Notars Dr. S. vom 06.05.2019
zurückzuweisen, weil er die eingetretene Erbfolge nach dem Erblasser nicht
zutreffend wiedergibt. Demgemäß ist der angefochtene Beschluss des
Nachlassgerichts dahingehend abzuändern, dass der Erbscheinsantrag des
Beteiligten zu 5) zurückgewiesen wird und die Gerichtskosten des erstinstanzlichen
Verfahrens dem Beteiligten zu 5) als dem Antragsteller aufzuerlegen sind. Denn
insoweit entspricht es billigem Ermessen, dass ein Antragsteller, dessen Antrag
im Ergebnis nicht zum Erfolg führt, die Gerichtskosten des von ihm eingeleiteten
Verfahrens zu tragen hat. Im Übrigen entspricht es billigem Ermessen von der
Anordnung einer Kostenerstattung abzusehen, da gerade die Frage des Vorliegens
von Testier- oder Testierunfähigkeit im vorliegenden Fall von „Laien“ nicht
sicher beurteilt werden kann und keine Umstände vorliegen, die die in § 81
Abs. 2 FamFG normierten Voraussetzungen erfüllen oder mit diesen
vergleichbar wären.
Hinsichtlich
der Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren entspricht es billigem
Ermessen, von der Erhebung von Gerichtskosten abzusehen, da die Beschwerde der
Beteiligten zu 1) zum Erfolg führt und es nicht billigem Ermessen entspricht,
die Gerichtskosten einem anderen Beteiligten aufzuerlegen, da auch der
Beteiligte zu 5) nur die ergangene Entscheidung des Nachlassgerichts verteidigt
hat. Insoweit entspricht es dann auch billigem Ermessen, keine Kostenerstattung
anzuordnen.
Daher bedarf es
auch keiner Festsetzung eines Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen