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Donnerstag, 8. Dezember 2022

Räumungsklage vor Kündigungstermin wegen Besorgnis nicht rechtzeitiger Räumung

Die Kläger kündigten das Wohnraummietverhältnis gegenüber dem beklagten Mieter mit Schreiben vom 23.06.2020 zum 31.03.2021. Dem Widersprach der Beklagte mit Schreiben vom 29.01.2021 und verwes darin darauf, er sei auf Suche nach einer Ersatzwohnung, habe aber noch keine gefunden; nach dem jetzigen Stand sei er zum 31.03.2021 obdachlos, was eine nicht zu rechtfertigende Härte nach § 574 Abs. 2 BGB darstelle. Am 22.02.2021 erhoben die Kläger eingehend beim Amtsgericht Räumungsklage mit dem Antrag zur Räumung und Herausgabe „spätestens am 31.03.2021“. Der Beklagte zeigte schriftsätzlich am 30.03.2021 seine Verteidigungsbereitschaft an und teilte mit, er habe eine Wohnung gefunden und würde die streitbefangene Wohnung am 31.03.2021 zurückgeben, was auch erfolgte. Beide Parteien erklärten daraufhin nach dem 31.03.2021 die Hauptsache für erledigt und stellten Kostenanträge. Das Amtsgericht erlegte dem Beklagten die Kosten auf; auf die sofortige Beschwerde desselben änderte das Landgericht dies ab und erlegte den Klägern die Kosten auf. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hob der BGH den Beschluss des Landgerichts auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

Problematisch waren vorliegend die Voraussetzungen für eine Klage auf künftige Leistung gem. § 259 ZPO. Die Räumungsklage wurde vorliegend vor der Fälligkeit des Räumungs- und Herausgabeanspruchs erhoben.  

Der BGH sah die Klage als zulässig an. Dabei könne dahinstehen, ob man für die Zulässigkeit auf den Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses oder auf den Zeitpunkt der zustimmenden Erklärung des Prozessgegners abstelle. Würde man hier auf die Zustimmung zur Erledigungserklärung abstellen, sei die Klage zulässig, da sie zu diesem Zeitpunkt wirksam nicht mehr auf künftige Leistung gerichtet gewesen wäre, sondern es sich um eine allgemeine Leistungsklage gehandelt hätte.   Für den anderen Fall (Eintritt des erledigenden Ereignisses) gelte für die Besorgnis nicht rechtzeitiger Leistung iSv. § 259 ZPO für Schuldner von Wohnraummietverhältnissen, die unter Verweis auf eine bisher erfolglose Suche nach Ersatz auch für die Zeit nach Beendigung des Wohnraummietverhältnisses ihren Verbleib ankündigen würden, nichts anders als bei anderen Fallgestaltungen.

Abzustellen sei hier auf den Inhalt des (anwaltlichen) Widerspruchsschreibens, mit dem sich der Beklagte auf die Kündigung geäußert habe. Das Landgericht hatte angenommen, daraus sei nicht ersichtlich, dass sich der Beklagte seiner Verpflichtung zur fristgerechten Räumung und Herausgabe  habe entziehen wollen und die Wirksamkeit der Kündigungserklärung angezweifelt. Dem folgte der BGH nicht; er wies darauf hin, dass diese Ansicht mit Differenzierungen von verschiedenen Instanzgerichten vertreten würde. Doch sei diese Ansicht zur einschränkenden Auslegung des § 259 ZPO abzulehnen. Entscheidend sei, ob der Vermieter aufgrund der Erklärung oder des sonstigen Verhaltens des Mieters davon ausgehen musste, der Mieter würde zum Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses nicht zur Räumung und Herausgabe bereit sein.

Ein „Sich-Entziehen“ nach dem Wortlaut des § 259 ZPO sei auch dann zu besorgen, mache der Mieter deutlich, er werde mangels Verfügbarkeit von Ersatzwohnraum in der Wohnung verbleiben. Damit habe er die Nichterfüllung seiner Leistungspflicht in seinen Willen aufgenommen. § 259 ZPO verlange keine Böswilligkeit des Schuldners (im Sinne eines Erschwerens oder Hintertreibens der Befriedigung, RGZR 132m 338m 229f). Das „Nicht-Entziehen“ enthalte kein bewertendes Element; maßgeblich sei alleine die mangelnde Bereitschaft des Schuldners zur rechtzeitigen Leistung.

Die für ein „Nicht-Entziehen“ erforderliche Ursächlichkeit des Willens des Schuldners für das Ausbleiben der rechtzeitigen Leistung läge auch dann vor, wenn ein Mieter (wie hier) den Verbleib trotz Kündigung ankündigt, da ihm Ersatzwohnraum nicht zur Verfügung stünde. Die Motive des Mieters seien nur insoweit bedeutsam, als sie dem Vermieter einen Rückschluss auf die Absicht des Schuldners und dessen Ernsthaftigkeit erlauben würden. Der Vermieter müsse aus den ihm erkennbaren Umständen aber keine Gewissheit über den Willen des Mieters erlangen.

§ 259 ZPO bezwecke den Schutz des Gläubigers, der bei Gefährdung seines Anspruchs nicht - wie sonst - zuwarten müsse, bis der Anspruch fällig wird. Belange des Schuldners im Hinblick auf nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung und dem Eintritt der Fälligkeit entstandene Einwendungen könnten nach § 767 ZPO (Vollstreckungsabwehrklage) und einer einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 769 ZPO hinreichend gewahrt werden.

 

Im Falle der ordentlichen Kündigung sei der Mieter in dem Besitz der Mieträume geschützt, auch wenn bereits zuvor eine Verurteilung zur Räumung und Herausgabe ergehen würde. Der Mieter könne auch dann noch innerhalb der Frist von zwei Monaten vor Beendigung des Mietverhältnisses (§ 574b Abs. 2 S. 1 BGB) bzw., wenn der Vermieter über diese Frist nicht aufgeklärt hat, bis zum ersten Termin des Räumungsrechtsstreits (§ 574b Abs. 2 S. 2 BGB) der Kündigung widersprechen und Härtegründe geltend machen.

Der vorliegend vom Beklagten vorgebrachte Umstand, keinen (angemessenen) Ersatzwohnraum (zu zumutbaren Bedingungen) bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu finden, sei als materiell-rechtlicher Gesichtspunkt bei der Abwägung zu den Folgen einer ordentlichen Kündigung von Wohnraum bedeutsam (§ 574 Abs. 2 BGB). Zudem könnten Verzögerungen bei der Wohnungssuche durch ein sofortiges Anerkenntnis bei Bewilligung einer Räumungsfrist nach § 93b Abs. 3 ZPO sowie durch Bewilligung einer Räumungsfrist gem. § 721 Abs. 1 und 2 ZPO Rechnung getragen werden.

BGH, Beschluss vom 25.10.2022 - VIII ZB 58/21 -

Freitag, 10. August 2018

Kaskoversicherung und Leistungspflicht bei Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB)


Die Klägerin verlangte von ihrer Kaskoversicherung (Beklagte) nach einem Verkehrsunfall Entschädigung für den Schaden an ihrem Fahrzeug, den diese mit der Begründung eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort (es erging auch ein Strafbefehl wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort, § 142 StGB) und damit einer Obliegenheitspflichtverletzung nach E.1.6. der einschlägigen AKB versagte. Gegen das der Klage stattgebende Urteil legte die Beklagte Berufung ein. Das OLG wies in seinem Beschluss darauf hin, dass die Berufung nur hinsichtlich eines Teils der von der Klägerin geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren Erfolg haben dürfte, in der Sache aber vom Landgericht zutreffend eine Zahlungspflicht der Beklagten bejaht habe.

Zutreffend habe das Landgericht eine zweifache Obliegenheitspflichtverletzung zu Lasten der Klägerin angenommen. Nach E.1.6. der maßgeblichen AKB 2008 habe der Versicherungsnehmer den Unfallort nicht verlassen dürfen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.  Es könne auf sich beruhen, ob die Klausel eine über § 142 StGB hinausgehende Verpflichtung statuiere, da jedenfalls auch die Pflicht aus § 142 StGB verletzt worden sei. Der Verkehrsunfall habe sich der Unfall zur Mittagszeit ereignet und nach dem Vorbringen der Klägerin habe eine Nachbarin den Unfall beobachtet, weshalb sie auch nach einer halbstündigen Wartezeit noch mit dem Eintreffen feststellungsbereiter Personen hätte rechnen müssen (ob dies nachts anders zu bewerten sei, könne dahinstehen). Weiterhin sei die Schadensanzeige nur unvollständig ausgefüllt worden; das unvollständige Ausfüllen derselben stelle sich wegen Verstoßes gegen die Regelung in E.1.6. der AKB ebenfalls als Obliegenheitspflichtverletzung dar.

Allerdings würden beide Obliegenheitspflichtverletzungen nach E.8.1. der AKB nicht zur Leistungsfreiheit führen, auch wenn diese (wie hier) vorsätzlich begangen würden. Nach E.8.2. S. 1 der AKB sei der Versicherer trotz der vorsätzlichen Obliegenheitspflichtverletzung zur Leistung verpflichtet, soweit der Versicherungsnehmer nachweise, dass die Pflichtverletzung weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich sei. Bliebe dies unklar, würde der Versicherungsnehmer beweisfällig bleiben mit der Folge der Leistungsfreiheit des Versicherers. Schaden würde nicht die generelle Gefährdung der Interessen des Versicherers; vielmehr sei auf die konkrete Kausalität abzustellen. Der Versicherungsnehmer müsse mithin den Nachweis erbringen, dass die Feststellungen im Ergebnis keinesfalls anders ausgefallen wären.

Das unvollständige Ausfüllen des Anzeigeformulars des Versicherers sei hier folgenlos geblieben, da der Versicherer auf anderen Weg ohnehin Kenntnis von der Straftat nach § 142 StGB erhalten habe, ebenso davon, dass die Polizei hinzugezogen worden sei. An der Kausalität der Obliegenheitspflichtverletzung fehle es daher, da dem Versicherer die Informationen ohnehin verfügbar gewesen wären.

Hinsichtlich der Obliegenheitspflichtverletzung des vorzeitigen Verlassens des Unfallortes habe die Klägerin den ihr obliegenden Kausalitätsgegenbeweis geführt.  

Soweit dies die Frage der schuldhaften Unfallverursachung betreffe, sei dies gegenüber der Polizei – nachdem diese den Versicherten aufgesucht habe, sofort eingeräumt worden.  Auch Nachteile in Bezug auf eine mögliche Haftungsquote hätten dem Versicherer nicht entstehen können, da der Unfall für den anderen Unfallbeteiligten, der sein Fahrzeug geparkt hatte, ersichtlich unabwendbar gewesen sei.

Der Einwand der Beklagten, dass aufgrund des unerlaubten Entfernens vom Unfallort nicht mehr in gleicher Weise wie bei einem Verbleiben eine mögliche Leistungsfreiheit der Beklagten wegen Alkoholisierung festgestellt werden könne, könne sie damit nicht durchdringen. Zwar habe der Versicherungsnehmer im Rahmen des Kausalitätsgegenbeweises auch negative Tatsachen zu beweisen (wie die fehlende Alkoholisierung). Allerdings würde nicht verlangt werden, dass bei einem Nachweis einer negativen Tatsache alle denktheoretisch möglichen oder vom Versicherer (ins Blaue hinein) aufgestellten Sachverhalte auszuschließen seien, da dies die Anforderungen an die Erbringung des Negativbeweises gem. § 286 TPO überspannen würde. Es könne nicht von Annahmen ausgegangen werden, für die es keine tatsächlichen Anhaltspunkte gebe. Dabei sei hier zu berücksichtigen, dass der Versicherte relativ kurz nach dem Unfall von der Polizei aufgegriffen wurde und diese offenbar keine Anhaltspunkte für eine Alkoholisierung hatte. Denktheoretisch könnte sich zwar zwischen dem Unfall und dem Eintreffen der Polizei die Alkoholisierung so weit reduziert haben, dass seitens der Polizei keine Veranlassung mehr bestand, eine Feststellung dazu zu treffen; konkrete Anhaltspunkte dazu würden aber fehlen (der Unfall ereignete sich zur Mittagszeit und es nicht ersichtlich, dass vor dem Unfall eine Veranstaltung besucht worden wäre, auf der regelmäßig Alkohol konsumiert würde, wie auch Anhaltspunkte fehlen würden, dass der Versicherte ein Alkoholproblem hätte). Es gäbe keine allgemeine Annahme, dass bei einem unerlaubten Verlassen des Unfallortes eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Alkoholisierung oder eine betäubungsmittelbedingte Verkehrsuntüchtigkeit spräche (OLG Saarbrücken, Urteil vom 01.02.2017 - 5 U 26/16 -).  Würde man in solchen Fällen den Kausalitätsgegenbeweis nicht als geführt ansehen wollen, würde die entsprechende Regelung in E.8.2. S. 1 der AKB ins Leere laufen.

Auch sei der Kausalitätsgegenbeweis nicht wegen Arglist ausgeschlossen (E.8.2. S. 2 der AKB). Arglist setze hier Bereicherungsabsicht voraus und läge schon vor, wenn die Obliegenheitspflichtverletzung bewusst begangen würde und dabei billigend in Kauf genommen würde, dass dies das Regulierungsverhalten des Versicherers möglicherweise beeinflussen würde.

Gegen eine Arglist beim Verlassen des Unfallortes spräche hier bereits, dass der Versicherungsnehmer gegenüber der Polizei einräumte, dass ein Nachbar den Unfall beobachtet habe und er zudem in unmittelbarer Nähe zum Unfallort gewohnt habe. Damit müssen ihm klar gewesen sein, dass bals Feststellungen getroffen würden. Zudem spräche die Lebenserfahrung dafür, dass ein Unfall häufig eine besondere Überforderung auslöse, weshalb der Schluss nicht nahe liege, dass auch ein Schädigung des Versicherers in das Vorstellungsbild aufgenommen worden sei. Verbleibende Zweifel gingen hier zu Lasten der Beklagten.

Da der Versicherungsnehmer seine Alleinverantwortung eingeräumt habe, könne er möglicherweise davon ausgegangen sein, dass der Sachverhalt ohnehin klar sei, weshalb auch das unvollständige Ausfüllen der Schadensanzeige nicht als arglistig zu bewerten sei.

OLG Hamm, Beschluss vom 28.02.2018 - 20 U 188/17 -