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Sonntag, 11. Dezember 2022

Widerruf eines Vergleichsangebots per Mail durch direkt nachfolgende Mail

Mit ihrer Klage machte die Klägerin restlichen Werklohn geltend. Über die Höhe des Werklohns bestand zwischen den Parteien Streit. Seitens der Beklagten wurde der Klägerin mit Schreiben vom 13.12.2018 eine Zahlung zur Erledigung der Angelegenheit ohne Anerkenntnis einer Rechtsverpflichtung angeboten. Die Klägerin antworte (durch ihren anwaltlichen Vertreter) mit Mail vom 14.12.2918, 9:19 Uhr, die Forderung belaufe sich auf € 14.347, 23 und eine weitere Forderung, mit Ausnahme des Verzugsschadens in Höhe der Anwaltskosten werde nicht erhoben. Mit weiterer Mail vom gleichen Tag, 9:56 Uhr, teilten der anwaltliche Vertreter der Klägerin der Beklagten mit, eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe sei durch die Klägerin noch nicht erfolgt, die E-Mail von 9:19 Uhr müsse daher unberücksichtigt bleiben; es könne derzeit nicht bestätigt werden, dass mit Zahlung des Betrages keine weiteren Forderungen erhoben würden. Nachdem die Klägerin unter dem 17.12.2018 eine Schlussrechnung über € 22.173,23 stellte, zahlte die Beklagte am 21.12.2018 € 14.347,23 auf die Hauptforderung und € 1.029m35 auf Rechtsanwaltskosten. Die Differenz ist streitgegenständlich gewesen.

Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen. Die Berufung wurde, unter Zulassung der Revision, zurückgewiesen. Allerdings hatte auch die Revision keinen Erfolg. Der BGH sah in der Zahlung vom 21.12.2018 das Zustandekommen eines Vergleichs des Inhalts, dass damit weitere Forderungen der Klägerin aus dem Vertrag der Parteien erloschen sind.

Die Mail des anwaltlichen Vertreters der Klägerin vom 14.12.2018, 9:19 Uhr, stelle sich als ein Angebot nach § 145 BGB dar. Es sei der Beklagten zu diesem Zeitpunkt wirksam zugegangen, § 130 BGB (Zugang bei Abwesenheit des Empfängers).  Sie würde nicht wirksam, wenn bereits vorher oder zeitgleich dem Empfänger ein Widerruf zugehen würde. Der Zugang bei dem Empfänger setze voraus, dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit habe, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Wann ein solcher Zugang bei einer E-Mail anzunehmen sei, sei in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt (und strittig). Allerdings biete der Rechtsfall keinen Anlass, diese Rechtsfrage umfassend zu beantworten.

Jedenfalls in den Fällen, in denen die E-Mail (wie vorliegend festgestellt) im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt würde, sei sie dem Empfänger in diesem Zeitpunkt zugegangen. Sie sei nämlich so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen habe zur Kenntnis nehmen können. Dass er sie tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen habe, sei für den Zugang nicht erforderlich.

Der für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver sei dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärung im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringe, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen könnten. Die E-Mails würden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet und der Empfänger würde über den Empfang unterrichtet. In diesem Zeitpunkt sei er in der Lage, die E-Mail abzurufen und sich deren Inhalt anzeigen zu lassen.

Der mit Mail von 9:56 Uhr erfolgte Widerruf sei verspätet gewesen. Da der Zugang bereits um 9:19 Uhr zur üblichen Geschäftszeit erfolgt sei, war ein wirksamer Widerruf gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 BGB ausgeschlossen gewesen.

Damit kam es nur noch auf die Frage der Rechtzeitigkeit der Annahme des Angebots an. Diese Annahme sah der BGH in der Zahlung vom 21.12.2018 als konkludent vorgenommen. Die Klägerin hatte keine Annahmefrist (§ 148 BGB) bestimmt gehabt. Gem. § 147 Abs. 2 BGB könne ein (wie hier) unter Abwesenden gemachter Antrag nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten dürfe. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass mit einer Antwort binnen zwei Wochen unter regelmäßigen Umständen zu rechnen gewesen sei, diese sei durch die den Annahmewillen konkludent zum Ausdruck bringenden Willen erfolgte Zahlung binnen sieben Tagen eingehalten worden, lasse Rechtsfehler nicht erkennen.

BGH, Urteil vom 06.10.2022 - VII ZR 895/21 -

Montag, 9. Dezember 2019

Arbeitsrecht: Zeitpunkt des Zugangs einer Kündigung bei Einwurf in Hausbriefkasten


Ein Mitarbeiter der Beklagten warf das Kündigungsschreiben am 27.01.2017 (Freitag)  gegen 13.25 Uhr in den Hausbriefkasten des Klägers ein. Gewöhnliche Postzustellungen erfolgen hier in der Regel gegen 11.00 Uhr. Der Kläger, der eingehend beim Arbeitsgericht am 20.02.2017 Klage erhob, machte geltend, das Kündigungsschreiben sei ihm erst am 30.01.2017 zugegangen. Streitig war, aber der Kläger die 3-Wochen-Frist des § 4 S. 1 KSchG eingehalten hatte. Die Vorinstanzen hatten dies negiert und die Klage deshalb abgewiesen. Auf die Revision das die klägerische Berufung gegen das arbeitsgerichtliche Urteil zurückweisenden Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. 

Ausgangspunkt der Entscheidung des BAG ist der Umstand, dass eine Willenserklärung (hier Kündigung) unter Abwesenden gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zu dem Zeitpunkt zugeht, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt und dieser unter gewöhnlichen Verhältnissen von ihr Kenntnis nehmen kann. Das aber würde besagen, dass bei einem Einwurf in den Hausbriefkasten bedeuten, dass der Zugang erst bewirkt ist zu dem Zeitpunkt, zu dem nach der Verkehrsanschauung generalisierend (und im Interesse der Rechtssicherheit nicht individualisierend auf die Person des Empfängers abstellend) mit einer Entnahme nach dem Einwurf zu rechnen sei. Das bedeute auch, dass z.B. bei einer Verhinderung infolge Erkrankung oder zeitweiliger Abwesenheit der Empfänger für eine Leerung Sorge tragen müsse.

Bei der Feststellung der Verkehrsanschauung handele es sich um eine Tatfrage. So sei die Annahme einer Verkehrsanschauung, wonach der Hausbriefkasten im Allgemeinen nach einer üblichen Postzustellungszeit im Zustellungsbezirk geleert würde, nicht zu beanstanden (BAG, Urteil vom 22.03.2012 - 2 AZR 224/11 -; BGH, Urteil vom 21.01.2004 -  XII ZR 214/00 -).  Allerdings könnte auch eine (gewandelte) Verkehrsanschauung festgestellt werden, die eine spätere Leerung (etwa mehrere Stunden nach dem üblichen Einwurf – festgestellt werden, wobei die Frage der Verkehrsanschauung regional unterschiedlich beurteilt werden könnte und sich diese auch im Laufe der Jahre ändern könne (das Bestehen der Fortdauer der Verkehrsanschauung könne nicht vermutet werden, BGH, Urteil vom 01.10.1992 - V ZR 36/96 -).

Diese Verkehrsanschauung könne der Richter durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ermitteln oder bei eigener Sachkunde feststellen. Diese eigene Sachkunde des Richters müsse im Urteil nicht dargelegt werden, wenn der Richter den angesprochenen Verkehrskreisen selbst angehört.

Nicht richtig sei aber, wenn das Landesarbeitsgericht auf „Normalarbeitszeiten während der Tagesstunden eines erheblichen Teils der Bevölkerung abstelle, da sich daraus für die Gepflogenheiten zur Leerung des Hausbriefkastens am Wohnort des Klägers nichts ergäbe. Nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung sei kernerwerbstätig, darunter 6,8 Mio. geringfügig oder in Teilzeit Beschäftigte mit weniger als 20 Stunden/Woche. Ferner wären die 5% Nachtarbeitnehmer nicht berücksichtigt. Hinzu kämen flexible Arbeitszeitmodelle und die Homeoffice-Tätigkeit.

Unabhängig davon sei auch nicht ersichtlich, weshalb es für die Verkehrsanschauung überhaupt auf die erwerbstätige Bevölkerung ankäme. Es handele sich bei der um eine (wenn auch große) Minderheit und würde auch nicht berücksichtigen, dass nicht alle Erwerbstätigen in Single-Haushalten leben würden, also die Leerung des Hausbriefkastens auch durch Mitbewohner erfolgen könne, die nicht oder zu anderen Zeiten arbeiten und eine zweite Leerung nicht stattfinde.

Zudem würde hier das Abstellen auf die Erwerbstätigen nicht berücksichtigen, dass der Kläger bereits seit dem 01.01.2017 nicht mehr von der Beklagten zur Arbeit herangezogen worden sei.

Das Landesarbeitsgericht hatte die Leerung von Hausbriefkästen nach der Verkehrsanschauung als „angemessen“ mit 17.00 Uhr angenommen. Dies sei willkürlich; Verhältnismäßigkeitsgrundsätze seien ungeeignet eine Verkehrsanschauung zu begründen.

BAG, Urteil vom 22.08.2019 - 2 AZR 111/19 -