Mit ihrer Klage machte die Klägerin restlichen Werklohn geltend. Über die Höhe des Werklohns bestand zwischen den Parteien Streit. Seitens der Beklagten wurde der Klägerin mit Schreiben vom 13.12.2018 eine Zahlung zur Erledigung der Angelegenheit ohne Anerkenntnis einer Rechtsverpflichtung angeboten. Die Klägerin antworte (durch ihren anwaltlichen Vertreter) mit Mail vom 14.12.2918, 9:19 Uhr, die Forderung belaufe sich auf € 14.347, 23 und eine weitere Forderung, mit Ausnahme des Verzugsschadens in Höhe der Anwaltskosten werde nicht erhoben. Mit weiterer Mail vom gleichen Tag, 9:56 Uhr, teilten der anwaltliche Vertreter der Klägerin der Beklagten mit, eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe sei durch die Klägerin noch nicht erfolgt, die E-Mail von 9:19 Uhr müsse daher unberücksichtigt bleiben; es könne derzeit nicht bestätigt werden, dass mit Zahlung des Betrages keine weiteren Forderungen erhoben würden. Nachdem die Klägerin unter dem 17.12.2018 eine Schlussrechnung über € 22.173,23 stellte, zahlte die Beklagte am 21.12.2018 € 14.347,23 auf die Hauptforderung und € 1.029m35 auf Rechtsanwaltskosten. Die Differenz ist streitgegenständlich gewesen.
Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen. Die Berufung wurde, unter Zulassung der Revision, zurückgewiesen. Allerdings hatte auch die Revision keinen Erfolg. Der BGH sah in der Zahlung vom 21.12.2018 das Zustandekommen eines Vergleichs des Inhalts, dass damit weitere Forderungen der Klägerin aus dem Vertrag der Parteien erloschen sind.
Die Mail des anwaltlichen Vertreters der Klägerin vom 14.12.2018, 9:19 Uhr, stelle sich als ein Angebot nach § 145 BGB dar. Es sei der Beklagten zu diesem Zeitpunkt wirksam zugegangen, § 130 BGB (Zugang bei Abwesenheit des Empfängers). Sie würde nicht wirksam, wenn bereits vorher oder zeitgleich dem Empfänger ein Widerruf zugehen würde. Der Zugang bei dem Empfänger setze voraus, dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit habe, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Wann ein solcher Zugang bei einer E-Mail anzunehmen sei, sei in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt (und strittig). Allerdings biete der Rechtsfall keinen Anlass, diese Rechtsfrage umfassend zu beantworten.
Jedenfalls in den Fällen, in denen die E-Mail (wie vorliegend festgestellt) im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt würde, sei sie dem Empfänger in diesem Zeitpunkt zugegangen. Sie sei nämlich so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen habe zur Kenntnis nehmen können. Dass er sie tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen habe, sei für den Zugang nicht erforderlich.
Der für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver sei dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärung im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringe, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen könnten. Die E-Mails würden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet und der Empfänger würde über den Empfang unterrichtet. In diesem Zeitpunkt sei er in der Lage, die E-Mail abzurufen und sich deren Inhalt anzeigen zu lassen.
Der mit Mail von 9:56 Uhr erfolgte Widerruf sei verspätet gewesen. Da der Zugang bereits um 9:19 Uhr zur üblichen Geschäftszeit erfolgt sei, war ein wirksamer Widerruf gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 BGB ausgeschlossen gewesen.
Damit kam es nur noch auf die Frage der Rechtzeitigkeit der Annahme des Angebots an. Diese Annahme sah der BGH in der Zahlung vom 21.12.2018 als konkludent vorgenommen. Die Klägerin hatte keine Annahmefrist (§ 148 BGB) bestimmt gehabt. Gem. § 147 Abs. 2 BGB könne ein (wie hier) unter Abwesenden gemachter Antrag nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten dürfe. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass mit einer Antwort binnen zwei Wochen unter regelmäßigen Umständen zu rechnen gewesen sei, diese sei durch die den Annahmewillen konkludent zum Ausdruck bringenden Willen erfolgte Zahlung binnen sieben Tagen eingehalten worden, lasse Rechtsfehler nicht erkennen.
BGH, Urteil vom 06.10.2022
- VII ZR 895/21 -