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Freitag, 15. März 2024

Faires Verfahren bei Videoverhandlung ohne „Nahblick“ auf Richterbank ?

Im Rahmen der Verhandlung, die auf Antrag der Beschwerdeführer als Videoverhandlung (§ 91a FGO; diese Norm entspricht § 128a ZPO) durchgeführt wurde, wurde nur eine Kamera im Gerichtssaal eingesetzt, die die Richterbank in der Totalen (also alle Richter zusammen) abbildete, mangels einer von den Beschwerdeführern steuerbaren Zoomfunktion diesen – so ihr Vorwurf – nicht die Möglichkeit gegeben habe, die Unvoreingenommenheit der Richter durch einen Blick ins Gesicht zu prüfen. Die Beschwerdeführer beriefen sich in ihrer Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesfinanzhofes (BFH) auf eine Verletzung des gesetzlichen Richters gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nahm die Beschwerde nicht zu Entscheidung an.

 Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG bestimme, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden dürfe. Grundsätzlich bedeute dies, dass kein anderer Richter tätig werden dürfe, der nicht nach allgemeinen Normen des Gesetzes und der Geschäftsverteilungspläne zur Entscheidung berufen sei. Allerdings könne Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht al eine formale Bestimmung verstanden werden, die stets dann bereits erfüllt sei, wenn die Richterzuständigkeit allgemein und eindeutig geregelt sei. Vielmehr gewährleiste das Grundgesetz den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens auch einen unabhängigen und unparteilichen Richter. Neben sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 Abs. 1 und 2 GG) sei es wesentliches Kennzeichen der Rechtsprechung im Sinne des Grundgesetzes, dass die richterliche Tätigkeit nicht von einem „nicht beteiligten Dritten“ ausgeübt würde. Die richterliche Tätigkeit erfordere daher eine unbedingte Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten. Dies sei auch zugleich ein gebot der Rechtsstaatlichkeit. Die Frage, ob Befangenheitsgründe gegen die Mitwirkung eines Richters sprechen, berühre so die Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten.

Es würde von den Beschwerdeführern nicht eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung bei dem Finanzgericht (FG) gerügt, vielmehr beanstandet, dass keine von ihnen steuerbare Zoomfunktion bestanden habe, und damit nicht die Möglichkeit bestanden habe, die über die Vollzähligkeit hinausgehende mentale Anwesenheit und Unvoreingenommenheit der Richterbank überprüfen zu können, also ein eventueller Befangenheitsgrund nicht erkennbar gewesen wäre. Dies genüge alleine aber noch nicht, auf einen bösen Schein oder einen Verdacht der Befangenheit zu schließen, der zu einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter führen könne. Nur die unrichtige Besetzung, nicht aber die fehlende Möglichkeit von deren (rechtzeitiger) Überprüfung begründe die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (anders BFH, Beschluss vom 30.06.2023 – V B 13/22 -). Damit führe ein fehlender Nahblick und eine dadurch begründete Unsicherheit, ob Verhalten oder Mimik für eine Befangenheit sprechen könnten, nicht zur fehlerhaften Besetzung. Der Schutz des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG könne nicht auf den Bereich der Möglichkeit vorverlagert werden. 

Durch eine fehlende Überprüfungsmöglichkeit der Unvoreingenommenheit könne gegebenenfalls das Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden sein (worauf sich die Beschwerdeführer aber nicht bezogen hätten und welches nach ihrem Vortrag hier auch nicht vorgelegen habe). 

Zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens gehöre ein Faires Verfahrens, welches seine Grundlagen im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG habe. Das faire Verfahren bedürfe je nach sachlichen Gegebenheiten einer Konkretisierung. Die Gerichte hätten den Schutzgehalte der in Frage stehenden Verfahrensnormen und anschließend die Rechtsfolgen ihrer Verletzung zu bestimmen. Dabei seien Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren angemessen zu berücksichtigen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibe. Die Verkennung des Schutzgehalts einer Verfahrensnorm könne daher in das Recht eines Beteiligten auf ein faires Verfahren eingreifen. 

Es sei daher denkbar, dass das Recht auf ein faires Verfahren im Rahmen des § 91a FGO eine Überprüfungsmöglichkeit der Neutralität und Unabhängigkeit der Richterbank für die Beteiligten gewährleiste. Auch sei nicht auszuschließen, dass bei dem derzeitigen Stand, wenn aus der Distanz gefilmt würde, damit die gesamte Richterbank erscheine, je nach räumlichen Gegebenheiten oder ggf. der Qualität der technischen Hilfsmittel die Beobachtungsmöglichkeit eingeschränkt sein könnte und hinter jener bei Anwesenheit vor Ort zurückbleiben könnte. 

Diese Möglichkeit wurde hier aber als für die Beschwerde vom BVerfG schon deshalb nicht als tragfähig angesehen. Die Beschwerdeführer, die selbst die Videoverhandlung beantragt hätten, hätten ihre konkrete Situation nicht hinreichend substantiiert beschrieben, um in ihrem Fall die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren beurteilen zu können.  So sei nicht erkennbar, dass eine fehlende Kontrollmöglichkeit nicht auf einer unzureichenden eigenen Ausstattung beruht habe oder wie die konkreten örtlichen Gegebenheiten und die Übertragungsqualität sowie wie sich etwaige dadurch bedingte Einschränkungen dargestellt hätten. Es könne daher nicht abschließend beurteilt werden, ob tatsächlich keine Kontrollmöglichkeit bestanden habe. 

Zudem hätten es die Beschwerdeführer entgegen den Anforderungen aus dem aus § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG abgeleiteten Grundsatz der Subsidiarität nicht  dargelegt, dass sie im Laufe der Verhandlung vor dem FG etwaige Einschränkungen der Beobachtungsfähigkeit von Verhalten oder nonverbaler Kommunikation beanstandet hätten. 

BVerfG, Beschluss vom 15.01.2024 - 1 BvR 1615/23 -

Samstag, 21. September 2019

Gesetzlicher Richter: Verstoß bei Zulassung der Rechtsbeschwerde durch den Einzelrichter


Vorliegend musste das Landgericht über eine sofortige Beschwerde gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss entscheiden, nachdem der Rechtspfleger des Amtsgerichts dieser nicht abgeholfen hatte. Hier entschied nicht die zuständige Kammer in voller Besetzung, sondern der Einzelrichter. Er wies die sofortige Beschwerde zurück, ließ aber die Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung zu. Der BGH hat nun nicht über die der Entscheidung zugrunde liegende Rechtsfrage entschieden, sondern den Beschluss des Einzelrichters wegen eines Verstoßes gegen den „gesetzlichen Richter“ aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Ein Verstoß gegen den „gesetzlichen Richter“ (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) führt zwingend zur Aufhebung der darauf beruhenden Entscheidung, da nur der „gesetzliche Richter“ befugt ist, eine Entscheidung in der Sache zu treffen. Es kommt also nicht darauf an, ob die Entscheidung materiell-rechtlich zutreffend ist oder nicht und ob sie der BGH bei einer Entscheidung in der Sache selbst stützen würde und eine gegen sie erhobene Rechtsbeschwerde zurückweisen würde. Der Verstoß muss nicht notwendig von dem Rechtsmittelführer gerügt werden; das Gericht hat dies, wenn sich Anhaltspunkte für einen Verstoß ergeben,  von Amts wegen zu prüfen (BSG, Urteil vom 23.08.2007 - B 4 RS 2/06 R -; BGH, Beschluss vom 18.09.2018 - VI ZB 34/17 -).

Grundlage ist im Beschwerdeverfahren § 568 ZPO, demzufolge das Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter entscheidet, § 568 S. 1 ZPO, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter (oder wie hier) einem Rechtspfleger erlassen wurde. Allerdings ist der an sich originär zuständige Einzelrichter nach § 568 S. 2 ZPO verpflichtet, der Kammer (Landgericht) oder dem Senat (Oberlandesgericht) das Verfahren zu übertragen, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist (Nr. 1.) oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 2.).

Indem vorliegend der Einzelrichter die Rechtsbeschwerde zugelassen habe, habe er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen. Auch wenn § 568 S. 3 ZPO die Begründung eines Rechtsmittels mit der erfolgten oder unterlassenen Übertragung ausschließt, sieht der BGH in dem Beschluss doch eine objektiv willkürliche Entscheidung des Einzelrichters und Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters, da er nach § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO zwingend bei Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung das Verfahren der Kammer hätte vorlegen müssen.

BGH, Beschluss vom 18,12,2018 - VI ZB  2/18 -