Sonntag, 21. Juli 2024

Transfrau sei Mann – zulässige oder unzulässige Meinungsäußerung ?

Auf einem Onlineportal der Verfügungsbeklagten zu 1. war ein Beitrag der Verfügungsbeklagten zu 2. mit der Überschrift „Held*innen der Demokratie? So fördern wir mit unseren Steuergeld Frauenhass“  veröffentlicht, gegen den sich die Verfügungsklägerin mit einer einstweiligen Verfügung mit dem Antrag dagegen wandte, sie als „Mann“ zu bezeichnen, wenn dies geschehe wie in der Äußerung in dem Beitrag „Anstatt eine junge Doktorandin zu unterstützen, die seit Monaten attackiert, auf offener Straße verfolgt und sogar körperlich angegriffen wird, unterstützt die Stiftung lieber einen 60-jährigen Mann, der an der Spitze eines Lobby-Vereins steht und maßgeblich an dem Frauenhass beteiligt ist, dem A seit Monaten ausgesetzt ist“. (Nachfolgend werden die Parteien als Klägerin und Beklagte benannt).  Das Landgericht gab einem entsprechenden Verfügungsantrag der Klägerin statt und bestätigte diese nach Einspruch sodann mit dem angefochtenen Urteil. Das OLG erließ einen Hinweisbeschluss gem. § 522 ZPO, mit dem es darauf hinwies, die Berufung der Beklagten zurückweisen zu wollen. Mit dem Beschluss vom 14.02.2024 wies das OLG die Berufung zurück.

Sowohl unter Berücksichtigung des Satzes, in dem die Bezeichnung der der Klägerin als Mann erfolgte, wie auch aus dem Gesamtkontext des Beitrages stelle der Beitrag eine Meinungsäußerung dar, durch die die Klägerin herabgewürdigt würde. Bei der Sinndeutung käme es nicht darauf an, wie der Äußernde seine Aussage verstanden wissen wollte, sondern darauf, wie ein verständiges Durchschnittspublikum des Publikation unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs und Kontextes, der „Eigengesetzlichkeiten“ des jeweiligen Übertragungsmediums sowie der erkennbaren Begleitumstände der jeweiligen Äußerung verstünde.

Unter Berücksichtigung der Struktur des Satzes und der dort verwandten stilistischen Mittel, in dem die Bezeichnung „Mann“ verwandt würde, enthalte diese Bezeichnung für den Leser eine herabwürdigende Bedeutung. Der Beitrag enthalte auch eine rhetorische Steigerung der für die Klägerin verwandten Bezeichnung, die in dem Schlusssatz in der Formulierung „Mann“ gipfele. Die deutliche Herabsetzung würde auch in der Gegenüberstellung der jungen Doktorandin, nach Auffassung der Autorin das Opfer, und dem über 60-jährigen „Mann“ die die finanzielle Unterstützung durch die Stiftung nicht verdient habe, und in dem unmittelbaren inhaltlichen Zusammenhang mit einer Beteiligung am „Frauenhass“ deutlich, da durch die Verwendung des Begriffs eine deutlich herabsetzende im konkreten Zusammenhang für den Leser vermittelt würde. Das OLG ging auch von einer bewussten Bezeichnung „Mann“ aus, da der Autorin die Lebensgeschichte und das biologische Geschlecht der der Klägerin ausweislich des Beitrages bekannt gewesen sei.

Das OLG ging von einer Meinungsäußerung bei der streitgegenständlichen Äußerung aus, da es sich um eine einheitliche wertende Zusammenfassung der in dem Beitrag ausgedrückten Kritik an den Ergebnissen um die Anfeindungen, denen sich A ausgesetzt sehe, handele. Eine Trennung  des Satzes in eine zusammenfassende Kritik zum Vorgehen der Stiftung und eine Tatsachenbehauptung über das biologische Geschlecht der Klägerin sei nicht ersichtlich. Die Bezeichnung „Mann“ sei sowohl grammatikalisch als auch vom Sinngehalt vollständig eingebettet und für den Leser nicht als eigenständige Äußerung zum Geschlecht der Klägerin erkennbar.

Diese Meinungsäußerung sei unzulässig. Zwar könnten auch scharfe und auch abwertende Äußerungen von der Meinungsfreiheit geschützt sein, auch wenn der Betroffene sie ehrverletzend empfinde. Es sei allerdings bei ehrverletzenden Äußerungen eine Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Bezeichnung der Klägerin als „Mann“ um einen Eingriff in einen zentralen Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handele, was zu Gunsten der Klägerin besonders zu gewichten sei. Mit der Bezeichnung würde ihr ihre seit Jahrzehnten nach außen gelebte geschlechtliche Identität abgesprochen, was sie nicht hinnehmen müsse.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.02.2024 - 16 U 93/23 -

Donnerstag, 18. Juli 2024

Falschangabe in Kaskoversicherung nach Diebstahl und Leistungsfreiheit

Der Kläger behauptete den Diebstahl eines bei der Beklagten kaskoversicherten Quad. Erworben wurde das Quad 2018 und über eine Bank finanziert, wobei ein A.W. Darlehensnehmer war, da der Kläger bei Banken keinen Kredit bekommen hätte. Am 05.12.2019 erstatteten A.W. und der Kläger Strafanzeige wegen eines Diebstahls des Quad. Am 25.03.2020 wurde der Kläger von einem Beauftragten der Beklagten befragt, der ein Fragen-Antworten-Protokoll aufsetzte und dies dem Kläger zusandte, welcher es unterschrieb. Mit der Übersendung wurde dem Kläger eine Belehrung nach § 28 Abs. 4 VVG zugesandt. Auf die Frage 8, ob der Kläger allgemeine finanzielle Schwierigkeiten habe, eine eidesstattliche Versicherung oder Vermögensauskunft abgegeben habe bzw. eine Nichtabgabe der Vermögensauskunft erfolgt sei, antworte der Kläger „Nein, so etwas habe ich nicht“. Tatsächlich war im Schuldnerverzeichnis des AG Leipzig eine Nichtabgabe der Vermögenauskunft durch den Kläger vermerkt. Am 08.05.2020 versage die Beklagte den Versicherungsschutz. Die auf Versicherungsleistung von € 10.000,00 wurde abgewiesen. Das OLG wies den Kläger darauf hin, dass es die Zurückweisung der Berufung beabsichtige.

Das OLG ging von einer vorsätzlichen Obliegenheitspflichtverletzung des Klägers aus, wobei er gem. § 28 Abs. 4 VVG über die Folgen deren Verletzung belehrt worden sei, und zwar anlassbezogen in Textform aus Anlass der Befragung, wobei es auf die Belehrung in Ansehung der Arglist, von der der Senat ausging, nicht ankäme.  In E.1.1.3 AKB sei zwischen den Parteien vereinbart, dass der Kläger die Fragen „zu den Umständen des Schadensereignisses, zum Umfang des Schadens“ wie auch zur Leistungspflicht der Beklagten „wahrheitsgemäß und vollständig“ beantworten müsse. Der Kläger habe die Verweigerung der Abgabe der Vermögensauskunft nach § 802c ZPO sowie die Eintragung der Verweigerung in das Schuldnerverzeichnis gem. § § 882c Abs. 1 Nr. 1 ZPO verschwiegen.

Für ein Verschulden des Klägers sei die Beklagte beweisbelastet, doch trage der Versicherungsnehmer die Substantiierungslast: Er müsse die zur Obliegenheitspflichtverletzung führenden Umstände, die zu einer Sphäre gehören würden (mithin die Gründe der etwaigen Falschangaben) nachprüfbar dartun (OLG Celle, Urteil vom 30.11.2017 - 8 U 27/17 -). Die Fragen seien hier eindeutig gewesen. Trotz der durch Übersendung des Protokolls eröffneten Möglichkeit und der Kenntnisnahme seiner Beantwortung zur Nachabgabe der Vermögensauskunft habe er keine Rückfragen gestellt, sondern das Protokoll unterschrieben.

Das Verschweigen sei auch arglistig erfolgt. Das habe zur Folge, dass es nicht darauf ankäme, ob die Obliegenheitsverletzung für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles oder für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers Einfluss habe, § 28 Abs. 3 S. 2 VVG. Arglist setze die vorsätzliche Obliegenheitspflichtverletzung voraus und das Bewusstsein, gegen die Interessen des Versicherers zu verstoßen, da er damit rechne, dass seine Obliegenheitspflichtverletzung Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalles oder die Leistungspflicht oder den Leistungsumfang des Versicherers habe oder haben könne. Dabei käme es auf eine Bereicherungspflicht nicht an. Ausreichend sei hier schon, dass der Versicherungsnehmer einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolge, z.B. dass er für sich Schwierigkeiten bei der Durchsetzung berechtigter Deckungsansprüche ausräumen wolle und wisse, dass sein Verhalten die Schadenregulierung durch den Versicherer möglicherweise beeinflussen könne (st. Rspr., so BGH, Urteil vom 21.11.2012 - IV ZR 97/11 -).

Die Beweislast für die Arglist treffe zwar auch den Versicherer. Aus wissentlich falschen Angaben im Zusammenhang mit Aufklärungsobliegenheiten könne nicht ohne weiteres der Schluss auf Arglist gezogen werden, doch treffe den Versicherungsnehmer eine sekundäre Darlegungslast, weshalb er plausibel darzulegen habe, weshalb es zu den objektiv falschen Angaben kam (BGH, Urteil vom 11.05.2011 - IV ZR 148/09 -). Hier habe der Kläger widersprüchliche Angaben gemacht (was ausgeführt wird). Der Umstand, dass er die Fragen für unerheblich gehalten haben will, sei nicht beachtlich, da es nicht in der Sphäre des Versicherungsnehmers läge, da er nicht die Fragen des Versicherers zu bewerten habe.

Ggf. könne die völlige Leistungsverweigerung rechtsmissbräuchlich sein, so wenn dies für den Versicherungsnehmer eine übermäßige Härte darstellen würde. Dies käme aber nur in Betracht, wenn die Täuschung nur einen geringen Teil des versicherten Schadens betreffe und zudem weitere Billigkeitsmomente zugunsten des Versicherungsnehmers vorlägen. Entsprechende Umstände seien nicht vorgetragen und lägen nicht vor.

OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 18.04.2024 - 4 U 67/24 -

Sonntag, 14. Juli 2024

Haftung bei Brand eines Kfz aus ungeklärter Ursache

Hinter dem Fahrzeug des Klägers war auf einer Straße mit leichten Gefälle das Fahrzeug des Klägers abgestellt, dahinter das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug. In der Nacht entwickelte sich an beiden Fahrzeugen ein Brand, bei dem das klägerische Fahrzeug zerstört wurde. Das Landgericht wies die Schadensersatzklage des Klägers ab, der das Oberlandesgericht auf dessen Berufung im Wesentlichen stattgab. Auf die zugelassene Revision hob der BGH das Urteil des Oberlandesgerichts auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

Der BGH wies darauf hin, dass Voraussetzung für eine Haftung (nach der hier einzig in Betracht kommenden Norm des § 7 StVG) sei, dass sich der Schaden „bei dem Betrieb“ ereignet habe. Erforderlich sei, dass bei wertender Betrachtung das Schadensereignis durch das Kraftfahrzeug (mit-) geprägt sei. Es müsse sich um einen Schaden handeln, für den nach dem Sinn der Haftungsnorm schadlos gehalten werden soll. Für die Zurechnung käme es darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung stehen würde. Von daher reiche bei einem Fahrzeugbrand der Umstand für sich, dass ein Kraftfahrzeug wegen mitgeführter Betriebsstoffe oder der verwendeten Materialien leicht brenne, nicht für eine Haftung nach § 7  Abs. 1 StVG aus.

Vorliegend habe sich der Vorfall nicht einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des bei der Beklagten versicherten Pkw ereignete.

Die Schädigung Dritter durch einen Defekt einer Betriebseinrichtung eines Kfz gehöre zu den spezifischen Gefahren, für die § 7 StVG den Verkehr schadlos halten wolle. Dabei käme es nicht darauf an, ob der Brand, etwas durch den Kurzschluss  der Batterie, unabhängig von dem Fahrbetrieb vor, während oder nach der Fahrt eintrete. Denn jedenfalls sei – anders als bei einer vorsätzlichen Inbrandsetzung eines ordnungsgemäß zum Parken abgestellten Fahrzeugs – das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug selbst und die von ihm ausgehenden Gefahren (mit) geprägt worden.

Das Berufungsgericht habe zwar zutreffend festgestellt, dass das Parken eines Fahrzeugs zum Betrieb desselben gehöre. Der betrieb dauere fort, solange das Fahrzeug im Verkehr gelassen würde. Alleine de9i Anwesenheit eines Kfz an der Unfallstelle rechtfertige aber nicht die Annahme, ein Schaden sie bei dem betrieb des Fahrzeugs entstanden. Erforderlich sei vielmehr, dass die Fahrweise oder der Betrieb dieses Fahrzeugs zum Schaden beigetragen habe (BGH, Urteil vom 26.04.2005 - VI ZR 168/04 -).  Auch wenn hier der Brand auf das klägerische Fahrzeug durch Auslaufen von Benzin bei dem anderen Fahrzeug habe übergreifen können, da dieses zum klägerischen Fahrzeug lief und sich entzündete, reiche dies nicht. Als entscheidend sah der BGH die Ursache des Brandes bei dem schädigenden Fahrzeug an, die nicht habe festgestellt werden können.  

Das Berufungsgericht hatte es für die Haftung der Beklagten ausreichen lassen, dass die Brandursache ungeklärt bleib und eine Brandstiftung nicht habe nachgewiesen werden können, ferner das brennende Benzin zum klägerischen Wagen lief und diesen in Brand setzte. Damit habe das Berufungsgericht die haftungsbegründenden Voraussetzungen und die Beweislast des Klägers verkannt.

Für die haftungsbegründenden Voraussetzungen (hier nach § 7 Abs. 1 StVG) trage der Kläger die Beweislast. Ein Indizienbeweis könne ausreichend sein, wenn andere Schlüsse aus den Indiztatsachen ernstlich nicht in Betracht kämen. Soweit das Berufungsgericht darauf abgestellt habe,  der Nachweis einer Brandstiftung habe nicht geführt werden können,  sei das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft wohl davon ausgegangen, die beklagte hätte eine Brandstiftung nachwiesen müssen. Zwar könnte der Ausschluss einer Brandstiftung als Brandursache als Indiz dafür in Betracht kommen, dass  der Brand dem Betrieb des Fahrzeugs zuzurechnen sei; sei aber offen, ob eine Brandstiftung vorliegt, so wäre damit kein Indiz für die Ursächlichkeit des Betriebs gegeben.

BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 76/23 -

Freitag, 12. Juli 2024

Entschädigungsanspruch des Reiseveranstalters bei Buchung trotz vorhersehbarer Beeinträchtigung

Der Rechtsstreit betraf nicht die erste Corona-Welle, sondern die Buchung einer Pauschalreise  vom 20.01.2021 nach Thailand für November/Dezember 2021. Das RKI stufte Thailand am 08.08.2021 als Hochrisikogebiet ein. Der Kläger stornierte schließlich seine Reise am 24.10.2021 und die Beklagte behielt die Anzahlung auf den Reisepreis von 25% als Stornierungsgebühr ein. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten wurde die Klage abgewiesen. Die dagegen zugelassene und eingelegte Revision wurde zurückgewiesen.

Die Beklagte habe gem. § 651h Abs. 1 S. 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis wegen des nach § 651 Abs. 1 S. 2 BGB wirksamen Rücktritts des Klägers verloren. Allerdings könne die Beklagte der Rückforderung des angezahlten Reisepreises wirksam ihren Entschädigungsanspruch nach § 651h Abs. 1 S. 3 BGB entgegenhalten.

Es sei nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als geeignet ansehe, die Durchführung einer Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (BGH, Urteil vom 28.03.2023 - X ZR 78/22 -; EuGH, Urteil vom 08.06.2023 - C-407/21 -). Allerdings sei es rechtsfehlerfrei, dass hier das Berufungsgericht entschied, dass die Durchführung der Reise nicht erheblich beeinträchtigt gewesen sei. Insoweit sei für die Feststellung der Beeinträchtigung darauf abzustellen, ob die mit der Durchführung der Reise verbundenen Risiken bereits bei Buchung bekannt oder wenigstens absehbar gewesen seien. Um eine erhebliche Beeinträchtigung zu verneinen sei ausreichend, wenn bei Vertragsabschluss Umstände vorlägen, die der Durchführung der Reise zwar nicht zwingend entgegenstünden, aber doch so gravierend seien, dass nicht jeder Reisende die damit verbundenen Risiken auf sich nehmen möchte.  Würde in dieser Situation gleichwohl eine Reise gebucht, sei es auch in der Regel zumutbar, die Reise anzutreten, wenn die bei Buchung absehbaren Risiken fortbestehen oder bestehen (BGH, Urteil vom 19.09.2023 - X ZR 103/22 -; EuGH, Urteil vom 29.02.2023 - C-299/22 -).  Dabei käme es nicht darauf an, ob zum Zeitpunkt der Buchung die Weiterentwicklung der Situation noch nicht absehbar sei, wenn jedenfalls eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür bestünde, dass es innerhalb kürzester Zeit zu gravierenden Veränderungen komme (BGH, Urteil vom14.11.2023 - X ZR 115/22 -). Das Berufungsgericht habe deutlich darauf abgestellt, dass im Zeitpunkt der Buchung aus Sicht des Klägers aufgrund des weltweiten Pandemiegeschehens und dessen wellenartiger Entwicklung damit zu rechnen gewesen sei, dass es auch im Reisezeitraum und am Reiseziel zu pandemiebedingten Beeinträchtigungen kommen könne.

Zwar sei durch das RKI Thailand erst nach der Buchung zum Hochrisikogebiet erklärt worden. Allerdings habe der Kläger nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts damit bereits zum Zeitpunkt der Buchung rechnen müssen, weshalb es an einer wesentlichen Veränderung im dargelegten Sinne fehle.

BGH, Urteil vom 23.04.2023 - X ZR 58/23 -

Dienstag, 9. Juli 2024

Aufnahme des Rechtsformzusatzes „eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ (eGbR) in Namen

Das Registergericht hatte die Anmeldung der Beschwerdeführer (Gesellschafter) für die „…eGbR K2-Straße…“ zum Registergericht zurückgewiesen. Die Beschwerde führte zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Registergericht.

Mit dem am 01.01.2024 in Kraft getretenen Gesetz zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts (MoPeG) wurde ein Gesellschaftsregister geschaffen wird, in das sich Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR) eintragen lassen können, § 707 Abs. 1 BGB. Mit der Eintragung ist die Gesellschaft gem. § 707a Abs. 2 S. 1 BGB verpflichtet, als „Namenszusatz“ die Bezeichnung „eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ oder (abgekürzt) „eGbR“ zu führen. Vorliegend ging das Registergericht davon aus, dass der Zusatz dem Namen der GbR angefügt werden müsse und nicht – wie hier – mitten im Namen stehen dürfe.

Das OLG als Beschwerdegericht konstatierte, dass die Stelle, an der der Zusatz aufzunehmen sei, nicht einheitlich gesehen würde. So habe das AG Düren dem in der Gesellschaftsbezeichnung aufgenommenen Zusatz akzeptiert, was – wie hier die Vorinstanz – im Schrifttum vereinzelt als unzulässig angesehen würde. Die angenommene Unzulässigkeit würde darauf gestützt, dass anders als die Rechtsträgerbeschreibung als Firmenbezeichnung gem. § 19 HGB es nicht genüge, dass der Zusatz innerhalb des Namens enthalten sei, sondern er habe den vollständig geführten Namen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts abzuschließen. Es würde aber auch die Auffassung vertreten, der Begriff des „Namenszusatzes“ verlange wie im Firmenrecht nur, dass dieser vom namenskern deutlich abgegrenzt sei und nicht mit diesem verschwimme.

Der Wortlaut von § 707a Abs. 2 BGB, so das OLG, gebe nicht vor, wie der Zusatz aufzunehmen sei. Der Terminus „Zusatz“ besage nicht zwingend, an welcher Stelle er anzubringen sei.

Auch Sinn und Zweck würden nicht zwingend dafür sprechen, dass der Rechtsformzusatz den Namen abschließen müsse. Da hier mit der gesetzlichen Anordnung eine Information des Rechtsverkehrs über die Gesellschafts- und Haftungsverhältnisse bezweckt sei, käme es nur darauf an, ob durch die Stellung des Zusatzes diese Informations- und Aussagekraft beeinträchtigt würde. Das sei vorliegend nicht der Fall.

Trenne wie hier der Zusatz den sachlichen Namensbezug (hier: „…“) von einem geografischen Zusatz (hier: „K2-Straße…“), könne kein Zweifel an der Rechtsform aufkommen.

OLG Köln, Beschluss vom 22.04.2024 - 4 Wx 4/24 -

Montag, 8. Juli 2024

Unwirksamkeit eines Vergleichs wegen fehlerhafter Angaben eines Sachverständigen ?

Die Parteien hatten am 10.11.2023 vor dem Senat des OLG einen Vergleich in einem Rechtstreit geschlossen, in dem der Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld infolge ärztlicher Behandlung begehrte. Diesem Vergleich stimmte der Kläger sofort zu, die Beklagten behielten sich ein Widerrufsrecht bis zum 01.12.2023 vor, von dem sie keinen Gebrauch machten. Mit Schriftsatz vom 14.11.2923 erklärte der Kläger gegenüber dem Beklagtenvertreter die Anfechtung des Vergleichs bzw. seiner Willenserklärung zum Abschluss des Vergleichs gem. §§ 119, 123 BGB. Unter Stellung seiner vormaligen Anträge beantragte er die Fortsetzung des Verfahrens, demgegenüber die Beklagten beantragten festzustellen, dass der Rechtstreit durch den Vergleich erledigt sei. Das OLG stellte die Erledigung des Rechtstreits durch den Vergleich durch Endurteil fest (dazu BGH, Beschluss vom 18.09.1996 - VIII ZB 28/96 -).

Die Beweislast dafür, dass ein abgeschlossener Vergleich nicht den Prozess beendet habe, trage derjenige, der sich darauf berufe (vorliegend der Kläger).

Der Kläger hatte sich vorliegend auf die Unrichtigkeit eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens berufen. Nach dem auch auf einen Prozessvergleich anwendbaren § 779 Abs. 1 BGB sei ein Vergleich unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zu Grunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspreche und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden wäre. Damit, so weiter der Senat, sei der Fall beiderseitigen Irrtums über einen Umstand, der außerhalb des Streits der Parteien gelegen habe, geregelt. Allerdings sei die Richtigkeit von Angaben gerichtlicher Sachverständiger kein von den Parteien als feststehend zu Grunde gelegter Sachverhalt (OLG Hamm, Urteil vom 21.05.2005 - 13 U 25/04 -). Vor dem Vergleich seien die Möglichkeit und Verfügbarkeit alternativer Behandlungsmethoden streitig gewesen, wozu sich der Sachverständige geäußert habe. Dies sei auch der Streitbeilegung zugrunde gelegt worden. Damit aber stünde fest, dass die Parteien gerade nicht übereinstimmend vom Bestehen alternativer Behandlungsmethoden ausgegangen seien, sondern dies erst durch das Gutachten ermittelt worden sei. Mithin habe sich der Kläger nur in einem tatsächlichen Irrtum über einen Umstand befunden, der bereits vor dem Vergleich streitig bzw. ungewiss gewesen sei. Die Parteien würden selbst das Risiko übernehmen für streitige und ungewisse Umstände, deren Bedeutung und Folgen zur Streitbeilegung im Vergleich geregelt würden, die in Wahrheit aber von angenommenen Größen abweichen würden.  Ein beiderseitiger Irrtum, wie er § 779 Abs. 1 BGB voraussetze, habe nicht vorgelegen.

Auch infolge der vom Kläger erklärten Anfechtung des Vergleichs sei dieser nicht unwirksam. Dazu müsste der Tatbestand des § 119 BGB verwirklicht sein, was nicht der Fall sei. Der Kläger habe sich nicht iSv. § 119 Abs. 1 BGB über den Inhalt seiner Erklärung im Irrtum befunden, sondern diese Erklärung abgeben. Irrtümer über Motive oder im Rahmen der Kalkulation seien bei dem Abschluss eines Prozessvergleichs unbeachtlich. Damit könnten selbst unrichtige Angaben des Sachverständigen nicht die Anfechtung rechtfertigen, auch wenn diese die Höhe der Vergleichssumme beeinflusst haben sollten. Es würde sich um einen bloßen (unbeachtlichen) Motivirrtum in Form einer Fehlvorstellung handeln.

Die Behandlungsmethode stelle sich auch nicht als verkehrswesentliche Eigenschaft eines Vergleichs iSv. § 119 Abs. 2 BGB dar.

Ebenso würde hier nicht § 123 Abs. 2 BGB greifen. Eine arglistige Täuschung oder bewusst falsche Angabe durch den Sachverständigen sei nicht dargelegt worden. Zudem wäre nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich, dass die Beklagten – was erforderlich wäre – diese mutmaßliche arglistige Täuschung des Sachverständigen kannten oder hätten kennen müssen. Zu diesen Punkten stelle der Kläger nur Mutmaßungen an, was nicht ausreichend ist.

OLG Hamm, Beschluss vom 12.04.2024 - 26 U 2/23 -

Samstag, 6. Juli 2024

Grundsteuer: Wertfeststellung nach dem Bundesmodell und Gegengutachten

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat eine Beschwerde gegen eine Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz, mit der einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung aus einem Grundsteuerwertbescheid entsprochen worden war, zurückgewiesen. Allerdings erfolgte die Zurückweisung der vom Finanzamt eingelegten Beschwerde nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen, sondern auf der Grundlage der materiellen Rechtmäßigkeit.

Grundlage war ein Grundsteuerwertbescheid in Rheinland-Pfalz. Die Ermittlung in Rheinland-Pfalz (wie auch in Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein) erfolgt nach dem Bundesmodell. Der BFH folgte zwar dem Finanzgericht darin, dass der angefochtene Bescheid ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit aufwerfe und damit das Gericht der Hauptsache die Vollziehung des angefochtenen Bescheides nach § 69 Abs. 3 iVm. Abs. 2 FGO aussetzen könne. Ernstliche Zweifel würden bestehen, wenn neben Gründen für die Rechtmäßigkeit des Bescheides gewichtige Umstände gegen die Rechtsmäßigkeit zutage treten würden, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken würden. Bei der vorzunehmenden summarischen Prüfung sei von dem Vortrag der beteiligten und der Aktenlage auszugehen, wobei für die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung (AdV) die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen müssten.

Vorliegend hatte der Senat nach dem Vortrag der Parteien und der Aktenlage lediglich einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Diese Zweifel würden sich aus der verfassungskonformen Auslegung der Bewertungsvorschriften ergeben, da danach die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, dass bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit gegeben werden müsse, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.

Bei der Neureglung der Grundsteuer sei der Belastungsgrund nach der gesetzgeberischen Vorstellung die durch den Grundbesitz vermittelte Möglichkeit einer ertragsbringenden Nutzung, die sich im Sollertrag widerspiegelt und eine objektive Leistungsfähigkeit vermittle (BT-Drs. 19/11085, 84).

Die Besteuerung müsse den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen und das daraus folgende Übermaßverbot bei der Besteuerung beachten. Dass sei nur gewahrt, wenn gewährleistet ist, dass sich das Gesetz auf der Bewertungsebene am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel orientiert und den Sollertrag mittels einer verkehrswertorientierten Bemessungsgrundlage bestimme (BT-Drs. 19/11085, 90). Unterschiede im Einzelfall zum Wert nach §§ 217 ff BewG und dem gemeinen Wert müssten grundsätzlich hingenommen werden, solange ein Verstoß gegen das Übermaßverbot entweder durch verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift oder durch eine Billigkeitsmaßnahme abgewandt werden könne. Eine Verletzung des Übermaßverbots läge vor, wenn der vom Finanzamt festgestellte Wert den nachgewiesenen gemeinen Wert um 40% oder mehr übersteige (BFH, Urteil vom 16.11.2022 - II R 39/20 -).

Der Senat wies darauf hin, dass er bereits zu verschiedenen Bewertungsnormen entschieden habe, dass bei einem Ausschluss von Billigkeitsmaßnahmen in verfassungskonformer Auslegung der betreffenden Vorschriften der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot zuzulassen sei, wenn der Gesetzgeber einen solchen Nachweis nicht ausdrücklich geregelt habe. Bestünde diese Möglichkeit, seien die pauschalierenden und typisierenden Bewertungsvorschriften nicht verfassungswidrig.

Auch vorliegend sei nach dem Siebenten Abschnitt des Bewertungsgesetzes eine abweichende Wertfeststellung aus Billigkeitsgründen nicht vorgesehen (s. § 220 S. 2 BewG). Damit seien die vorgenannten Rechtsprechungsgrundsätze zu übertragen , weshalb ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestünden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass dem Antragsteller im Hauptsacheverfahren der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts gelinge.

Vorliegend habe der Antragsteller Umstände vorgetragen, die einen erfolgreichen Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts für die gesamte wirtschaftliche Einheit mit der erforderlichen Abweichung zu dem im typisierten Verfahren festgestellten Grundsteuerwert im Hauptsacheverfahren möglich erscheinen ließen: Baujahr 1880 und schlechter Instandhaltungszustand wegen unterbliebener Renovierungen, weshalb dem Gebäude kein erheblicher Mehrwert beizumessen sei und die wirtschaftliche Einheit nur mit dem Bodenwert abzüglich etwaiger Freilegungskosten zu bewerten sei (sogen. Liquidationsobjekt). Es seien nach den Ausführungen auch Zweifel begründet, dass sich mit dem Gebäude im benannten Zustand die gesetzlich typisierten Mieterträge erzielen ließen, wie sie vom Finanzamt mit einem typisierten Reinertrag von € 3.635,28 bzw. kapitalisierten Reinertrag iHv. € 64.998,81 angenommen wurden.

Offen ließ der BFH, ob ein vom Finanzgericht angenommenes strukturelles Vollzugsdefizit bestünde, da nicht gewährleistet sei, dass die Gutachterausschüsse bei der Ermittlung des Bodenrichtwertes sämtliche wertbeeinflussenden Grundstücksmerkmale berücksichtigen würden. Denn – s.o. – der Antragsteller habe die Möglichkeit, den Nachweis eines geringeren gemeinen Wertes zu führen. Anmerkung: Das ist zwar in der Sache richtig, führt aber zu einer erheblichen Belastung des Steuerpflichtigen, der in Ansehung von Ungenauigkeiten der Gutachterausschüsse mit der Beweislast wie auch ggf. den Kosten (für das Gutachten) beschwert wäre, zudem eine Ungenauigkeit bis 40% hinzunehmen hätte.

Offen ließ der BFH auch, ob verfassungsrechtliche Zweifel ein einer gleichheitsgerechten Bewertung bestehen, da – so das Finanzgericht – im typisierten Bewertungsverfahren nach §§ 252 ff BewG nur eine unzureichende Differenzierung nach der Lage der Gebäude und der Größe des Grundstücks erfolge, da der Antragsteller vorliegend keine lage- oder größenbedingt unzutreffenden Wertfeststellungen gerügt habe.

BFH, Beschluss vom 27.05.2024 - II B 78/23 (AdV) -