Der Bundesfinanzhof (BFH) hat eine
Beschwerde gegen eine Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz, mit der einem Antrag
auf Aussetzung der Vollziehung aus einem Grundsteuerwertbescheid entsprochen
worden war, zurückgewiesen. Allerdings erfolgte die Zurückweisung der vom
Finanzamt eingelegten Beschwerde nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen,
sondern auf der Grundlage der materiellen Rechtmäßigkeit.
Grundlage war ein Grundsteuerwertbescheid
in Rheinland-Pfalz. Die Ermittlung in Rheinland-Pfalz (wie auch in Brandenburg,
Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und
Schleswig-Holstein) erfolgt nach dem Bundesmodell. Der BFH folgte zwar dem
Finanzgericht darin, dass der angefochtene Bescheid ernstliche Zweifel an
seiner Rechtmäßigkeit aufwerfe und damit das Gericht der Hauptsache die
Vollziehung des angefochtenen Bescheides nach § 69 Abs. 3 iVm. Abs. 2 FGO aussetzen
könne. Ernstliche Zweifel würden bestehen, wenn neben Gründen für die
Rechtmäßigkeit des Bescheides gewichtige Umstände gegen die Rechtsmäßigkeit
zutage treten würden, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der
Beurteilung der Tatfragen bewirken würden. Bei der vorzunehmenden summarischen
Prüfung sei von dem Vortrag der beteiligten und der Aktenlage auszugehen, wobei
für die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung (AdV) die für die Rechtswidrigkeit
sprechenden Gründe überwiegen müssten.
Vorliegend hatte der Senat nach
dem Vortrag der Parteien und der Aktenlage lediglich einfachrechtliche Zweifel
an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Diese Zweifel würden sich
aus der verfassungskonformen Auslegung der Bewertungsvorschriften ergeben, da danach
die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, dass bei einer Verletzung des Übermaßverbots
die Möglichkeit gegeben werden müsse, einen niedrigeren gemeinen Wert
nachzuweisen.
Bei der Neureglung der
Grundsteuer sei der Belastungsgrund nach der gesetzgeberischen Vorstellung die
durch den Grundbesitz vermittelte Möglichkeit einer ertragsbringenden Nutzung,
die sich im Sollertrag widerspiegelt und eine objektive Leistungsfähigkeit
vermittle (BT-Drs. 19/11085, 84).
Die Besteuerung müsse den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen und das daraus
folgende Übermaßverbot bei der Besteuerung beachten. Dass sei nur gewahrt, wenn
gewährleistet ist, dass sich das Gesetz auf der Bewertungsebene am gemeinen
Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel orientiert und den Sollertrag mittels
einer verkehrswertorientierten Bemessungsgrundlage bestimme (BT-Drs. 19/11085,
90). Unterschiede im Einzelfall zum Wert nach §§ 217 ff BewG und dem gemeinen Wert
müssten grundsätzlich hingenommen werden, solange ein Verstoß gegen das
Übermaßverbot entweder durch verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift oder
durch eine Billigkeitsmaßnahme abgewandt werden könne. Eine Verletzung des
Übermaßverbots läge vor, wenn der vom Finanzamt festgestellte Wert den
nachgewiesenen gemeinen Wert um 40% oder mehr übersteige (BFH, Urteil vom
16.11.2022 - II R 39/20 -).
Der Senat wies darauf hin, dass
er bereits zu verschiedenen Bewertungsnormen entschieden habe, dass bei einem
Ausschluss von Billigkeitsmaßnahmen in verfassungskonformer Auslegung der
betreffenden Vorschriften der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts zur
Vermeidung eines Verstoßes gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot zuzulassen
sei, wenn der Gesetzgeber einen solchen Nachweis nicht ausdrücklich geregelt
habe. Bestünde diese Möglichkeit, seien die pauschalierenden und typisierenden
Bewertungsvorschriften nicht verfassungswidrig.
Auch vorliegend sei nach dem
Siebenten Abschnitt des Bewertungsgesetzes eine abweichende Wertfeststellung
aus Billigkeitsgründen nicht vorgesehen (s. § 220 S. 2 BewG). Damit seien die
vorgenannten Rechtsprechungsgrundsätze zu übertragen , weshalb ernstliche Zweifel
an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestünden. Es sei nicht ausgeschlossen,
dass dem Antragsteller im Hauptsacheverfahren der Nachweis eines niedrigeren
gemeinen Werts gelinge.
Vorliegend habe der Antragsteller
Umstände vorgetragen, die einen erfolgreichen Nachweis eines niedrigeren
gemeinen Werts für die gesamte wirtschaftliche Einheit mit der erforderlichen
Abweichung zu dem im typisierten Verfahren festgestellten Grundsteuerwert im
Hauptsacheverfahren möglich erscheinen ließen: Baujahr 1880 und schlechter
Instandhaltungszustand wegen unterbliebener Renovierungen, weshalb dem Gebäude
kein erheblicher Mehrwert beizumessen sei und die wirtschaftliche Einheit nur
mit dem Bodenwert abzüglich etwaiger Freilegungskosten zu bewerten sei (sogen.
Liquidationsobjekt). Es seien nach den Ausführungen auch Zweifel begründet,
dass sich mit dem Gebäude im benannten Zustand die gesetzlich typisierten
Mieterträge erzielen ließen, wie sie vom Finanzamt mit einem typisierten
Reinertrag von € 3.635,28 bzw. kapitalisierten Reinertrag iHv. € 64.998,81
angenommen wurden.
Offen ließ der BFH, ob ein vom
Finanzgericht angenommenes strukturelles Vollzugsdefizit bestünde, da nicht
gewährleistet sei, dass die Gutachterausschüsse bei der Ermittlung des Bodenrichtwertes
sämtliche wertbeeinflussenden Grundstücksmerkmale berücksichtigen würden. Denn –
s.o. – der Antragsteller habe die Möglichkeit, den Nachweis eines geringeren
gemeinen Wertes zu führen. Anmerkung: Das ist zwar in der Sache richtig,
führt aber zu einer erheblichen Belastung des Steuerpflichtigen, der in Ansehung
von Ungenauigkeiten der Gutachterausschüsse mit der Beweislast wie auch ggf.
den Kosten (für das Gutachten) beschwert wäre, zudem eine Ungenauigkeit bis 40%
hinzunehmen hätte.
Offen ließ der BFH auch, ob
verfassungsrechtliche Zweifel ein einer gleichheitsgerechten Bewertung
bestehen, da – so das Finanzgericht – im typisierten Bewertungsverfahren nach
§§ 252 ff BewG nur eine unzureichende Differenzierung nach der Lage der Gebäude
und der Größe des Grundstücks erfolge, da der Antragsteller vorliegend keine
lage- oder größenbedingt unzutreffenden Wertfeststellungen gerügt habe.
BFH, Beschluss vom
27.05.2024 - II B 78/23 (AdV) -