Freitag, 24. Mai 2024

Versicherungsschutz ohne eindeutige Einbruchsspuren

Der Vater des Klägers, der dessen Erbe ist, hatte eine Hausratversicherung bei der Beklagten abgeschlossen, der die VHB 84 zugrunde lagen. Nach § 5 Nr. 1 Buchst. a Abs. 1 VHB 84 liegt ein Einbruchdiebstahl u.a. vor, wenn der Dieb in einen Raum eines Gebäudes einbricht oder einsteigt. In der Nacht vom 17. auf den 18.12.2016 soll ein unbekannter Täter (in Abwesenheit des Versicherungsnehmers) in das Wohngebäude des Versicherungsnehmers eingedrungen sein; er soll sich durch Aufhebeln des linken, geschlossenen Fensters im Erdgeschoss Zutritt verschafft haben, nachdem er zunächst versucht hätte, das mittlere Fenster aufzuhebeln. Die auf Gewährung von Versicherungsschutz gerichtete Klage wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Im Beschlusswege nach § 522 ZPO wies das OLG die Berufung des Klägers zurück. Die Revision führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das OLG.

Der BGH hielt die Anforderungen, die das OLG an die Darlegung des äußeren Bildes eines Einbruchdiebstahls stellte, als überspannt.

Im Rahmen der Sachversicherung seien aus dem Leistungsversprechen des Versicherers abgeleitete Erleichterungen für den Beweis eines bedingungsgemäßen Diebstahls versicherter Sachen zuzubilligen. Er müsse nur das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung beweisen, mithin ein Mindestmaß an Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die Entwendung zuließen (BGH, Urteil vom 08.04.2015 - IV ZR 171/13 -). Dazu gehöre neben der Unauffindbarkeit der am Tatort entwendeten und als gestohlen gemeldeten Sachen, dass – abgesehen von Nachschlüsseldiebstählen – Einbruchsspuren vorhanden seien. Diese Einbruchsspuren müssten nicht stimmig in dem Sinne sein, dass sie zweifelsfrei auf einen Einbruch schließen ließen. Da der Versicherungsnehmer idR. keine Zeugen oder sonstige Beweismittel beibringen könne, sei die Versicherungsleistung auch dann zuzuerkennen, wenn sich nach den festgestellten Umständen nur das äußere Geschehen eines Diebstahls darbiete, auch wenn von einem typischen Geschehensablauf nicht gesprochen werden könne.

Das OLG habe darauf abgestellt, dass der Sachverständige das Einstiegfenster erst mit erheblicher Gewaltanwendung und unter Verursachung zuvor nicht vorhandener Einbruchspuren habe öffnen können. Damit aber würde das OLG für den Nachweis des äußeren Bildes eines Einbruchdiebstahls das Vorhandensein eines widerspruchsfreien stimmigen Spurenbildes verlangen. In der Sache vermisse das OLG den Nachweis eines typischen Tatablaufs, der aber keine Voraussetzung für das Vorliegen des äußeren Bildes eines Einbruchdiebstahls sei. Nur wenn ein Einbruch auf dem Weg, wie er nach dem äußeren Spurenbild vorzuliegen scheine, aus anderen Gründen völlig auszuschließen sei, könne es trotz Vorhandenseins an sich genügender Spuren am Nachwies der erforderlichen Mindesttatsachen fehlen.

Vorliegend hätte das OLG das äußere Bild eines Einbruchdiebstahls nicht aufgrund verbliebener Unklarheiten verneinen und dem Kläger einen unzureichenden Vortrag zum Tatgeschehen vorwerfen dürfen. Es habe zu Unrecht eine ins Detail gehende und widerspruchsfreie Schilderung des Tatgeschehens verlangt.

Würde das Vorliegen des äußeren Bildes eines Einbruchdiebstahls bejaht, könne der Versicherer darlegen und bewiesen, dass der Versicherungsfall nur vorgetäuscht sei (wofür die Unstimmigkeit im Spurenbild Bedeutung erlangen könne). Dem Versicherer komme ebenfalls eine Beweiserleichterung zu. Erforderlich sei lediglich der Nachweis konkreter Tatsachen, die aber nicht nur mit hinreichender, sondern mit höherer (erheblicher) Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen würden, dass der Diebstahl nur vorgetäuscht worden sei. Das Fehlen weiterer Spuren für sich oder im Zusammenhang mit anderen Indizien könne ausreichend sein, um eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung zu begründen.

BGH, Urteil vom 17.04.2024 - IV ZR 91/23 -

Montag, 20. Mai 2024

Verjährungsbeginn für Eigentumsverschaffungsanspruch an Grundstück

Im notariellen Kaufvertrag aus 2004 erklärten die Parteien die Auflassung mit Anweisung an den Notar, den Antrag auf Vollzug der Auflassung erst zu stellen, wenn der Kläger dem schriftlich zustimmt oder die Beklagte die Kaufpreiszahlung nachgewiesen habe (bzw. diese vom Notar festgestellt worden sei). Eine Auflassungsvormerkung für die Beklagte wurde gewahrt. Mit Klage aus 2021 begehrte der Kläger die Löschung der Auflassungsvormerkung. Dabei ging er von einer Verjährung der Übereignungsforderung der Beklagten aus. Das Landgericht gab der Klage statt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten wurde mit Beschluss des OLG zurückgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung des Beschlusses des OLG und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses.

Dem Verlangen des Klägers würde eine Erfüllung des Anspruchs der Beklagten nicht entgegenstehen. Der Erfüllungsanspruch bestünde so lange, bis der schuldete Leistungserfolgt eingetreten sei (§ 362 Abs. 1 BGB). Dies bedürfe hier nicht nur der Auflassung, sondern auch der Eintragung des Eigentumswechsels in das Grundbuch (BGH, Urteil vom 13.10.2023 - V ZR 161/22 -).

Der Anspruch auf Löschung der Vormerkung, bei der es sich um ein streng akzessorisches Sicherungsrecht handele, könne gem. § 866 BGB darauf gestützt werden, dass der durch die Vormerkung gesicherte Anspruch verjährt sei. Bei der Einrede der Verjährung handele es sich um eine dauernde Einrede, die den durch Vormerkung gesicherten Anspruch dauernd ausschließen würde. Allerdings sei der Übereignungsanspruch des beklagten vorliegend nicht verjährt.

Ansprüche auf Übertragung des Grundstücks würden in zehn Jahren verjähren, § 196 BGB, beginnend mit der Entstehung des Anspruchs, § 200 BGB.  Ein Anspruch sei iSv. §§ 200, 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden, sobald er erstmals geltend gemacht und (ggf. im Wege der Klage) durchgesetzt werden könne. Erforderlich sei dafür die Fälligkeit (z.B. BGH, Urteil vom 17.12.1999 - V ZR 448/98 -). Dies gelte auch für synallagmatisch verknüpfte vertragliche Ansprüche auf Leistung und Gegenleistung bei einem Grundstückskaufvertrag. Die Verjährung für synallagmatisch verbundene Ansprüche aus einen Vertragsverhältnis beginne erst mit der Fälligkeit des jeweiligen Anspruchs.

Grundsätzlich sei bei einem Kaufvertrag der Zeitpunkt dessen Abschlusses für die Entstehung des Anspruchs auf Eigentumsverschaffung (und damit Beginn der Verjährungsfrist) entscheidend. Etwas anders gelte aber dann, wenn (aufgrund  gesetzlicher Regelungen oder vertraglicher Vereinbarung) der Anspruch nicht mit Vertragsabschluss, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig würde.

Üblicherweise würden in einem Grundstückskaufvertrag abweichende Regelungen zur Fälligkeit des Anspruchs auf Eigentumsverschaffung getroffen, um den Verkäufer davor zu schützen, dass er das Eigentum an seinem Grundstück verliert, ohne den Kaufpreis zu erhalten. Solche Regelungen könnten (wie hier) dazu führen, dass der Anspruch auf Eigentumsverschaffung erst mit dem Nachweis der Kaufpreiszahlung fällig würde. Vor eigener Erfüllung der Kaufpreiszahlungspflicht könne der Käufer nicht erfolgversprechend auf Übertragung des Eigentums klagen (auch nicht mit dem Ziel einer Zug-um-Zug-Verurteilung). Nicht ausreichend sei, die Berechtigung des Käufers, jederzeit den Kaufpreis zu zahlen (§ 271 Abs. 2 BGB) und so die Fälligkeit des Eigentumsverschaffungsanspruchs herbeizuführen.

BGH, Urteil vom 15.03.2024 - V ZR 224/22 -

Samstag, 18. Mai 2024

Verkehrsunfall mit geschwindigkeitsüberschreitenden Krankenwagen im Einsatz

In einem Kreuzungsbereich kam es beim Linksabbiegen des klägerischen Fahrzeugs zu einem Zusammenstoß mit einem Krankenrettungswagen, der das klägerische Fahrzeug auf der linken Fahrspur überholte. Der Rettungswagen befand sich im Einsatz und hatte 7,11 Sekunden und 127,7 m vor der Kollision Blaulicht und Martinshorn eingeschaltet; er fuhr mit 75 km/h. Die Klägerin machte Schadensersatz mit einer Quote von 75% geltend. Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen; das OLG wies die Klägerin mit Beschluss gem. § 522 ZPO darauf hin, dass es beabsichtige, die Berufung zurückzuweisen. In dem Beschluss setzte sich das OLG mit Sonder- und Wegerechten nach der StVO auseinander.

Anspruchsgrundlagen könnten § 839 BGB Art. 34 GG als auch § 7 StVG sein, die hier allerdings nach Auffassung des OLG einen Haftungsanspruch nicht begründen würden.   

Eine Amtspflichtverletzung schloss das OLG aus, da die Geschwindigkeitsüberschreitung von ca. 100% (erlaubt waren 30 km/h) trotz der durch Blinklicht angekündigten Absicht bei dem klägerischen Fahrzeug, nach links abzubiegen, nach § 35 Abs. 5a StVO gerechtfertigt gewesen sei. Fahrzeuge des Rettungsdienstes seien von den Vorschriften der StVO befreit, wenn höchste Eile geboten sei, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Die Beweislast für das Vorliegen einer Einsatzfahrt iSv. § 35 Abs. 5a StVO obliege zwar demjenigen, der sich auf eine Einsatzfahrt berufe (hier der Beklagten), doch sei der Beweis durch die Vorlage des Einsatzprotokolls und Angabe des Einsatzgrundes geführt worden. Diesem substantiierten Vortrag sei die Klägerin nicht entgegengetreten. 

Es läge auch kein Verstoß gegen § 38 Abs. 8 StVO vor. Danach dürften Sonderrechte (wie hier) nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden, also mit größtmöglicher Sorgfalt. Die zu beachtende Sorgfalt des Einsatzfahrers steigere sich, je mehr er sich über allgemeine Verkehrsregeln hinwegsetze und dadurch Unfallgefahren erhöhe (KG, Urteil vom 25.04.2005 - 12 U 123/04 -). Da es sich der Unfall im Bereich einer gut einsehbaren Hauptstraße ereignete, begründe die Geschwindigkeitsüberschreitung keinen Verstoß gegen § 35 Abs. 8 StVO, wobei auch zu berücksichtigen sei, dass sich der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs beim Linksabbiegen durch die doppelte Rückschaupflicht (§ 9 Abs. 1 StVO) vor dem Abbiegen über den rückwärtigen Verkehr hätte versichern müssen. Selbst sollte der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs Martinshorn und Blaulicht nicht wahrgenommen haben, habe der Einsatzfahrer darauf vertrauen dürfen, dass der Überholvorgang auf der Gegenspur bei Beachtung des § 9 Abs. 1 S. 4 StVO nicht gefährdend sei, da unstreitig kein Gegenverkehr vorhanden gewesen sei.

Ebenso negierte das OLG einen Anspruch aus § 7 StVG. Bei einem Verkehrsunfall von zwei Kraftfahrzeugen sei eine Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen und dabei zu berücksichtigen, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei.

Der Beklagten sei in Ansehung von § 35 Abs. 5a StVO kein die vom Fahrzeug ausgehender, die Betriebsgefahr steigernder Verkehrsverstoß zur Last zu legen, demgegenüber dem Fahrer des klägerischen Fahrzeugs anzulasten sei, dass dieser gegen § 38 Abs. 1 StVO verstoßen habe, wonach die anderen Verkehrsteilnehmer und Martinshorn sofort „freie Bahn zu schaffen“ haben. Wie nun freie Bahn zu schaffen sei, hänge von den Umständen ab, wobei der Ausschluss einer Behinderung des Wegerechtsfahrzeugs alleinige Richtschnur für das Verhalten der übrigen Verkehrsteilnehmer sein müsse (OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.11.1991 - 1 U 129/90 -). Eine freie Bahn habe der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs auch nicht durch Auffahren auf die linke Fahrspur machen können, da diese frei gewesen sei. Sollte für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nach rechts kein Platz mehr gewesen sein, hätte er stehen bleiben müssen.

Die Berufung wurde nach dem Hinweisbeschluss zurückgenommen.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Hinweisbeschluss vom 04.01.2024 - 7 U 141/23 -

Samstag, 11. Mai 2024

Öffentliche Zustellung und Folge der Verletzung an die Anforderungen

Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) machte gegen den beklagten Wohnungseigentümer Zahlungsansprüche geltend. Sie hatte unter Vorlage einer negativen Einwohnermeldeamtsanfrage die öffentliche Zustellung beantragt, die auch erfolgte. Ebenso wurde das der Klage stattgebende Versäumnisurteil öffentlich (am 09.12.2021) zugestellt.  Den Einspruch vom 10.03.2022 wies das Amtsgericht (da verspätet) als unzulässig zurück. Die dagegen erhobene Berufung wurde vom Landgericht durch Beschluss nach § 522 ZPO zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde wurde der Beschluss des Landgerichts vom BGH aufgeheben und der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen (§ 544 Abs. 9 ZPO).

Die Verletzung rechtlichen Gehörs lag nach den Ausführungen des BGH darin, dass ein Versäumnisurteil nicht hätte ergehen dürfen, da die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung nicht vorgelegen hätten. die öffentliche Zustellung nicht hätte bewilligt werden dürfen, weshalb auch die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils nicht hätte erfolgen dürfen. Durch die Verwerfung des Einspruchs durch das Erstgericht und der Zurückweisung der Berufung gegen dieses Urteil des Erstgerichts sei die Verletzung des rechtlichen Gehörs des beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs fortgesetzt worden.

Für die öffentliche Zustellung nach § 185 Nr. 1 ZPO müsse nicht nur für das Gericht der Aufenthalt einer Person unbekannt sein, sondern auch für die Allgemeinheit. Die durch die öffentliche Zustellung begünstigte Partei müsse alle geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen anstellen, um den Aufenthalt des Zustellungsempfängers zu ermitteln und ihre ergebnislosen Bemühungen dem Gericht darlegen; eine ergebnislose Anfrage beim Einwohnermeldeamt reiche in der Regel nicht aus.

Das Amtsgericht und das Berufungsgericht hätten nicht davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin alle geeigneten und zumutbaren Nachforschungen angestellt habe. Ein dargelegter einmaliger Fehlschlag einer Zustellung (hier eines Protokolls einer Eigentümerversammlung), für die es verschiedene Gründe geben können ließe die Schlussfolgerung eines unbekannten Aufenthalts nicht zu. Zumal vorliegend der frühere Rechtsanwalt des Beklagten daraufhin die Meldedaten des Beklagten in Tschechien bestätigt und nur auf berufsbedingte Auslandsaufenthalte verweisen habe.  Zudem hätte die Klägerin den Beklagten über die ihr bekannte E-Mail-Adresse den Beklagten kontaktieren können und ihn im Hinblick auf die vorgesehene Klageerhebung um Mitteilung einer eventuell von der Meldeadresse in Tschechien abweichenden Zustellanschrift ersuchen können bzw. auffordern können, einen Zustellungsbevollmächtigten in Deutschland zu benennen (z.B. OLG Frankfurt, Urteil vom 03.12.2008 - 19 U 120/08 -; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 08.12.2017 - 4 W 64/17 -). Eine hier erfolgte Information des früheren Rechtsanwalts des Beklagten über die öffentliche Zustellung reiche nicht aus.

Die damit vorliegende Verletzung rechtlichen Gehörs sei auch entscheidungserheblich gewesen. Ein Verstoß gegen § 185 ZPO löse die Zustellungsfiktion nicht aus und setze damit auch keine Frist in Lauf. Nach Feststellung des Fehlers wäre das Verfahren fortzusetzen (BGH, Urteil vom 06.10.2006 - V ZR 282/05 -). Es sei auch nicht auszuschließen, dass das Versäumnisurteil bei Fortsetzung des Verfahrens ganz oder teilwiese nicht aufrechterhalten bleiben könne.

BGH, Beschluss vom 22.02.2023 - V ZR 117/23 -

Mittwoch, 8. Mai 2024

Ohne vorherigen Hinweis unterlassene (vorgesehene) Beweisaufnahme

Streitgegenständlich war der Vorsteuerabzug aus einer Rechnung der N-GmbH. Hier wurde der Zeuge D. vom Finanzgericht (FG) zum Beweisthema „Dienstleistungen der N-GmbH an den Kläger im Zeitraum Januar 2016 bis einschließlich September 2016“ zur mündlichen Verhandlung geladen, erschien aber nicht. Der Kläger beantragte hilfsweise, den Zeugen erneut zu laden und zum Beweisthema zu vernehmen. Das FG wies die Klage ab. Die Beschwerde des Klägers führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Finanzgericht.

Es läge ein Verfahrensmangel iSv. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor. Da das FG habe den Zeugen zur mündlichen Verhandlung geladen; wolle es von dessen Vernehmung dann absehen, müsse es die beteiligten vor Erlass des Urteils unmissverständlich darauf hinweisen. Würde dieser Hinweis unterbleiben, sei der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Dies wurde vom BFH damit begründet, dass mit dem (förmlichen) Beweisbeschluss eine Verfahrenslage entstünde, auf welche die Beteiligten ihre Prozessführung einrichten dürften mit der Folge, dass sie davon ausgehen dürften, dass klein Urteil vor vollständiger Ausführung des Beweisbeschlusses ergehen würde. Wolle das Gericht von einer (weiteren) Beweisaufnahme absehen, müsse es daher vor Erlass des Urteils unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass es den Beweisbeschluss als erledigt betrachte.  Dies gelte auch dann, wenn kein Beweisbeschluss ergingen sei, aber ein Zeuge gem. § 79 Abs. 1 FGO S. 2 Nr. 6 FGO zum Termin geladen worden sei (wie im vorliegenden Verfahren).  

Der Hinweis sei nur entbehrlich, wenn das Gericht aufgrund besonderer objektiver Umstände ausnahmsweise davon ausgehen durfte, dass sich die Beweisaufnahme auch aus Sicht der Beteiligten zweifelsfrei erledigt habe, ohne dass es eines entsprechenden Hinweises bedürfte.

Bei Annahme einer Gehörsverletzung ergäbe sich der Verfahrensmangel, auf dem das Urteil nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO beruhen müsse, direkt aus § 119 Nr. 3 FGO. Selbst würde man § 119 Nr. 3 FGO nicht anwenden, würde das Urteil auf dem Verfahrensmangel beruhen, da dafür die vorliegend zu bejahende Möglichkeit ausreiche, dass die Entscheidung bei Erhebung des Beweises anders ausgefallen wäre (BFH, Beschluss vom 19.09.2014 - IX B 101/13 -). Dabei sei vom BFH berücksichtigt worden, dass das FG seine Entscheidung auch mit ernstlichen Zweifeln an der tatsächlichen Leistungserbringungen begründet habe und den Kläger als „feststellungsbelastet“ angesehen habe, weshalb bei einer Zeugenvernehmung eine anderweitige Beurteilung möglich gewesen sei.

Nicht zu entscheiden sei, ob darüber hinaus ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht vorlag.

BFH, Beschluss vom 04.04.2024 - V B 12/23 -

Sonntag, 5. Mai 2024

Vertragsstrafenklausel in Bauverträgen mit Einheitspreisen

Die Klägerin gab im Rahmen einer auf Einheitspreisen basierenden Ausschreibung der Beklagten ein Angebot ab, das auf die Allgemeinen Vertragsbedingungen für Bauleistungen VOB/Bund und auf die Besonderen Vertragsbedingungen (BVB-VOB) der Beklagten Bezug nahm. In Ziffer 2 der BVB-VOB hieß es:

 "2. Vertragsstrafen (§ 11 VOB/B)

2.1 Der Auftragnehmer hat bei Überschreitung der unter 1. genannten Einzelfristen oder der Frist für die Vollendung als Vertragsstrafe für jeden Werktag des Verzugs zu zahlen:

0,2 v.H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme ohne Umsatzsteuer;

Beträge für angebotene Instandhaltungsleistungen bleiben unberücksichtigt. Die Bezugsgröße zur Berechnung der Vertragsstrafen bei Überschreitung von Einzelfristen ist der Teil dieser Auftragssumme, der den bis zu diesem Zeitpunkt vertraglich zu erbringenden Leistungen entspricht.

2.2 Die Vertragsstrafe wird auf insgesamt 5 v. H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer) begrenzt.

2.3 Verwirkte Vertragsstrafen für den Verzug wegen Nichteinhaltung verbindlicher Zwischentermine (Einzelfristen als Vertragsfristen) werden auf eine durch den Verzug wegen Nichteinhaltung der Frist für die Vollendung der Leistung verbürgte Vertragsstrafe angerechnet.“

Eine Verhandlung der Parteien zur Vertragsstrafe fand nicht statt. Die Beklagte beauftragte die Klägerin. Nach Fertigstellung Abnahme stellte die Klägerin die Schlussrechnung, die mit Ausnahme eines Betrages von € 284.013,78 von der Beklagten bezahlt wurde. Das Landgericht gab der Zahlungsklage statt. Es ging u.a. davon aus, dass die Berufung der Beklagten auf die Verwirkung der Vertragsstrafe treuwidrig sei, auf Grund der der Einbehalt erfolgte. Auf die Berufung der Beklagten hob das OLG das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht zurück. Die Klägerin legte gegen diese Entscheidung des OLG Revision ein, mit der sie die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils begehrte. Ihre Revision war erfolgreich.

Anders als das Berufungsgericht ging der BGH davon aus, dass die Vertragsstrafenklausel in den BVB-VOB bei Verwendung durch den Auftraggeber einer Inhaltskontrolle nicht stand halte und gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam sei, da sie den Auftragnehmer entgegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) unangemessen benachteilige. Nach Z. 2.1 und 2.2 der BVB-VOB sei die Vertragsstrafe für die Überschreitung der Freist für die Vollendung auf insgesamt 5% der vor der Ausführung des Auftrages vereinbarten Netto-Auftragssumme begrenzt. Dies beeinträchtige aber bei einem Einheitspreisvertrag (wie hier) den Auftragnehmer unangemessen. Allgemeine Geschäftsbedingungen seien nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden würden.

Ansatzpunkt für die gebotene objektive Auslegung sei in erster Linie der Wortlaut. Dabei sei hier die Regelung für die Überschreitung der Frist für die Vollendung nach der Vertragsgestaltung eine eigenständige Regelung, die inhaltlich, optisch und sprachlich von der Vertragsstrafe für die Überschreitung sonstiger Termine getrennt sei. Die Auslegung des Begriffs „im Austragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer)“ führe nach dem klaren Wortlaut dazu, dass sich die Höhe nach der vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Netto-Auftragssumme richte. Zwar könne sich der Begriff „Auftragssumme“ sowohl auf die nach Abwicklung des Vertrages geschuldete Vergütung wie auch auf die vor Ausführung des Auftrags vereinbarte Vergütung beziehen (BGH. Urteil vom 06.12.2007 - VII ZR 28/07 -), doch sei vorliegend durch die Anknüpfung an die „im Auftragsschreiben genannte(n)“ Netto-Auftragssumme klargestellt, dass Bezugsgröße der Wert der vor Ausführung vereinbarten Netto-Vergütung sein soll. Zum Zeitpunkt der Auftragserteilung stünde bei einem Einheitspreisvertrag, bei dem die Mangen und Massen nach dem (späteren) tatsächlichen Verbrauch berechnet würden, nur diese Vergütung fest.

Eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners wegen Verstoßes gegen das Gebot von Treu und Glauben läge bei einer einseitigen Vertragsgestaltung vor, bei der versucht würde, missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen, ohne von vornherein auch dessen Interessen hinreichend zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 16.07.2020 - VII ZR 159/19 -). Eine Vertragsstrafenklausel, die eine Höchstgrenze von mehr als 5% der Auftragssumme bei Überschreitung des Fertigstellungstermins vorsähe, stelle regelmäßig eine Benachteiligung dar (BGH, Urteil vom 23.01.2023 - VII ZR 210/01 -). Die Druckfunktion erlaube zwar eine spürbare Vertragsstrafe, doch sei darauf zu achten, dass sich diese in wirtschaftlich vernünftigen Grenzen halte (BGH, Urteil vom 20.01.2000 - VII ZR 46/98 -). Daher seine eine Vertragsstrafe von über 5% der Auftragssumme zu hoch.

Den entsprechenden Anforderungen würde die Klausel vorliegend nicht gerecht. Bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise könne bei einem Einheitspreisvertrag die Anknüpfung der Vertragsstrafe an die vor Auftragsdurchführung vereinbarte (Netto-) Auftragssumme im Falle einer (z.B. wegen Verringerung der tatsächlich ausgeführten Mengen nicht nur theoretisch denkbaren) nachträglichen Absenkung des Auftragsvolumens dazu führen, dass die Strafzahlung die 5%-Grenze überschreite. Es fehle hier an einer dies ausgleichenden Regelung.

BGH, Urteil vom 15.02.2024 - VII ZR 42/22-

Samstag, 4. Mai 2024

Haftung bei Ölaustritt während des Befüllvorgangs

Die Klägerin begehrte Restzahlung aus einer Heizöllieferung, der Beklagte widerklagend Schadensersatz, da Öl während des Befüllvorgangs auf sein Grundstück austrat und Schäden verursachte. Nach der Beweisaufnahme stellte das Landgericht fest, dass der Fahrer des Tankwagens den Grenzwertgeber ordnungsgemäß angeschlossen hatte, allerdings war die Füllstandsanzeige am Heizöltank des Beklagten defekt gewesen (was für den Fahrer des Tankwagens nicht erkennbar war). Das Landgericht gab der Klage unter Abweisung der Widerklage statt. Die dagegen vom Beklagten eingelegte Berufung wurde vom Oberlandesgericht (OLG ) zurückgewiesen.

Für eine Haftung der Klägerin nach § 7 Abs. 1 StVG müsste ein Rechtsgut „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges“ verletzt bzw.  beschädigt worden sein. Dies sei dann der Fall, wenn sich in dem Schaden die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt hätten, also bei wertender Betrachtung durch das Kraftfahrzeug (mit-) geprägt worden sei. Es käme daher für die Zurechnung der Betriebsgefahr maßgeblich auf einen nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang des Unfalls mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges an. Bei einem Kraftfahrzeug mit Arbeitsfunktion sei erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung desselben als eine der Fortbewegung und dem Transport dienende Maschine (§ 1 Abs. 2 StVG) bestünde. Bei dem Schaden müsse es sich um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handeln, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden solle.

Damit würde eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfallen, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Fahrzeugs keine Rolle mehr spiele und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt würde, oder wenn es sich um Schäden handeln würde, in denen sich eine Gefahr aus einem gegenüber der Betriebsgefahr eigenständigen Gefahrenkreis verwirklicht habe (BGH, Urteil vom 08.12.2015 - VI ZR 139/15 -).

Die zweite Alternative nahm das OLG vorliegend an: Nicht eine vom Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr habe sich ausgewirkt, sondern ein gegenüber der Betriebsgefahr des Fahrzeugs eigenständiger Gefahrenkreis. Es würde sich hier nicht um einen Fehler am Fahrzeug bzw. dessen Einrichtung (z.B. Undichtigkeit des Verbindungsschlauchs) gehen, da das Fahrzeug technisch einwandfrei gewesen sei. Es könne auf sich beruhen, ob der Schaden durch die (unstreitig) defekte Füllstandsanzeige und/oder den Grenzwertgeber verursacht worden sei, da beides keine Einrichtungen des Tankwagens darstellen würden, auf die sich einzig die Gefährdungshaftung bezöge (also keine fahrzeugspezifische Gefahr im Rahmen des Entladevorgangs).

Es würde sich hier auch nicht um eine Auswirkung einer Gefahr handeln, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn und Zweck der Haftungsvorschrift des § 7 StVG schadlos gehalten werden solle. Dabei käme auch nicht die Rechtsprechung des BGH im Urteil vom 08.12.2015 - VI ZR 139/15 - zum Tragen, wonach eine Auswirkung auch dann vorliegen könne, wenn es vom Zufall abhängen, ob der Verkehrsraum, andere Verkehrsteilnehmer oder das Hausgrundstück geschädigt würden, da es hier gerade nicht von einem Zufall abhängig gewesen wäre, wo der Schaden eintrat. Die Schadensursache habe am bzw. im Öltank des Beklagten und nicht am Tankwagen und seiner Einrichtung gelegen, weshalb der Schaden nur auf dem Hausgrundstück des Beklagten habe eintreten können; ein solches Ereignis läge nicht in dem Gefahrenbereich, für den der Verkehr nach § 7 StVG schadlos gehalten werden solle.

OLG Celle, Urteil vom 15.11.2023 - 14 U 56/23 -