Die Gläubigerin wollte auf der
Grundlage eines Vollstreckungsbescheides gegen die GmbH einen Pfändungs- und
Überweisungsbeschluss erwirken. Diesen Antrag stellte sie bei dem AG Gießen. Die
Schuldnerin (GmbH) war mit einer Anschrift in Hungen benannt (dem Verwaltungssitz).
Das AG Gießen hat nach Anhörung der Gläubigerin den Antrag an das AG Berlin-Charlottenburg
verwiesen, da dort der statuarische Sitz (Sitz der Gesellschaft gemäß
Gesellschaftsvertrag, gewahrt im Handelsregister) der GmbH (wenn auch ohne
Anschrift in Berlin) war. Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg negierte seine
Zuständigkeit auch, weshalb letztlich der Vorgang dem OLG Frankfurt am Main zur
Gerichtstandsbestimmung vorgelegt wurde, § 36 Abs. 2 ZPO. Dieses bestimmte das
AG Berlin-Charlottenburg als zuständiges Gericht.
Da sich beide Amtsgerichte für
örtlich unzuständig hielten lagen die Voraussetzungen für die Zuständigkeitsbestimmung
nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor und war das OLG Frankfurt nach § 36 Abs. 2 dafür
zuständig, da das zunächst zuständige höhere gemeinschaftliche Gericht für das
AG Gießen und das AG Berlin-Charlottenburg der BGH wäre und in diesem Fall das
OLG des Gerichtsbezirks zur Zuständigkeitsbestimmung zuständig ist, in dessen
Bezirk das Amtsgericht (Gericht) liegt, welches zuerst mit der Sache befasst
war (hier: AG Gießen).
Eine Bindungswirkung des
Verweisungsbeschlusses des AG Gießen nach § 281 ZPO sei nicht eingetreten. Die
Bindungswirkung träte nicht lediglich in dem Fall der Willkür (die hier nicht vorlag)
nicht ein, sondern auch dann nicht, wenn die Verweisung auf Antrag (wie hier)
erfolge, § 828 Abs. 3 S. 2 ZPO.
Der allgemeine Gerichtsstand
einer juristischen Person (hier GmbH) bestimmt sich nach deren Sitz (§ 17 ZPO).
Der Sitz einer Gesellschaft muss nicht mit dem Verwaltungssitz übereinstimmen.
Das OLG verweist darauf, dass der Sitz nach § 4a GmbHG der Ort im Inland sei,
den der Gesellschaftsvertrag bestimme, unabhängig vom Verwaltungssitz (RGZ 59,
106, 107f). Das bedeute, dass der Sitz nicht im örtlichen Zusammenhang mit einer
betrieblichen Einrichtung stehen müsse. Selbst wenn die Betriebsstätte und die
Verwaltung der Gesellschaft an einem anderen Ort sind, könne ein fiktiver
Satzungssitz im Inland gewählt werden. [Anm.: Dies Trennung von Verwaltungssitz
und statuarischen Sitz kommt häufig vor, wenn eine Gesellschaft ihre Verwaltung
und Betriebsstätte aus einem Ort in einen anderen verlegt, ohne aber den in der
Satzung benannten Sitz zu ändern.]
Vorliegend war als statuarischer
Sitz (Sitz gemäß Gesellschaftsvertrag und damit Eintragung im Handelsregister)
Berlin. Da es in Berlin verschiedene Amtsgerichtsbezirke gibt (wie z.B. auch in
Duisburg), musste sich das OLG damit mit der Frage auseinandersetzen, welches
Amtsgericht zuständig sein soll, da die Ermittlung eines bestimmten
Amtsgerichts durch Benennung einer Anschrift in Berlin nicht möglich war. Das
OLG verweist darauf, dass in der Literatur darauf verwiesen würde, dass ein bei
Existenz mehrerer Amtsgerichtsbezirke ein zentrales Registergericht
eingerichtet sei, ohne dass allerdings auf die Frage der notwendigen genauen
Bestimmung eingegangen würde, mit der der Sitz als Anknüpfungspunkt gerichtlicher Zuständigkeit hinreichend
festgelegt werden könne.
Vorliegend sei die Schuldnerin im
beim AG Berlin-Charlottenburg geführten Handelsregister mit Sitz in Berlin
eingetragen. § 7 GmbHG fordert, dass die Gesellschaft bei dem Gericht zur
Eintragung in das Handelsregister anzumelden sei, in dessen Bezirk sie ihren
Sitz habe. Da aber das AG Berlin-Charlottenburg das zentrale Registergericht
für Berlin sei., könne aus der Eintragung nicht gefolgert werden, dass aus der
dortigen Eintragung sich ein Sitz in Berlin-Charlottenburg ergäbe. Ein
zentrales Gericht für Vollstreckungsmaßnahmen sei in Berlin nicht eingerichtet.
Das AG Berlin-Mitte sei zwar nach dem Orts- und Gerichtsverzeichnis als
zentrales Vollstreckungsgericht eingerichtet, allerdings lediglich zuständig für
die zentrale Verwaltung der Schuldner- und Vermögensverzeichnisse; die
Zuständigkeit für Vollstreckungsmaßnahmen (wie hier den Erlass eines Pfändungs-
und Überweisungsbeschlusses) bliebe davon aber unberührt.
Das AG Charlottenburg habe darauf
verwiesen, dass sich der satzungsmäßige Sitz der Gesellschaft in Berlin nicht
näher bestimmen ließe. Allerdings würde dies entgegen der Auffassung des (für
Berlin als Oberlandesgericht zuständigen) Kammergerichts (Beschluss vom
11.10.2007 - 2 AR 41/07 -) nicht bedeuten, dass deshalb auf einen außerhalb
Berlins liegenden Verwaltungsort abzustellen sei (hier Hungen mit der daraus
sich ergebenden Zuständigkeit des AG Gießen). Dagegen spreche schon der
Umstand, dass sich der allgemeine Gerichtsstand der GmbH bei Zuständigkeit des
Landgerichts Berlin nach dem Sitz, bei Zuständigkeit des Amtsgerichts außerhalb
Berlin ergeben würde, mithin eine Aufspaltung je nachdem ergäbe, ob nun das
Amtsgericht zur Entscheidung berufen ist oder das Landgericht.
Damit würde in den Fällen, in
denen der Sitz in der Gemeinde unbestimmt ist, da es mehrere Gerichtsbezirke und
nur ein zentrales Handelsregister gäbe, sich der Sitz auf das Gebiet der
politischen Gemeinde (Anm.: resp. das Gebiet des Registergerichts) erstrecke,
der Sitz in allen erfassten Amtsgerichtsbezirken befände. Dies habe zur Folge,
dass die Gläubigerin (Anm.: bei Klagen die Klägerin/der Kläger) das zuständige
Gericht gemäß § 35 ZPO unter den damit in Betracht kommenden Gerichten in den
erfassten Gerichtsbezirken des Sitzes auswählen könne. Die damit in Betracht
kommenden Gerichte wären dann nur in Bezug auf andere Amtsgerichte gem. § 802
ZPO ausschließlich zuständig. Zutreffend verweist das OLG darauf, dass dies der
Situation bei Annahme eines Doppelsitzes einer Gesellschaft entspräche.
In einem Beschluss vom 04.04.2019
– 11 SV 12/19 – habe der Senat noch zur Konkretisierung auf eine frühere Geschäftsdresse
der Schuldnerin in diesem Ort mit mehreren in Betracht kommenden Amtsgerichten
abgestellt. Daran würde ausdrücklich nicht mehr festgehalten. Es sei bei dieser
Entscheidung nicht berücksichtigt worden, dass die Sitzbestimmung als
notwendiger Satzungsbestandteil von der Geschäftsadresse (hier der
Verwaltungssitz) abzugrenzen sei, die mit dem Sitz nicht übereinstimmen müsse. Nicht
zu entscheiden sei der Fall (und offen bleibt daher), ob bei einer noch
bestehenden Geschäftsadresse in der als Sitz bestimmten Gemeinde nach § 17 Abs.
1 S. 2 ZPO („gilt“) konkretisiert werden könne, da sie ohne Widerspruch zur
Satzung bestimme, was sich aus dieser an näherer Bestimmung nicht ergebe.
Von einer Vorlage an den BGH sah das OLG ab, §
36 Abs. 3 ZPO. Zur Begründung führte das OLG aus, die von der eigenen Auffassung
abweichende Ansicht des Kammergerichts sei für die dortige Entscheidung nicht
tragend gewesen, da dorr (anders als hier) ein bindender Verweisungsbeschluss
vorgelegen habe und damit die Verweisung des zuerst angerufene Amtsgericht Gültigkeit
hatte.
Anmerkung: Der Entscheidung des
OLG Frankfurt ist zuzustimmen. Würde man sich der als obiter dictum zu
bewertenden Annahme des Kammergerichts anschließen, hätte dies zur Konsequenz,
dass die Zuständigkeit des örtlichen Gerichts im Hinblick auf den Sitz einer
Gesellschaft von dem Streitwert abhängig wäre. Bei einem Streitwert von bis zu
€ 5.000,00 müsste am Verwaltungssitz, bei einem Streitwert ab € 5.000,00 bei
dem Gericht des Sitzes geklagt werden. Das Auseinanderklaffen der
Gerichtsstände nach dem Streitwert wäre aber prozessual nicht zu vertreten.
OLG Frankfurt am Main,
Beschluss vom 29.04.2021 - 11 SV 16/21 -