Donnerstag, 16. Dezember 2021

Verharmlosung von Vorschäden in der Kaskoversicherung und Leistungsfreiheit nach § 28 VVG

Der Kläger nahm die beklagte Kaskoversicherung nach einem Unfall vom 02.12.2018 in Anspruch. Das Fahrzeug hatte einen Vorschaden vom 28.03.2018, von dem die ganze rechte Fahrzeugseite betroffen gewesen war, die nun auch im Rahmen des Unfalls betroffen sei, aus dem heraus der Kläger die Versicherung in Anspruch nahm. Der Kläger behauptete, ihm seien Vorschäden nicht bekannt gewesen, er habe den Wagen als Gebrauchtwagen erworben.

Das OLG wies darauf hin, dass bei Vorschäden in dem erneut beschädigten Bereich und bei bestrittener unfallbedingter Kausalität des geltend gemachten Schadens vom Geschädigten ausgeschlossen werden müsse, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs aus dem Vorunfall noch vorhanden sind (KG, Urteil vom 27.08.2015 – 22 U 152/14; OLG Düsseldorf vom 06.02.2016 – 1 U 158/05; OLG Hamm, Beschluss vom 01.02.2013 – 9 U 238/12 -) . Dazu müsse der Geschädigte zur Art der Vorschäden und deren behaupteter Reparatur (welche Reparaturschritte wurden mit welchen Materialien/Ersatzteilen durchgeführt) vortragen.

Dem sei der Kläger nicht ausreichend nachgekommen. Er habe in Bezug auf die im Gutachten vom 28.03.2018 benannten Schäden nicht im Ansatz dargelegt, in welcher Art und Weise die Reparatur erfolgt sei (obwohl er dies exakt hätte darlegen müssen); auch eine aussagekräftige Reparaturrechnung über den Vorschaden sei nicht vorgelegt worden (was dann offenbar und verständlicherweise den Anforderungen entsprochen hätte). Zweifel an der fach- und sachgerechten Reparatur würden sich aus einem Gutachten im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ergeben, da nach den dortigen Angaben die Lackschichtdichten teilweise erheblich voneinander abweichen würden.

Der Umstand, dass dem Kläger die Vorschäden nicht bekannt gewesen seien, würde ihn nicht entlasten. Dies würde nicht in den Verantwortungsbereich eines Schädigers fallen (KG aaO.; OLG Köln, Beschluss vom 08.04.2013 – I-11 U 214/13 -). Der Kläger hätte hier entsprechende Auskünfte vom Vorbesitzer einholen müssen. Dies habe er nicht getan, weshalb seien Klage abzuweisen sei.

Zutreffend habe das Landgericht eine Leistungsfreiheit des verklagten Kaskoversicherers nach § 28 Abs. 2 S. 1 VVG iVm. Teil B Ziffer 2 (2) AKB wegen vorsätzlicher (arglistiger) Verletzung der den Kläger treffenden Aufklärungspflicht ausgehen können. Der Kläger habe den Sachverständigen (eingeschaltet bei dem streitigen Unfall) nur teilweise („verharmlosend) über den Vorschaden informiert und damit die Beklagte nur unzureichend über diesen, den Wert des Fahrzeugs maßgeblich bestimmenden Umstand aufgeklärt und im Ergebnis den Sachverständigen über den Umfang der Vorschäden getäuscht. Dass diese Umstände für den Sachverständigen von erheblicher Bedeutung gewesen seien, hätte sich dem Kläger geradezu aufdrängen müssen. Nach Erhalt des Gutachtens vom 05.12.2018 hätte der Kläger erkennen können, dass der Sachverständige von falschen Voraussetzungen ausgegangen sei, da in dem Gutachten nur Vorschäden hinten rechts benannt wurden. Dies stelle eine Bagatellisierung der sich aus dem Gutachten vom 28.03.2018 ersichtlichen Schäden dar.

Nach dem Hinweisbeschluss (§ 522 ZPO) nahm der Kläger seien Berufung gegen das klageabweisende Urteil zurück.

OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 28.07.2021 - 12 U 353/21 -


Aus den Gründen:

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 11.02.2021, Az.: 5 O 258/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 18.08.2021.

Gründe

Mit seinem am 11.02.2021 verkündeten Urteil hat das Landgericht die Klage vollumfänglich abgewiesen. Der Senat hält diese Entscheidung anhand der von dem Landgericht zu beurteilenden Sachlage aus folgenden Erwägungen für zutreffend.

Der Pkw hat am 28.03.2018 unstreitig einen massiven Vorschaden erlitten. Der Umfang dieses Schadens ergibt sich eindrucksvoll aus dem Gutachten des Sachverständigen ...[A] vom 29.03.2018. Der Vorschaden, dessen Beseitigung Reparaturkosten in Höhe von 48.416,91 € (netto) bedingte bzw. bedingt hätte, betraf auch den bei dem Unfall vom 02.12.2018 beschädigten Bereich. Sowohl das Gutachten ...[A] vom 29.03.2018, als auch das Gutachten des Sachverständigen ...[B] vom 05.12.2018 weisen als Anstoßbereiche/Schadensbereiche die gesamte rechte Fahrzeugseite auf (Gutachten ...[B]: vorne rechts, Seite rechts, hinten rechts; Gutachten ...[A]: Vorderachshälfte rechts beschädigt, Stoßfänger vorne, Kotflügel vorne rechts, Radhaus vorne rechts, Längsträger vorne rechts, Türe vorne rechts, Seitenwand hinten rechts, Kühlerpaket vorne rechts).

Nach der Rechtsprechung (OLG Koblenz in VersR 2010, 234, KG Berlin in DAR 2016, 461; OLG Düsseldorf, 1 U 148/05, Urteil vom 06.02.2016, juris; OLG Hamm, 9 U 238/12, Beschluss vom 01.02.2013, juris), muss bei Vorschäden im erneut beschädigten Bereich und bei bestrittener unfallbedingter Kausalität des geltend gemachten Schadens im Einzelnen von Seiten des Geschädigten ausgeschlossen werden, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs noch vorhanden waren. Um seiner Darlegungslast insoweit gerecht zu werden, muss der Geschädigte hierbei im Einzelnen zu der Art der Vorschäden und deren behaupteter Reparatur vortragen. Welche Reparaturschritte wurden also von wem mit welchen "Materialien" durchgeführt ("Reparaturhistorie")? Der Kläger ist dieser Darlegungslast nicht ausreichend nachgekommen. So hat er auch nicht ansatzweise dargetan, in welcher Art und Weise die sich aus dem Gutachten ...[A] vom 29.03.2018 ergebenden massiven Vorschäden im einzelnen beseitigt worden sein sollen. Die Vorlage einer aussagekräftigen Reparaturrechnung ist ebenfalls unterblieben. Zweifel an einer vollständigen sach- und fachgerechten Reparatur ergeben sich hierbei durchaus aus den Ausführungen des Sachverständigen ...[C] in dessen Gutachten vom 24.02.2019 (StA Koblenz 2010 Js 3322/19), insbesondere den dort aufgeführten Lackschichtdicken, die teilweise erheblich voneinander abweichen.

Soweit der Kläger vorträgt, ihm seien Einzelheiten bezüglich der durchgeführten Reparaturmaßnahmen nicht bekannt, entsprechende Unterlagen würden ihm ebenfalls nicht vorliegen, entlastet ihn dies nicht. Der Umstand, dass der Geschädigte als Käufer des Gebrauchtwagens ein Vorschaden oder auch der Umfang eines Vorschadens nicht bekannt gewesen ist, fällt nicht in den Verantwortungsbereich des Schädigers (KG Berlin, 22 U 152/14, Urteil vom 27.08.2015, juris; OLG Koblenz, 12 U 473/16, OLG Köln in NZV 2013, 445; KG Berlin in NZV 2009, 345). Es wäre hier vielmehr an dem Kläger gewesen, entsprechende Auskünfte bei dem Vorbesitzer des Pkw einzuholen. Dieser Erkundigungspflicht ist der Kläger in keiner Weise nachgekommen. Die Folge ist, dass die Klage vollständig der Abweisung unterliegt (OLG Koblenz 10 U 1163/08, Urteil vom 26.032.2009, juris: KG Berlin 22 U 27.08 2015, juris).

Aufgrund des von ihm zu beurteilenden Sachverhaltes durfte das Landgericht auch von einer Leistungsfreiheit der Beklagten im Sinne von § 28 Abs. 2 S. 1 VVG i.V.m. Teil B Ziff. 2 (1) AKB wegen einer vorsätzlichen (arglistigen) Verletzung der den Kläger treffenden Aufklärungsobliegenheit im Sinne von Teil A Ziff. 3.2 (3) AKB ausgehen. Das Landgericht führt in diesem Zusammenhang aus, der Kläger habe den Vorschaden gegenüber dem Sachverständigen ...[B] nur teilweise ("verharmlosend") angegeben und die Beklagte damit nur unzureichend über diesen, den Wert des Fahrzeugs maßgeblich bestimmenden Umstand aufgeklärt. Im Ergebnis habe er den Gutachter ...[B] über den tatsächlichen Umfang der Vorschäden getäuscht. Der Kläger tritt dem im Berufungsverfahren mit dem Einwand entgegen, er habe den Gutachter ...[B] sehr wohl über die weiteren Schäden ("Beifahrerseite betroffen") mündlich informiert. Der Kläger hat es aber auch im Rahmen des Berufungsverfahrens unterlassen, substantiiert und in einer der Beweisaufnahme zugänglichen Art darzutun, wie diese mündliche Information ausgesehen haben soll. Hat der Kläger also dem Gutachter ...[B] zumindest diejenigen (massiven) Beschädigungen und (umfangreichen) Reparaturmaßnahmen (Ersatzteile) mitgeteilt, die ihm selbst aus der verbindlichen Bestellung vom 31.08.2018 bekannt waren? Dass diese Umstände für den Gutachter ...[B] von höchstem Interesse waren, musste sich dem Kläger geradezu aufdrängen. In diesem Zusammenhang teilt der Senat auch die Auffassung des Landgerichts, dass der Kläger auch aus dem ihm übermittelten Gutachten vom 05.12.2018 (...[B]) ersehen musste, dass der Gutachter von völlig falschen Voraussetzungen ausging. In dem Gutachten ist lediglich ein Vorschaden an der Seitenwand hinten rechts aufgeführt. Dies stellt geradezu eine Bagatellisierung der sich aus dem Gutachten vom 29.03.2018 (Gutachten ...[A]) ergebenden massiven Beschädigungen dar.

Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme des Rechtsmittels nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für die Berufungsinstanz auf bis zu 15.000 € festzusetzen.


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