Freitag, 17. Dezember 2021

Unzulässige Verwerfung der Beschwerde und Sachentscheidung durch Beschwerdegericht

Der Sohn der Betroffenen (Beteiligter zu 1.) besaß eine Vorsorgevollmacht, auf Grund der er für sie tätig werden konnte. Auf Initiative von Nachbarn der Betroffenen, die diese häufiger orientierungslos und hilfsbedürftig im Haus und dessen Umgebung angetroffen wurde, wurde das Betreuungsverfahren eingeleitet, und das Amtsgericht als Betreuungsgericht hatte nach Anhörung der Betroffenen und ihres Sohnes und der Einholung eines Sachverständigengutachtens eine Kontrollbetreuung in der Person des Beteiligten zu 2.  angeordnet (§ 281 FamFG iVm. § 1896 Abs. 3 BGB).   

Das Landgericht wies die Beschwerde der Betroffenen zurück und verwarf die Beschwerde ihres Sohnes wegen mangelnder Beschwerdebefugnis. Die dagegen von der Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde blieb erfolgslos; allerdings wurde die Rechtsbeschwerde des Sohnes nicht wegen mangelnder Beschwerdebefugnis sondern in der Sache abgewiesen.

In der Sache wurde gerügt, dass der amtsgerichtliche Anhörungsvermerk (der Betroffenen) unvollständig sei. Nachdem die fehlende Seite überlassen wurde, wurde diese Rüge nicht weiter aufrechterhalten. Soweit gerügt wurde, dass es für die Betroffene eines Verfahrenspflegers bedurft hätte, sah dies der BGH anders: Weder sähe das Gesetz bei der angeordneten Kontrollbetreuung einen Regelfall der Beiordnung eines Verfahrenspflegers vor, § 276 Abs. 1  S. 2 Nr. 1 und 2 FamFG, noch sei dies gem. § 276 Abs. 1 S. 1 FamFG zur Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen erforderlich gewesen, da die Kontrollbetreuung keine Befugnis enthalte, die Vorsorgevollmacht zu widerrufen (BGH, Beschluss vom 28.07.2015 - XII ZB 674/14 -).  

Allerdings sei die Rüge, die Beschwerde des Sohnes zu verwerfen, gerechtfertigt (auch wenn dessen Beschwerde aus den obigen Gründen auch keinen Erfolg hatte). Seine Beschwerdebefugnis ergäbe sich bereits aus § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG als Abkömmling der Betroffenen, zumal er auch am erstinstanzlichen Betreuungsverfahren beteiligt gewesen sei (BGH, Beschluss vom 17.03.2021 - XII ZB 169/19 -). Zwar habe nicht der Sohn die Rechtsbeschwerde eingelegt, doch könne sich auch die Betroffene auf diesen Verfahrensfehler berufen. Da den Angehörigen und Vertrauenspersonen nach dem Beschwerderecht ausdrücklich im Interesse des Betroffenen eingeräumt sei, sei die Betroffene durch die Verwerfung der Beschwerde des Sohnes materiell beschwert, zumal über die in ihrem Interesse eingelegte Beschwerde nicht materiell entschieden worden sei (BGH, Beschluss vom 14.10.2020 - XII ZB 235/20 -).  

Verwerfe das Beschwerdegericht eine Beschwerde unzulässig, könne grundsätzlich in der Rechtsbeschwerde über diese nicht entschieden werden (was zur Zurückverweisung führen müsste). Ausnahmsweise sei aber das Rechtsbeschwerdegericht zu einer Sachentscheidung befugt, wenn dem angefochtenen Beschluss eine für die abschließende rechtliche Beurteilung ausreichende tatsächliche Grundlage dem angefochtenen Beschluss zu entnehmen sei und für den Fall einer Zurückverweisung an das Beschwerdegericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung des Sachverhalts ein anders Ergebnis als das vom Rechtsbeschwerdegericht für richtig erachtete nicht möglich erscheine (BGH, Beschluss vom 04.09.2013 - XII ZB 97/12 -).

Da vorliegend das Beschwerdegericht das einheitlich gehaltene Vorbringen der Betroffenen und ihres Sohnes vollumfänglich gewürdigt habe und seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe, habe es seine Entscheidungsgrundlage nicht verkürzt. Das Landgericht als Beschwerdegericht habe ausführlich und richtig begründet, weshalb eine Kontrollbetreuung nach § 1896 Abs. 3 BGB erforderlich sei, da der Sohn der Betroffenen die Interessen der Betroffenen nicht hinreichend wahrnehme (BGH, Beschluss vom 05.06.2019 - XII ZB 59/19 -).

BGH, Beschluss vom 25.08.2021 - XII ZB 436/20 -


Aus den Gründen:

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg vom 31. August 2020 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 27. Februar 2020 nicht verworfen, sondern zurückgewiesen wird.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Wert: 5.000 €

Gründe

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Anordnung einer Kontrollbetreuung für die 1940 geborene Betroffene, die an Demenz leidet.

Die Betroffene erteilte ihrem Sohn (Beteiligter zu 1) im Januar 2016 eine Vorsorgevollmacht. Auf Anregung von Nachbarn der Betroffenen ist das vorliegende Betreuungsverfahren eingeleitet worden, nachdem die Betroffene im Haus und in dessen Umgebung wiederholt orientierungslos und hilfsbedürftig angetroffen worden war.

Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie Anhörung der Betroffenen und ihres Sohnes eine Kontrollbetreuung angeordnet und den Beteiligten zu 2 zum Betreuer bestellt. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen und die Beschwerde ihres Sohnes wegen mangelnder Beschwerdebefugnis verworfen.

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, welche den Wegfall der Kontrollbetreuung erstrebt.

II.

Die Rechtsbeschwerde führt zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit die Beschwerde des Beteiligten zu 1 verworfen worden ist. Seine zulässige Beschwerde ist jedoch in der Sache zurückzuweisen.

1. Die von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rügen haben im Ergebnis keinen Erfolg.

a) Soweit die Rechtsbeschwerde gerügt hat, dass der amtsgerichtliche Anhörungsvermerk unvollständig sei und das Beschwerdegericht die Betroffene daher erneut hätte anhören müssen, hat sie diese Rüge nach Übersendung der fehlenden Seite des Anhörungsvermerks durch das Beschwerdegericht nicht mehr aufrechterhalten.

b) Der Bestellung eines Verfahrenspflegers bedurfte es entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nach dem gegenwärtig geltenden Recht nicht. Bei der vorliegend angeordneten Kontrollbetreuung handelt es sich weder um einen Regelfall nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 FamFG, noch war die Bestellung eines Verfahrenspflegers gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG zur Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen erforderlich. Die Kontrollbetreuung enthält keine Befugnis des Betreuers zum Widerruf der Vorsorgevollmacht. An der von der Rechtsbeschwerde zitierten gegenläufigen Senatsrechtsprechung im Senatsbeschluss vom 13. November 2013 (XII ZB 339/13 - FamRZ 2014, 192 Rn. 13 ff.) hat der Senat nicht festgehalten (Senatsbeschluss BGHZ 206, 321 = FamRZ 2015, 1702 Rn. 18 mwN). Mithin rechtfertigt eine Kontrollbetreuung entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde schon wegen der deutlich geringeren Eingriffsintensität keine Gleichstellung mit einer Betreuung in allen Angelegenheiten.

c) Die Rechtsbeschwerde rügt dagegen zutreffend, dass die Verwerfung der Beschwerde des Sohnes der Betroffenen zu Unrecht erfolgt ist.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts war der Sohn der Betroffenen für die Erstbeschwerde beschwerdebefugt. Die Beschwerdebefugnis stand ihm nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG schon als Abkömmling der Betroffenen zu, zumal er am erstinstanzlichen Betreuungsverfahren beteiligt worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 17. März 2021 - XII ZB 169/19 - FamRZ 2021, 1062 Rn. 7 mwN).

Dass der Sohn der Betroffenen keine eigene Rechtsbeschwerde eingelegt hat, steht dem nicht entgegen. Vielmehr kann sich auch die Betroffene auf diesen Verfahrensfehler berufen. Da das Beschwerderecht Angehörigen und Vertrauenspersonen vom Gesetz ausdrücklich im Interesse des Betroffenen gewährt wird, ist die Betroffene durch die Verwerfung der Beschwerde auch materiell beschwert, zumal über die in ihrem Interesse eingelegte Beschwerde ihres Angehörigen nicht in der Sache entschieden worden ist (vgl. auch Senatsbeschluss BGHZ 227, 161 = FamRZ 2021, 138 Rn. 15 f.).

2. Der Senat kann in der Sache nach § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG selbst entscheiden, da die Sache zur Endentscheidung reif ist. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 ist unbegründet und daher zurückzuweisen.

a) Hat das Beschwerdegericht die Beschwerde als unzulässig verworfen, ist das Rechtsbeschwerdegericht ausnahmsweise zu einer Sachentscheidung befugt, wenn dem angefochtenen Beschluss eine für die abschließende rechtliche Beurteilung ausreichende tatsächliche Grundlage zu entnehmen ist und für den Fall einer Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung des Sachverhalts ein anderes Ergebnis als das vom Rechtsbeschwerdegericht für richtig erachtete nicht möglich erscheint (Senatsbeschluss vom 4. September 2013 - XII ZB 87/12 - FamRZ 2013, 1879 Rn. 15 zu § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO mwN; Keidel/Meyer-Holz FamFG 20. Aufl. § 74 Rn. 71 mwN).

b) Das ist vorliegend der Fall. Das Landgericht hat das in der Beschwerdeinstanz einheitlich gehaltene gemeinsame Vorbringen der Betroffenen und des Beteiligten zu 1 in vollem Umfang gewürdigt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Dadurch, dass es die Beschwerde des Beteiligten zu 1 verworfen hat, hat es dementsprechend seine Entscheidungsgrundlage hinsichtlich des einheitlichen Verfahrensgegenstands nicht verkürzt.

Aufgrund des somit erschöpfend aufgeklärten Sachverhalts ist auch die Beschwerde des Beteiligten zu 1 unbegründet. Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung ausführlich begründet, dass eine Kontrollbetreuung nach § 1896 Abs. 3 BGB erforderlich ist, weil der Beteiligte zu 1 als Bevollmächtigter die Interessen der Betroffenen nicht hinreichend wahrnimmt (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Juni 2019 - XII ZB 58/19 - FamRZ 2019, 1355 Rn. 19 mwN). Das ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden und wird auch von der Rechtsbeschwerde in der Sache nicht angegriffen.


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