Montag, 3. Januar 2022

Rechtliches Gehör und Kündigung wegen geringer Mietdifferenz über längere Zeit

Die Parteien (Brüder) hatten einen schriftlichen Mietvertrag mit einer Bruttomiete von € 562,42 vereinbart. Nach Darstellung des Beklagten soll die Miethöhe mündlich reduziert worden sein. Der Kläger kündigte fristlos wegen einer Mietdifferenz von € 162,42/Monat für den Zeitraum Januar 2015 bis Januar 2018 und machte die offene Mietdifferenz von € 9.709,54 geltend. Die Klage wurde - auch im Berufungsverfahren vor dem Landgericht - diesbezüglich abgewiesen, da die Beweisaufnahme ergeben habe, dass eine Mietreduzierung vereinbart worden sei. . Auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin hob der BGH das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an eine andere Kammer des Landgerichts zurück, § 544 Abs. 9 ZPO.

Der BGH sah eine verfahrenserhebliche Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) darin, dass das Landgericht das Vorbringen des Klägers nicht berücksichtigt habe, dass auch bei Zugrundelegung der Zeugenaussagen eine monatliche Mietdifferenz von € 12,42 vorliege. Es läge daher eine nach seiner Ansicht ein nach § 573 Abs. 1 Nr. 2 BGB relevanter Mietrückstand von (mehr als) einer Monatsmiete seit März 2017 vor, der auch bei Ausspruch der Kündigung bestanden habe und bis zu diesem Zeitpunkt noch angestiegen sei. 

Das Gebot des rechtlichen Gehörs erfordere vom erkennenden Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, ohne dass es allerdings gehalten sei, sich ausdrücklich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen zu befassen. Wenn allerdings im Einzelfall besondere Umstände vorlägen, aus denen sich ergebe, dass tatsächliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden seien, sei ein Verstoß gegen die Pflicht aus Art. 103 Abs. 1 GG gegeben. Hier habe das Landgericht nicht den vom Kläger geltend gemachten Umstand berücksichtigt, dass sich bei der Berechnung der Mietreduzierung von € 562,42 um € 300,00 noch ein Betrag von € 312,42 ergäbe, nicht lediglich von € 300,00, wie vom Beklagten gezahlt. Zudem wurde vom Kläger auf ein Schreiben des Beklagtenvertreters verwiesen, demzufolge der Beklagtenvertreter in einem Schreiben vom 17.09.2009 (unstreitig) eine geschuldete Miete von € 312,00 benannt habe und weder dort noch im Rahmen der Verhandlung vor dem Amtsgericht erklärt hätte, warum er, wenn sich die Miete um € 250,00/Monat reduziert habe, nicht den Differenzbetrag von € 312,42 sondern nur € 300,00 zahle. Zudem habe er geltend gemacht, dass ausgehend von einer Miete in Höhe von € 312,00 im Zeitraum von Januar 2015 bis Januar 2018 ein Mietrückstand von € 444,00 bestünde und damit die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung gerechtfertigt sei. Damit und mithin mit der Kernfrage des Rechtsstreits für die (noch) rechtshängigen Ansprüche auf Räumung und Herausgabe und Zahlung von rückständiger Miete) habe sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt, also mit der Frage, welche konkrete Miete letztlich geschuldet würde. Es habe das Vorbringen des Klägers ausgeblendet.  Es habe damit einen wesentlichen Punkt des Berufungsvorbringens des Klägers nicht nur im Kern, sondern vollständig übergangen. 

Dies sei aber sowohl für die Berechnung des Zahlungsanspruchs für die Miete als auch für die am 23.01.2018 erklärte (ordentliche) Kündigung von Relevanz gewesen. Bei Beachtung dieses Vorbringens hätte das Berufungsgericht nicht zur vollständigen Abweisung der Berufung gelangen können. Ausgehend von einer Miete in Höhe von € 312,42 hätte sich ein Mietrückstand für die Zeit Januar 2015 bis Januar 2018 von € 459,54 ergeben, was zwar für eine fristlose Kündigung nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Buchst. a und b BGB nicht ausreichend gewesen wäre, allerdings die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfüllt hätte, die hilfsweise ausgesprochen worden war, da bis zum Zugang der Kündigungserklärung vom 23.01.2018 ab März 2017 ununterbrochen mehr als € 312,42 an Miete offen gestanden habe (BGH, Urteil vom 10.10.2012 - VIII ZR 107/12 -). Damit hätte das Mietverhältnis mit Ablauf des 31.10.2019 geendet. 

Der BGH ging auch auf die Subsidiarität der Rüge der Gehörsverletzung ein. Danach hätten die Prozessbeteiligten alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Gehörsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (z.B. BGH, Urteil vom 09.02.2011 - VIII ZR 285/09 -). Dies entspräche dem sich aus § 295 ZPO ersichtlichen Rechtsgedanken, wonach eine Gehörsverletzung nicht mehr gerügt werden könne, wenn nach Erkennen derselben die verbliebene Möglichkeit einer Äußerung nicht genutzt würde. Hier sei sie vom Kläger im Rahmen zulässig im Rahmen der Berufung genutzt worden. 

Es sei auch vorliegend nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Vortrages des Klägers, anders entschieden hätte, wenn es den Vortrag des Klägers zum amtsgerichtlichen Urteil in Bezug auf die  Diskrepanz im Beklagtenvortrag berücksichtigt hätte, nach dem das Landgericht der Darstellung des Beklagten nach Beweisaufnahme folgte, und nicht aufgeklärt und damit offen gelassen habe, ob nur € 281,21 (die Hälfte von € 562,42), € 300,00 (so die letzte Überweisung) oder € 312,42 (€ 564,42 abzüglich € 250,00) als Miete geschuldet würden. 

Das Berufungsgericht sei schon deswegen nicht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gebunden gewesen, da dieses nur unvollständig und zur Höhe der geschuldeten Miete widersprüchlich (€ 562,42 abzüglich € 250,00 ergeben nicht die Hälfte von € 562,42) sei. Selbst bei Zugrundelegung des vom Berufungsgericht angenommenen, auf das Vorliegen von Rechtsfehlern iSv. § 286 Abs. 1 ZPO beschränkten Prüfungsmaßstabs gehalten gewesen sei, eigene Feststellungen zu treffen. Zudem handele es sich bei dem Berufungsverfahren um eine zweite Tatsacheninstanz, die das erstinstanzliche Urteil nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen habe. Auch als „eingeschränkte Tatsacheninstanz“ bestünde seine Aufgabe in der Gewinnung von „fehlerfreien und überzeugenden“ und damit „richtigen“ Entscheidungen (BGH, Urteil vom 26.05.2020 - VIII ZR 64/19 -). 

BGH, Beschluss vom 10.11.2020 - VIII ZR 18/20 -


Aus den Gründen:

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Kempten - 5. Zivilkammer - vom 13. Dezember 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Streithelfers des Klägers, an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens wird auf 19.859,96 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien sind Brüder. Der Kläger vermietete mit schriftlichem Mietvertrag vom 5. Februar 1995 rückwirkend zum 1. Januar 1995 eine Vierzimmerwohnung in R.

an den Beklagten. Ausweislich § 3 des Mietvertrags beträgt die Miete inklusive Nebenkosten 562,42 € (1.100 DM). Zwischen den Parteien steht im Streit, ob sie mündlich eine abweichende Vereinbarung über die Miethöhe getroffen haben.

Der Beklagte überwies bis einschließlich März 2009 den im schriftlichen Mietvertrag ausgewiesenen Betrag in Höhe von 562,42 € monatlich an den Kläger. Ab April 2009 reduzierte er den Überweisungsbetrag auf 300 € monatlich.

Mit Schreiben vom 23. Januar 2018 kündigte der Kläger das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs in dem Zeitraum von Januar 2015 bis Januar 2018 in Höhe von 9.709,54 € fristlos und hilfsweise ordentlich zum 31. Oktober 2018. Der Beklagte kam dem Räumungsverlangen des Klägers nicht nach und glich auch den von diesem geltend gemachten Zahlungsrückstand nicht aus.

Der Beklagte hat geltend gemacht, zwischen den Parteien habe eine mündliche Abrede dahin bestanden, dass er in Abweichung zu der im schriftlichen Mietvertrag festgelegten Miete als Ausgleich für die Mitwirkung bei Renovierungsarbeiten für das streitgegenständliche Anwesen lediglich eine Miete von 300 € geschuldet habe. Der Kläger habe zwar - wohl aus steuerlichen Gründen - auf die Ausweisung einer höheren Miete in dem schriftlichen Mietvertrag bestanden, der Beklagte habe aber von Anfang an nur die Hälfte dieses Betrags bezahlt. Dies sei viele Jahre lang dadurch geschehen, dass er den vollen Betrag von 562,42 € an den Kläger überwiesen, dieser ihm aber dann 250 € in bar zurückgegeben habe. Der Kläger habe diese Vorgehensweise jahrzehntelang akzeptiert und sei erst im Jahr 2009 aufgrund persönlicher Differenzen hiervon abgerückt, woraufhin der Beklagte nur noch 300 € monatlich überwiesen habe.

Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger den Beklagten auf Räumung und Herausgabe der Wohnung, auf Zahlung rückständiger Miete in Höhe von 9.971,66 € nebst Zinsen, auf Entrichtung einer Nutzungsentschädigung von 562,42 € ab März 2018 bis zur Räumung sowie auf Räumung und Herausgabe eines Nachbargrundstücks in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat der Klage nach einer Beweisaufnahme zu mündlich getroffenen Abreden nur bezüglich des letztgenannten Begehrens stattgegeben. Die hiergegen gerichteten Berufungen beider Parteien sind vor dem Landgericht ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, mit der er sein Klagebegehren, soweit es in den Vorinstanzen abgewiesen worden ist, weiterverfolgt.

II.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für die vorliegende Entscheidung von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:

Dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung nicht zu, weil die ausgesprochenen Kündigungen das Mietverhältnis nicht beendet hätten.

Die auf Zahlungsverzug (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 BGB) gestützte Kündigung des Klägers vom 21. Januar 2018 (gemeint ist 23. Januar 2018) scheitere bereits daran, dass das Amtsgericht - ohne Rechtsfehler - zu der Überzeugung gelangt sei (§ 286 ZPO), der Beklagte habe aufgrund einer Vereinbarung zwischen den Parteien nur eine reduzierte Miete geschuldet. Das Amtsgericht habe sich an die Regeln der freien Beweiswürdigung gehalten. Die Berufungskammer folge seiner Beweiswürdigung auch in der Sache. Es sei nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht nach Einvernahme der benannten Zeugen zu der Überzeugung gelangt sei, die Parteien hätten eine Vereinbarung dergestalt getroffen, dass der Beklagte die im Mietvertrag vom 5. Februar 1995 aufgeführte Miete nicht in vollem Umfang schulde. Das Amtsgericht habe dezidiert und gut nachvollziehbar dargelegt, dass und warum es zu dieser Überzeugung gelangt sei. Dies genüge den Anforderungen an eine der Zivilprozessordnung entsprechende Beweiswürdigung. Dass der Kläger das Ergebnis der Beweisaufnahme anders werte, führe zu keinem Fehler des Amtsgerichts. Ein Verstoß gegen Beweisregeln oder Denk- und Naturgesetze werde in der Berufungsbegründung nicht aufgezeigt.

Auch die Klage auf Zahlung rückständiger Miete in Höhe von 9.971,96 € nebst Zinsen sowie auf Entrichtung einer monatlichen Nutzungsentschädigung in Höhe von 564,42 € (gemeint ist 562,42 €) ab März 2018 habe das Amtsgericht ohne Rechtsfehler abgewiesen. Es bestünden weder offene Mietforderungen (§ 535 Abs. 2 BGB) noch Ansprüche auf Nutzungsentschädigung (§ 546a BGB), da der Beklagte zur Überzeugung des Ausgangsgerichts nachgewiesen habe, dass aufgrund einer Vereinbarung zwischen den Parteien nur eine reduzierte Miete geschuldet sei.

III.

Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde hat in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Denn das Berufungsgericht hat gehörswidrig das Vorbringen des Klägers übergangen, dass auch bei Zugrundelegung des - von den Zeuginnen P. und S. (weitgehend) bestätigten - Vorbringens des Beklagten eine monatliche Mietdifferenz von 12,42 € (562,42 € abzüglich 250 € Rückerstattung) verbliebe, die - ausgehend von einer geschuldeten Miete in Höhe von 312,42 € - ab März 2017 auf einen gemäß § 573 Abs. 1 Nr. 2 BGB relevanten Rückstand von (mehr als) einer Monatsmiete angewachsen sei, der auch bei Zugang der Kündigung vom 23. Januar 2018 noch bestanden hätte und bis zu diesem Zeitpunkt sogar noch weiter angestiegen wäre.

1. Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfGE 86, 133, 144; 96, 205, 216; BVerfG, Beschlüsse vom 27. Mai 2016 - 1 BvR 1890/15, juris Rn. 14; vom 25. September 2020 - 2 BvR 854/20, juris Rn. 26; Senatsbeschlüsse vom 11. Dezember 2012 - VIII ZR 37/12, juris Rn. 10; vom 26. Mai 2020 - VIII ZR 64/19, NJW-RR 2020, 1019 Rn. 13). Dabei ist es allerdings nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (BVerfG, Beschlüsse vom 27. Mai 2016 - 1 BvR 1890/15, aaO; vom 25. September 2019 - 2 BvR 854/20, aaO).

Liegen im Einzelfall jedoch besondere Umstände vor, aus denen sich ergibt, dass tatsächliches Vorbringen eines Prozessbeteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist, ist ein Verstoß gegen die sich aus Art. 103 Abs. 1 GG ergebende Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen gegeben (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 27. Mai 2016 - 1 BvR 1890/15, aaO Rn. 15; vom 25. September 2019 - 2 BvR 854/20, aaO; BGH, Beschluss vom 14. November 2019 - I ZB 54/19, juris Rn. 8). Geht das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage nicht ein, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, Beschlüsse vom 27. Mai 2016 - 1 BvR 1890/15, aaO; vom 25. September 2019 - 2 BvR 854/20, aaO; BGH, Beschlüsse vom 11. Dezember 2012 - VIII ZR 37/12, aaO; vom 14. November 2019 - I ZB 54/19, aaO; jeweils mwN).

2. Gemessen an diesen Maßstäben ist dem Berufungsgericht eine Gehörsverletzung nach Art. 103 Abs. 1 GG anzulasten.

a) Das Amtsgericht hat nach Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, die Parteien hätten eine Vereinbarung getroffen, wonach der Beklagte nur die Hälfte des im schriftlichen Mietvertrag ausgewiesenen Betrags von 562,42 € schulde und dies bis März 2009 durch Überweisung der im Mietvertrag festgelegten Miete und anschließender Rückzahlung von 250 € in bar und später durch Überweisung von nur noch 300 € gewährleistet worden sei. Dabei hat das Amtsgericht den Umstand nicht berücksichtigt, dass der Rückzahlungsbetrag von 250 € nicht die Hälfte von 562,42 € darstellt, sondern nach Abzug dieses Betrags eine Restmiete von 312,42 € verbleibt.

b) Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend macht, hat dies der Kläger im Berufungsverfahren konkret angegriffen. Er hat dort auf ein Schreiben des Beklagtenvertreters vom 17. September 2009, in dem eine geschuldete Miete von 312 € aufgeführt war, und auf den unstreitigen Umstand verwiesen, dass der Beklagte gleichwohl ab April 2009 stets nur 300 € monatlich entrichtet hat. Weiter hat er angeführt, der Beklagte sei weder in diesem Schreiben noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht auf die Frage eingegangen, warum er, wenn die Miete sich um 250 € habe reduzieren sollen, nicht den Differenzbetrag von 312,42 €, sondern lediglich 300 €, und dies auch nur unter Vorbehalt, bezahlt habe. Schließlich hat er geltend gemacht, der durch die Nichtzahlung eines Betrags von monatlich 12 € in dem Zeitraum von Januar 2015 bis Januar 2018 aufgelaufene Rückstand von 444 € habe - ausgehend von einer Miete in Höhe von 312 € - die am 23. Januar 2018 fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung gerechtfertigt.

c) Das Berufungsgericht ist auf dieses substantiierte Vorbringen des Klägers nicht eingegangen, sondern hat sich in seinem Urteil mit der nahezu inhaltsleeren Feststellung begnügt, der Beklagte habe nur eine "reduzierte Miete" geschuldet. Infolgedessen hat es sich mit einer für sämtliche noch rechtshängigen Ansprüche (Räumung und Herausgabe, Zahlung rückständiger Miete und Entrichtung von Nutzungsentschädigung ab März 2018) zentralen Problemstellung, nämlich der Frage, welche konkrete Miete letztlich geschuldet ist, überhaupt nicht befasst. Es hat bei seiner Entscheidung die vom Kläger aufgezeigten Diskrepanzen in der Überzeugungsbildung des Amtsgerichts bezüglich der letztlich geschuldeten Miete (entweder 312,42 € [= 562,42 € abzüglich einer Rückerstattung von 250 €], oder 300 € [bezahlter Betrag] oder 281,21 € [Hälfte von 562,42 €]) und auch sein sich hieran anschließendes Vorbringen ausgeblendet, bei Zugrundelegung der vom Beklagten behaupteten, vom schriftlichen Mietvertrag abweichenden Vereinbarung der Parteien, auf die das Amtsgericht nach Beweisaufnahme seine Überzeugung gestützt habe, sei eine Miete von 312,42 € (562,42 € - 250 €) geschuldet gewesen und folglich bei einer unstreitigen monatlichen Mietzahlung von 300 € ein Restbetrag von 12,42 € monatlich offengeblieben, der zu einem kündigungsrelevanten Rückstand angelaufen sei. Hierdurch hat es einen wesentlichen Punkt des Berufungsvorbringens des Klägers nicht nur im Kern, sondern sogar vollständig übergangen.

d) Zur Befassung mit diesem Vorbringen hätte aber Anlass bestanden, weil die konkrete Höhe der geschuldeten Miete sowohl für die Berechtigung der am 23. Januar 2018 erklärten (ordentlichen) Kündigung als auch - zumindest teilweise - für die Klageanträge auf Zahlung restlicher Miete und auf Entrichtung einer Nutzungsentschädigung von wesentlicher Bedeutung ist. Hätte das Berufungsgericht das Vorbringen des Klägers berücksichtigt, hätte es nicht ohne Weiteres zu einer (vollständigen) Zurückweisung der Berufung gelangen können. Denn danach wäre die - nach der einseitigen Einstellung der Rückerstattung von 250 € monatlich durch den Kläger und der infolgedessen vom Beklagten ebenfalls eigenmächtig vorgenommenen Reduzierung des Überweisungsbetrags auf 300 € - bei Zugrundelegung der vom Beklagten behaupteten mündlichen Abrede geschuldete Miete nicht vollständig entrichtet worden. Vielmehr wäre in dem der Kündigung vom 23. Januar 2018 zugrunde liegenden Zeitraum von Januar 2015 bis Januar 2018 ein nachzuzahlender Rückstand von 459,54 € aufgelaufen, der zwar - ausgehend von einer Miete in Höhe von 312,42 € - nicht für eine fristlose Kündigung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a und b BGB genügt hätte, wohl aber die Voraussetzungen der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfüllen würde, weil bis zum Zugang der Kündigung vom 23. Januar 2018 ab März 2017 ununterbrochen mehr als 312,42 € an Miete offen gestanden hätten (vgl. Senatsurteil vom 10. Oktober 2012 - VIII ZR 107/12, NJW 2013, 159 Rn. 18 ff.). Dies würde dazu führen, dass das Mietverhältnis zwischen den Parteien mit Ablauf des 31. Oktober 2019 beendet worden wäre. Weiter könnte der Kläger Nachzahlung rückständiger Miete von 459,54 € und Entrichtung einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 312,42 € monatlich (abzüglich erfolgter Zahlungen) verlangen.

e) Dem Erfolg der vom Kläger geltend gemachten Gehörsverletzung steht entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung nicht der allgemeine Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Dieser fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 285/09, WuM 2011, 178 Rn. 10; vom 14. Juni 2018 - III ZR 54/17, BGHZ 219, 77 Rn. 37; Beschlüsse vom 28. März 2019 - IX ZR 147/18, ZInsO 2019, 1026 Rn. 4; vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 15; jeweils mwN). Diese Würdigung entspricht dem in § 295 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, nach dessen Inhalt eine Partei eine Gehörsverletzung nicht mehr rügen kann, wenn sie die ihr nach Erkennen des Verstoßes verbliebene Möglichkeit zu einer Äußerung nicht genutzt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 285/09, aaO; vom 14. Juni 2018 - III ZR 54/17, aaO; Beschlüsse vom 28. März 2019 - IX ZR 147/18, aaO; vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, aaO). Ein solches Versäumnis ist dem Kläger jedoch nicht anzulasten. Er hat - wie aufgezeigt - das dem Amtsgericht zur Last zu legende Übergehen der Differenz zwischen dem vom Beklagten monatlich entrichteten Betrag von 300 € und dem unter Zugrundelegung einer Miete von 562,42 € abzüglich einer Rückerstattung von 250 € geschuldeten Betrag in Höhe von 312,42 € im Berufungsverfahren substantiiert beanstandet.

f) Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht, wenn es den übergangenen Vortrag des Klägers berücksichtigt hätte, zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Dies gilt nicht nur, soweit (hinsichtlich der Räumungs- und Mietzahlungsklage) eine offene monatliche Restmiete von 12,42 € für den Zeitraum von Januar 2015 bis Januar 2018 und bezüglich der Klage auf Nutzungsentschädigung ab März 2018 eine Forderung in Höhe von 312,42 € monatlich (abzüglich erfolgter Zahlungen) im Raum steht. Vielmehr ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Befassung mit dem Umstand, dass das Amtsgericht bei seiner Überzeugungsbildung nicht die im Vortrag des Beklagten angelegten Diskrepanzen, dessen Darstellung es nach Beweisaufnahme gefolgt ist, aufgeklärt und letztlich offengelassen hat, ob nur 281,21 € (Hälfte von 562,42 €), 300 € (zuletzt erfolgte Überweisungen) oder 312,42 € (562,42 € abzüglich 250 € Rückerstattung) als Miete geschuldet sind, vollständig zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.

aa) Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass das Berufungsgericht schon deswegen nicht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gebunden ist, weil diese unvollständig und zur Höhe der geschuldeten Miete widersprüchlich ist (562,42 € abzüglich 250 € ergeben nicht die Hälfte von 562,42 €). Das Berufungsgericht wäre daher selbst bei Zugrundelegung des von ihm herangezogenen, auf das Vorliegen von Rechtsfehlern im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO beschränkten Prüfungsmaßstabs gehalten gewesen, eigene Feststellungen zu treffen.

bb) Weiter ist zu berücksichtigen, dass das Berufungsgericht als zweite Tatsacheninstanz die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen hat. Vielmehr besteht seine Aufgabe als zweite - wenn auch eingeschränkte - Tatsacheninstanz in der Gewinnung einer "fehlerfreien und überzeugenden" und damit "richtigen" Entscheidung des Einzelfalles (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Oktober 2016 - NJW 2020, 2730 Rn. 19; vom 26. Mai 2020 - VIII ZR 64/19, aaO Rn. 32; jeweils mwN). Insoweit besteht Anlass, nicht nur der beschriebenen Lückenhaftigkeit und den Widersprüchen in der Beweiswürdigung des Amtsgerichts nachzugehen. Vielmehr ist das Berufungsgericht auch gehalten, sich näher mit der - vom Amtsgericht nicht weiter erörterten - Motivlage zu befassen, die nach der Darstellung des Beklagten von Anfang an zu einer vom schriftlichen Mietvertrag abweichenden und (trotz zeitlich beschränkter Mitwirkung an Renovierungsarbeiten, für die als Gegenleistung eine Mietrückerstattung erfolgt sein soll) ohne zeitliche Befristung getroffenen mündlichen Absprache über eine monatliche Rückerstattung von 250 € unter gleichzeitigem Festhalten der im Mietvertrag vereinbarten Zahlungsweise und -höhe geführt haben soll.

IV.

Nach alledem ist das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Entscheidung und Verhandlung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 9 ZPO). Der Senat macht dabei von der - auch auf den Fall einer Zurückverweisung nach § 544 Abs. 9 ZPO entsprechend anwendbaren - Möglichkeit Gebrauch, die Sache an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO; BGH, Beschlüsse vom 1. Fe-bruar 2007 - V ZR 200/06, NJW-RR 2007, 1221 Rn. 12; vom 12. Mai 2002 - VIII ZR 171/19, NJW 2020, 2730 Rn. 26; vom 26. Mai 2020 - VIII ZR 64/19, aaO Rn. 29; jeweils mwN).

 

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