Die Klägerin klagte aus
abgetretenen Recht der Ehefrau auf Zahlung von Schmerzensgeldes wegen tödlicher
Verletzungen von deren Ehemann (Erblasser) auf Grund eines Sturzes aus einem
Fensters des beklagten Alten- und Pflegeheims. Der Erblasser war hochgradig
dement, litt unter Gedächtnisstörungen infolge Korsakow-Syndroms sowie psychisch-notorischer
Unruhe. Er soll örtlich, zeitlich, räumlich und situativ sowie zeitweise zur
Person desorientiert gewesen sein. Eine besondere Betreuung war im Hinblick auf
Lauftendenzen, Selbstgefährdung, nächtlicher Unruhe und zeitweiser
Sinnestäuschung bejaht worden. Der Erblasser wurde von der Beklagten in einem
Zimmer im 3. OG, welches über zwei große Dachfenster verfügte, die nicht gegen
unbeaufsichtigtes Öffnen gesichert waren, untergebracht. Aus einem der zwei Fenster
stürzte er.
Klage und Berufung gegen das
klageabweisende Urteil blieben ohne Erfolg. Die zugelassene Revision führte zur
Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das OLG. Dabei verwies der BGH
auf seine ständige Rechtsprechung, dass durch den Heimvertrag Obhutspflichten
der Beklagten gem. § 241 Abs. 2 BGB zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit
der ihr anvertrauten Bewohner begründet würden. Inhaltsgleich würde auch eine
allgemeine Verkehrssicherungspflicht den Bewohnern gegenüber vor
gesundheitlichen Schädigungen bestehen, die ihnen wegen Krankheit oder
sonstiger körperlicher oder geistiger Einschränkungen durch sie selbst oder die
Einrichtung und bauliche Gestaltung des Heims drohen würden. Die schuldhafte
Pflichtverletzung der Beklagten würde sowohl Schadensersatzansprüche wegen
vertraglicher Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB, § 278 S. 1 BGB) als auch
korrespondierend deliktische Ansprüche (§ 823 BGB, § 831 BGB) begründen.
Diese Pflichten des Heimbetreibers
seien aber begrenzt: sie müssten mit einem vernünftigen finanziellen und
personellen Aufwand realisierbar sein. Maßstab sei das Erforderliche und für
die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare, wobei zu beachten sei, dass
beim Wohnen im Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner
vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbstständigkeit, Selbstbestimmung
und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern seien.
Den Spagat zwischen den Anforderungen
auf Menschenwürde und Freiheitsrecht auf der einen Seite und Schutz der körperlichen
Unversehrtheit nimmt der BGH, indem er auf eine sorgfältige Abwägung sämtlicher
Umstände des Einzelfalls abstellt. Entscheidens sei das Gefahrenpotential durch
körperliche und geistige Verfassung des Bewohners, wobei sich die einzuhaltende
Sorgfalt und eventuell zu treffende Sicherungsmaßnahmen aus einer ex-ante-Betrachtung
ergeben würden, ohne Berücksichtigung nur abstrakt denkbaren Sicherheitsrisiken
und mithin orientiert an die konkrete Pflegesituation. Zum Einen will der BGH
hier darauf abstellen, ob mit einer Schädigung ohne Sicherungsmaßnahmen zu
rechnen sei, zum Anderen aber auch darauf, dass eine nicht wahrscheinliche
Gefahr, die aber zu besonders schweren Folgen führen könne, berücksichtigt
werden müsse. Diese Risikoprognose sei Voraussetzung zur Abwägung der
Entscheidung zu erforderlichen Einschränkungen der persönlichen Freiheitsrechte
des Heimbewohners und der personellen und finanziellen Möglichkeiten des Pflegeheims.
Zur Beweislage wies der BGH
darauf hin, dass ein Sturzgeschehen dem „normalen, alltäglichen Gefahrenbereich“
im Heim zuzuordnen sei. Komme der Bewohner in einer solchen Situation zu
Schaden, falle dies in seine Risikosphäre mit der Folge, dass er für eine Pflichtverletzung
und deren Kausalität die Darlegungs- und Beweislast trage. Es handele sich um
das allgemeine Lebensrisiko in einem vom Bewohner voll beherrschten
Gefahrenbereich. Alleine der Sturz aus dem nicht verriegelten Fenster begründe
damit keine kausale Pflichtverletzung.
Allerdings komme es zu einer
Beweislastumkehr (bei der der Heimbetreiber den Nachweis pflichtgemäßen
Verhaltens führen müsse), wenn der Bewohner im Herrschafts- und
Organisationsbereich des Heimbetreibers zu Schaden käme und die ihn
betreffenden Vertragspflichten (auch) bezwecken würden, den Bewohner vor einem
solchen Schaden zu bewahren. Der Heimbetreiber müsse bei Risiken aus dem
Betrieb, die von ihm voll beherrschbar seien, darlegen und beweisen, dass der
Schaden nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten beruht. Dies sei der Fall,
wenn der Patient in einem Krankenhaus bei einer Bewegungs- und Transportmaßnahme
einer ihm betreuenden Krankenschwester stürze, s. auch § 630h BGB. Es gelte
auch gelte auch bei Pflegeheimen, wenn bei einer konkreten Gefahrensituation
die spezielle Obhutspflicht einer dafür eingesetzten Pflegekraft obliege und
sich der Schaden in diesem Zusammenhang verwirkliche (so z.B. Sturz des
Heimbewohners bei begleiteten Gang zur Toilette der Sturz beim Wechsel der
Bettwäsche durch einen Pfleger).
Im konkreten Fall nahm der BGH
keine Beweislastumkehr an. Zwar habe sich die Gefahrensituation im Sturz des
Erblassers aus dem Fenster durch die fehlende Fenstersicherung verwirklicht. Allerdings
habe dies außerhalb des voll beherrschbaren Gefahrenbereichs des Heimträgers
stattgefunden. Der Erblasser sei zu diesem Zeitpunkt nicht der Obhut einer
Pflegekraft im Rahmen einer konkreten Pflege- oder Betreuungsmaßnahme
anvertraut gewesen: er habe sich überwiegend alleine in seinem Zimmer aufgehalten
und habe nicht dauerhaft betreut und begleitet werden müssen.
Die Aufhebung des Urteils und
Zurückverweisung an das OLG erfolgte, da der BGH die tatrichterliche Würdigung,
die Beklagte hätte keine Vorkehrungen gegen ein Heraussteigen des Erblassers aus
einem Fenster seines Zimmers treffen müssen, für unvollständig und
rechtsfehlerhaft hielt. Die dazu notwendige Abwägung sei unvollständig gewesen.
Hier hätte das Berufungsgericht auf der
Grundlage einer sorgfältigen ex-ante-Risikoprognose, die das gesamte
Krankheitsbild des Erblassers in den Blick nehme, entscheiden müssen, ggfls. sachverständig
beraten. Es habe aber nur einzelne dokumentierte Demenzerscheinungen isoliert
und kursorisch betrachtet, ohne dabei eine eigene besondere Sachkunde aufzuweisen.
BGH, Urteil vom 14.01.2021
- III ZR 168/19 -