Sonntag, 10. März 2019

Insolvenz: Rückgewähranspruch von Ausschüttungen gegen Kommanditisten und Darlegungslast des Insolvenzverwalters zum Grund


Die Beklagte war mit einer Kommanditeinlage von € 100.000,00 an der insolventen Kommanditgesellschaft (KG) beteiligt. Sie erhielt von dieser Ausschüttungen in Höhe von € 45.000,00. Diese wurden vom Insolvenzverwalter der KG (dem Kläger) unter dem Gesichtspunkt der teilweisen Rückgewähr von Kommanditeinlagen eingeklagt. Er machte geltend, dass zum Zeitpunkt der entsprechenden Ausschüttungen der Kapitalanteil der Beklagten durch Verluste unter den Betrag der geleisteten Einlage herabgemindert gewesen sei (§ 175 HGB). Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hatte keinen Erfolg.

Das OLG hielt in seiner Entscheidung fest, die Beklagte könne nicht zur Insolvenztabelle festgestellte Forderungen (pauschal) bestreiten und auch nicht verlangen, dass der Kläger jeweils den Forderungsgrund und die Fälligkeit substantiiert darlegen müsse. Auch seine ein Verjährung der festgestellten Forderungen nicht ersichtlich.

Allerdings sei Voraussetzung, dass die Inanspruchnahme der Beklagten zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger mit festgestellten Forderungen benötigt würde. Davon sei nicht auszugehen, da aus der Beitreibung von Erstattungszahlungen wegen der Rückgewähr geleisteter Kommanditeinlagen das Aktivvermögen der Schuldnerin (KG) ausgereicht habe, um solche Forderungen auch ohne Inanspruchnahme der Beklagten zu befriedigen. Dieser Behauptung entsprechenden Behauptung der Beklagten sei der Kläger trotz Hinweises des Senats nicht im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast in genügender Weise, nämlich unter konkreter Darstellung der Höhe und der Verwendung entsprechender beigetriebener Erstattungsansprüche gegen andere Kommanditisten entgegen getreten, weshalb die Behauptung der Beklagten nach § 138 Abs. 4 ZPO als unstreitig zu behandeln sei.

Die Beklagte als Kommanditisten hafte nach § 171 Abs. 2 iVm. § 172 Abs. 4 S. 2 HGB nur für Forderungen, die der Insolvenzverwalter zur Tabelle festgestellt habe und denen er nicht widersprochen habe. Eine Haftung für Masseforderungen bestünde nicht. Schon daraus folge die sekundäre Darlegungslast des Klägers, der eine Vielzahl von Kommanditisten in Anspruch genommen habe,  da andernfalls der Insolvenzverwalter hinsichtlich des Anspruchsgrunds sachliche Beschränkungen der Haftung der Gesellschafter umgehen könnte, indem er bereits beigetriebene Erstattungsansprüche zur Begleichung von Forderungen einsetzt, für die die Gesellschafter nicht haften und damit letztlich versucht, die maßgebliche Summe zur Insolvenztabelle festgestellter Forderungen wieder „aufzufüllen“.

Der Kläger hat Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH erhoben (II ZR 1/19).

OLG Celle, Urteil vom 12.12.2018 - 9 U 74/17 -

Dienstag, 5. März 2019

Makler: Zum Wegfall der Kausalität zwischen Maklerleistung und Vertragsabschluss


Die Klägerin wurde von der KG mit einer „Finanzierungsvereinbarung beauftragt, mit Kreditinstituten die Finanzierung des Umbaus eines Objekts der KG zu verhandeln. Sie erstellte daraufhin eine Ausschreibung und übersandte diese an die Beklagte. In der Ausschreibung wies die Klägerin darauf hin, dass sie für den Fall des Abschlusses eines Darlehensvertrages eine Provision in Höhe von 1% aus der Darlehenssumme verlange. Bis Juli 2015 hatte die Beklagte – trotz Gesprächen – kein verbindliches Angebot unterbreitet. Am 16.07.2015 kündigte die KG die „Finanzierungsvereinbarung“ mit der Begründung, dass eigene Bemühungen zu einem besseren Angebot geführt hätten. Dieses Kündigungsschreiben überließ die Klägerin der KG. In der Folge, am 18.11.2015, schloss die KG mit der Beklagten einen Darlehensvertrag über 62 Mio. Euro. Hieraus begehrte die Klägerin von der Beklagten die Provision mit € 620.000,00. Die Klage wurde abgewiesen. Das OLG München wies die dagegen gerichtete Berufung zurück.

 Zwischen der Klägerin und der KG habe ein Dienstvertrag in Form der „Finanzierungsvereinbarung“ bestanden. Dies würde der Vertragsbeziehung zwischen der Klägerin und der Beklagten nicht entgegen stehen, da es nicht ungewöhnlich sei, dass ein Makler aufgrund des jeweiligen Vertrages für beide Parteien einer beabsichtigten Vertragsbeziehung tätig würde. Das Angebot der Klägerin zum Abschluss des Vertrages mit der Beklagten läge in der Übersendung der Finanzierungsausschreibung, in der auch der Vergütungsanspruch benannt wurde, welches konkludent von der Beklagten angenommen worden sei (BGH, Urteil vom 20.03.1991 - IV ZR 93/90 -).

Nicht entscheidend sei, so das OLG, ob die Klägerin wesentliche Maklerleistungen erbracht habe. Entscheidend sei auch nicht, ob ein Dritter Maklerleistungen (und welche Maklerleistungen ein Dritter) erbracht habe. Entscheidend käme es darauf an, ob die Leistungen der Klägerin kausal für den Abschluss des Darlehensvertrages geworden seien.

Vorliegend sei der Kausalverlauf unterbrochen worden.

Eine Unterbrechung des Kausalverlaufs zwischen dem Nachweis des Maklers und dem schließlich zustande gekommenen Vertrag läge vor, wenn der intendierte Vertrag zunächst scheitere und dann (wie hier) doch zustande käme, jedoch der vom Makler nachgewiesene Interessent (hier die KG) seine Vertragsabsicht zunächst aufgeben würde und sie später neu fassen würde (BGH, Urteile vom 16.05.1990 - IV ZR 337/88 - und vom 20.03.1991 - IV ZR 93/90 -). Dies wäre nur dann nicht anzunehmen, wenn der Maklerkunde (hier die KG) seine Vertragsabsicht nur vorrübergehend aufgegeben habe, der nachgewiesene Interessent (hier die Beklagte) aber vertragsbereit geblieben wäre (BGH, Urteil3 vom 25.02.199 - III ZR 191/98 -, 23.11.2006 - III ZR 52/06 - und 13.12.2007 - III ZR 163/07 -).  

Es sei nicht entscheidend, ob die KG ihre Vertragsabsicht tatsächlich aufgegeben habe oder dies nur vorgeschoben hätte. Denn aufgrund der Kündigung, die die Klägerin der Beklagten überließ, mussten sowohl die Klägerin wie auch die Beklagte davon ausgehen, dass sich die Vertragsangelegenheit erledigt hätte. Für die Klägerin ergäbe sich dies aus dem an sie gerichteten Schreiben der KG von selbst, für die Beklagte durch Überlassung durch die Klägerin. Damit sei nicht entscheidend und auch nicht Beweis darüber zu erheben, ob die KG tatsächlich, wie von ihr in der Kündigung behauptet, ein anderes Finanzierungsangebot vorgelegen habe.

Auch aus dem Grundsatz, dass sich der Schluss auf den Ursachenzusammenhang zwischen Maklerleistung und Vertragsabschluss von selbst ergäbe, wenn der Makler die Gelegenheit zum Vertragsabschluss nachgewiesen habe und in angemessener Zeit der Vertragsabschluss erfolge (BGH, Urteil vom 25.02.1999 aaO.). Zwar könne der Zeitabstand noch ausreichend sein. Daraus folge aber nur die Beweislast der Beklagten für die fehlende Kausalität. Dieser Nachweis sei aber von der Beklagten durch Verweis auf das ihr von der Klägerin überlassene Kündigungsschreiben der KG erbracht worden.

OLG München, Urteil vom 27.02.2019 - 7 U 1935/18 -

Sonntag, 3. März 2019

Mieterhöhungsbegehren mittels Sachverständigengutachten – ohne Besichtigung der Wohnung


Mieterhöhungen müssen begründet werden, wobei auf Mietspiegel (§§ 558c und 558d BGB), Auskunft einer Mietdatenbank iSv. § 558e BGB, Benennung von Entgelten dreier vergleichbarer Wohnungen oder ein mit Gründen versehenes Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen abgestellt werden kann, § 558 Abs. 2 BGB. Häufig bleibt dem Vermieter keine andere Möglichkeit, als ein Gutachten einzuholen, da Mietspiegel und Mietdatenbank (im gesetzlichen Sinne) nicht bestehen und ihm Vergleichswohnungen nicht bekannt sind. Vorliegend war streitig, ob das von der klagenden Vermieterin eingeholte Gutachten den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Amts- und Landgericht verneinten dies; die vom Landgericht zugelassene Revision führte zur Aufhebung des klageabweisenden Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht.

Der Sachverständige hatte die streitbefangene Wohnung nicht besichtigt. Darin sahen die Vorinstanzen einen Formmangel des Gutachtens. Dem folgte der BGH nicht.

Die Formulierung in § 558 Abs. 2 Nr. 3 BGB, „ein mit Gründen versehenes Gutachten“, bedeute, dass dem Mieter im Interesse einer außergerichtlichen Einigung die Tatsachen mitgeteilt werden müssten, die er zur Prüfung des Begehrens benötige; es diene nicht dazu, bereits den Nachweis der ortsüblichen Vergleichsmiete zu erbringen oder dem Mieter ein Prozessrisiko abzunehmen. Damit reiche es aus, wenn das Gutachten Tatsachen enthalte, aus denen die geforderte Mieterhöhung hergeleitet würde und die der Mieter ansatzweise selbst prüfen könne. Das aber erfordere nicht notwendig, dass der Sachverständige vorher die Wohnung (oder eine typengleiche Wohnung) selbst besichtige. Entscheidend für die Überprüfbarkeit durch den Mieter sei, welche Angaben im Gutachten zu der konkreten (oder vergleichbaren) Wohnung enthalten sind, unabhängig davon, auf welchen Weg der Sachverständige diese Erkenntnisse gewonnen hat. Die Quelle der Sachkunde mag zwar für die Beurteilung der Qualität bedeutsam sein, sei jedoch nicht formal bedeutsam. Auch aus vom Bundesjustizministerium herausgegebenen Hinweisen für derartige Gutachten (nach § 2 Abs. 2 MHG), wonach der Sachverständige grundsätzlich die Wohnung vorher besichtigen soll, ergäbe sich nichts anderes. Damit würde keine formalisierte Verfahrensvoraussetzung geschaffen, die im Falle der Nichtbeachtung zur Unwirksamkeit führe; der Hinweis solle lediglich Maßnahmen darstellen, die geeignet seien, unnötige Prozesse zu vermeiden und eine außergerichtliche Einigungsbereitschaft des Mieters zu fördern. (Anmerkung: Wenn der Vermieter veranlasst ist, für eine Mieterhöhung (nicht eventuell eine Vielzahl von Mieterhöhungen in einem Hochhaus o.ä.) ein Gutachten einzuholen, wird schon der Vermieter selten bereit sein, sich in Ansehung der von ihm zu tragenden Kosten des Gutachtens auf die regelmäßig im Verhältnis zu den Kosten geringe Erhöhung des Mietzinses auf einen geringeren Mietzins als vom sachverständigen unter Berücksichtigung der Kappungsgrenze einzulassen).

Auch etwaige Mängel des Gutachtens würden nicht zur formellen Unwirksamkeit des Gutachtens und damit zur Unzulässigkeit der  von der Vermieterin erhobenen Zustimmungsklage führen.

So habe der Sachverständige vorliegend im Gutachten keine Angabe zum Vorhandensein oder Fehlen  von Balkonen und zur Geschosshöhe gemacht. Dies begründete er damit, dass es sich dabei nicht um mietrelevante Ausstattungsmerkmale handele. Sofern diese Merkmale doch für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete relevant seien, läge allenfalls ein inhaltlicher Fehler des Gutachtens vor, der aber die formelle Wirksamkeit desselben und damit die Zulässigkeit der Klage berühre.

BGH, Urteil vom 11.07.2018 - VIII ZR 190/17 -

Mittwoch, 27. Februar 2019

Betreuung: Zur notwendigen (erneuten) Anhörung des Betroffenen


Der Betroffene soll an einer maniformen Psychose leiden, weshalb das Amtsgericht eine Betreuung für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitssorge, Regelung des Postverkehrs, Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern sowie (hier mit Einwilligungsvorbehalt) Vermögensangelegenheiten anordnete und die Beteiligte zu 1 als Berufsbetreuerin bestimmte. Die Beschwerde des Betroffenen wies das Landgericht zurück. Auf die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde hob der BGH den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben und die Sache an das Landgericht (Beschwerdegericht) zurückverwiesen.

Der BGH stützte seine Entscheidung auf § 68 Abs. 3 S. 2 FamG. Zwar könne danach das Beschwerdegericht von einer erneuten Anhörung des Betroffenen absehen, so wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückläge, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtliche Gesichtspunkte ergäben, das Beschwerdegericht das Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend  werten wolle und es auf den persönlichen Eindruck des Betroffenen nicht ankäme. Zöge aber das Beschwerdegericht eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der erstinstanzlichen Entscheidung läge, wäre eine neue Anhörung des Betroffenen erforderlich. Auch dürfe das Beschwerdegericht nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen absehen, bei denen das erstinstanzliche Gericht zwingende Verfahrensvorschriften verletzt habe. Vorbehaltlich der Möglichkeit der Zurückverweisung durch das Beschwerdegericht gem. § 69 Abs. 1 S. 2 und 3 FamFG müsse das Beschwerdegericht in diesen Fällen den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen (BGH, Beschluss vom 15.08.2018 - XII ZB 10/18 -).

Danach habe vorliegend das Beschwerdegericht nicht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG absehen dürfen. Die Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht leide an einem wesentlichen Verfahrensmangel, da ihm das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten nicht vor dem Anhörungstermin überlassen worden sei. Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung setze nach § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Das Gutachten sei mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 275 FamFG) grundsätzlich auch diesem persönlich zur Verfügung zu stellen. Nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG könne davon abgesehen werden (BGH aaO.). Der Betroffene müsse vor seiner Anhörung nicht nur im Besitz des Gutachtens sein, sondern auch ausreichend Zeit bekommen, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern. Würde das Gutachten nicht rechtzeitig vor dem Termin zur Anhörung überlassen, leide das Verfahren an einem wesentlichen Verfahrensmangel.

Vorliegend sei das Gutachten im vollen Wortlaut dem Betroffenen erst nach Erlass des angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts überlassen worden. Dieser Mangel hätte vom Landgericht im Rahmen einer erneuten Anhörung behoben werden müssen, zumal der Betroffene im dem Beschwerdeverfahren zuzurechnenden Abhilfeverfahren schriftliche Einwendungen gegen das Gutachten erhoben habe.

BGH, Beschluss vom 06.02.2019 - XII ZB 504/18 -

Sonntag, 24. Februar 2019

Prozessrecht: Das „nicht mit Gründen versehene Urteil“ bei Fristüberschreitung


Das Landgericht hatte der Klage der Versicherungsnehmer gegen die beklagte Gebäudeversicherung überwiegend stattgegeben. Im Rahmen der Berufung der Versicherung bestimmte das OLG Termin zur Verkündung einer Entscheidung (nach vorangegangener Verlegung desselben) auf den 20.04.2017. Es verkündete an diesem Tag ein Urteil (ohne Gründe), demzufolge unter Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung die Klage insgesamt abgewiesen wurde. Gegen dieses Urteil legten die Kläger am 13.10.2017 Nichtzulassungsbeschwerde, hilfsweise Revision zum BGH ein. Das mit Gründen versehene Urteil des OLG gelangte gemäß Vermerk erst am 07.12.2017 zur Geschäftsstelle des OLG und wurde den Parteien am 11. bzw. 12.12.2017 zugestellt.

Die Revision führte zur Aufhebung des Urteils des OLG und Zurückverweisung des Rechtstreits an das OLG. Das Urteil sei mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet, da es iSv. § 547 Nr. 6 ZPO entgegen § 540 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht mit Gründen versehen worden sei.

Der BGH verwies darauf, dass der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 6 ZPO („wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist“) vorläge, wenn ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil nicht binnen 5 Monaten nach seiner Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sei (grundlegend BGH, Beschluss vom 27.04.2993 - GmS-OGB 1/92 -). Entscheidend hierfür sei die Erkenntnis, dass das richterliche Erinnerungsvermögen abnimmt und nach Ablauf von mehr als 5 Monaten nicht mehr gewährleistet sei, dass der Eindruck von der mündlichen Verhandlung und das Beratene noch zuverlässigen Niederschlag in den wesentlich später abgefassten Gründen finde. Zudem sei es auch der unterlegenen Partei nicht zumutbar, nach einer Verkündung länger als 5 Monate zu warten, um über eine etwaige mündliche Urteilsbegründung hinaus die detaillierten Gründe ihres Unterliegens zu erfahren.

Anmerkung: Das Rechtsmittel der Revision (und damit auch einer Nichtzulassungsbeschwerde) ist binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils einzulegen. Fehlt es an der Zustellung, läuft die absolute Revisionsfrist 5 Monate nach Verkündung des Urteils, § 548 ZPO. Es ist in der Regel angezeigt, rechtzeitig vor Ablauf der Frist der 5 Monate durch Erhebung einer Richterdienstaufsichtsbeschwerde den oder die erkennenden Richter deutlich auf das (drohende) Versäumnis hinzuweisen, um bei einem möglicherweise fristwahrenden Rechtsmittel im Falle dessen Unzulässigkeit (ggf. auch Unbegründetheit) Schadensersatzansprüche nach § 839 BGB geltend machen zu können.

BGH, Urteil vom 23.01.2019 - IV ZR 311/17 -

Freitag, 22. Februar 2019

Prozessrecht: Überspannte Anforderungen zum Bestreiten mit Nichtwissen


Das Bestreiten gehört zum Prozessrecht: Wird der von der Gegenseite geschildert Lebenssachverhalt nicht eingeräumt, muss er bestritten werden. Handelt es sich um Umstände, die sich der eigenen Wahrnehmung entziehen, genügt grundsätzlich ein Bestreiten mit Nichtwissen; ansonsten ist ein anderweitiger Lebenssachverhalt zu schildern. Häufig wird von Gerichten geltend gemacht, es ermangele an einem (ausreichenden) substantiierten Bestreiten mit der Folge, dass das Bestreiten als unzulässig angesehen wird und der gegnerische Vortrag als zugestanden gilt. Und häufig hat der BGH Veranlassung, die instanzgerichtliche Entscheidungen aufzuheben, wie auch im vorliegenden Fall, in dem das OLG München die Auffassung vertrat, die Beklagte sei einem klägerischen Vortrag (durch viele Reisen und Gespräche mit Verantwortlichen der E.B.V. und deren Muttergesellschaft zwischen Februar und August 2015 die Bereitschaft zur Investition geschaffen zu haben, auf Grund der die Klägerin von der Beklagten Marklercourtage begehrt) nicht mit substantiierten Vortrag entgegengetreten, weshalb es der Klage statt gab.

Der BGH hielt die Anforderung des OLG München für ein zulässiges Bestreiten mit Nichtwissen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO für überzogen mit der Folge der Verletzung rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 GG.  Die von der Klägerin behaupteten Tätigkeiten seien nicht Gegenstand eigener Wahrnehmungen der Beklagten gewesen. In diesem Fall würde die Erklärung mit Nichtwissen in ihrer Wirkung dem schlichten Bestreiten gleichstehen und würde die Zulässigkeit einer solchen Erklärung die Verpflichtung zum substantiierten Bestreiten ausschließen. Der eventuelle Versuch des Bestreitenden (wie hier der Beklagten, von einer aktiven Mitwirkung der Klägerin sei nichts zu spüren gewesen) führt selbst dann nicht zu einer Unbeachtlichkeit des zulässigen Bestreitens mit Nichtwissen, wenn die Behauptung ins Blaue hinein aufgestellt worden sei (bereits BGH, Urteil vom 07.07.1988 - III ZR 111/87 -). Das Verkennen dieser Grundlagen und die daraus sich ergebende Folge des Überspannens an eine Substantiierungsanforderung des Bestreitenden führt zur Verletzung Anspruchs auf rechtliches Gehör, da ein wirksames Bestreiten unberücksichtigt bleibe. Da hier nicht auszuschließen sei, dass bei Beachtung des Bestreitens die Entscheidung des OLG anders ausgefallen wäre, sei das Urteil aufzuheben und die Sache an das OLG zurückzuverweisen.

Der BGH weist darauf hin, dass nach §§ 296a Satz 2, 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Wiedereröffnung einer geschlossenen mündlichen Verhandlung vom erkennenden Gericht anzuordnen sei, wen es einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler, so insbesondere die Verletzung einer Hinweis- und Aufklärungspflicht nach § 139 ZPO oder eine Verletzung rechtlichen Gehörs feststelle.

BGH, Beschluss vom 29.11.2018 - I ZR 5/18 -

Mittwoch, 20. Februar 2019

Verkehrsunfall: Missachtung des Linksabbiegegebots und Kollision mit Spurwechsler


Der streitbefangene Verkehrsunfall ereignete sich hinter einer ampelgesteuerten Kreuzung. Die Klägerin befuhr die rechte Fahrspur, von der aus nach den Richtpfeilen ein Weiterfahren geradeaus und nach rechts erlaubt war, der  Beklagte die linke Fahrspur, von der aus nach dem Richtungspfeil ein Weiterfahren nach Links erlaubt war. Hinter der Kreuzung (bei Geradeausfahrt) verliefen zwei Fahrspuren, wobei die rechte der beiden Fahrspuren nach kurzer Strecke in die linke Fahrspur übergeleitet wurde.

Nachdem die Ampel auf Grün umgeschaltet hatte, fuhr die Klägerin geradeaus weiter um dann hinter der Kreuzung nach setzen des linken Fahrtrichtungsanzeigers auf die linke der dortigen zwei Fahrspuren zu wechseln. Der Beklagte fuhr allerdings ebenfalls (entgegen der Richtungsmarkierung) auch geradeaus weiter und hinter der Kreuzung direkt auf die linke der zwei Fahrspuren. Bei dem Spurwechsel der Klägerin kam es im hinteren linken Bereich des klägerischen PKW zu einer Kollision der Fahrzeuge.

Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen. Das Landgericht nahm eine eigene Haftung der Klägerin mit 2/3, des Beklagten mit 1/3 an.

Es sei eine Haftungsabwägung vorzunehmen. Dabei müsse Berücksichtigung finden, dass sich die Klägerin bei dem Fahrspurwechsel hinter der Kreuzung nicht nach hinten vergewissert habe, dort keinen Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Allerdings sei auch zu berücksichtigen, dass dem Beklagten ein Verstoß gegen § 41 StVO iVm. Zeichen 209, 297 (Pfeilmarkierungen) zur Last zu legen sei. Für ihn sei danach lediglich von der linken Fahrspur aus ein Linksabbiegen erlaubt gewesen, keine Geradeausfahrt. Die Klägerin habe grundsätzlich auch davon ausgehen dürfen, dass der Beklagte nach links abbiegen würde und nicht geradeaus auf die linke Fahrspur weiterfahren würde (LG Gießen, Beschluss vom 09.10.2013 - 1 S 198/13 -). Entgegen der Annahme des Amtsgerichts käme es auch nicht darauf an, dass wegen des zweispurigen Ausbaus im Bereich der Unfallstelle stets mit Verkehr auch auf der linken Fahrspur zu rechnen sei, da die Kreuzung mittels Ampelschaltung gesichert gewesen sei und bei der Grünschaltung lediglich von der rechten Fahrspur aus Fahrzeuge in Geradeausfahrt auf die Fahrspuren hinter der Kreuzung zulässig gelangen konnten, weshalb hier die Klägerin nicht habe damit rechnen müssen, dass sich im Bereich des Unfallstelle bereits ein Fahrzeug auf der linken Fahrspur befände. Damit habe die verbotswidrige Geradeausfahrt des Beklagten zu zeitlich und örtlich zu dem Verkehrsunfall beigetragen.

Bei der Abwägung sei zu berücksichtigen, dass der Verstoß der Klägerin gegen die Rückschaupflicht vor dem Fahrspurwechsel schwer wiege. Zu Lasten des Beklagten sei aber zu berücksichtigen, dass dieser die deutlich erkennbare Fahrbahnmarkierung missachtet habe. Das führe zu der Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Klägerin.

LG Saarbrücken, Urteil vom 02.11.2018 - 13 S 122/18 -