Donnerstag, 13. April 2017

Zur Haftung nach § 7 StVG für Verkehrsunfall ohne Berührung

Der Kläger begehrt von den Beklagten nach einem Verkehrsunfall Schadensersatz  mit einer Quote von 75%. Er befuhr mit seinem Motorrad eine Bundesstraße und folgte dabei dem Motorrad dee Beklagten zu 1. Diese überholte den PKW des Zeugen B. unter Inanspruchnahme der Gegenfahrspur. Der Kläger seinerseits wollte zeitgleich den PKW und den Beklagten zu 1. (diesen weiter links auf der Gegenfahrspur) überholen und fuhr deshalb weiter außen auf der Gegenfahrspur. Dabei geriet er nach links in das Bankett, ohne dass es zu einer Fahrzeugberührung gekommen wäre, verlor die Kontrolle über sein Motorrad und stürzte.

Während das Landgericht durch Grundurteil dem Kläger eine Haftungsquote von 50% zusprach, wies das OLG die Klage auf die Berufung der Beklagten vollumfänglich ab. Auf die Revision des Klägers wurde das Berufungsurteil vom BGH aufgehoben und der Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen.

Zwar sei, so der BGH,  die Ansicht des OLG richtig, wonach alleine die Anwesenheit im örtlichen Unfallbereich noch keine Haftung nach § 7 StVG begründen würde, wenn nicht durch die Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung ein Beitrag zum Unfallgeschehen geleistet wurde. Allerdings sei es auch schon für die zu berücksichtigende Betriebsgefahr ausreichend, dass sich der Verkehrsunfall in einem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Betriebsvorgang ereignete, ohne dass es zunächst darauf ankäme, ob das Verhalten verkehrswidrig war oder nicht  oder ob es zu einer Berührung der Fahrzeuge kam. Der BGH verdeutlicht mithin, dass entscheidend der Betrieb und ein Kausalzusammenhang dieses Betriebes sei.

Abzustellen sei auf den Zeitpunkt der kritischen Verkehrslage. Diese könne hier für die Beklagtenseite nicht durch die Vornahme des Überholvorganges angenommen werden. Diese kritische Situation könne erstmals  zu dem Zeitpunkt angenommen werden, zu dem auch noch der Kläger zum gleichzeitigen Überholen sowohl des PKW als auch des Motorrades der Beklagten ansetzte. Allerdings sei dies nicht der Beklagten zuzurechnen, da es nicht die typische Gefahr eines Überholvorganges wäre, dass ein rückwärtiger Verkehrsteilnehmer versuchen würde, den Überholer gleichzeitig auch noch zu überholen. Damit würde hier eine Haftung nach § 7 StVG ausscheiden. Dies unterscheide sich von Vorgängen, bei dem der überholende Kradfahrer durch einen Sattelzug verunsichert würde und (ohne Berührung) zu Fall komme, oder eine Abwehrreaktion auf ein vermeintlich beabsichtigtes Überholen erfolge, in denen stets die Haftung nach § 7 StVG zu bejahen sei. Hier aber wäre, nach dem Vortrag der Beklagten, nur die Anwesenheit gegeben, die nicht ausreichen würde.

Allerdings habe das Landgericht entscheidungserheblichen Vortrag des Klägers übergangen. Landgericht und OLG seien davon ausgegangen, dass die Zeugenaussagen zu einer Ausweichbewegung des PKW, welches ein Ausweichen des Motorrads der Beklagten zur Folge gehabt hätte (weshalb dann der Kläger ohne Berührung in das Bankett bei einer von ihm ebenfalls vorgenommenen Ausweichbewegung fuhr) nicht ergiebig gewesen wären. Dies sei als tatrichterliche Würdigung nicht zu beanstanden. Allerdings hatte der Sachverständige, worauf der Kläger hingewiesen habe, ausgeführt, die Spurenlage ließe ein Ausweichmanöver des Klägers aus dem linken Randbereich der linken Fahrbahn (Gegenfahrbahn) weiter nach links mit Einleitung einer Notbremsung erkennen. Dieses hätte vom Landgericht hinterfragt werden müssen, da damit nicht ohne eventuelle Befragung des Sachverständigen und eventuelle Anhörung der Parteien davon ausgegangen werden konnte, dass das Fahrverhalten des Klägers nicht durch das Motorrad der Beklagten beeinflusst wurde, was eine Haftung der Beklagten nach § 7 StVG begründen würde.


BGH, Urteil vom 22.11.2016 – VI ZR 533/15 -

Montag, 10. April 2017

Entgelttransparenzgesetz – Top oder Flop ?

Der Bundestag hat nunmehr das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) in seiner Sitzung vom 20.03.2017 beschlossen. Es soll am Tag nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten, also noch im April oder im Mai 2017. Sechs Monate nach seinem Inkrafttreten können Auskunftsersuchen nach diesem Gesetz erstmals gestellt werden, § 25 EntgTranspG.

Grundlage des Gesetzes ist die Überlegung, dass die Bezahlung männlicher und weiblicher Mitarbeiter bei gleicher Qualifikation unterschiedlich erfolgen würde, und zwar in der Regel zum Nachteil der weiblichen Mitarbeiter.  Erklärtes Ziel des Gesetzes ist, gleichen Lohn für gleiche Leistung von Mann und Frau durchzusetzen, was proklamatisch auch in § 1 EntgTranspG festgehalten wird. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden. Allerdings ist das Gesetz halbherzig, da das Ziel (wohl) in der vom Gesetz vorgesehenen Form, jedenfalls bei Betrieben bis zu 500 Arbeitnehmern mit dem hier vorgesehenen Instrumentarium nicht erreichbar scheint.


Der Auskunftsanspruch des Arbeitnehmers erstreckt sich nach § 11 Abs. 1 EntgTranspG auf Angaben zu den Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung und zu Angaben zum Vergleichsentgelt. Da aber der Schutz personenbezogener Daten zu beachten ist, ist das Vergleichsentgelt (berechnet „auf Vollzeitäquivalente statistische Median des durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelts“ sowie weiterer Entgelttatbestände“ zuzüglich weiterer Entgelttatbestände wie Boni, Dienstwagen pp.) bei einer Vergleichstätigkeit von weniger als sechs Beschäftigten nicht anzugeben, § 11 Abs. 3 EntgTranspG.  Insgesamt wird die Anwendung des Gesetzes für Betriebe bis zu 200 Arbeitnehmern ausgeschlossen, § 12 Abs. 1 EntgTranspG.

Damit begünstigt der Gesetzgeber letztlich Beschäftigte in Großbetrieben, obwohl nach den statistischen Erhebungen die Ungleichbehandlung (gerade auch ?) in kleineren Betrieben anzutreffen ist.

 Ob im übrigen das Gesetz den (wohl) gewollten Zweck erfüllen kann/wird, bleibt abzuwarten. Bedenken bestehen.

Dazu wird beispielsweise darauf verwiesen, welche Auskünfte verlangt werden können. Entgegen einer langläufig verbreiteten Auffassung kann er nicht verlangen, dass ihm das Entgelt eines anderen Arbeitnehmers mitgeteilt wird. Die Entgelte der Arbeitnehmer eines Betriebes bleiben weiterhin „geheim“. Hier ist also der Arbeitnehmer auf (wahrheitsgemäße)  Auskünfte seiner Kollegen angewiesen. Nur dann könnte ihm die Auskunft, die er verlangen kann, eventuell im Hinblick auf die Durchsetzung eines gleichen Lohns weiterhelfen. Bei Betrieben von 200 und mehr Mitarbeitern dürfte es allerdings schwer fallen festzustellen, dass eine ungleiche Bezahlung erfolgt, da nur ein statistisches Mittel aufgezeigt wird.

Und bei Betrieben mit über 500 Arbeitnehmern wird zwar ein betriebliches Prüfverfahren zur Entgeltregelung normiert. Aber: Der Arbeitgeber wird nur aufgefordert, ein solches vorzunehmen, was nicht im Sinne einer Verpflichtung zu verstehen ist. 

Donnerstag, 23. März 2017

Nutzungsentschädigungsbemessung bei Vorenthaltung der Wohnung nach Eigenbedarfskündigung

Die Kläger haben den Wohnraummietvertrag mit den Beklagten wegen Eigenbedarfs gekündigt. Das Mietverhältnis endete danach zum 30.10.2011. Erst am 15.04.2013 gaben die Beklagten die Mietsache zurück. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie den Mietzins in Höhe der ursprünglichen vertraglichen Vereinbarung entrichtet. Die Kläger machten einen weitergehenden Nutzungsentschädigungsanspruch geltend, da sie der Auffassung waren, die Beklagten müssten mit Ende des Mietverhältnisses  die „Marktmiete“ zahlen. Das Amtsgericht holte ein Sachverständigengutachten ein und gab der Klage in Höhe von weiteren von den Beklagten zu zahlenden € 7.300,37 statt. Das Landgericht wies die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurück und ließ die Revision zu. Auch der BGH bestätigte das amtsgerichtliche Urteil.

Vom BGH wurde darauf hingewiesen, dass die Kläger nicht nur nach § 546a Abs. 1 1. Alt. BGB die vereinbarte Miete, sondern darüber hinaus auch die für vergleichbare Objekte ortsübliche Miete nach § 546a Abs. 1 2. Alt. BGB (Marktmiete) verlangen könnten.  Nicht zu beanstanden sei dabei, dass das Amtsgericht auf der Grundlage des eingeholten Gutachtens diese Marktmiete nach der Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage der Mietsache bestimmte. Dies beruhe nicht auf § 558 Abs. 2 S. 1 BGB, sondern ergäbe sich schon daraus, dass es sich dabei um Gegebenheiten handelt, die die Mietpreisbildung im Markt prägen würden.

§ 558 Abs. 2 S. 1 BGB, der eine Begrenzung auf die in dne letzten vier Jahren vereinbarten oder geänderten Mieten vorsähe, sei nicht einschlägig. Es handele sich um eine Vorschrift, die in einem laufenden Mietverhältnis zur Anwendung komme, weshalb eine Maßgeblichkeit bei verspäteter Rückgabe nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht gegeben sei. Dies gelte auch dann, wenn der Vermieter eine Neuvermietung nicht beabsichtige, sondern selbst nutzen wolle. § 546a Abs. 1 2. Alt. BGB gelte allgemein für das Mietrecht, während § 558ff BGB für bestehende (laufende) Mietverhältnisse geltend würde, § 558 Abs. 2 BGB diene dem Schutz des Mieters, indem er Mietsteigerungen abfedert. Darauf käme es aber bei einem beendeten Mietverhältnis nicht an. Nach den Gesetzesmaterialien käme es im Rahmen des § 546a Abs. 1 2. Alt. BGB darauf an, was bei einer Neuvermietung erzielt werden könne.

Anmerkung: Der BGH hatte hier keine Veranlassung sich mit der sogenannten Mietpreisbremse nach §§ 556d ff BGB auseinanderzusetzen, die erst später in Kraft trat. Es ist anzunehmen, dass wohl diese in Zukunft auch berücksichtigt werden muss.


BGH, Urteil vom 18.01.2017 – VIII ZR 17/16 -

Mittwoch, 22. März 2017

Voraussetzungen für Rücktritt und Nacherfüllungsverlangen

Der Kläger kaufte bei der Beklagten einen PKW. Er hatte verschiedene Reparaturen (im Rahmen von Inspektionen und außerhalb derselben) durchführen lassen. Sodann teilte der anwaltliche Bevollmächtigte des Klägers mit, dass gemäß "§ 438 Abs. 2 BGB der zweiten Alternative zustehende Recht auf Lieferung einer mangelfreien Sache geltend" für den Kläger geltend zu machen. Gleichzeitig forderte er die Beklagte mit Schreiben vom ß3.021.2008 auf, das Fahrzeug zurückzunehmen und ein mangelfreies Fahrzeug zu liefern, wobei er Bezug nahm auf eine Liste von angeblichen Mängeln. Die Beklagte bat um einen Termin zur Prüfung der behaupteten Mängel. Sie würde dann eine Kalkulation vorlegen, wonach die Nachlieferung "unverhältnismäßig und damit nicht zumutbar sein dürfte". Darauf erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Die Klage wurde in allen Instanzen abgewiesen.

Das OLG wies darauf hin, dass die Voraussetzungen für eine  Rücktritt vom Kaufvertrag nicht vorliegen würden, §§ 3433 Abs. 1, 437 Nr. 2, 440, 323 BGB. Voraussetzung wäre eine bestimmte und eindeutige Nacherfüllungsforderung. Eine Anforderung zur oder über die Leistungsbereitschaft genüge nicht. In dem Schreiben 03.01.2008 sei dies nicht zu sehen, wie sich auch daraus ergäbe, dass dort eine Frist zur Rücknahme des Fahrzeuges gesetzt wurde. Selbst wenn man dies Schreiben so nicht interpretieren wollte, wäre zu berücksichtigen, dass die Beklagte ein Recht zur eigenen Prüfung der behaupteten Mängel habe, welches die die Beklagte mit ihrem Antwortschreiben bekundet habe.

Der Kläger war hier auch nicht ausnahmsweise berechtigt, diesem Verlangen zu widersprechen, da er die Mängel dargelegt habe und von daher die Beklagte zur Berechnung in der Lage gewesen wäre. Dieses würde dem Gesetzeszweck zuwiderlaufen, dem Schuldner die Möglichkeit einer eigenen Prüfung zu geben.

Auch der bereits erfolgte Fristablauf zum Zeitpunkt der Reaktion durch die Beklagte stand dem nach Ansicht des OLG nicht entgegen. Anerkannt sei vielmehr sogar, dass ein Verkäufer sich vor Erklärung des Rücktritts unabhängig von einem bereits gegebenen Fristablauf zur Mangelbeseitigung noch auf die Einrede des § 439 Abs. 3 BGB berufen könne (BGH MDR 2014, 26).

Damit käme es vorliegend nicht darauf an, ob Mängel vorlagen. Maßgeblich wäre dies nur dann, wenn eine Nacherfüllung durch Nachlieferung unmöglich wäre oder aber eine Verweigerung vorläge. Dann bliebe nur die Mängelbeseitigung durch Nachbesserung und nur dann gäbe es keine Nacherfüllung mehr, die gegenüber dem Rücktritt vorrangig wäre. Eine Verweigerung der Mängelbeseitigung sei aber im Schreiben der Beklagten nicht zu sehen, da diese nur schrieb, dass die Nachlieferung überschlägig unverhältnismäßig und damit nicht zumutbar sein „dürfte“.


OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.01.2016 – 5 U 49/15 -

Freitag, 17. März 2017

Schadensersatz: Freie Werkstattwahl (autorisierte Markenwerkstatt) versus Verweis auf „freie“ Fachwerkstatt

Die Beklagten waren dem Kläger nach einem Verkehrsunfall zum Schadensersatz verpflichtet. Obwohl die beklagte Haftpflichtversicherung den Kläger auf eine in seiner örtlichen Nähe belegenen „freie“ Fachwerkstatt verwies, wählte dieser eine Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt. Mit seiner Klage machte der Kläger die Differenz zu der auf Basis der Reparaturkosten in der freien Werkstatt zu zahlenden Werkstattkosten, die von den Beklagten gezahlt wurden, zu den höheren Kosten der von ihm aufgesuchten autorisierten Markenwerkstatt geltend.

Das Berufungsgericht hatte – anders als die Vorinstanz - der Klage stattgegeben. Zwar entspräche, wie von den Beklagten dargelegt wurde, der Qualitätsstandard der freien Werkstatt jener der autorisierten Markenwerkstatt. Doch habe der Kläger eine Unzumutbarkeit für ihn dargelegt. So habe er geltend gemacht, dass er sein mehr als drei Jahre altes Fahrzeug immer in einer autorisierten Markenwerkstatt hat warten und reparieren lassen.

Auf die zugelassene Revision änderte der BGH das Urteil ab und wies die Berufung des Klägers gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurück. Dabei wies es vom Ausgangspunkt darauf hin, dass es Sache der beklagten Haftpflichtversichererung sei darzulegen und nachzuweisen, dass die von ihr dem Geschädigten vorgeschlagene, in seiner örtlichen Nähe befindliche und leicht erreichbare freie Fachwerkstatt in gleicher Qualität arbeite wie die autorisierte Markenwerkstatt, was vom Berufungsgericht nicht verkannt worden sei. Allerdings habe das Berufungsgericht dem Umstand, dass es sich bei dem Fahrzeug des Klägers um ein 9 ½ Jahre altes Fahrzeug mit einer Laufleistung von 123.700km gehandelt habe, welches lediglich an Heckklappe und Spoiler durch einen Streifstoß leicht beschädigt wurde und welches er zwar zu Reparaturen in die Markenwerkstatt verbrachte, allerdings in den letzten fünf Jahren vor dem Vorfall keine Inspektionen mehr durchführen ließ.   

Für die Frage der Unzumutbarkeit käme es nicht auf die subjektive Sicht des Geschädigten an. Der einschlägige § 254 BGB sei ein Ausdruck der Regelung von „Treu und Glauben“, in dessen Rahmen es darauf ankäme, was ein verständiger Mensch anstelle des Geschädigten zur Schadensverhinderung oder –minderung unternehmen würde. Indem hier das Berufungsgericht das Alter des Fahrzeuges, seine Laufleistung und den Umstand, dass es in den letzten Jahren nicht mehr zur Inspektion gebracht wurde, außer Betracht ließ, wären wesentliche Bemessungsfaktoren unberücksichtigt geblieben. Wenn ein derart altes Fahrzeug aber nicht mehr in einer autorisierten Markenwerkstatt gewartet würde (und bei einem Verkauf also auch damit nicht geworben werden könnte) und es sich zudem um einen nur leichten Schaden handele,  lediglich noch Reparaturen dort ausgeführt wurden, würde dies eine Unzumutbarkeit eines Verweises auf eine gleich qualifizierte freie Fachwerkstatt nicht als unzumutbar erscheinen lassen.


BGH, Urteil vom 07.02.2017 – VI ZR 182/16 -

Schweigepflicht und Entbindung durch Insolvenzverwalter

Die vom OLG Zweibrücken zu entscheidende Frage stellt sich leider immer wieder: Da war der zur Berufsverschwiegenheit verpflichtete Steuerberater, der sowohl für die Gesellschaft als auch deren angeklagten Geschäftsführer und faktischen Geschäftsführer tätig war. Die Wirtschaftsstrafkammer des LG Kaiserslautern wollte nun den Steuerberater als Zeugen vernehmen. Die Angeklagten erteilten keine Entbindungserklärung von der den Steuerberater treffenden Schweigepflicht, wohl aber der Insolvenzverwalter. Dir Vorsitzende der Strafkammer vertrat die Auffassung, die Aussagegenehmigung durch den Insolvenzverwalter sei ausreichend und erlegte dem Steuerberater, der sich gleichwohl weigerte eine Aussage zu machen, ein Ordnungsgeld von € 500,00 auf. Gegen den Beschluss legte der Steuerberater Beschwerde ein. Erfolgreich. Das OLG hob den Beschluss auf.

Nach Auffassung des OLG lagen die Voraussetzungen für den Ordnungsgeldbeschluss nach § 70 Abs. 1 stopp nicht vor, da dem Steuerberater nach § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zur Seite gestanden habe. Eine hinreichende Entbindung von einer Verschwiegenheitspflicht habe nicht vorgelegen. Zu berücksichtigen sei, dass die dem Steuerberater bekannt gewordenen Tatsachen über die GmbH durch das Verhalten ihrer formellen oder faktischen Organe bestimmt wurde und in Bezug auf das Strafverfahren wegen Umsatzsteuerhinterziehung deren persönliche Verantwortlichkeit betreffen. Da von der Verschwiegenheitspflicht nur derjenige entbinden kann, zu dessen Gunsten die Schweigepflicht des § 53 StPO begründet wurde, wäre es auch auf die hier verweigerte Entbindung durch die Angeklagten angekommen. Es musste notwendig auch ein Vertrauensverhältnis zu den Organen oder faktischen Organen bestehen, da es sich auch um die mandatierenden natürlichen Personen gehandelt habe. Da für eine Straftat der Täter selbst verantwortlich sei, handele es sich nicht um einen nur vom Insolvenzbeschlag erfasstes vermögenswertes Geheimnis, sondern gleichzeitig um ein Geheimnis des Täters.


OLG Zweibrücken, Beschluss vom 08.12.2016 – 1 Ws 334/16 -

Mittwoch, 15. März 2017

Seitenabstand des überholenden Radfahrers zum überholten Radfahrer

Auch ein Radfahrer muss beim Überholen eines anderen Radfahrers einen ausreichenden Seitenabstand einhalten. § 5 Abs. 4 S. 2 StVO ist anwendbar. Darauf hat das OLG Karlsruhe verwiesen. Nach seinen Feststellungen fuhren die Parteien mit ihren Rädern in eine Richtung auf einem 2m breiten Sand-Schotter-Weg. Der Kläger Der Kläger soll dabei eine Fahrlinie etwas rechts von der Mitte des Weges eingehalten haben. Der Beklagte, der sich von hinten näherte, wollte den Kläger links überholen. Während des Überholvorgangs berührte der Beklagte den Kläger mit seiner rechten Schulter an dessen linken Schulter, worauf der Kläger stürzte und sich verletzte.

Das OLG führte aus, dass es keine festen Regeln für den Sicherheitsabstand zwischen zwei Radfahrern nach § 5 Abs. 4 S. 2 StVO gäbe, vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen sei. Zwar könne der überholender Radfahrer einen geringeren Seitenabstand als ein PKW, da die Gefahren geringer wären als bei einem mit erheblicher Geschwindigkeit fahrenden PKW; allerdings müsse er auch mit mehr oder minder unvermittelten Schwankungen des überholten Radfahrers rechnen, wobei auch zu berücksichtigen sei, dass der überholte Radfahrer nicht durch Motorengeräusche, wie bei einem PKW, vorgewarnt würde. Vorliegend sei zudem zu berücksichtigen, dass sich die Radfahrer auf einem unebenen Sand-Schotter-Weg befanden, nicht auf einer asphaltierten Fläche.

Es käme für den notwendigen Seitenabstand nicht auf den Abstand der Fahrlinien (hier: 89 cm für den Beklagten vom rechten Fahrbahnrand, für den Kläger 164 cm vom rechten Fahrbahnrand) an, da auch die Körperbreite zu berücksichtigen sei, die rechts und links über die Fahrlinie rage. Bei Annahme einer Ellenbogenbreite beider Radfahrer jeweils zu einer Seite über die Fahrbahnlinie ergäbe sich dann hier lediglich ein Anstand von ca. 10cm.

Nach Angaben des Beklagten sei der Kläger kurz vor dem Überholen noch etwas nach rechts gefahren, weshalb er sich nur noch 67cm vom Wegrand entfernt befunden habe. Bei einer anzunehmenden Körperbreite von 65cm ergäbe sich hier ein Abstand von 32cm. Damit sei aber hier ein gefahrloses Überholen nicht möglich gewesen. Dabei wären die möglichen Schwankungen aus der geringen Geschwindigkeit des Klägers (nach Angaben des Beklagten 10-13 km/h) und des Belags (Sand-Schotter) zu berücksichtigen. Auch die Veränderung der Fahrlinie durch den Beklagten hätte den Kläger zur zusätzlichen Vorsicht veranlassen müssen. Auch wenn der Beklagte nach seinen Angaben geklingelt haben sollte, hätte sich nicht ergeben, dass dies von dem Kläger wahrgenommen worden sei, wobei auch der Beklagte in Ansehung von lauten Motorengeräuschen eines in der Nähe befindlichen Rasenmähers nicht annehmen durfte, der Kläger hätte dies gehört. Der Kläger hätte eine Fahrlinie 30cm weiter links fahren können, da ihm der gesamte linke Teil des Weges zum Überholen zur Verfügung stand.  

Es könne deshalb auf sich beruhen, ob der Beklagte in Ansehung von leichten Schwankungen des Klägers ganz auf ein Überholen hätte verzichten müssen oder sich vorher positiv mit dem Kläger hätte verständigen müssen.

Auch ein Mitverschulden des Klägers ließe sich nicht feststellen. Bei einem Seitenabstand von etwa 80cm zum rechten Wegesrand läge in Ansehung der örtlichen Verhältnisse noch kein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot vor, § 2 Abs. 2 StVO. Der Kläger hätte diesen Seitenabstand einhalten dürfen, um übliche Schwankungen beim Fahren auszugleichen. Der Beklagte habe zudem nicht bewiesen, dass der Kläger ihn wahrgenommen habe.

Die Berufung wurde mit Beschluss vom 04.07.2016 zurückgewiesen.

OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 30.05.2016 – 9 U 115/15 -