Das Verwaltungsgericht (VG) Bremen musste sich mit der Frage befassen,
ob § 28 Abs. 1 S. 1 bzw. 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) die Schließung von
Geschäftslokalen rechtfertigt, insbesondere auch Geschäftslokalen, die neben
dem Verkauf anderweitiger Erzeugnisse auch Lebensmittel im Sortiment haben. Es
hat die allgemeine Zulässigkeit zur Schließung von Geschäftslokalen (was mithin
z.B. die Bereiche Fitnessstudios, Fahrradzubehör u.a. erfasst, wie auch die
spezielle Zulässigkeit zur Schließung von Ladengeschäften mit gemischtem
Sortiment, zu dem u.a. Lebensmittel zählen, bejaht.
Die Antragstellerin betreibt
Einzelhandelsgeschäfte, in denen sie Lebensmittel und Getränke, Tiefkühlware, Fahrräder,
Porzellan, Glaswaren, Auto- und
Fahrradzubehör, Textilien, Tierbedarf, Elektroartikel, Schuhe, Drogerieartikel,
Werkzeuge, Taschen und Koffer, Haushaltswaren, Spielwaren, Bettwäsche, Matratzen,
Teppiche, Gartenartikel, Schreibwaren, Tabakwaren, Pflanzen, Bücher,
Zeitschriften, Camping- und Outdoorartikel, Deko- und Geschenkartikel sowie
Saisonware vertreibt. In einer Allgemeinverfügung vom 20.03.2020 des
Ordnungsamtes der Antragsgegnerin wurde „zur
Eindämmung des Corornavirus“ unter Ziffer 1 Buchstabe d die Öffnung von
Einrichtungen zum Publikumsverkehr u.a. für „an anderer Stelle dieser Allgemeinverfügung genannten Verkaufsstellen
des Einzelhandels, insbesondere Einkaufszentren (mit Ausnahme der in Ziffer 1
Buchstabe f genenannten Einrichtungen)“ angeordnet. In Ziffer 1 Buchstabe f
wurden ausgenommen „der Einzelhandel für
Lebensmittel, Wochenmärkte, Abhol- und Lieferdienste, Getränkemärkte,
Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Tankstellen, Kioske, Banken und
Sparkassen, Poststellen, Reinigungen, Waschsalons, der Zeitungsverkauf, Bau-
und Gartenabau- und Tierbedarfsmärkte und der Großhandel.“
Am 23.03.2020 forderte das
Ordnungsamt die Antragstellerin (mündlich) zur Schließung für den
Publikumsverkehr auf. Dagegen erhob die Antragstellerin Widerspruch. Mit
weiterer Allgemeinverfügung vom 24.03.2020 hob die Antragstellerin die
Allgemeinverfügung vom 20.03.2020 mit Ausnahme von Ziffer 1 Buchstaben d und f
auf. Gegen diese Allgemeinverfügung erhob die Antragstellerin Widerspruch. In
Ihrem bereits am 23.03.2020 erhobenen Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zur
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs verwies sie
darauf, dass 47,09% ihres Umsatzes auf die Artikel aus den Bereichen
Lebensmittel, Getränke, Drogeriewaren, Garten- und Tierbedarf und
Baumarktartikel entfalle (zuzüglich Werkzeuge).
Soweit sich die Antragstellerin
gegen die mündliche Aufforderung wandte, das Ladengeschäft für Publikumsverehr
zu öffnen, sei dieser unzulässig. Es handele sich dabei nicht um eine
Verfügung, sondern nur um eine Mitteilung zur Rechtslage. Im Übrigen sei der
Antrag gegen die Allgemeinverfügung vom 24.03.2020 zulässig; der Widerspruch
habe nach § 28 Abs. 3 iVm. § 16 Abs. 8 IfSG keine aufschiebende Wirkung.
Bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5
VwGO vorzunehmenden summarischen Prüfung sei davon auszugehen, dass der Widerspruch
erfolglos bliebe, § 112 Abs. 1 S. 1 VwGO. Deshalb könne unter Würdigung der
gesetzgeberischen Wertung und der Interessen der Aufrechterhaltung der
öffentlichen Gesundheit sowie der bedeutenden Rechtsgüter, deren Schutz die
Allgemeinverfügung gelte, die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet werden.
Formal bestünden gegen die
Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung keine Bedenken, da sich die
Antragsgegnerin auf § 28 Abs. 1 S. 1 bzw. 2 IfSG beziehen könne. Danach würde
es der Behörde obliegen, Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung
übertragbarer Krankheiten zu treffen. Sie könne nach § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG bei
Vorliegen der Voraussetzungen nach S. 1 Veranstaltungen und Ansammlungen
beschränken und Badeanstalten sowie in § 33 IfSG schließen, als eine
Einschränkung der Bewegungsfreiheit anordnen (Orte nicht zu verlassen oder z betreten), bis
die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden seien. Für Art und Umfang
sei der Behörde ein Ermessen eingeräumt. Eingeschränkt würde das Ermessen nur
dadurch, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln dürfe, die zur
Verhinderung einer (Weiter-) Verbreitung der Krankheit notwendig seien.
Offen ließ das VG, ob es das
Öffnungsverbot von § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG (Ansammlungen) erfasst werde, oder ob
es sich auf die Generalklausel in S. 1 stützen könne. In beidem Fällen sei die
Behörde zum Handeln verpflichtet. Die in S. 1 normierte Generalklausel scheide
nicht deshalb aus, da die Allgemeinverfügung in die Freiheit der Berufsausübung
(Art. 12 Abs. 1 GG) eingreife. Das BVerfG (Beschluss vom 04.05.1997 - 2 BvR
509/96 -) habe zwar Grenzen gesetzt, eingriffsrechtliche Generalklauseln als
Ermächtigungsgrundlage heranzuziehen. Allerdings müsse angesichts der unvorhersehbaren
Vielgestaltigkeit von Lebenserscheinungen gefahrenabwehrrechtliche
Generalklauseln dennoch im Grundsatz Geltung als ein die Berufsausübung
regelndes Gesetz beanspruchen können, auch wenn weit gespannte Generalklauseln
nicht schlechthin als stets ausreichende Grundlage des Eingriffs der Exekutive in
die Berufsausübung herangezogen werden könnten (BVerwG, Beschluss vom 24.10.2001
- 6 C 3/01 -). Die Regelungsmaterie „Gefahrenabwehr“ erfordere eine flexible
Handhabung des ordnungsbehördlichen Handelns. Sprachlich offen gelassene
Ermächtigungen seien daher verfassungskonform auszulegen. Lägen neue und in dieser
Form vom Gesetzgeber nicht bedachte Bedrohungslagen vor, sei daher jedenfalls
für eine Übergangszeit der Rückgriff auf die Generalklausel auch dann
hinzunehmen, wenn es zu einem wesentlichen Grundrechtseingriff käme (BVerwG,
Urteil vom 25.07.2007 - 6 C 39/06 -). Da es in Deutschland unter der Geltung
des Grundgesetzes, soweit ersichtlich, Infektionslagen wie derzeit nicht
gegeben habe, seien die Voraussetzungen gegeben, unter denen das Vorliegen
einer speziellen gesetzlichen Regelung zwingend gewesen. Allerdings verweist
das VG auch darauf, dass die Gesetzesbegründung darauf schließen lasse, hier
für jedwede Bedrohungsart bei Ausbruch durch Krankheiten durch die
Generalklausel eine Eingriffsgrundlage zu schaffen (BT-Drs. 8/2468, S. 27: „Man
muß eine generelle Ermächtigung in das Gesetz aufnehmen, will man für alle
Fälle gewappnet sein.“
Die entsprechenden Voraussetzungen
für die Allgemeinverfügung hätten vorgelegen (wird näher ausgeführt). Das
allgemeine Verbot der Öffnung von Einzelhandelsbetrieben als notwendige
Schutzmaßnahme habe vorgelegen. Da weder eine Therapie noch eine Impfung zur
Verfügung stünden, müssten alle Maßnahmen darauf ausgerichtet sein, eine
Verbreitung zu verlangsamen, wozu kontaktreduzierende Maßnahmen gehören würden.
Das weitreichende Verbot der Öffnung von Einzelhandelsgeschäften sei geeignet,
die Verbreitungsgeschwindigkeit einzudämmen, da die Bevölkerung dazu bewegt
würde, vermehrt zu Hause zu bleiben.
Für die Antragstellerin greife
auch keine Ausnahme vom Öffnungsverbot. Nur ca. 25% ihres Sortiments gemäß
einer Warenaufstellung würden auf Lebensmittel entfallen. Die Ausnahme
Lebensmittel hätte verlangt, dass zumindest der überwiegende Teil Lebensmittel
wären .Der Umstand, dass zudem auch Drogerieprodukte pp, vertrieben würden,
würde keiner der Kategorien von Einzelhandelsunternehmen im Sinne der
Allgemeinverfügung eindeutig zuortenbar sein.
Es könne dahinstehen, ob die
Antragstellerin Nichtstörerin oder aber unter dem Gesichtspunkt der
Veranlassung einer möglichen Ansammlung von Personen in ihrem Ladengeschäft selbst
als Störerin angesehen werden könne. Sie sei richtigerweise als Adressatin des
Verbots ausgewählt worden, da nur durch Schließung der fraglichen Geschäfte das
verfolgte Ziel einer Gefahrenabwehr effektiv erreicht werden könne. Ein
Vorgehen gegen einzelne Kunden wäre nicht sachdienlich und auch nicht gleich
effektiv.
Anmerkung: Auch wenn wohl die Entscheidung rational vernünftig
sein mag, ist sie jedoch nicht rechtlich nachvollziehbar.
Zutreffend erkennt zwar das VG,
dass ein Eingriff in die grundrechtlich geschützte Freiheit der Berufsausübung (Art.
12 Abs. 1 GG) vorläge, meint aber, dass die Generalklausel dies - jedenfalls
übergangsweise - auffangen könne. Einen
nur vorrübergehenden, nicht gesetzlich legitimierten Eingriff in ein Grundrecht
kennt aber weder das Grundgesetz noch das Gesetz. Unabhängig davon stellt sich
auch die Frage, welcher Zeitraum mit „vorübergehend“ gemeint sein soll.
Immerhin hat es doch die Legislative sogar in der Coronakrise fertig gebracht,
Gesetze innerhalb von zwei Tagen durch Bundestag und Bundesrat beschließen zu
lassen. Wäre es also nicht ohne weiteres möglich gewesen, hier in § 28 IfSG
eine entsprechende zusätzliche Regelung aufzunehmen, die den Eingriff in die
Berufsausübung qua Schließung von Gewerbebetrieben betrifft ? Sicherlich wäre dies möglich gewesen. Zudem
verkennt das VG, und wir deshalb wohl auch nicht angesprochen, dass Art. 19
Abs. 1 GG bestimmt, dass die Grundrechtsnorm benannt werden muss, in die durch
das Gesetz eingegriffen werden soll. In § 28 Abs. 1 S. 3 IfSG werden aber als
Eingriffe in Grundrechte nur die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG),
die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und die Unverletzlichkeit der Wohnung
(Art. 13 Abs. 1 GG) benannt. Die
Einschränkung der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, die hier
gegenständlich ist, wurde nicht benannt. Damit lässt sich keinesfalls aus § 28
Abs. 1 S. 1 IfSG, wie das VG meint, ableiten, dass alle Maßnahmen der Gefahrenabwehr
möglich seien, jedenfalls durch einen gesetzgeberischen Willen getragen seien
und/oder auf Zeit möglich seien. Da zwingend bei einem Eingriff in ein
Grundrecht in dem Gesetz, in dem in das Grundrecht eingegriffen wird, darauf zu
verweisen ist, lässt sich mithin die Allgemeinverfügung aus den Erwägungen des
VG heraus nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht halten.
Richtig sind vom Ansatz die
Erwägungen, gegen Kunden im Hinblick auf „Ansammlungen“ vorzugehen. Dass aber
würde voraussetzen, dass es sich bei dem Einkauf in einem entsprechenden Laden
um eine Ansammlung handelt. Ob ein Vorgehen gegen Kunden (evtl. in diesen
Fällen auch gegen den Betriebsinhaber wegen Beihilfe oder Mittäterschaft)
effektiv ist, mag auf sich beruhen. Denn das Gesetz darf im Rahmen seiner an
der Verfassung vorzunehmenden Auslegung nicht über die grundrechtlichen
Einschränkungen hinausgehen, die es selbst benennt.
Für die betroffenen Betreiber von
geschlossenen Läden stellt sich die Frage nach einer Entschädigung. Grundlage
wäre hier § 65 IfSG.
VG Bremen, Beschluss vom 26.03.2020 - 5 V 553/20 -Aus den Gründen: