Dienstag, 7. April 2020

Arglistige Obliegenheitspflichtverletzung in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort


Der Kläger ist Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer eines Fahrzeugs der Großmutter des (als Fahrer mitversicherten) Beklagten, der mit dem Fahrzeug an einem Verkehrsunfall beteiligt war. Beim Überholen touchierte der Beklagte mit seinem Fahrzeug das Fahrzeug des Überholten und setzte seine Fahrt fort. Der Beklagte wurde wegen unerlaubten Entfernend vom Unfallort in der Folge strafrechtlich verurteilt. Der Kläger, der gegenüber dem Unfallgegner dessen Sachschaden ausgleichen musste, forderte von dem Beklagten die verauslagten € 2.162,26. Streitig war, ob eine Obliegenheitspflichtverletzung des Beklagten aus dem versicherungsvertrag heraus vorlag, da der Beklagte sich unerlaubt vom Unfallort entfernte und erst nach 11 Stunden als Täter hätte ermittelt werden können.

Während das Amtsgericht die Klage abwies, wurde auf die Berufung des Klägers hin der Klage stattgegeben. Dabei stellte das Landgericht darauf ab, dass nach § 28 Abs. 3 S. 2 VVG der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet sei, auch wenn die Obliegenheitsverletzung weder für den Eintritt des Versicherungsfalls oder dessen Feststellung ursächlich sei, wenn der Versicherungsnehmer die fragliche Obliegenheit arglistig verletzt habe. Diese Arglist läge vor. Sie verlange keine Bereicherungsabsicht des Versicherungsnehmers. Ausreichend sei es, dass der Versicherungsnehmer billigend in Kauf nähme, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen könnte (BGH, Urteil vom 22.06.2011 - IV ZR 174/09 -). Auch wenn nicht bereits jedes unerlaubtes Entfernen vom Unfallort als Arglist im Hinblick auf versicherungsrechtliche Obliegenheiten angesehen werden könne, es vielmehr auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls ankäme, und der Versicherer die Beweislast für das Vorliegen von Arglist habe, müsse hier davon ausgegangen werden.

Das Landgericht leitete die Arglist des Beklagten aus dessen Verhalten gegenüber den Ermittlungsbehörden und den Fahrweg des Beklagten nach dem Unfall ab:

Habe er zunächst am Unfalltag gegenüber den Ermittlungsbehörden den Unfall eingeräumt, habe er ihn am nächsten Tag in Abrede gestellt. In der Hauptverhandlung im Strafverfahren habe er erst angegeben, nichts bemerkt zu haben und nach einer Unterbrechung des Verfahrens angegeben, dass er nervös geworden sei und deswegen weitergefahren sei.

Weiter sei der Streckenverlauf der Weiterfahrt nach dem Unfall zur Schulde des Beklagten, wohin er wollte, nicht plausibel. Der Streckenverlauf deute darauf, dass er versucht habe, seinen Verfolger (den Geschädigten) abzuhängen.

Nicht entschuldigen könne den Beklagten der von ihm behauptete anwaltliche Rat, sich nicht bei der Ermittlungsbehörde zu melden; er sei sich seiner Verpflichtung letztlich bewusst gewesen, sich als beteiligter den Ermittlungsbehörden gegenüber zu offenbaren.

Bei dieser Situation, bei der nach § 286 ZPO ein Grad an Gewissheit erreicht sei, der Zweifeln Schweigen gebiete, müssen von einer vorsätzlichen Obliegenheitspflichtverletzung ausgegangen werden, da der Beklagte billigend in Kauf genommen habe, dass sein Verhalten die Schadensregulierung beeinflussen könne. Der Nachweis der arglistigen Obliegenheitsverletzung sie erbracht.

LG Osnabrück, Urteil vom 26.03.2020 - 9 S 166/19 -

Montag, 6. April 2020

Baugenehmigung unter Befreiung von Abstandsflächen wegen fehlender Verletzung des Rücksichtnahmegebots ?


Der Beigeladene beantragte eine Baugenehmigung unter Befreiung von Abstandsflächen zum Grundstück des Antragstellers. Dies wurde von der Antragsgegnerin (Bauamt) gewährt, da nach der topografischen Lage des Grundstücks eine Beeinträchtigung des Grundstücks des Antragsstellers nicht vorläge. Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid wurde vom Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Beschwerde dagegen war erfolgreich.

Als unstreitig konnte der VGH davonausgehen, dass eine nach § 6 HBO bestimmet Abstandsfläche nicht eingehalten sei. Zwar sei eine Abweichung von dieser Norm nach § 63 HBO zulässig, wenn dies unter Berücksichtigung des Zwecks der Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen (und somit auch insbesondere aus § 3 Satz 1 HBO:  keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Leben, Gesundheit) vereinbar sei.

Zwar würden außergewöhnliche bodenrechtliche Umstände zu einer atypischen Situation führen, die ein Abweichen bei einem Bauvorhaben rechtfertigen könnten. Es müsste sich um eine solche Situation handeln, die einen konkreten Einzelfall betrifft  und sich derart von dem gesetzlichen Regelfall unterscheide, dass dies die Nichtberücksichtigung des normativen Standards rechtfertige. Weiterhin müssten aber auch im Rahmen der Ermessensentscheidung der Zweck der Abstandsflächenregelung, die Belange der Grundstücksnachbarn und öffentliche Belange berücksichtigt werden.

Zwar hätte hier die Antragsgegnerin die Verhältnisse vor Ort erwogen, allerdings verkannt, dass alleine eine fehlende (gravierende) Beeinträchtigung des Nachbarn in Ansehung der topographischen Verhältnisse die Unterschreitung von Abstandsflächen nicht rechtfertige.  Das Gebot der Rücksichtnahme erfordere vielmehr weiterhin, dass Gesichtspunkte hinzukommen, die in den besonders zu berücksichtigenden Verhältnisse auf dem Baugrundstück oder den für das Vorhaben sprechenden Gründen lägen. Es sei also erforderlich, dass Umstände neben der fehlenden oder geringen Auswirkung der Verringerung der Abstandsflächen Verhältnisse aus dem Bauvorhaben heraus oder dem Baugrundstück heraus dies erfordern. Lägen solche Gründe, wie hier, nicht vor, bestünde ein Ermessendefizit bei der Entscheidung durch die Antragsgegnerin, das zur Rechtswidrigkeit die Verkürzung der Abstandsflächen führt. Insbesondere sei nicht festgestellt worden, dass dem Beigeladenen eine sinnvolle Ausnutzung seines Grundstücks ohne diese Genehmigung nicht möglich sei.

HessVGH, Beschluss vom 15.11.2019 - 4 B 1276/19 -

Donnerstag, 2. April 2020

Gerichtsvollzieher: Jeweils Gebühren bei mehreren Versuchen zur gütlichen Erledigung ?


Der Gerichtsvollzier war zunächst mit der Pfändung beauftragt und, sollte der Schuldner mehrfach nicht angetroffen werden,  nach deren Fruchtlosigkeit mit der Einholung einer Vermögensauskunft. In dem für die Beauftragung verwandten amtlichen Formular wurde nicht ausgeschlossen, dass Einverständnis mit dem Versuch des Gerichtsvollziehers zu einer gütlichen Erledigung bestünde. Sowohl im Rahmen eines Anschreibens des Gerichtsvollziehers an den Schuldner, mit dem er sein Erscheinen zur Pfändung ankündigte, als auch mit der Ladung zur Vermögensauskunft wies der Gerichtsvollzieher den Schuldner jeweils auf die Möglichkeit einer gütlichen Erledigung hin. Im Hinblick darauf setzte der Gerichtsvollzieher in seiner Kostenrechnung vom 19.10.2017 (betreffend Pfändungsversuch) als auch ins einer Kostenrechnung vom 07.11.2017 betreffend der Vermögensauskunft eine Gebühr nach KV 208 in Höhe von jeweils € 8,00 zuzüglich (anteilige) Auslagenpauschale an.

Der Bezirksrevisor legte gegen die Berechnung der gebühr mit Rechnung vom 07.11.2017 Erinnerung ein, da der erneute versuch nach drei Wochen, eine gütliche Erledigung zu erreichen, eine fehlerhafte Sachbehandlung darstelle. Das Amtsgericht wies die Erinnerung, das Landgericht die zugelassene Beschwerde. Das OLG hat die zugelassene weitere Beschwerde ebenfalls zurückgewiesen.

Das OLG verwies formal darauf, dass hier  zwei Aufträge gem. § 3 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 GvKostG vorgelegen hätten und für jeden Auftrag  die Gebühr für einen Versuch zur gütlichen Erledigung anfallen würden. Dies gelte dann nicht, wenn der Auftrag zur Abnahme der Vermögensauskunft mit einem Vollstreckungsauftrag verbunden sei (§ 807 Abs. 1 ZPO), es sei denn, der Gerichtsvollzieher nähme die Vermögensauskunft nur deshalb nicht ab, da (wie hier) der Schuldner nicht anwesend ist.

Da aber auch der Gerichtsvollzieher den Schuldner jeweils nicht angetroffen habe, konnte er auch nicht einschätzen, inwieweit der Schuldner evtl. zu einer gütlichen Erledigung bereit wäre (LG Verden, Beschluss vom 23.10.2018 - 6 T 121/18 -).  Es läge daher auch kein Verstoß gegen ein Kostenminderungsgebot nach § 802a Abs. 1 GVG bzw. § 58 GVGA vor.

Ebenfalls läge keine unrichtige Sachbehandlung vor, § 7 Abs. 1 GvKostG. Es müsste ein Verstoß gegen eindeutige Gesetzesbestimmungen einschl. Verwaltungsbestimmungen (wie GVGA oder SB-GvKostG) vorliegen. Im Rahmen möglichen Ermessens des Gerichtsvollziehers würde erst die Überschreitung desselben unrichtig sein. Alleine eine bestimmte Beurteilung zu einer in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht geklärten Sachfrage würde keine unrichtige Sachbehandlung auslösen.

Anmerkung: In der Praxis habe ich bisher noch keinen für den Gläubiger vorteilhaften Fall erlebt, bei dem er im Falle einer „gütlichen  Erledigung“, gar über den Gerichtsvollzieher, ein mit einer Zwangsvollstreckung angestrebtes Ziel besser oder schneller erreicht hätte. Von daher wird bei hier betriebenen Vollstreckungsmaßnahmen ein Erledigungsversuch durch den Gerichtsvollzieher regelmäßig ausgeschlossen. Damit wird auch verhindert, dass mit minimalsten Raten, deren Auszahlungen häufig nicht einmal die Kontoführungsgebühren decken, letztlich nur Arbeit verursacht wird, ohne dass die eigentliche Schuld getilgt wird. Verhindert wird zudem ein Anwachsen von Gebühren und damit Kosten für den vertretenen Gläubiger durch in der Regel (wie im vorliegenden Fall) ineffektive Maßnahmen. Das aber wird jeder Gläubiger für sich abzuwägen haben, und er sollte es auch vorab abwägen, insbesondere ob er, wie im vorliegenden Fall, für jede Vollstreckungsmaßnahme diesen Erledigungsversuch wünscht und sich davon einen Vorteil in Bezug auf einen Vollstreckungserfolg  erhoffen kann.

OLG Oldenburg, Beschluss vom 11.03.2020 - 2 W 9/20 -

Mittwoch, 1. April 2020

Schadensersatz: Unbegründete Klage im Rahmen der gewillkürten Prozessstandschaft bei Zession an Dritte ?


Unstreitig verschuldete der Versicherungsnehmer der beklagten Versicherung alleine einen Verkehrsunfall, an dem neben diesem der Kläger beteiligt war. Der Kläger holte ein Sachverständigengutachten ein  und ließ sodann die Reparatur durchführen; seine Ansprüche diesbezüglich trat er an die Werkstatt bzw. den Sachverständigen in Höhe von deren jeweiligen Forderungen ab.  Teilweise wurde seitens der Beklagten auf die Rechnungen der Werkstatt und des Sachverständigen Zahlung geleistet. In Ansehung der Restforderungen erhob der Kläger Klage und machte geltend, er könne die Ansprüche in gewillkürter Prozessstandschaft geltend machen.

Das Amtsgericht wies die Klage ab. Mit der Abtretung seiner Forderungen könne der Kläger nicht mehr Freistellung (§ 257 BGB) oder Zahlung an sich begehren (§ 250 S. 2 BGB). Zwar würde hier der Kläger dementsprechend auch nicht Zahlung an sich, sondern an die Werkstatt bzw. den Sachverständigen fordern, doch würde ihm hier die (von Amts wegen zu prüfende) Prozessführungsbefugnis fehlen und ein Fall gesetzlicher Prozessstandschaft nicht vorliegen. Aber auch einen Fall der gewillkürten Prozessstandschaft negierte das Amtsgericht.

Die gewillkürte Prozessstandschaft setze ein schutzwürdiges Interesse des Rechtsinhabers als auch des Dritten voraus. Es lägen nur die einseitigen Erklärungen der Zessionare vor, woraus das Amtsgericht mutmaßt, dass die Werkstatt und er Sachverständige mit einem „Abtretungsmodell“ arbeiten würden. De facto würde der Kläger den Prozess für die Werkstatt und den Sachverständigen führen, habe den Prozess vorfinanziert und trage das Prozessrisiko. Bemerkenswert sei, dass der Kläger den teuren Prozess „altruistisch (?)“ führe, was aber wohl der im Zuge des Abtretungsmodells getroffenen Vereinbarung geschuldet sei. Jedenfalls läge kein anzuerkennender Fall einer zulässigen Klage in gewillkürter Prozessstandschaft vor. Das Erfordernis, dass der Prozess im wohlverstandenem objektiven Interesse des Klägers als ursprünglicher Forderungsinhaber läge, sei nicht gegeben. Hier hätte der Kläger zeitnah nach dem Unfall in eigener Sache auf Freistellung klagen können. Statt dessen habe er sich aus unbekannten Gründen zur Abtretung entschlossen an Dritte entschlossen, deren Prozesse er nunmehr führe. Das schutzwürdige Interesse des Prozessstandschafters zur Geltendmachung fremder Rechte könne nur bejaht werden, wenn die Entscheidung de eigene Rechtslage beeinflusse (wozu nichts vorgetragen worden sei). Es bliebe offen, ob die Forderungen der Zessionare durch die Abtretungen endgültig erloschen sind (Abtretung an Erfüllungs statt, § 364 BGB). Da dann auch keine Ansprüche mehr gegen den Kläger geltend gemacht werden könnten, würde es ihm an einem eigenen Rechtsschutzinteresse ermangeln. Dies sei aber auch im Falle der Abtretung erfüllungshalber anzunehmen, auch wenn in diesem Fall der Kläger ein wirtschaftliches Interesse hätte, dass seine Zahlungspflicht gegenüber den Zedenten nicht wieder auflebt. Allerdings sei signifikant, dass das auf die Prozessebene erweiterte Abtretungsmodell zur Beeinträchtigung der Rechte des Prozessgegners führe: So seien geschwärzte Rechnungen vorgelegt worden und zum Beweis der Höhe auf das Zeugnis der Zessionare Bezug genommen worden, die im eigenen Prozess als Zeugen ausscheiden würden. Das hier verwandte gewerbsmäßige Abtretungsmodell dürfe nicht auf die prozessuale Ebene erweitert werden, da es die Versicherungswirtschaft bzw. Versichertengemeinschaft in deren schutzwürdigen Belangen beeinträchtige.

Anmerkung: Letztlich sieht das Amtsgericht (nicht zu Unrecht) die Gefahr, dass bestimmte Werkstätten und Sachverständige diesen Weg wählen, um überhöhte Forderungen nicht der Prüfung durch Gericht und Gegner auszusetzen. Bei veranlassen den Geschädigten zur Abtretung deren Forderung an sie, und soweit die Schädigerseite (idR. eine Versicherung) nicht zahlt, muss der Geschädigte (für die Zessionare) klagen. Damit muss keine Rechnung vorgelegt werden, aus der sich die Aufschlüsselung der (überhöhten) Forderung ergeben könnte, sondern kann zum Beweis der Leistungspflicht auf das Zeugnis der Zessionare abgestellt werden, zumal sich der klagende Geschädigte auch darauf berufen kann, dass er eine evtl. eingewandte Überteuerung jedenfalls nicht hätte erkennen können. Der rechtsdogmatische Weg des Amtsgerichts ist nachvollziehbar.

AG Bremen, Urteil vom 27.03.2020 - 9 C 513/19 -

Sonntag, 29. März 2020

Corona: Schließung von (Laden-) Geschäften auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 IfSG


Das Verwaltungsgericht (VG) Bremen musste sich mit der Frage befassen, ob § 28 Abs. 1 S. 1 bzw. 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) die Schließung von Geschäftslokalen rechtfertigt, insbesondere auch Geschäftslokalen, die neben dem Verkauf anderweitiger Erzeugnisse auch Lebensmittel im Sortiment haben. Es hat die allgemeine Zulässigkeit zur Schließung von Geschäftslokalen (was mithin z.B. die Bereiche Fitnessstudios, Fahrradzubehör u.a. erfasst, wie auch die spezielle Zulässigkeit zur Schließung von Ladengeschäften mit gemischtem Sortiment, zu dem u.a. Lebensmittel zählen, bejaht.

Die Antragstellerin betreibt Einzelhandelsgeschäfte, in denen sie Lebensmittel und Getränke, Tiefkühlware, Fahrräder, Porzellan, Glaswaren,  Auto- und Fahrradzubehör, Textilien, Tierbedarf, Elektroartikel, Schuhe, Drogerieartikel, Werkzeuge, Taschen und Koffer, Haushaltswaren, Spielwaren, Bettwäsche, Matratzen, Teppiche, Gartenartikel, Schreibwaren, Tabakwaren, Pflanzen, Bücher, Zeitschriften, Camping- und Outdoorartikel, Deko- und Geschenkartikel sowie Saisonware vertreibt. In einer Allgemeinverfügung vom 20.03.2020 des Ordnungsamtes der Antragsgegnerin wurde „zur Eindämmung des Corornavirus“ unter Ziffer 1 Buchstabe d die Öffnung von Einrichtungen zum Publikumsverkehr u.a. für „an anderer Stelle dieser Allgemeinverfügung genannten Verkaufsstellen des Einzelhandels, insbesondere Einkaufszentren (mit Ausnahme der in Ziffer 1 Buchstabe f genenannten Einrichtungen)“ angeordnet. In Ziffer 1 Buchstabe f wurden ausgenommen „der Einzelhandel für Lebensmittel, Wochenmärkte, Abhol- und Lieferdienste, Getränkemärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Tankstellen, Kioske, Banken und Sparkassen, Poststellen, Reinigungen, Waschsalons, der Zeitungsverkauf, Bau- und Gartenabau- und Tierbedarfsmärkte und der Großhandel.

Am 23.03.2020 forderte das Ordnungsamt die Antragstellerin (mündlich) zur Schließung für den Publikumsverkehr auf. Dagegen erhob die Antragstellerin Widerspruch. Mit weiterer Allgemeinverfügung vom 24.03.2020 hob die Antragstellerin die Allgemeinverfügung vom 20.03.2020 mit Ausnahme von Ziffer 1 Buchstaben d und f auf. Gegen diese Allgemeinverfügung erhob die Antragstellerin Widerspruch. In Ihrem bereits am 23.03.2020 erhobenen Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs verwies sie darauf, dass 47,09% ihres Umsatzes auf die Artikel aus den Bereichen Lebensmittel, Getränke, Drogeriewaren, Garten- und Tierbedarf und Baumarktartikel entfalle (zuzüglich Werkzeuge).

Soweit sich die Antragstellerin gegen die mündliche Aufforderung wandte, das Ladengeschäft für Publikumsverehr zu öffnen, sei dieser unzulässig. Es handele sich dabei nicht um eine Verfügung, sondern nur um eine Mitteilung zur Rechtslage. Im Übrigen sei der Antrag gegen die Allgemeinverfügung vom 24.03.2020 zulässig; der Widerspruch habe nach § 28 Abs. 3 iVm. § 16 Abs. 8 IfSG keine aufschiebende Wirkung.

Bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden summarischen Prüfung sei davon auszugehen, dass der Widerspruch erfolglos bliebe, § 112 Abs. 1 S. 1 VwGO. Deshalb könne unter Würdigung der gesetzgeberischen Wertung und der Interessen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Gesundheit sowie der bedeutenden Rechtsgüter, deren Schutz die Allgemeinverfügung gelte, die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet werden.

Formal bestünden gegen die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung keine Bedenken, da sich die Antragsgegnerin auf § 28 Abs. 1 S. 1 bzw. 2 IfSG beziehen könne. Danach würde es der Behörde obliegen, Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten zu treffen. Sie könne nach § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG bei Vorliegen der Voraussetzungen nach S. 1 Veranstaltungen und Ansammlungen beschränken und Badeanstalten sowie in § 33 IfSG schließen, als eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit anordnen  (Orte nicht zu verlassen oder z betreten), bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden seien. Für Art und Umfang sei der Behörde ein Ermessen eingeräumt. Eingeschränkt würde das Ermessen nur dadurch, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln dürfe, die zur Verhinderung einer (Weiter-) Verbreitung der Krankheit notwendig seien.

Offen ließ das VG, ob es das Öffnungsverbot von § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG (Ansammlungen) erfasst werde, oder ob es sich auf die Generalklausel in S. 1 stützen könne. In beidem Fällen sei die Behörde zum Handeln verpflichtet. Die in S. 1 normierte Generalklausel scheide nicht deshalb aus, da die Allgemeinverfügung in die Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) eingreife. Das BVerfG (Beschluss vom 04.05.1997 - 2 BvR 509/96 -) habe zwar Grenzen gesetzt, eingriffsrechtliche Generalklauseln als Ermächtigungsgrundlage heranzuziehen. Allerdings müsse angesichts der unvorhersehbaren Vielgestaltigkeit von Lebenserscheinungen gefahrenabwehrrechtliche Generalklauseln dennoch im Grundsatz Geltung als ein die Berufsausübung regelndes Gesetz beanspruchen können, auch wenn weit gespannte Generalklauseln nicht schlechthin als stets ausreichende Grundlage des Eingriffs der Exekutive in die Berufsausübung herangezogen werden könnten (BVerwG, Beschluss vom 24.10.2001 - 6 C 3/01 -). Die Regelungsmaterie „Gefahrenabwehr“ erfordere eine flexible Handhabung des ordnungsbehördlichen Handelns. Sprachlich offen gelassene Ermächtigungen seien daher verfassungskonform auszulegen. Lägen neue und in dieser Form vom Gesetzgeber nicht bedachte Bedrohungslagen vor, sei daher jedenfalls für eine Übergangszeit der Rückgriff auf die Generalklausel auch dann hinzunehmen, wenn es zu einem wesentlichen Grundrechtseingriff käme (BVerwG, Urteil vom 25.07.2007 - 6 C 39/06 -). Da es in Deutschland unter der Geltung des Grundgesetzes, soweit ersichtlich, Infektionslagen wie derzeit nicht gegeben habe, seien die Voraussetzungen gegeben, unter denen das Vorliegen einer speziellen gesetzlichen Regelung zwingend gewesen. Allerdings verweist das VG auch darauf, dass die Gesetzesbegründung darauf schließen lasse, hier für jedwede Bedrohungsart bei Ausbruch durch Krankheiten durch die Generalklausel eine Eingriffsgrundlage zu schaffen (BT-Drs. 8/2468, S. 27: „Man muß eine generelle Ermächtigung in das Gesetz aufnehmen, will man für alle Fälle gewappnet sein.“

Die entsprechenden Voraussetzungen für die Allgemeinverfügung hätten vorgelegen (wird näher ausgeführt). Das allgemeine Verbot der Öffnung von Einzelhandelsbetrieben als notwendige Schutzmaßnahme habe vorgelegen. Da weder eine Therapie noch eine Impfung zur Verfügung stünden, müssten alle Maßnahmen darauf ausgerichtet sein, eine Verbreitung zu verlangsamen, wozu kontaktreduzierende Maßnahmen gehören würden. Das weitreichende Verbot der Öffnung von Einzelhandelsgeschäften sei geeignet, die Verbreitungsgeschwindigkeit einzudämmen, da die Bevölkerung dazu bewegt würde, vermehrt zu Hause zu bleiben.  

Für die Antragstellerin greife auch keine Ausnahme vom Öffnungsverbot. Nur ca. 25% ihres Sortiments gemäß einer Warenaufstellung würden auf Lebensmittel entfallen. Die Ausnahme Lebensmittel hätte verlangt, dass zumindest der überwiegende Teil Lebensmittel wären .Der Umstand, dass zudem auch Drogerieprodukte pp, vertrieben würden, würde keiner der Kategorien von Einzelhandelsunternehmen im Sinne der Allgemeinverfügung eindeutig zuortenbar sein.

Es könne dahinstehen, ob die Antragstellerin Nichtstörerin oder aber unter dem Gesichtspunkt der Veranlassung einer möglichen Ansammlung von Personen in ihrem Ladengeschäft selbst als Störerin angesehen werden könne. Sie sei richtigerweise als Adressatin des Verbots ausgewählt worden, da nur durch Schließung der fraglichen Geschäfte das verfolgte Ziel einer Gefahrenabwehr effektiv erreicht werden könne. Ein Vorgehen gegen einzelne Kunden wäre nicht sachdienlich und auch nicht gleich effektiv.

Anmerkung: Auch wenn wohl die Entscheidung rational vernünftig sein mag, ist sie jedoch nicht rechtlich nachvollziehbar.

Zutreffend erkennt zwar das VG, dass ein Eingriff in die grundrechtlich geschützte Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) vorläge, meint aber, dass die Generalklausel dies  -  jedenfalls übergangsweise -  auffangen könne. Einen nur vorrübergehenden, nicht gesetzlich legitimierten Eingriff in ein Grundrecht kennt aber weder das Grundgesetz noch das Gesetz. Unabhängig davon stellt sich auch die Frage, welcher Zeitraum mit „vorübergehend“ gemeint sein soll. Immerhin hat es doch die Legislative sogar in der Coronakrise fertig gebracht, Gesetze innerhalb von zwei Tagen durch Bundestag und Bundesrat beschließen zu lassen. Wäre es also nicht ohne weiteres möglich gewesen, hier in § 28 IfSG eine entsprechende zusätzliche Regelung aufzunehmen, die den Eingriff in die Berufsausübung qua Schließung von Gewerbebetrieben betrifft ?  Sicherlich wäre dies möglich gewesen. Zudem verkennt das VG, und wir deshalb wohl auch nicht angesprochen, dass Art. 19 Abs. 1 GG bestimmt, dass die Grundrechtsnorm benannt werden muss, in die durch das Gesetz eingegriffen werden soll.   In § 28 Abs. 1 S. 3 IfSG werden aber als Eingriffe in Grundrechte nur die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) benannt.  Die Einschränkung der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, die hier gegenständlich ist, wurde nicht benannt. Damit lässt sich keinesfalls aus § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG, wie das VG meint, ableiten, dass alle Maßnahmen der Gefahrenabwehr möglich seien, jedenfalls durch einen gesetzgeberischen Willen getragen seien und/oder auf Zeit möglich seien. Da zwingend bei einem Eingriff in ein Grundrecht in dem Gesetz, in dem in das Grundrecht eingegriffen wird, darauf zu verweisen ist, lässt sich mithin die Allgemeinverfügung aus den Erwägungen des VG heraus nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht halten.

Richtig sind vom Ansatz die Erwägungen, gegen Kunden im Hinblick auf „Ansammlungen“ vorzugehen. Dass aber würde voraussetzen, dass es sich bei dem Einkauf in einem entsprechenden Laden um eine Ansammlung handelt. Ob ein Vorgehen gegen Kunden (evtl. in diesen Fällen auch gegen den Betriebsinhaber wegen Beihilfe oder Mittäterschaft) effektiv ist, mag auf sich beruhen. Denn das Gesetz darf im Rahmen seiner an der Verfassung vorzunehmenden Auslegung nicht über die grundrechtlichen Einschränkungen hinausgehen, die es selbst benennt.

Für die betroffenen Betreiber von geschlossenen Läden stellt sich die Frage nach einer Entschädigung. Grundlage wäre hier § 65 IfSG.

VG Bremen, Beschluss vom 26.03.2020 - 5 V 553/20 -Aus den Gründen:

Donnerstag, 26. März 2020

Die Corona-Allgemeinverfügung und der einstweilige Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO



Man kann schon häufig Zweifel haben, ob die von den Ländern erlassenen Rechtsverordnungen bzw. Allgemeinverfügungen der Gemeinden und Landkreise zur Bekämpfung der Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) zu deren einzelnen Regelungen eine Rechtsgrundlage haben. Vorliegend hatten sich die Antragsteller gegen eine Allgemeinverfügung des Antragsgegners gewandt, mit der die Antragsteller (die Antragstellerin litt an einer Lungenerkrankung) zum Verlassen ihrer Nebenwohnung aufgefordert wurden. Der zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gem. § 80 Abs. 5 VwGO wurde abgewiesen.


Das OVG ging davon aus, dass im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung sich nicht feststellen ließe, ob die einen Verwaltungsakt darstellende Allgemeinverfügung offensichtlich rechtmäßig oder offensichtlich rechtswidrig sei. Damit sei eine weitere Interessensabwägung erforderlich, bei der auf der einen Seite die Auswirkungen in Bezug auf das öffentliche Interesse  für den Fall einer Stattgabe des Antrages, auf der anderen Seite die Auswirkungen für den Betroffenen für den Fall der Ablehnung des Antrages und eines erfolgreichen Rechtsbehelfs in der Hauptsache gegenüber zu stellen seien. Im Rahmen dieser Abwägung sei das jeweilige Vorbringen der Parteien als wahr zu unterstellen, soweit es substantiiert sei und nicht ohne weiteres erkennbar unwahr (OLG Schleswig, Beschluss vom 13.09.1991 - 4 M 125/91 -). .

Rechtsgrundlage der Allgemeinverfügung könnte § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG sein, nach der die zuständige Behörde bei ansteckendem Krankheiten die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen habe, um eine Verbreitung zu verhindern. Die Art des Eingriffs läge im Ermessen der Behörde, was damit zu begründen sei, da dies im Vorfeld nicht festgelegt werden könne. Beschränkt würde das Ermessen durch die Notwendigkeit der Schutzmaßnahme zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit und das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Je größer und folgenschwerer möglicherweise eintretende Schäden seien, umso geringer seien die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit von deren Eintreten, wofür das Ziel des Gesetzes zur effektiven Gefahrenabwehr spräche (§§ 1 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG; vgl auch VG Bayreuth, Beschluss vom 11.03.2020 - B 7 S 20.223 -).

Zulässig sei es auch, Schutzmaßnahmen nicht nur gegen Kranke pp. getroffen werden, sondern erforderlichenfalls auch gegen Dritte. Da es sich bei CIVUD-19 um eine übertragbare Krankheit handele, sei Abschnitt 5 des Gesetzes eröffnet, und es spräche vieles dafür, soweit notwendig auch zum Verlassen des Ortes der Nebenwohnung zur Sicherstellung der ausreichenden Versorgung der Bevölkerung  mit erforderlich werdenden Notfallbehandlungen und zur Eingrenzung der Verbreitung zu zwingen. Eine abschließende Prüfung sei der Kammer „in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit“ nicht möglich. Es sei bekannt, dass derzeit und auf absehbare Zeit nicht genügend Intensivbetten und Pflegepersonal zur Verfügung stünden und die Sicherung der Leistungskapazität davon abhänge, dass sich nicht noch weitere auswärtig ansässige Personen (wobei es sich hier um eine Gemeinde mit vielen Ferienwohnungen handele) im Gebiet des Antragsgegners aufhielten.

Anmerkung dazu: Bedenklich ist, auf die Schwere der möglichen Einwirkung abzustellen, um damit die Wahrscheinlichkeit des Eintritts vernachlässigen zu können, und so einen Eingriff in ein Grundrecht (Freizügigkeit, Art. 11 Abs. 1 GG) zu rechtfertigen. Das Leben gilt als ein besonders schützenswertes Rechtsgut. Doch würde es das Leben evtl. einer Person rechtfertigen können, die Freizügigkeit aller Bewohner Deutschlands einzuschränken ?  Abzustellen wäre auf eine Abwägung der jeweiligen betroffen Rechtsgüter / Grundrechte. Unter dieser Prämisse wäre gegen die Aussage nichts einzuwenden.

Bei dem Interesse der Antragsteller stellte die Kammer darauf ab, dass diesen noch eine Hauptwohnung zur Verfügung stünde. Sollten sich hier Komplikationen ergeben, müssten sich die Antragsteller an die zuständigen Behörden des Hauptwohnsitzes wenden. Individuelle Gründe, die hier einen Verweis auf die Hauptwohnung unzumutbar machen würden, sah die Kammer nicht. Dies sei z.B. dann der Fall, wenn die Rückreise zur Hauptwohnung selbst eine schwerwiegende gesundheitliche Gefahr darstelle oder aber diese Gefahr sich durch die Ankunft und den weiteren Verbleib in der Hauptwohnung ergäbe. Die Lungenerkrankung der Antragstellerin stelle keine außergewöhnliche Härte dar, die hier einen Aufschub vor dem geschilderten öffentlichen Interesse gebieten könne. Zwar sei verständlich, wenn die Antragsteller die lungenkranke Antragstellerin vor jeder Risikoerhöhung schützen wollen, doch würden sie sich in A-Stadt in einer Lage befinden, in der sich viele Familien mit nur einem Haushalt befänden. Auch dort müsste bei entsprechenden Vorerkrankungen dem Risiko mir bekannten Vorsorgemaßnahmen (Abstandhalten, Reinigung der Hände) begegnet werden. In der Wohnung selbst wären die Antragsteller keinem erhöhten Risiko ausgesetzt.

Anmerkung dazu: Die Abwägung der Kammer basiert auf dem zugunsten des öffentlichen Interesses angenommenen Ermessen der Behörde, bei dem die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Infektion zurücktreten entsprechend der Größe und Folgenschwere eines möglicherweise eintretenden Schadens. Es verwundert, dass dieser Grundsatz augenscheinlich nicht bei dem entgegenstehenden Interesse jedenfalls der Antragstellerin berücksichtigt wurde, die Lungenkrank ist und von daher zu einer besonderen Risikogruppe gehört, die gerade zu schützen wäre. Dabei mag es wohl sein, dass die Hauptwohnung ebenso sicher oder unsicher ist wie die Nebenwohnung; aber die Reise von der Nebenwohnung zur Hauptwohnung stellt sich als besonderer Gefahrenmoment dar, der hier von der Kammer nicht berücksichtigt wurde. Es handelt sich diesbezüglich nicht um einen Umstand, der jeden Haushalt betrifft, in dem eine Person wohnt, die zur Risikogruppe gehört.

Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss vom 22.03.2020 - 1 B 17/20 -

Mittwoch, 25. März 2020

Löschung des Geschäftsführers im Handelsregister von Amts wegen bei Ungeeignetheit (§ 6 Abs. 2 GmbHG)


Der BGH bestätigte auf eine Rechtsbeschwerde hin die Löschung des Beschwerdeführers (BF) als Geschäftsführers der GmbH, deren Mitgesellschafter und -geschäftsführer er seit Januar 2017 war. Die Löschung erfolgte von Amts wegen mit der Begründung einer Ungeeignetheit des BF. Vorangegangen war dem ein Strafverfahren gegen den BF, in dessen Rahmen der (rechtskräftige) Strafbefehl gegen den BF  u.a. wegen Insolvenzstraftat (Beihilfe zum Bankrott, §§ 283 Abs. 1 S. 1, 27 StGB)  in 2015/16 (benannt im Strafbefehl als Einzelstrafe mit 60 Tagessätzen) im April 2019 erging.

Ausschlaggebend sei, dass der BF rechtskräftig wegen Beihilfe zum Bankrott verurteilt worden sei, da er damit nicht mehr Geschäftsführer der G. GmbH sein könne. Ein Geschäftsführer verliere seine Organstellung, wenn eine Voraussetzung in seiner Person nach § 6 Abs. 2 GmbHG entfalle (BGH, Urteil vom 01.07.1991 - II ZR 202/90 -). In einem solchen Fall sei die Eintragung vom Registergericht von Amts wegen vorzunehmen (§ 395 Abs. 1 S. 1 FamFG).

Allerdings sei streitig, ob der Geschäftsführer selbst Täter sein müsse (§ 25 StGB) oder nur eine Teilnahme (§§ 26, 27 StGB) ausreiche. Dies war vom BGH zu entscheiden, da der BF nur Teilnehmer (§ 26 StGB) des Bankrotts war. Hier vertritt der BGH die Auffassung, dass bei vorsätzlich begangenen Straftaten nach § 6 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 Nr. 3 GmbHG nicht zwischen Täterschaft und Teilnahme zu unterscheiden sei und mithin die Begehungsformen gleich behandelt werden müssten.

So spreche dafür bereits der Wortlaut („wegen … Straftaten … verurteilt worden ist“) dafür, der sich an die strafgerichtliche Verurteilung in § 3 Nr. 1m § 4 Nr. 1 BZRG anlehne und beide Begehungsformen erfasse. Die Bezugnahme auf das BZRG würde auch im Anmeldeverfahren deutlich, da der Geschäftsführer nach § 8 Abs. 2 GmbHG iVm- § 53 Abs. 2 BZRG bei der Anmeldung unumschränkt auskunftspflichtig sei. Soweit in § 6 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 GmbHG von „Täter“ die Rede sei,  läge darin keine Einschränkung, da „Täter“ auch als Oberbegriff für Täterschaft und Teilnahme verwandt würde, wobei die Bestimmung auch nur einen Sonderfall der Berechnung der fünfjährigen Ausschlussfrist enthalte.  

Auch der Schutzweck, der durch die Einbeziehung bestimmter Delikte wegen Teilnahmehandlungen in § 6 Abs. 2 S. 2 2. HS Nr. 3 GmbHG bestimmt werde und die  dem Schutz fremder Vermögen dienen, lasse erkennen, dass sich die Norm auf das Erfolgs- und nicht das Handlungsunrecht beziehe und damit eine Beschränkung auf eine Verurteilung als Täter nicht zuließe.  

BGH, Beschluss vom 03.12.2019 - II ZB 18/19 -