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Donnerstag, 26. März 2020

Die Corona-Allgemeinverfügung und der einstweilige Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO



Man kann schon häufig Zweifel haben, ob die von den Ländern erlassenen Rechtsverordnungen bzw. Allgemeinverfügungen der Gemeinden und Landkreise zur Bekämpfung der Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) zu deren einzelnen Regelungen eine Rechtsgrundlage haben. Vorliegend hatten sich die Antragsteller gegen eine Allgemeinverfügung des Antragsgegners gewandt, mit der die Antragsteller (die Antragstellerin litt an einer Lungenerkrankung) zum Verlassen ihrer Nebenwohnung aufgefordert wurden. Der zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gem. § 80 Abs. 5 VwGO wurde abgewiesen.


Das OVG ging davon aus, dass im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung sich nicht feststellen ließe, ob die einen Verwaltungsakt darstellende Allgemeinverfügung offensichtlich rechtmäßig oder offensichtlich rechtswidrig sei. Damit sei eine weitere Interessensabwägung erforderlich, bei der auf der einen Seite die Auswirkungen in Bezug auf das öffentliche Interesse  für den Fall einer Stattgabe des Antrages, auf der anderen Seite die Auswirkungen für den Betroffenen für den Fall der Ablehnung des Antrages und eines erfolgreichen Rechtsbehelfs in der Hauptsache gegenüber zu stellen seien. Im Rahmen dieser Abwägung sei das jeweilige Vorbringen der Parteien als wahr zu unterstellen, soweit es substantiiert sei und nicht ohne weiteres erkennbar unwahr (OLG Schleswig, Beschluss vom 13.09.1991 - 4 M 125/91 -). .

Rechtsgrundlage der Allgemeinverfügung könnte § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG sein, nach der die zuständige Behörde bei ansteckendem Krankheiten die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen habe, um eine Verbreitung zu verhindern. Die Art des Eingriffs läge im Ermessen der Behörde, was damit zu begründen sei, da dies im Vorfeld nicht festgelegt werden könne. Beschränkt würde das Ermessen durch die Notwendigkeit der Schutzmaßnahme zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit und das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Je größer und folgenschwerer möglicherweise eintretende Schäden seien, umso geringer seien die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit von deren Eintreten, wofür das Ziel des Gesetzes zur effektiven Gefahrenabwehr spräche (§§ 1 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG; vgl auch VG Bayreuth, Beschluss vom 11.03.2020 - B 7 S 20.223 -).

Zulässig sei es auch, Schutzmaßnahmen nicht nur gegen Kranke pp. getroffen werden, sondern erforderlichenfalls auch gegen Dritte. Da es sich bei CIVUD-19 um eine übertragbare Krankheit handele, sei Abschnitt 5 des Gesetzes eröffnet, und es spräche vieles dafür, soweit notwendig auch zum Verlassen des Ortes der Nebenwohnung zur Sicherstellung der ausreichenden Versorgung der Bevölkerung  mit erforderlich werdenden Notfallbehandlungen und zur Eingrenzung der Verbreitung zu zwingen. Eine abschließende Prüfung sei der Kammer „in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit“ nicht möglich. Es sei bekannt, dass derzeit und auf absehbare Zeit nicht genügend Intensivbetten und Pflegepersonal zur Verfügung stünden und die Sicherung der Leistungskapazität davon abhänge, dass sich nicht noch weitere auswärtig ansässige Personen (wobei es sich hier um eine Gemeinde mit vielen Ferienwohnungen handele) im Gebiet des Antragsgegners aufhielten.

Anmerkung dazu: Bedenklich ist, auf die Schwere der möglichen Einwirkung abzustellen, um damit die Wahrscheinlichkeit des Eintritts vernachlässigen zu können, und so einen Eingriff in ein Grundrecht (Freizügigkeit, Art. 11 Abs. 1 GG) zu rechtfertigen. Das Leben gilt als ein besonders schützenswertes Rechtsgut. Doch würde es das Leben evtl. einer Person rechtfertigen können, die Freizügigkeit aller Bewohner Deutschlands einzuschränken ?  Abzustellen wäre auf eine Abwägung der jeweiligen betroffen Rechtsgüter / Grundrechte. Unter dieser Prämisse wäre gegen die Aussage nichts einzuwenden.

Bei dem Interesse der Antragsteller stellte die Kammer darauf ab, dass diesen noch eine Hauptwohnung zur Verfügung stünde. Sollten sich hier Komplikationen ergeben, müssten sich die Antragsteller an die zuständigen Behörden des Hauptwohnsitzes wenden. Individuelle Gründe, die hier einen Verweis auf die Hauptwohnung unzumutbar machen würden, sah die Kammer nicht. Dies sei z.B. dann der Fall, wenn die Rückreise zur Hauptwohnung selbst eine schwerwiegende gesundheitliche Gefahr darstelle oder aber diese Gefahr sich durch die Ankunft und den weiteren Verbleib in der Hauptwohnung ergäbe. Die Lungenerkrankung der Antragstellerin stelle keine außergewöhnliche Härte dar, die hier einen Aufschub vor dem geschilderten öffentlichen Interesse gebieten könne. Zwar sei verständlich, wenn die Antragsteller die lungenkranke Antragstellerin vor jeder Risikoerhöhung schützen wollen, doch würden sie sich in A-Stadt in einer Lage befinden, in der sich viele Familien mit nur einem Haushalt befänden. Auch dort müsste bei entsprechenden Vorerkrankungen dem Risiko mir bekannten Vorsorgemaßnahmen (Abstandhalten, Reinigung der Hände) begegnet werden. In der Wohnung selbst wären die Antragsteller keinem erhöhten Risiko ausgesetzt.

Anmerkung dazu: Die Abwägung der Kammer basiert auf dem zugunsten des öffentlichen Interesses angenommenen Ermessen der Behörde, bei dem die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Infektion zurücktreten entsprechend der Größe und Folgenschwere eines möglicherweise eintretenden Schadens. Es verwundert, dass dieser Grundsatz augenscheinlich nicht bei dem entgegenstehenden Interesse jedenfalls der Antragstellerin berücksichtigt wurde, die Lungenkrank ist und von daher zu einer besonderen Risikogruppe gehört, die gerade zu schützen wäre. Dabei mag es wohl sein, dass die Hauptwohnung ebenso sicher oder unsicher ist wie die Nebenwohnung; aber die Reise von der Nebenwohnung zur Hauptwohnung stellt sich als besonderer Gefahrenmoment dar, der hier von der Kammer nicht berücksichtigt wurde. Es handelt sich diesbezüglich nicht um einen Umstand, der jeden Haushalt betrifft, in dem eine Person wohnt, die zur Risikogruppe gehört.

Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss vom 22.03.2020 - 1 B 17/20 -