Man kann schon häufig Zweifel
haben, ob die von den Ländern erlassenen Rechtsverordnungen bzw. Allgemeinverfügungen
der Gemeinden und Landkreise zur Bekämpfung der Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2)
zu deren einzelnen Regelungen eine Rechtsgrundlage haben. Vorliegend hatten
sich die Antragsteller gegen eine Allgemeinverfügung des Antragsgegners
gewandt, mit der die Antragsteller (die Antragstellerin litt an einer Lungenerkrankung)
zum Verlassen ihrer Nebenwohnung aufgefordert wurden. Der zulässige Antrag auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gem. § 80 Abs.
5 VwGO wurde abgewiesen.
Das OVG ging davon aus, dass im
Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung sich nicht feststellen ließe, ob die einen
Verwaltungsakt darstellende Allgemeinverfügung offensichtlich rechtmäßig oder
offensichtlich rechtswidrig sei. Damit sei eine weitere Interessensabwägung
erforderlich, bei der auf der einen Seite die Auswirkungen in Bezug auf das
öffentliche Interesse für den Fall einer
Stattgabe des Antrages, auf der anderen Seite die Auswirkungen für den
Betroffenen für den Fall der Ablehnung des Antrages und eines erfolgreichen Rechtsbehelfs
in der Hauptsache gegenüber zu stellen seien. Im Rahmen dieser Abwägung sei das
jeweilige Vorbringen der Parteien als wahr zu unterstellen, soweit es
substantiiert sei und nicht ohne weiteres erkennbar unwahr (OLG Schleswig,
Beschluss vom 13.09.1991 - 4 M 125/91 -). .
Rechtsgrundlage der
Allgemeinverfügung könnte § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG sein, nach der die zuständige
Behörde bei ansteckendem Krankheiten die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen
habe, um eine Verbreitung zu verhindern. Die Art des Eingriffs läge im Ermessen
der Behörde, was damit zu begründen sei, da dies im Vorfeld nicht festgelegt werden
könne. Beschränkt würde das Ermessen durch die Notwendigkeit der Schutzmaßnahme
zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit und das
Verhältnismäßigkeitsprinzip. Je größer und folgenschwerer möglicherweise
eintretende Schäden seien, umso geringer seien die Anforderungen an die
Wahrscheinlichkeit von deren Eintreten, wofür das Ziel des Gesetzes zur
effektiven Gefahrenabwehr spräche (§§ 1 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG; vgl auch VG
Bayreuth, Beschluss vom 11.03.2020 - B 7 S 20.223 -).
Zulässig sei es auch, Schutzmaßnahmen
nicht nur gegen Kranke pp. getroffen werden, sondern erforderlichenfalls auch
gegen Dritte. Da es sich bei CIVUD-19 um eine übertragbare Krankheit handele,
sei Abschnitt 5 des Gesetzes eröffnet, und es spräche vieles dafür, soweit
notwendig auch zum Verlassen des Ortes der Nebenwohnung zur Sicherstellung der
ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit erforderlich werdenden Notfallbehandlungen
und zur Eingrenzung der Verbreitung zu zwingen. Eine abschließende Prüfung sei
der Kammer „in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit“ nicht möglich. Es
sei bekannt, dass derzeit und auf absehbare Zeit nicht genügend Intensivbetten und
Pflegepersonal zur Verfügung stünden und die Sicherung der Leistungskapazität davon
abhänge, dass sich nicht noch weitere auswärtig ansässige Personen (wobei es
sich hier um eine Gemeinde mit vielen Ferienwohnungen handele) im Gebiet des
Antragsgegners aufhielten.
Anmerkung dazu: Bedenklich ist, auf die Schwere der
möglichen Einwirkung abzustellen, um damit die Wahrscheinlichkeit des Eintritts
vernachlässigen zu können, und so einen Eingriff in ein Grundrecht (Freizügigkeit,
Art. 11 Abs. 1 GG) zu rechtfertigen. Das Leben gilt als ein besonders
schützenswertes Rechtsgut. Doch würde es das Leben evtl. einer Person
rechtfertigen können, die Freizügigkeit aller Bewohner Deutschlands
einzuschränken ? Abzustellen wäre auf
eine Abwägung der jeweiligen betroffen Rechtsgüter / Grundrechte. Unter dieser
Prämisse wäre gegen die Aussage nichts einzuwenden.
Bei dem
Interesse der Antragsteller stellte die Kammer darauf ab, dass diesen noch eine
Hauptwohnung zur Verfügung stünde. Sollten sich hier Komplikationen ergeben,
müssten sich die Antragsteller an die zuständigen Behörden des Hauptwohnsitzes
wenden. Individuelle Gründe, die hier einen Verweis auf die Hauptwohnung unzumutbar
machen würden, sah die Kammer nicht. Dies sei z.B. dann der Fall, wenn die
Rückreise zur Hauptwohnung selbst eine schwerwiegende gesundheitliche Gefahr
darstelle oder aber diese Gefahr sich durch die Ankunft und den weiteren
Verbleib in der Hauptwohnung ergäbe. Die Lungenerkrankung der Antragstellerin
stelle keine außergewöhnliche Härte dar, die hier einen Aufschub vor dem
geschilderten öffentlichen Interesse gebieten könne. Zwar sei verständlich,
wenn die Antragsteller die lungenkranke Antragstellerin vor jeder
Risikoerhöhung schützen wollen, doch würden sie sich in A-Stadt in einer Lage befinden,
in der sich viele Familien mit nur einem Haushalt befänden. Auch dort müsste
bei entsprechenden Vorerkrankungen dem Risiko mir bekannten Vorsorgemaßnahmen
(Abstandhalten, Reinigung der Hände) begegnet werden. In der Wohnung selbst
wären die Antragsteller keinem erhöhten Risiko ausgesetzt.
Anmerkung dazu: Die Abwägung der
Kammer basiert auf dem zugunsten des öffentlichen Interesses angenommenen
Ermessen der Behörde, bei dem die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer
Infektion zurücktreten entsprechend der Größe und Folgenschwere eines
möglicherweise eintretenden Schadens. Es verwundert, dass dieser Grundsatz augenscheinlich
nicht bei dem entgegenstehenden Interesse jedenfalls der Antragstellerin
berücksichtigt wurde, die Lungenkrank ist und von daher zu einer besonderen
Risikogruppe gehört, die gerade zu schützen wäre. Dabei mag es wohl sein, dass
die Hauptwohnung ebenso sicher oder unsicher ist wie die Nebenwohnung; aber die
Reise von der Nebenwohnung zur Hauptwohnung stellt sich als besonderer Gefahrenmoment
dar, der hier von der Kammer nicht berücksichtigt wurde. Es handelt sich diesbezüglich
nicht um einen Umstand, der jeden Haushalt betrifft, in dem eine Person wohnt,
die zur Risikogruppe gehört.
Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss
vom 22.03.2020 - 1 B 17/20 -