Der Beigeladene beantragte eine
Baugenehmigung unter Befreiung von Abstandsflächen zum Grundstück des
Antragstellers. Dies wurde von der Antragsgegnerin (Bauamt) gewährt, da nach
der topografischen Lage des Grundstücks eine Beeinträchtigung des Grundstücks
des Antragsstellers nicht vorläge. Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung
der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid wurde vom
Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Beschwerde dagegen war erfolgreich.
Als unstreitig konnte der VGH davonausgehen,
dass eine nach § 6 HBO bestimmet Abstandsfläche nicht eingehalten sei. Zwar sei
eine Abweichung von dieser Norm nach § 63 HBO zulässig, wenn dies unter
Berücksichtigung des Zwecks der Anforderung und unter Würdigung der
öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen
(und somit auch insbesondere aus § 3 Satz 1 HBO: keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit
und Ordnung, Leben, Gesundheit) vereinbar sei.
Zwar würden außergewöhnliche
bodenrechtliche Umstände zu einer atypischen Situation führen, die ein
Abweichen bei einem Bauvorhaben rechtfertigen könnten. Es müsste sich um eine
solche Situation handeln, die einen konkreten Einzelfall betrifft und sich derart von dem gesetzlichen
Regelfall unterscheide, dass dies die Nichtberücksichtigung des normativen
Standards rechtfertige. Weiterhin müssten aber auch im Rahmen der
Ermessensentscheidung der Zweck der Abstandsflächenregelung, die Belange der
Grundstücksnachbarn und öffentliche Belange berücksichtigt werden.
Zwar hätte hier die
Antragsgegnerin die Verhältnisse vor Ort erwogen, allerdings verkannt, dass
alleine eine fehlende (gravierende) Beeinträchtigung des Nachbarn in Ansehung
der topographischen Verhältnisse die Unterschreitung von Abstandsflächen nicht
rechtfertige. Das Gebot der Rücksichtnahme
erfordere vielmehr weiterhin, dass Gesichtspunkte hinzukommen, die in den
besonders zu berücksichtigenden Verhältnisse auf dem Baugrundstück oder den für
das Vorhaben sprechenden Gründen lägen. Es sei also erforderlich, dass Umstände
neben der fehlenden oder geringen Auswirkung der Verringerung der Abstandsflächen
Verhältnisse aus dem Bauvorhaben heraus oder dem Baugrundstück heraus dies
erfordern. Lägen solche Gründe, wie hier, nicht vor, bestünde ein
Ermessendefizit bei der Entscheidung durch die Antragsgegnerin, das zur
Rechtswidrigkeit die Verkürzung der Abstandsflächen führt. Insbesondere sei
nicht festgestellt worden, dass dem Beigeladenen eine sinnvolle Ausnutzung
seines Grundstücks ohne diese Genehmigung nicht möglich sei.
HessVGH, Beschluss vom 15.11.2019 - 4 B 1276/19 -