Posts mit dem Label Ermessen werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Ermessen werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Freitag, 18. März 2022

Melderegisterauskunft: Gebühr ohne Beantwortung der Anfrage (Bestimmtheit der Gebührenorm) ?

Häufig sind Personen umgezogen und der Gläubiger muss die neue Anschrift in Erfahrung bringen. Nicht nur haben sich die Schuldner in vielen Fällen nicht umgemeldet, sondern eine Auskunft wird auch aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erteilt. Aber auch wenn keine Auskunft erteilt wird, wird in vielen Fällen eine Gebühr für die (Nicht-) Auskunft erhoben. Der Kläger wandte sich gegen eine solche Gebühr und klagte, nachdem sein Widerspruch zurückgewiesen wurde. Seiner Klage wurde vom Verwaltungsgericht (VG) stattgegeben.

Das VG führte aus, der Gebührenbescheid beruhe auf §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 GebGBbg iVm. der VO über die Gebühren für öffentliche Leistungen im Geschäftsbereich des Ministers des Inneren und für Kommunales (kurz: GebOMIK) im Bundesland Brandenburg. Danach würden die gebühren für die schriftliche Erteilung einfacher Melderegisterauskünfte € 10,00 je nachgefragter Person betragen. Diese Voraussetzung sei vorliegend nicht erfüllt mit der Angabe, die Auskunft könne aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erteilt werden.

Dabei bezog sich das VG auf Nr. 44.1.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Budnesmeldegestezes (BMGVwV), wobei es bei der Beantwortung einer Anfrage die Möglichkeiten gäbe, dass (a) die Auskunft erteilt wird, (b) die Auskunft abgelehnt wird und (c) eine neutrale Auskunft erteilt würde. Die neutrale Auskunft nach Nr. 44.1.3.3 BMGVwV habe den auch dem Kläger mitgeteilten Inhalt „Eine Auskunft kann aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht oder derzeit nicht erteilt werden“. Schon nach dem Wortlaut würde danach eine Auskunft nicht erteilt werden, was aber für den Anfall der Gebühr nach Nr. 2.1.1.1 des Gebührentarifs (GebOMIK) für das Entstehen der Gebühr erforderlich wäre.

Es sei im Hinblick auf die eindeutige Fassung des Gebührentatbestandes „Erteilung einer Auskunft“ nicht möglich, diesen auch dann als erfüllt anzusehen, wenn schriftlich mitgeteilt würde, dass eine Auskunft nicht erteilt wird. Eine derartige Auslegung sei mit dem Gebot der Bestimmtheit von Normen aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG nicht vereinbar. Der Normadressat müsse seine Normbetroffenheit und die Rechtslage aus der eindeutigen Fassung der Rechtsvorschrift erkennen und seine Verhalten danach ausrichten können. Er müsse daher aus der Fassung des Gebührentatbestandes erkennen können, für welche Leistung die Gebühr erhoben wird (VGH Mannheim, Urteil vom 16.08.2018 - 1 S 625/18 -). Nicht entscheidend sei, ob mit der neutralen Auskunft bzw. Bearbeitung Aufwand verursacht worden sei (a.A. VG Hannover, Urteil vom 29.09.2016 - 10 A 1739/16 -).

Nach § 1 Abs. 3 GebOMIK könnten zwar für öffentliche Leistungen, für die keine Tarifstelle vorhanden sei, wenn sie nicht im öffentlichen Interesse liege, eine Gebühr zwischen € 1,00 bis € 500,00 erhoben werden. Dabei handele es sich aber um eine für das Ob und die Höhe im Ermessen der Behörde stehende Entscheidung. Weder im Gebührenbescheid noch im Widerspruchbescheid sei aber Ermessen ausgeübt worden (was dann auch entsprechend zu begründen wäre), weshalb auf diese Norm nicht abgestellt werden könne.

Der Beklagte habe allerdings im Prozess auf diese Norm hingewiesen, weshalb er möglicherweise im Verfahren nunmehr den angefochtenen Bescheid ändern wollte bzw. durch einen Ermessensentscheid ersetzt wollte. Dies aber hätte unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden müssen; es hätte verdeutlicht werden müssen, dass es sich nicht nur um prozessuales Verteidigungsvorbringen handele, sondern um eine Änderung des Verwaltungsaktes selbst (BVerwG, Urteil vom 20.06.2013 - 8 C 48.12). Das sei nicht erfolgt. Anmerkung: Diese Rechtsansicht ist zutreffend, da - sollte eine solche Erklärung im Prozess erfolgen und das Ermessen auch ausgeübt worden sein - der Kläger dann die Möglichkeit hätte, dies zu akzeptieren, die Hauptsache für erledigt erklären könnte und so die Kosten des Verfahrens der Behörde aufzuerlegen wären.

VG Potsdam, Urteil vom 25.11.2021 - 3 K 1596/18 -

Dienstag, 9. März 2021

WEG: Ermessen bei Absehen von Rückbau unzulässiger baulicher Veränderung von Gemeinschaftseigentum

 

In 1977 wurde auf dem Gemeinschaftseigentum eine Garage errichtet und vor einigen Jahren eine Gartenhütte. Ein Antrag au Beseitigung dieser Bauwerke wurde in der Eigentümerversammlung vom 25.07.2018 mit Mehrheitsbeschluss zurückgewiesen. Der Kläger erhob Anfechtungsklage, die vom Amtsgericht als unbegründet abgewiesen wurde. Mit seiner Berufung verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Das Landgericht gab im berufungsverfahren der Klage statt.

Das Landgericht wies darauf hin, dass zwar im Rahmen seiner Beurteilung das jetzt geltende WEG-Recht einschlägig sei, sich hier aber materiell gegenüber dem bisherigen Recht keine anderweitige Beurteilung ergäbe. Entscheidend sei, ob der Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung entspräche (§ 21 Abs. 4 WEG a.F., § 19 Abs. 1 WEG n.F.), was nicht der Fall sei.

Eine Negativbeschluss könne nur erfolgreich angefochten werden, wenn nur eine positive Beschlussfassung ordnungsgemäßer Verwaltung entsprochen haben würde. Dies fordere vorliegend eine Ermessensreduzierung auf Null. Allerdings müsse  eine Anfechtungsklage gegen eine Negativbeschluss auch dann Erfolg haben, wenn zwar nicht notwendig eine Ermessensreduzierung auf Null vorläge, aber die Wohnungseigentümer ein ihnen zustehendes Ermessen nicht ausgeübt hätten, da auch in diesem Fall der Anfechtende in seinem Recht auf ordnungsgemäße  Verwaltung verletzt sei.

Da die Errichtung von Garage und Gartenhütte rechtwidrig erfolgt seien, entspräche der Rückbau in der Regel ordnungsgemäßer Verwaltung, da dies der Wiederherstellung des ordnungsgemäßen Zustandes entspräche. Allerdings könne ein Ansehen davon u.U. auch ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen, wobei den Wohnungseigentümern insoweit ein Ermessen zustehe. Das aber würde hier nach dem jetzigen WEG voraussetzen, dass die bauliche Veränderung nach § 20 Abs. 1 WEG n.F. genehmigt würde, womit dann auch Klarheit über Nutzung und Kosten geschaffen würde (§ 21 WEG n.F.).

§ 20 Abs. 1 WEG n.F. lautet:

„Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), können beschlossen oder einem Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden.“

Der Negativbeschluss als solcher reicht allerdings nach dem Urteil des LG Frankfurt am Main für eine Ermessensausübung nicht aus. Vielmehr müssten sich die Wohnungseigentümer über ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechende Alternativen zum Rückbau bewusst gewesen sein und die bei einer Abwägungsentscheidung mit einbezogen haben. Nicht ausreichend seien theoretische denkbare Nutzungsalternativen (wie sie im berufungsverfahren mit Fahrradunterstand, Lagerraum pp. benannt seien. Die Abwägung hätte zum Zeitpunkt der Beschlussfassung stattfinden müssen und zudem alternativ zum Abriss entsprechende Nutzungen ermöglicht oder zumindest in die Wege geleitet werden müssen. Das sei nicht geschehen. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung seien Garage und Gartenhaus weder im Interesse der Gemeinschaft tatsächlich genutzt worden noch habe es Regeln zu deren Nutzung gegeben.

Es sei auch keine Verjährung eingetreten, da der Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung nicht verjähre (BGH, Urteil vom 27.04.2012 - V ZR 177/11 -).

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 14.01.2021 - 2-13 S 26/20 -

Montag, 11. Mai 2020

Sondernutzungserlaubnis versus Anspruch auf freie Sicht auf das Schaufenster


Die Beschwerdeführerin (BF) betreibt ein Ladengeschäft. Vor diesem wurde ein Stand aufgestellt, an dem Eis verkauft wird. An diesem sollen zwei Sonnenschirme so platziert sein, dass dadurch die Sicht auf das Schaufenster des Ladengeschäfts von der Straße (einer Fußgängerzone) aus teilweise behindert ist. Das Verwaltungsgericht hatte einen Antrag auf einstweilige Anordnung, mit dem die BF die Beseitigung der Schirme geltend machte, als unzulässig abgewiesen. Ihre Beschwerde wurde vom OVG Lüneburg zurückgewiesen.

Zutreffend habe das VG einen Anspruch der BF auf ein Einschreiten der Antragsgegner nach § 22 NStrG verneint. § 22 NStG lautet:

„Wird eine Straße ohne die erforderliche Erlaubnis benutzt oder kommt der Erlaubnisnehmer seinen Verpflichtungen nicht nach, so kann die für die Erteilung der Erlaubnis zuständige Behörde die erforderlichen Maßnahmen zur Beendigung der Benutzung oder zur Erfüllung der Auflagen anordnen. Sind solche Anordnungen nicht oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand möglich oder nicht erfolgversprechend, so kann sie den rechtswidrigen Zustand auf Kosten des Pflichtigen beseitigen oder beseitigen lassen.“

Danach kann bei Nutzung der Straße ohne die erforderliche Erlaubnis oder entgegen einer Erlaubnis die zuständige Behörde (hier die Antragsgegnerin) die erforderlichen Maßnahmen zur Beendigung der Benutzung bzw. Erfüllung der Auflagen anordnen.

Das OVG schließt sich aus, dass tatsächlich die Art der Nutzung in Form der Anbringung der Sonnenschirme mit zwei Seitenplanen nicht der erteilten Sondernutzungserlaubnis der Antragsgegnerin entspräche. Darauf kam es allerdings nach Auffassung des OVG nicht an. Die Entscheidung über das Ob eines Einschreitens und des Wie stünde im Ermessen der Behörde. Eine Pflicht zum Einschreiten setze eine Ermessensreduzierung auf Null voraus und weiterhin, wenn das Einschreiten wie hier von einem Dritten begehrt würde, dessen Anspruch auf ein behördliches Einschreiten. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor.

Zwar könne die BF eine angemessene Anbindung an die Straße verlangen und, als Nutzerin eines gewerblich genutzten Grundstücks, auch einen „Kontakt nach außen“. Der „Kontakt nach außen“ bedeute aber nicht eine optimale Nutzungsmöglichkeit oder die Beibehaltung eines Lagevorteils. Daher könne nicht verlangt werden, dass die Schaufensterfront uneingeschränkt betrachtet werden könne. Nachteile in Bezug auf die Sichtbarkeit müssten in Kauf genommen werden, wenn nicht der „Kontakt nach außen“ vollkommen unterbunden würde. Die BF könne auch im Bereich der Fußgängerzone nicht fordern, dass die Straße im Bereich ihres Grundstücks frei von Nutzungen bleibe, die die Sicht auf die Schaufensterfront ihres im Erdgeschoß befindlichen Schuhgeschäfts beeinträchtigen könnten. Hier sei die Sicht nur teilweise behindert. Die Seitenplanen der Sonnenschirme würden sich für Fußgänger, die sich aus nördlicher Richtung nähern, würden nicht sichtbehindernd auswirken. Damit sei nicht zu erkennen, dass der „Kontakt nach außen“ unzumutbar beeinträchtigt sei. Auch liege keine Verletzung des in Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vor, da dieses keinen Anspruch auf diejenigen Nutzungsmöglichkeiten gewähre, die dem Gewerbetreibenden den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil verspreche (BVerfG, Beschluss vom 15.07.1981 - 1 BvL 77/78 -).

Die BF könne sich auch nicht auf die nachbarschützenden Granzabstandsvorschriften berufen. Unabhängig davon, dass hier nach Ansicht des OVG der Grenzabstand eingehalten sein, könne dies von der BF auch hier nicht geltend gemacht werden. Zu berücksichtigen sei, dass für ein Einschreiten der Behörde grundsätzlich straßenbezogene Belange zu berücksichtigen seien, zu denen die Grenzabstandsbestimmungen der Niedersächsischen Bauordnung (NBauO) nicht gehören würden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.08.2006 - 11 A 2642/04 - zur nordrhein-westfälischen Bauordnung).

OVG Lüneburg, Beschluss vom 04.05.2020  - 7 ME 37/20 -

Donnerstag, 26. März 2020

Die Corona-Allgemeinverfügung und der einstweilige Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO



Man kann schon häufig Zweifel haben, ob die von den Ländern erlassenen Rechtsverordnungen bzw. Allgemeinverfügungen der Gemeinden und Landkreise zur Bekämpfung der Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) zu deren einzelnen Regelungen eine Rechtsgrundlage haben. Vorliegend hatten sich die Antragsteller gegen eine Allgemeinverfügung des Antragsgegners gewandt, mit der die Antragsteller (die Antragstellerin litt an einer Lungenerkrankung) zum Verlassen ihrer Nebenwohnung aufgefordert wurden. Der zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gem. § 80 Abs. 5 VwGO wurde abgewiesen.


Das OVG ging davon aus, dass im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung sich nicht feststellen ließe, ob die einen Verwaltungsakt darstellende Allgemeinverfügung offensichtlich rechtmäßig oder offensichtlich rechtswidrig sei. Damit sei eine weitere Interessensabwägung erforderlich, bei der auf der einen Seite die Auswirkungen in Bezug auf das öffentliche Interesse  für den Fall einer Stattgabe des Antrages, auf der anderen Seite die Auswirkungen für den Betroffenen für den Fall der Ablehnung des Antrages und eines erfolgreichen Rechtsbehelfs in der Hauptsache gegenüber zu stellen seien. Im Rahmen dieser Abwägung sei das jeweilige Vorbringen der Parteien als wahr zu unterstellen, soweit es substantiiert sei und nicht ohne weiteres erkennbar unwahr (OLG Schleswig, Beschluss vom 13.09.1991 - 4 M 125/91 -). .

Rechtsgrundlage der Allgemeinverfügung könnte § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG sein, nach der die zuständige Behörde bei ansteckendem Krankheiten die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen habe, um eine Verbreitung zu verhindern. Die Art des Eingriffs läge im Ermessen der Behörde, was damit zu begründen sei, da dies im Vorfeld nicht festgelegt werden könne. Beschränkt würde das Ermessen durch die Notwendigkeit der Schutzmaßnahme zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit und das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Je größer und folgenschwerer möglicherweise eintretende Schäden seien, umso geringer seien die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit von deren Eintreten, wofür das Ziel des Gesetzes zur effektiven Gefahrenabwehr spräche (§§ 1 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG; vgl auch VG Bayreuth, Beschluss vom 11.03.2020 - B 7 S 20.223 -).

Zulässig sei es auch, Schutzmaßnahmen nicht nur gegen Kranke pp. getroffen werden, sondern erforderlichenfalls auch gegen Dritte. Da es sich bei CIVUD-19 um eine übertragbare Krankheit handele, sei Abschnitt 5 des Gesetzes eröffnet, und es spräche vieles dafür, soweit notwendig auch zum Verlassen des Ortes der Nebenwohnung zur Sicherstellung der ausreichenden Versorgung der Bevölkerung  mit erforderlich werdenden Notfallbehandlungen und zur Eingrenzung der Verbreitung zu zwingen. Eine abschließende Prüfung sei der Kammer „in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit“ nicht möglich. Es sei bekannt, dass derzeit und auf absehbare Zeit nicht genügend Intensivbetten und Pflegepersonal zur Verfügung stünden und die Sicherung der Leistungskapazität davon abhänge, dass sich nicht noch weitere auswärtig ansässige Personen (wobei es sich hier um eine Gemeinde mit vielen Ferienwohnungen handele) im Gebiet des Antragsgegners aufhielten.

Anmerkung dazu: Bedenklich ist, auf die Schwere der möglichen Einwirkung abzustellen, um damit die Wahrscheinlichkeit des Eintritts vernachlässigen zu können, und so einen Eingriff in ein Grundrecht (Freizügigkeit, Art. 11 Abs. 1 GG) zu rechtfertigen. Das Leben gilt als ein besonders schützenswertes Rechtsgut. Doch würde es das Leben evtl. einer Person rechtfertigen können, die Freizügigkeit aller Bewohner Deutschlands einzuschränken ?  Abzustellen wäre auf eine Abwägung der jeweiligen betroffen Rechtsgüter / Grundrechte. Unter dieser Prämisse wäre gegen die Aussage nichts einzuwenden.

Bei dem Interesse der Antragsteller stellte die Kammer darauf ab, dass diesen noch eine Hauptwohnung zur Verfügung stünde. Sollten sich hier Komplikationen ergeben, müssten sich die Antragsteller an die zuständigen Behörden des Hauptwohnsitzes wenden. Individuelle Gründe, die hier einen Verweis auf die Hauptwohnung unzumutbar machen würden, sah die Kammer nicht. Dies sei z.B. dann der Fall, wenn die Rückreise zur Hauptwohnung selbst eine schwerwiegende gesundheitliche Gefahr darstelle oder aber diese Gefahr sich durch die Ankunft und den weiteren Verbleib in der Hauptwohnung ergäbe. Die Lungenerkrankung der Antragstellerin stelle keine außergewöhnliche Härte dar, die hier einen Aufschub vor dem geschilderten öffentlichen Interesse gebieten könne. Zwar sei verständlich, wenn die Antragsteller die lungenkranke Antragstellerin vor jeder Risikoerhöhung schützen wollen, doch würden sie sich in A-Stadt in einer Lage befinden, in der sich viele Familien mit nur einem Haushalt befänden. Auch dort müsste bei entsprechenden Vorerkrankungen dem Risiko mir bekannten Vorsorgemaßnahmen (Abstandhalten, Reinigung der Hände) begegnet werden. In der Wohnung selbst wären die Antragsteller keinem erhöhten Risiko ausgesetzt.

Anmerkung dazu: Die Abwägung der Kammer basiert auf dem zugunsten des öffentlichen Interesses angenommenen Ermessen der Behörde, bei dem die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Infektion zurücktreten entsprechend der Größe und Folgenschwere eines möglicherweise eintretenden Schadens. Es verwundert, dass dieser Grundsatz augenscheinlich nicht bei dem entgegenstehenden Interesse jedenfalls der Antragstellerin berücksichtigt wurde, die Lungenkrank ist und von daher zu einer besonderen Risikogruppe gehört, die gerade zu schützen wäre. Dabei mag es wohl sein, dass die Hauptwohnung ebenso sicher oder unsicher ist wie die Nebenwohnung; aber die Reise von der Nebenwohnung zur Hauptwohnung stellt sich als besonderer Gefahrenmoment dar, der hier von der Kammer nicht berücksichtigt wurde. Es handelt sich diesbezüglich nicht um einen Umstand, der jeden Haushalt betrifft, in dem eine Person wohnt, die zur Risikogruppe gehört.

Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss vom 22.03.2020 - 1 B 17/20 -

Sonntag, 18. November 2018

Kostenentscheidung bei beidseitiger Erledigungserklärung und Eintritt der Erledigung vor Rechtshängigkeit


Der Kläger hatte außergerichtlich bei der beklagten Deckungsschutz für eine Klage gegen einen Unfallversicherer begehrt. Nachdem dies nicht erfolgte, erhob er, nach Versagung mit Schreiben vom 01.10.2014, mit Klageschrift vom 08.12.2016  gegen die Beklagte Feststellungsklage auf Rechtsschutz für die 1. Instanz zu gewähren habe. Mit Schreiben vom 19.12.2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie gewähre den Rechtsschutz. Die Klage wurde der Beklagten am 03.02.2017 zugestellt. Beide Parteien hatten sodann den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Mit Beschluss gem. § 91a Abs. 1 ZPO erlegte das Landgericht der Beklagten die Kosten des Verfahrens auf. Die dagegen von der Beklagten erhobene sofortige Beschwerde wurde zurückgewiesen.

Das OLG verwies darauf, dass bei einer übereinstimmenden Erledigungserklärung die Kostenentscheidung gem. § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO nach billigen Ermessen erfolge. Entscheidend für eine Entscheidung nach § 91a Abs. 1 ZPO sei nur, dass die Parteien übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklären. Es käme nicht darauf an, ob und wann das erledigende Ereignis eingetreten sei; dies sei nur bei der einseitigen Erledigungserklärung (der Klägerseite) zu prüfen.

 Nur um Hinblick auf den Feststellungsantrag im Schriftsatz vom 08.12.2016 sei mit der Zustellung der Klage Rechtshängigkeit eingetreten und insoweit ein Prozessrechtsverhältnis entstanden. Damit sei im Rahmen der nach § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO vorzunehmenden Billigkeitsentscheidung auch nur zu prüfen, ob und inwieweit der geltend gemachte Anspruch bestand, bzw. inwieweit Ermessensausübungen in Bezug auf den Feststellungsantrag zugunsten der einen oder anderen Seite sprächen. Soweit zwischen den Parteien auch andere Fragen streitig gewesen wären, würden diese weder für den Streitgegenstand noch den Streitwert relevant sein. Von daher käme es auch nicht darauf an, ob der Kläger über den Feststellungsantrag hinausgehenden Deckungsschutz verlangen könne. Auch sei eine der Beklagten nicht zugestellte Klageerweiterung (die Zustellung unterblieb mangels Zahlung des Kostenvorschusses) nicht Gegenstand des Prozessrechtsverhältnisses geworden und von daher nicht zu beachten (Anm.: In Ansehung der Entscheidung des OLG Oldenburg vom 13.07.2018 - 3 W 52/18 -, wonach auch die Anhängigkeit bereits streitwerterhöhend wirkt, könnte diese Einschätzung jedenfalls als fraglich angesehen werden).

Auch wenn bei § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO in der Regel die Frage im Vordergrund stünde, wie der Rechtsstreit ohne Erledigung ausgegangen wäre, schließe dies nicht die Berücksichtigung materiell-rechtlicher Gesichtspunkte aus. Wenn feststünde, dass - unabhängig von prozessualen Fragen - eine Kostenerstattungspflicht nach materiellem Recht aus Schadensersatzgesichtspunkten bestünde, erscheine es billig, diese materielle Rechtslage der Kostenentscheidung zugrunde zu legen.  

Diese Schadensersatzpflicht ergäbe sich hier aus § 280 Abs. 1 BGB. Die Beklagte sei zur Gewährung von Rechtsschutz verpflichtet gewesen und hatte auch zuletzt im Prozess keine Einwendungen dagegen erhoben. Damit war das Ablehnungsschreiben vom 01.10.2014 rechtlich fehlerhaft gewesen und stelle sich als eine Verletzung von Vertragspflichten dar. Dies sei ursächlich für die Prozesskosten für die die Klage vom 08.12.2016 gewesen. Damit seien die Prozesskosten Gegenstand eines materiellen Schadensersatzanspruchs, der für die Entscheidung gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO ausschlaggebend sei.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20.12.2017 - 9 W 36/17 -

Mittwoch, 25. Juli 2018

Zur Beachtlichkeit des Vorschlags zur Person des Betreuers durch den Betreuten nach § 1897 Abs. 4 S. 1 BGB


Grundsätzlich ist bei der Auswahl des Betreuers dem Vorschlag des volljährigen Betreuten zu entsprechen, wenn es nicht dessen Wohl zuwiderläuft, § 1897 Abs. 4 S. 1 BGB.

Die Betroffene war 99 Jahre alt und litt an einer Multimobidität sowie leichten kognitiven  Störung. Das Amtsgericht hatte den Beteiligten zu 1. zum Berufsbetreuer für den gesamten Aufgabenbereich Sorge für die Gesundheit, Vermögenssorge, Entgegennahme, öffnen und anhalten der Post sowie Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten bestellt, die Beteiligte zu 2. (Enkelin der Betroffenen) für die Gesundheitsfürsorge. Zunächst hatte es die Beteiligte zu 2. Für alle Aufgabenbereiche bestellt, wegen familiärer Streitigkeiten aber dann beschränkt und den Beteiligten zu 1. bestellt. Dagegen wandten sich die Beteiligten zu 3. (weitere Einkelin) und 4. (Tochter) mit einer Beschwerde. Das Landgericht hat die Beteiligten zu 1. Und 2. Entlassen und als alleinige Betreuerin die Beteiligte zu 4. bestellt. Begründet wurde dies damit, dass dies dem Wunsch der Betroffenen entspräche und nicht einer momentanen Unstimmigkeit oder kurzfristigen Gefühlslage entspräche. Die dagegen von der Beteiligten zu 4. eingelegte Rechtsbeschwerde wurde vom BGH zurückgewiesen.

Für den Vorschlag der Betroffenen sei weder deren Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit Voraussetzung. Sie müsse nur ihren Wunsch kundtun. So sei auch die Motivlage für den Wunsch ohne Bedeutung.

§ 1897 Abs. 4 S. 1 BGB räume dem Tatrichter bei der Auswahl kein Ermessen ein, weshalb der Wunsch nur dann unberücksichtigt bleiben dürfe, wenn die vorgeschlagene Person dem Wohl der Betroffenen zuwiderlaufe. Dafür müsste eine Abwägung aller relevanten Umstände Gründe ergeben von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die vorgeschlagene Person sprechen würden. Es müsste sich also die konkrete Gefahr dartun, dass der Vorgeschlagene die Betreuung nicht zu dessen Wohl führen kann oder will. Dazu sei eine Prognoseentscheidung notwendig, für die sich der Tatrichter auf Erkenntnisse stützen müsse, die in der näher oder weiter zurückliegenden Vergangenheit ihren Ursprung hätten. Diese Erkenntnisse müssten geeignet sein, einen das Wohl der Betroffenen Eignungsmangel auch für die Zukunft und bezogen auf den von der Betreuten umfassten Aufgabenbereich zu begründen.

Vorliegend habe die Betroffene auch gegenüber dem bisherigen Betreuer mehrfach den Wunsch geäußert, dass sich ihre Tochter (Beteiligte zu 4.) um alles kümmern solle, was vom Landgericht richtig als Vorschlag im Sinne des § 1897 Abs. 4 S. 1 BGB gewertet worden sei.  Gründe, die darauf schließen ließen, dass die Bestellung der Beteiligten zu 4. dem Wohl der Betroffenen zuwiderliefen seien nicht ersichtlich und seien auch von der Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3. nicht aufgezeigt worden. Alleine der Umstand, dass die Tochter der Betroffenen und die Enkelinnen zerstritten seien, begründe noch nicht die Gefahr, die Beteiligte zu 4. Würde die Betreuung nicht zum Wohle der Betroffenen ausüben.

BGH, Beschluss vom 09.05.2018 - XII ZB 553/17 -