Sonntag, 28. April 2024

Beendigung der Verjährungshemmung durch Entscheidung des Versicherers

Die beklagte Versicherung erhob gegen den von dem Kläger gegen sie als Pflichtversicherer eines Fahrzeugs nach einem Verkehrsunfall geltend gemachten Schadensersatzanspruch die Einrede der Verjährung. Das Landgericht wies deshalb die Klage zurück; die Berufung hatte auch keine Aussicht auf Erfolg.

Die Ansprüche aus dem Verkehrsunfall sollen nach den Ausführungen des Berufungsgerichts mit Schreiben vom 02.06.2003 geltend gemacht worden sein. Damit sei die Verjährung gegenüber der Beklagten gehemmt gewesen. Die Hemmung habe bis zum Zugang des Schreibens der Beklagten vom 14.10.2009 angedauert. Dieses Schreiben habe eine Entscheidung des Versicherers iSv. § 115 Abs. 2 S. 3 VVG dargestellt. 

§ 115 Abs. 2 S. 3 VVG lautet: „Ist der Anspruch des Dritten bei dem Versicherer angemeldet worden, ist die Verjährung bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, zu dem die Entscheidung des Versicherers dem Anspruchsteller in Textform zugeht.“ 

Hierfür käme nicht nur eine ablehnende, sondern auch eine anspruchsbejahende und damit grundsätzlich für den Geschädigten positive Erklärung des Versicherers in Betracht (BGH, Urteile vom 14.03.2017 - VI ZR 226/16 – und 30.04.1991 - VI ZR 229/90 -). Ziel der Regelung sei, den Geschädigten für den Fall langwieriger Verhandlungen mit dem Versicherer vor den Folgen der Verjährung zu schützen. Diese Schutzfunktion entfalle, sobald sich der Versicherer zum angemeldeten Anspruch eindeutig erklärt habe, da damit für den Geschädigten Klarheit bestünde, welche Schritte es zur Verwirklichung seiner Ansprüche und Verhinderung einer Anspruchsverjährung nach den allgemeinen Regeln der §§ 202 ff BGB bedürfe. 

Die Mitteilung des Versicherers, auf Grund der die Verjährungshemmung ende, müsse allerdings eine klare und umfassende Erklärung darstellen, was nicht bedeute, dass der Versicherer in seiner mitgeteilten Entscheidung sich für jeden in Betracht kommenden Schadensposten betragsmäßig festlegen müsse, wenn sich ergebe, dass er über etwa schon bezifferte Schäden hinaus auch die weiteren nach Lage der Dinge in Betracht kommenden Schadenspositionen regulieren würde. Damit käme es für die Wertung, ob eine Erklärung eine „Entscheidung“ iSv. § 115 Abs. 3 S. 2 VVG sei, von der Würdigung der Umstände des Einzelfalls an. 

Vorliegend hatte die Beklagte mitgeteilt, dass sie ein Schmerzensgeld von € 15.000,00 für ausreichend erachte und darüber hinaus gebeten, dass der Klägers einen materiellen Schaden abschließend beziffere und Belege vorlege, damit ein abschließendes Regulierungsgespräch stattfinden könne. Damit habe das Schreiben den Anforderungen des § 115 Abs. 3 S. 2 VVG genügt. 

Bei dem immateriellen Schaden sei deutlich geworden, dass die Beklagte lediglich einen Betrag von € 15.000,00 als angemessen ansah und weitere Zahlungen nicht in Betracht kämen. Mit der Aufforderung, den materiellen Schaden zu belegen sei auch klargestellt worden, dass künftige Forderungen freiwillig gezahlt würden, sofern sie belegt seien. Der Verweis auf ein zu führendes Regulierungsgespräch ändere vorliegend daran nichts, da dies vor dem Hintergrund zu sehen sei, dass die Beklagte bereits Zahlungen in Höhe von € 26.000,00 erbracht hatte und damit € 9.000,00 mehr, als sie für das Schmerzengeld bereit war zu zahlen. Für die Beklagte sei zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar gewesen, ob durch diesen Betrag der noch zu belegende materielle Anspruch rechnerisch abgegolten war oder nicht (weshalb auch der Kläger zur Darlegung und Belegung aufgefordert worden sei). 

Um festzustellen, ob eine „Entscheidung“ iSv. § 115 Abs. 2 S. 3 VVG vorliege, käme der Entwicklung des Anmeldeverfahrens und insbesondere dem Konkretisierungsgrad der Schadensmeldung besondere Bedeutung zu (BGH, Urteil vom 30.04.1991 - VI ZR 229/90 -). Das (nicht vorgelegte) Anmeldeschreiben vom 02.06.2003 enthalte offensichtlich keine konkrete Geltendmachung von Folgeschäden, weshalb der Erklärung der beklagten vom 14.10.2009 weder aus dem Wortlaut noch dem Sinn nach entnommen werden könne, die Leistungsbereitschaft beschränke sich nur auf bestimmte bezifferte Rechnungsbeträge; die Erklärung habe sich erkennbar auf den Anspruch des Klägers insgesamt erstreckt, und Einwendungen zum Grund seien nicht erhoben worden. 

Für den Kläger habe damit hinreichend Sicherheit und Klarheit zur Einstandsbereitschaft der Beklagten bestanden. Von der eigenen weiteren Vorsorge des Geschädigten, trotz der positiven Entscheidung des Versicherers einer Verjährung für noch nicht bezifferbare Ansprüche (z.B. durch Erhebung einer Feststellungsklage) vorzubeugen, sei dieser durch § 115 Abs. 2 S. 3 VVG nicht freigestellt worden, was hier der Kläger versäumt habe. 

Mithin wird die Verjährung nur für den Zeitraum ab Anmeldung des Anspruchs bei dem Versicherer bis zu dessen (positiver oder negativer) Entscheidung gehemmt. Mit dem Zugang dessen Entscheidung läuft die Verjährungsfrist weiter. Vorliegend, darauf verweist das Berufungsrecht ergänzend, sei der Kläger auch der Aufforderung zur Vorlage von belegen nicht nachgekommen und die Hemmung der Verjährung habe auch durch „Einschlafen lassen“ der Verhandlungen geendet (OLG Frankfurt, Urteil vom 14.04.2004 - 2 U 142/03 -). 

Kammergericht, Beschluss vom 10.07.2023 - 25 U 46/22 -

Mittwoch, 24. April 2024

Verkehrssicherungspflicht für Bäume Bäumen Park

Die Klägerin wurde durch einen abgebrochenen Ast einer Rostkastanie im städtischen Park schwer verletzt.   Das Landgericht wies die Klage ab.  Die eingelegte Berufung wurde vom OLG als unbegründet zurückgewiesen. Dabei ging es in der Sache um die Frage, wie weit die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht für Bäume in einem Stadtpark reichen.

Der für einen Baum Verantwortliche sei verpflichtet, notwendige und zumutbare Vorkehrungen zu treffen, um eine von dem Baum ausgehende Schädigung anderer möglichst zu verhindern (BGH, Urteil vom 02.10.2012 - VI ZR 311/11 -).  Diese Pflicht sei im Wald insoweit eingeschränkt, als eine Sicherung vor waldtypischen gefahren nicht erfolgen müsse (BGH aaO.). Im Übrigen käme es auf die Umstände des Einzelfalls und der Zumutbarkeit an. Maßgeblich seien dabei der Umfang des Verkehrs, der Standort und Veränderungen im Baumumfeld sowie Art, Entwicklungsphase und Alter des Baumes. Je größer die vom Baum ausgehende Gefahr sei, desto höher seien die Anforderungen an den Inhalt der Verkehrssicherungspflicht. An Straßen und Wegen seien danach konkret gefährdende Bäume zu entfernen, insbesondere wenn sie nicht mehr standscher seine oder herabzustürzen drohen würden. Allerdings, so das OLG, würden alle Bäume abstrakt eine Gefahr darstellen; völlig gesunde Bäume könnten bei einem Sturm (auch ohne außergewöhnliche Windstärke) entwurzelt oder geknickt werden oder etwas von ihnen abbrechen, wie auch Schneeauflagen und starker Regen zum Abbrechen selbst starker Äste führen könnten. Aber es sei auch nichts stets eine Erkrankung eines Baumes äußerlich sichtbar. Diese ganzen Umstände würden es nicht gebieten, alle Bäume aus der Nähe von Straßen, Plätzen und Wegen zu entfernen, auch nicht in einem Park. Es sei auch keine besonders gründliche Untersuchung aller Bäume notwendig.

Es könne für die notwendige Sicherung nicht darauf abgestellt werden, was zur Beseitigung jeder Gefahr erforderlich wäre. Der Verkehr könne nicht völlig risikolos gestaltet werden. Es müsse als unvermeidlich hingenommen werden, dass gewisse Gefahren, die nicht durch menschliches Handeln entstünden, sondern auf Gegebenheiten der Natur selbst beruhen würden (Anm.: allgemeines Lebensrisiko). Ausreichend sei daher eine Kontrolle des Verpflichteten, die außer der stets gebotenen regelmäßigen Beobachtung auf trockenes Laub, dürre Äste, Beschädigungen des Baumes oder Frostrisse, eine Untersuchung beinhaltet, wo besondere Umstände sie dem Einsichtigen angezeigt erscheinen ließen. Dazu würden das Alter des Baumes, sein Erhaltungszustand, die Eigenart seiner Stellung oder sein statischer Aufbau oder ähnliches gehören (BGH, Urteil vom 06.03.2014 - III ZR 352/13 -; OLG Frankfurt, Urteil vom 11.05.2023 - 1 U 310/20 -).

Entsprechend müssten die Sicherungspflichtigen die entsprechenden Bäume regelmäßig beobachten und auf Gefahrenzeichen hin kontrollieren, die ggf. eine eingehendere Untersuchung gebieten. Das OLG wies darauf hin, dass zur Kontrolldichte (den Kotrollintervallen) verschiedene Ansichten vertreten würden. So würde von halbjährlichen Kontrollen ausgegangen, der BGH allgemein dies vom Alter, Standort und Zustand abhängig machen, teilweise nach der FLL-Richtlinie ein jährlicher Intervall als ausreichend angesehen, wobei die Richtlinie weiter differenzieren würde und die jährliche Kontrolle nur bei stärker geschädigten Bäumen in der Reife- und Alterungsphase fordere, ansonsten nur alle zwei bis drei Jahre.

Das OLG ließ offen, in welchem Intervall hier eine Baumkontrolle (in einem Park, in dem der Baum an einem Fuß- und Radweg stand) notwendig gewesen wäre. Es läge sogar in Ansehung eines vorgelegten Auszugs aus der „Archikart Baumverwaltung“ nähe, dass der danach leicht geschädigte Baum nicht in den fachlich gebotenen Abständen kontrolliert worden sei. Danach hätte der Baum nach einer Kontrolle im Februar 2017 in spätestens zwei Jahren neuerlich kontrolliert werden müssen, was nicht erfolgt sei. Auch ließ es das OLG dahinstehen, ob die Kontrollen überhaupt hinreichend waren.

Hier wurde im Urteil die unterschiedliche Darlegungs- und Beweislast zwischen dem Baumverantwortlichen und dem (geschädigten) Kläger deutlich. Der Baumverantwortliche muss darlegen und nachweisen, dass er seiner Kontrollverpflichtung nachgekommen ist und dabei keine Baumschädigung feststellen konnte, die letztlich zu dem Schadensfall führte. Kam er der Verpflichtung nicht nach (oder kann er dies nicht nachweisen), ist aber die Schadenersatzklage gegen ihn noch nicht dem Grunde nach begründet. Zutreffend verwies das OLG (unter Bezugnahme u.a. auf das Urteil des BGH von 04.03.2004 – III ZR 225/03 – darauf, dass ein (evtl. infolge der Beweislast anzunehmendes oder auch nachgewiesenes) Unterlassen regelmäßiger Kontrolle für den Schaden kausal geworden sein müsste. Dabei kämen dem Geschädigten keine Beweiserleichterungen zugute; insbesondere würde auch kein Beweis des ersten Anscheins dafür streiten, dass bei einer häufigeren oder intensiveren Kontrolle der Unfall vermieden worden wäre. Es bestünde nach der Lebenserfahrung keine Wahrscheinlichkeit, dass bei einer normalen Sichtkontrolle – ggf. gar mehrere Monate vor dem Schadensfall – Krankheitsymptome oder andere Anzeichen einer besonderen Bruchanfälligkeit vorliegen.

Dass hier die beklagte Partei rechtzeitig hätte eine Schädigung des Baumes feststellen können, und damit die Gefahr ausräumen können, wurde auch von einem eingeholten Sachverständigengutachten nicht bestätigt. Anders als die Klägerin annehme, stünde nicht fest, dass der Ast aufgrund seiner – bei einer Regelkontrolle erkennbaren – besonderen Länge und Windexposition brach. Der Sachverständige habe dies nur vermuten, nicht aber an tatsächlichen Gegebenheiten festmachen können (Anm.: was nach § 286 ZPO nicht ausreichend ist). Der Umstand, dass sich nun nach vier Jahren nach dem Vorfall der Baum als deutlich geschädigt und zu fällen zeige, ließe keine Rückschlüsse auf den Zustand zum Zeitpunkt des Vorfalls zu.

OLG Brandenburg, Urteil vom 08.01.2024 - 2 U 10/23 -

Sonntag, 21. April 2024

Haftungsabwägung bei Überholvorgang trotz unklarer Verkehrslage

Der Versicherungsnehmer der Beklagten beabsichtigte mir seinem Pkw nach rechts in sein Grundstück abzubiegen, weshalb er seine Geschwindigkeit reduzierte, nach rechts blinkte und das Fahrzeug zunächst etwas nach links zur Fahrbahnmitte (die Fahrbahn hatte keine Mittelmarkierung) hin lenkte. Zu gleichen Zeit setzte der Kläger zum Überholen (links) an. Als beide Fahrzeuge etwa auf gleicher Höhe waren, machte der Versicherungsnehmer der Beklagten eine weitere Lenkbewegung nach links (sogen. Linksschwenk) und es kam zur seitlichen Kollision der Fahrzeuge. Das Landgericht nahm eine Haftungsquote der Beklagten zu 60% an und gab dieser, unter teilweisen Abzügen bei der Schadenshöhe, auf dieser Grundlage statt. Auf die Berufung der Beklagten änderte das OLG das Urteil ab, insoweit es eine Haftungsquotelung von 40% zu 60% zu Lasten des Klägers annahm. 

Der Versicherungsnehmer der Beklagten habe gegen § 9 Abs. 5 StVO (Ausschluss der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer beim Abbiegen in ein Grundstück) und § 9 Abs. 1 S. 2 StVO (Pflicht zum Einordnen nach rechts) verstoßen. Es käme dabei nicht darauf an, ob das Beklagtenfahrzeug dabei die (gedachte) Mittellinie überfahren habe, ebenso wenig wie es darauf ankäme, ob der Versicherungsnehmer der Beklagten der doppelten Rückschaupflicht nach § 9 Abs. 1 S. 4 StVO genügte. 

Auf Klägerseite läge ein Verstoß gegen § 5 Abs. 4a StVO (Pflicht zur Ankündigung des Überholens durch Benutzung des Fahrtrichtungsanzeigers) sowie gegen § 1 Abs. 2 StVO (allgemeines Gefährdungsverbot) vor. Hinzu käme, dass der Kläger bei unklarer Verkehrslage überholt habe (Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). In der konkreten Situation sei ei n Überholen unzulässig gewesen. Eine unklare Verkehrslage läge vor, wenn nach den Umständen mit einem ungefährdeten Überholen nicht gerechnet werden könne. Das sei z.B. dann der Fall, wenn das Verhalten des Vorausfahrenden unklar sei. Die Unklarheit könne auch auf einem unaufmerksamen, unsicheren, fehlerhaften oder verkehrswidrigen Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers beruhen. Entscheidend seien die für den Überholenden erkennbaren äußeren Umstände (OLG Saarbrücken, Urteil vom 07.01.2003 - 3 U 258/02 -). 

Nach Angaben des Klägers war diesem das Beklagtenfahrzeug bereits ab der Ortseinfahrt durch seine langsame Fahrweise aufgefallen, ferner soll das Beklagtenfahrzeug ein nicht vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug durchgelassen haben. Deshalb habe er, der Kläger, besondere Vorsicht walten lassen und einen größeren Abstand eingehalten, was belege, dass er die Notwendigkeit besonderer Vorsicht erkannt habe. Im weiteren Verlauf sei das Beklagtenfahrzeug bei gesetzten rechten Fahrtrichtungsanzeiger nach links gesteuert worden, was der Kläger wahrgenommen habe. In Ermangelung einer Mittelmarkierung sei für den Versicherungsnehmer der  Beklagten nicht eindeutig erkennbar gewesen, ob er sich noch innerhalb seiner Fahrspur befand, für den Kläger, ob ihm die gesamte Gegenfahrspur zur Verfügung stünde. 

Damit sei ein Überholen unzulässig gewesen. Der Kläger hätte hier aufgrund von ihm wahrgenommener Unsicherheiten in der Fahrweise des Beklagtenfahrzeugs, dem Verkehrsverstoß beim Einordnen zum Abbiegen sowie den örtlichen Gegebenheiten (relativ schmale Fahrbahn ohne Mittelmarkierung) nicht mit einem gefahrlosen Überholen rechnen dürfen. In Ansehung des fehlerhaften Einordnens nach links war für den Kläger auch nicht ersichtlich, wie sich der Versicherungsnehmer der Beklagten weiter verhalten würde, da die (sich verwirklichte) Gefahr bestanden habe, dass dieser noch weiter nach links ausholen würde. Es würde sich um ein unzulässiges, aber weit verbreitetes Phänomen handeln, vor dem Rechtsabbiegen in Einfahrten nach links auszuholen. Zudem sei auch bei einem Einordnen zur Mitte und Reduzierung der Geschwindigkeit en falsches Blinken nach rechts bei einem beabsichtigten Abbiegen nach links denkbar. 

Im Hinblick auf den Verstoß des Klägers gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO falle es nicht beträchtlich ins Geweicht und könne deshalb offen bleiben, ob im Überholen bei relativ geringem Platz und Abstand zugleich ein weiterer Verstoß des Klägers gegen § 5 Abs. 4 StVO (ausreichender seitenabstand beim Überholen) vorläge. 

Bei der gebotenen Abwägung nach §§ 17 Abs. 1 und 2, 18 Abs. 3 StVG sei darauf abzustellen, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei. Dabei seine eine Gewichtung der jeweiligen Verursachungsbeiträge bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (BGH, Urteil vom 28.02.2012 – VI ZR 10/11 -). Nur unstreitige oder zugestandene und bewiesene Umstände seien zu berücksichtigen, wobei jeder Halter dabei die Umstände beweisen müsse, die dem anderen zum Verschulden gereichen und sich auf den Unfall ausgewirkt haben. 

Hier würden danach die Verstöße der Beklagtenseite gegen § 9 Abs. 1 S. 2, Abs. 1 S. 4 und Abs. 5 StVO zulasten der Beklagten wirken. Zu Lasten des Klägers würden die Verstöße gegen §§ 1 Abs. 2, 5 Abs. 3 Nr. 1 und 5 Abs. 4a StVO wirken. Der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag des Klägers im Rahmen seines unzulässigen und rücksichtslosen Überholmanövers überwiege dabei den Verursachungs- und Verschuldensbeitrag der Beklagtenseite. Zwar treffe die Beklagtenseite der verschärfte Haftungsmaßstab des § 9 Abs. 5 StVO (Ausschluss der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bei abbiegen in ein Grundstück), was in der Regel zu einer beträchtlichen Mithaftung oder auch alleinigen Haftung führe. Das unzulässige und gefährliche Überholen des Klägers unter Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 2 StVO wirke aber noch schwerer, jedenfalls unter Berücksichtigung der begleitenden Umstände. Da davon auszugehen  sei, dass der Versicherungsnehmer rechtzeitig nach rechts blinkte und seine Geschwindigkeit reduzierte, treffe ihn lediglich die Haftung aus dem fehlerhaften Einordnen und dem weiteren Linksschwenk, was sich – so das OLG – als nachvollziehbar und häufig zu beobachtendes Manöver darstelle, um leichter in eine enge Grundstückseinfahrt hineinzufahren. Demgegenüber sei das Verhalten des Klägers über das unzulässige Überholmanöver hinaus gefährlich und rücksichtslos. Es sei aus einem zu geringen Abstand heraus ohne Ankündigung durch Blinken und unter starker Beschleunigung sowie mit einem geringen Seitenabstand erfolgt. Zudem sei es an der Stelle auch vollkommen unverständlich und unnötig gewesen, da das Beklagtenfahrzeug wenige Meter und Sekunden später abgebogen wäre und der Weg für den Kläger frei gewesen wäre. 

OLG Schleswig, Urteil vom 06.02.2024 - 7 U 94/23 -

Dienstag, 16. April 2024

Zulassung einer Rechtsbeschwerde (§ 70 FamFG) nach Anhörungsrüge ?

Im Rahmen eines Streits über eine Betreuervergütung hatte die Beteiligte zu 1. gegen die Festsetzung durch das Amtsgericht Beschwerde eingelegt, die vom Landgericht zurückgewiesen wurde und die Zulassung der Rechtsbeschwerde abgelehnt. Auf die Anhörungsrüge hin hatte das Landgericht zwar dieser in der Sache den Erfolg versagt, allerdings mit der Begründung die Rechtsbeschwerde zugelassen, da es zur Zulassungsentscheidung das rechtliche Gehör der Beteiligten zu 1. verletzt habe, insoweit es die in der Rügeschrift benannten Fundstellen abweichender rechtlicher Beurteilungen zur Sache nicht berücksichtigt habe.  

Der BGH hatte (gleichwohl) die Rechtsbeschwerde mangels wirksamer Zulassung nach § 70 FamFG als nicht statthaft und damit unzulässig verworfen. Danach hat der BGH die Ordnungsgemäßheit der Zulassung der Rechtsbeschwerde, die nach einer Anhörungsrüge erfolge, selbst insoweit zu prüfen, ob diese die Voraussetzungen für die Zulassung begründe.

Zulässig sei eine Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 1 FamFG dann, wenn diese in der Beschlussformel oder den Gründen vom Beschwerdegericht zugelassen würde. Dies war hier nicht der Fall gewesen. Vielmehr erfolgte erst nachträglich, nachdem die Beteiligte zu 1. Anhörungsrüge erhoben hatte. Diese nachträgliche Zulassung würde aber den BGH entgegen § 70 Abs. 2 S. 2 FamFG nicht binden; die nachträgliche Zulassung sie entbehre einer verfahrensrechtlichen Grundlage. Zwar könne das Beschwerdegericht auch nachträglich im Rahmen einer ordnungsgemäßen Anhörungsrüge (§ 44 FamFG) eine Rechtsbeschwerde bindend zulassen, wenn ein Verstoß gegen das zu gewährende rechtliche Gehör eines Beteiligten vorgelegen habe (BGH, Beschluss vom 14.06.2023 - XII ZB 517/22 -). Vom Grundsatz könne das Unterlassen einer Rechtsbeschwerde nicht das rechtliche Gehör verletzen, weshalb die nachträgliche Zulassung, wenn das Beschwerdegericht bei seiner ursprünglichen Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde Vortrag der Verfahrensbeteiligten im Hinblick auf die Zulassungsentscheidung verfahrensfehlerhaft übergangen habe oder infolge der Anhörungsrüge das Verfahren fortgesetzt werde und sich erst dann aus dem sodann gewährtem rechtlichen Gehör ein Grund für die Zulassung ergäbe (BGH, Beschluss vom 14.06.2023 - XII ZB 517/22 -).

Beide Varianten lagen im vorliegenden Fall nicht vor. Es wurde im Rahmen der ursprünglichen Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht kein Vortrag der beteiligten zu 1. übergangen. Erstmals im Rahmen der Anhörungsrüge seien von der Beteiligten zu 1. Fundstelen für abweichende rechtliche Beurteilungen im Hinblick auf die Sachentscheidung benannt worden, die in der Beschwerdeentscheidung nicht einbezogen worden seien. Eine Gehörsverletzung schloss der BGH aus, da es sich nicht um Vortrag im Rahmen des Beschwerdeverfahrens bis zur Beschwerdeentscheidung gehandelt habe, dieser also nicht habe übergangen werden können, sondern erstmals im Rahmen der Anhörungsrüge eingeführt worden sei. Von daher habe nicht gestützt darauf die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgen können. Da zudem das Beschwerdegericht das Verfahren auch mangels eines Gehörsverstoßes nicht fortgesetzt habe (§ 44 Abs. 5 FamFG), habe sich ein Zulassungsgrund für die Rechtsbeschwerde auch nicht im Rahmen einer Fortsetzung des Verfahrens ergeben können. Der BGH wies aber auch darauf hin, dass selbst bei einer Fortsetzung des Verfahrens durch das Beschwerdegericht vorliegend nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde hätte rechtfertigen können, da eine Gehörsverletzung durch die Beteiligte zu 1. nicht dargelegt worden sei und damit das Verfahren nicht hätte fortgeführt werden dürfen mit der Folge, dass eine Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen dieses Verfahrensverstoßes auch unzulässig wäre. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts zur Frage der Fortführung nach einer Anhörungsrüge entfalte keine Bindungswirkung und sei vom BGH selbst zu überprüfen.

BGH, Beschluss vom 18.10.2023 - XII ZB 169/23 -

Sonntag, 14. April 2024

Verletzung rechtlichen Gehörs bei Verzicht auf Einholung eines Sachverständigengutachtens

Vorliegend ging es um Schadensersatzansprüche der klagenden Dienstherrin  aus einem Verkehrsunfall, den diese durch Fortzahlung von Bezügen und Versorgungsleistungen an den Geschädigten (städtischer Feuerwehrbeamter) erlitten haben will. Das OLG hatte im Berufungsverfahren statt der für einen Zeitraum vom 01.04.2011 bis 31.12.2016 geltend gemachten Bezüge nur solche für einen Zeitraum vom 01.04.2011 bis 31.08.2012 zuerkannt. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hatte insoweit Erfolg und führte dazu, dass das Urteil des OLG aufgehoben und das Verfahren an dieses zurückverwiesen wurde.

Das OLG habe seine teilweise Klageabweisung darauf gestützt, dass der Geschädigte gegen seine Obliegenheit zur Schadensminderung (§ 254 Abs. 2 BGB) verstoßen habe (was relevant wäre, da ein Mitverschulden des Beschäftigten im Regress des Arbeitgebers zu Lasten des Arbeitgebers zu berücksichtigen wäre, vgl. z.B. § 6 Abs. 2 EntgFG). Voraussetzung für eine Kürzung der Schadensersatzansprüche des Geschädigten wegen unzureichender Anstrengungen zur Aufnahme einer erneuten Erwerbstätigkeit sei zunächst die Feststellung, dass der Geschädigte nach der Verletzung noch oder wieder arbeitsfähig sei. Diesbezüglich sei der Schädiger darlegungs- und beweisbelastet. Erst im zweiten Schritt, soweit die Frage der Möglichkeit des Einsatzes der festgestellten verbliebenen Arbeitskraft in Rede stünde, treffe den Geschädigten (bzw. bei auf den Arbeitgeber/Dienstherrn übergegangenen Ansprüchen diesen) die sekundäre Darlegungslast. Der Geschädigte habe sei er wieder (teil-) arbeitsfähig in der Regel den Schädiger über die für ihn zumutbaren Arbeitsmöglichkeiten ebenso wie zu seinen Bemühungen, einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden, zu informieren. 

Vorliegend habe das OLG aus einer Bescheinigung des Hausarztes des Geschädigten sowie einem Befundbericht der den Geschädigten behandelnden Psychotherapeutin zwar die dort benannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen als gegeben unterstellt, allerdings nicht die auf diesen Diagnosen beruhende Einschätzung der behandelnden Ärzte zur Arbeitsfähigkeit des Geschädigten. So habe der Hausarzt angegeben, dass für den Geschädigten aufgrund von Hand- und Rückensituation körperlich belastenden Tätigkeiten und administrative Tätigkeiten allenfalls drei Stunden/Tag möglich seien und ebenso Minijobs mit leichter körperlicher Belastung; die Psychotherapeutin sei zu dem Ergebnis gelangt, wegen vorhandener und nicht revisibler psychischer Beeinträchtigungen sei für den Zeitraum 2012 bis 31.12.2016 von einer anhaltenden Erwerbsunfähigkeit auszugehen. 

Das OLG habe sich damit bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit „medizinische Sachkunde angemaßt“, deren Voraussetzungen es den Parteien nicht offengelegt habe; es sei das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) verletzt worden. Bei den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen handele es sich auch nicht - wie vom OLG vertreten – um „bloße Behauptungen“ der Klägerin, sondern um einen qualifizierten Sachvortrag zur Arbeitsfähigkeit des Geschädigten, weshalb das OLG nicht eine Arbeitsfähigkeit nicht hätte bejahen dürfen, ohne sich auf das Gutachten eines hinsichtlich der berührten medizinischen Bereiche fachärztlich qualifizierten Sachverständigen zu stützen. Hier wäre der vom Gericht zu beauftragende medizinische Sachverständige zu befragen gewesen, ob die vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten aus medizinischer Sicht gegen die Annahme einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit des Geschädigten sprechen. Die Angaben des Geschädigten zu diesen Tätigkeiten, Vermietung einer Ferienwohnung zusammen mit seiner Frau bei einem wöchentlichen Zeitaufwand von zwei Stunden, die Öffnung einer vom Geschädigten betriebenen Galerie lediglich an Wochenenden, seien (was die Nichtzulassungsbeschwerde gerügt hatte) vom OLG übergangen worden und wären in dem vorgenannten Zusammenhang zu berücksichtigen. Der Schluss des OLG von der Ausübung einer geringfügigen Tätigkeit für die Caritas auf eine Arbeitsfähigkeit bis zum Umfang einer Vollbeschäftigung sei - unabhängig von der dem OLG fehlenden medizinischen Sachkunde -  auf der Grundlage der vom OLG getroffenen Feststellungen auch nicht nachvollziehbar, wobei auch hier das OLG nicht auf den Einwand der Klägerin eingegangen sei, der Geschädigte sei selbst von dieser Tätigkeit körperlich und psychisch überfordert gewesen. 

Zudem sei auch die Auffassung des OLG unzutreffend, dass im Falle der Feststellung unzureichender Erwerbsbemühungen durch den Geschädigten, sich dessen Anspruch (und damit der Anspruch der Dienstherrin aus übergegangenen Recht) nicht beziffern ließe. Es seien hier die erzielbaren (fiktiven) Einkünfte auf den (unter Beachtung der Darlegungs- und Beweislast des Anspruchsstellers festzustellenden) Verdienstausfallschaden anzurechnen. Entsprechend der Darlegungslast zum Obliegenheitsverstoß sei auch die Höhe der fiktiven Einkünfte bei hinreichenden Erwerbsbemühungen des Geschädigten grundsätzlich vom Schädiger darzulegen (BGH, Urteil vom 24.01.2023 - VI ZR 152/21 -). 

BGH, Beschluss vom 12.03.2023 - VI ZR 283/21 -

Freitag, 12. April 2024

Deliktische Vorteilsausgleichung und Nutzungsvorteil bei Leasing (hier: Diesel-Pkw)

Der Kläger hatte mit der M.-Leasing GmbH einen Leasingvertrag über ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug abgeschlossen (Laufzeit bis 14.05.2021) und machte im Zusammenhang mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend. Mit seiner Klage verlangte u.a.  Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs die Lieferung eines mangelfreien typengleichen Ersatzfahrzeugs, hilfsweise Zahlung von € 11.737,72 nebst Zinsen und Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung weiterer Leasingraten. Die Klage wie auch die gegen das klageabweisende Urteil eingelegte Berufung (Berufungsurteil vom 21.10.2019) wurden zurückgewiesen. Seine Revision gegen das Berufungsurteil wurde vom BGH zurückgewiesen. 

Der Hauptantrag auf Lieferung eines mangelfreien typengleichen Ersatzfahrzeugs gegen Rückgabe und Rückübereignung des schadhaften Fahrzeugs sei zutreffend zurückgewiesen worden, da diese nicht auf Ersatz des allein in Betracht kommenden negativen Interesses, sondern auf das positive Erfüllungsinteresse gerichtet sei (u.a. BGH, Urteile vom 06.07.2021 - VI ZR 40/20 - und vom 01.12.2022 - VII ZR 492/21 -). Anmerkung: Das positive Interesse (Erfüllungsinteresse) setzt das Bestehen einer Verbindlichkeit und eine Nicht- oder Schlechterfüllung voraus. Zwischen dem verklagten Hersteller des Fahrzeugs und dem Kläger besteht aber kein Schuldverhältnis (z.B. infolge Kaufvertrag), vielmehr beruht der Anspruch auf Delikt (§§ 823, 826 BGB). Der Anspruch richtet sich damit auf das negative Interesse (Erhaltungsinteresse; BGH, Urteile vom 18.01.2011 - VI ZR 325/09 - und vom 14.05.2012 - II ZR 130/10 -).

Der hilfsweise geltend gemachte Schadensersatzanspruch würde nicht bestehen, da der Wert der während der Leasingzeit erlangten Nutzungsvorteile der Höhe nach dem vereinbarten Gesamtleasingpreis entspräche und dies sowohl etwaige Ansprüche aus § 826 BGB (Schadensersatz wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung) als auch etwaige Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. den einschlägigen Abgasnormen ausschließe (BGH, Urteile vom 16.09.2021 - VII ZR 192/20 - und 24.10.2023 - VI ZR 131/20 -). Anmerkung: Bereits in seinem Urteil vom 16.09.2021 hatte der BGH eine Bewertung der Nutzungsvorteile auch im Fall des Leasings im Rahmen des Vorteilsausgleichs nach der für den Fahrzeugkauf anerkannten Berechnungsformel (Fahrzeugpreis mal Fahrstrecke geteilt durch Laufleistungserwartung) abgelehnt und für den Fall der deliktischen  Vorteilsausgleichung bei einem Leasingfahrzeug nach dem vereinbarten Gesamtleasingpreis den Verzug gegeben (a.A. war u.a. das OLG Koblenz im Urteil vom 02.11.2020 - 12 U 174/20 -). Den Unterschied zwischen einem geleasten Fahrzeug und einem gekauften Fahrzeug bei der Bewertung begründete der BGH in seinem Urteil vom 16.09.2021 damit, dass der Leasingnehmer eine andere Investitionsentscheidung als der Käufer treffe; es sei nicht unbillig, dass ihn über die Vorteilsanrechnung der überproportionale Wertverlust des Fahrzeugs treffe, während der Käufer von der linearen Berechnung des Nutzungsvorteils profitiere, da der Leasingnehmer grundsätzlich nicht die Möglichkeit erwerbe,  die gesamte Laufleistungswertung (kostengünstig) auszunutzen (die Realisierung des anfänglichen Wertverlustes sei seiner Investitionsentscheidung immanent). 

Der Kläger habe nicht geltend gemacht, dass der objektive Leasingwert, auf den es für die Vorteilsausgleichung ankäme, im Streitfall geringer gewesen wäre, wofür auch nichts ersichtlich sei. 

Der BGH ließ (auch hier) dahinstehen, ob dann eine andere Betrachtung geboten sei, wenn von vornherein feststehen würde (so aufgrund vertraglicher Vereinbarung), dass der Leasingnehmer das Fahrzeug nach Ablauf der Leasingzeit übernehmen würde, da dies weder den Vertragsunterlagen noch dem Parteivortrag zu entnehmen sei. Anmerkung: Der BGH hat, soweit ersichtlich, in den sogen. Dieselfällen noch keine Entscheidung dazu getroffen, wie die Bewertung im Falle einer vertraglich vereinbarten Übernahme des Fahrzeugs am Ende der Leasingzeit oder im Falle einer gewährten Kaufoption vorzunehmen ist (vgl. Urteile vom 16.09.2021 – VII ZR 192/20 -; 21.04.2022 – VII ZR 783/21 -; 21.04.2022 - VII ZR 285/21 -). 

Der weiterhin als Hilfsantrag gestellte Freistellungsanspruch wurde als „ins Leeere gehend“ abgewiesen, da das Leasingverhältnis während des seit 2019 anhängigen Revisionsverfahrens am 14.05.2021 endete. 

BGH, Urteil vom 05.03.2024 - VI ZR 466/19 -

Dienstag, 9. April 2024

Vollstreckungsauftrag für Gerichtskostenanforderung in elektronischer Form

Der Gläubiger (hier der Freistaat Thüringen) vollstreckte gegen die Schuldnerin eine Gerichtskostenforderung gem. § 6 JBeitrG iVm. §§ 802a Abs. 2 S. 1 Nr. 4m 803 ZPO (Pfändung und Verwertung beweglicher körperlicher Sachen der Schuldnerin). Der aus dem elektronischen Behördenpostfach (beBPO) erteilte Auftrag wurde elektronisch signiert und trug den Namen des Bearbeiters, aber weder ein Dienstsiegel noch eine Unterschrift. Es erging durch den Gerichtsvollzieher die Aufforderung, den Vollstreckungsauftrag auf dem Postweg im Original als vollstreckbare Ausfertigung zu übersenden. Die dagegen von dem Gläubiger eingelegte Erinnerung wurde vom Amtsgericht zurückgewiesen. Eine dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Gläubigers zum Landgericht wurde auch zurückgewiesen. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde half der BGH dieser ab und hob die Anforderung des Gerichtsvollziehers auf.

Gerichtskosten würden von den Gerichtskassen nach dem Justizbeitreibungsgesetz vollstreckt, § 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 2 Abs. 1 JBeitrG (bestimmt die Landesregierung keine andere Stelle). Zur Pfändung und Verwertung müsse die Vollstreckungsbehörde gem. § 6 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 2 JBeitrG, § 802a Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO einen schriftlichen Vollstreckungsauftrag an den Vollziehungsbeamten richten. Zwingend hebe dies nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG, § 753 Abs. 5, § 130d Satz 1 ZPO in Form eines elektronischen Dokuments zu erfolgen, welches mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen oder von der verantwortenden Person zu signieren sei und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden müsse.

Diese Form der Übermittlung genüge in Ermangelung weiterer Formerfordernisse und es bedürfe nicht der zusätzlichen Einreichung des Vollstreckungsauftrags in Papierform mit Unterschrift und Dienstsiegel. 

Der BGH habe für einen auf Abnahme der Vermögensauskunft nach § 7 S. 1 Hs. 1 JBeitrG gerichteten Vollstreckungsauftrag diese Vorgehensweise als ausreichend angesehen. Damit habe der Gesetzgeber die formellen Anforderungen abschließend festgelegt (BGH, Beschluss vom 06.04.2023 - I ZB 84/22 -).

Dass vorliegend keine Vermögensauskunft sondern ein Sachpfändungsauftrag erteilt worden sei, rechtfertige keine anderweitige Bewertung. Der Gerichtsvollzieher sei gemäß § 196 S. 1 GVGA zuständig, als Vollziehungsbeamter nach § 6 Abs. 3 S. 2 JBeitrG nach dem JBeitrG für diese nach dem JBeitrG beizutreibenden Ansprüche mitzuwirken.

In Ermangelung abweichender verfahrensrechtlicher Bestimmungen unterläge der Sachpfändungsauftrag keinen strengeren formellen Anforderungen als ein Vollstreckungsauftrag nach § 7 S. 2 Hs. 1 JBeitrG. Um die Pflicht zur elektronischen Erteilung des Vollstreckungsauftrages nach § 6 Abs, 1 Nr, 1 JBeitrG, §§ 753 Abs. 5, 130d ZPO praktisch wirksam werden zu lassen und dem gesetzgeberischen Ziel zu entsprechen, den elektronischen Rechtsverkehr auch auf das Justizbeitreibungsverfahren zu erstrecken und dort eine Verwaltungsvereinfachung zu erzielen, sei eine zusätzliche Einreichung des Vollstreckungsauftrags in Papierform mit Unterschrift und Dienstsiegel nicht erforderlich.

BGH, Beschluss vom 17.01.2024 - VII ZB 2/13 -