§ 130d S. 1 ZPO bestimmt, dass
„vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich enzureichende
Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt … eingereicht werden, …
als elektronisches Dokument zu übermitteln“ sind. Dabei sind bestimmte Formen
zu wahren (so PDF, Signatur). Nur dann, wenn dies „aus technischen Gründen vorübergehend
nicht möglich ist, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften“
(so Post, Telefax) zulässig, § 130d S. 2 ZPO. Entsprechende Regelungen, wie
hier zum Zivilverfahren, gelten auch nach den Prozessordnungen anderer Gerichtsbarkeiten
(z.B. § 55a VwGO).
Der BGH hat mit seinem Beschluss
vom 30.11.2022 - IV ZB 17/22 - (siehe den unten stehenden Beitrag vom 28.04.2023) aufgezeigt, dass bei der Übermittlung von
Schriftsätzen an Gerichte höchste Sorgfalt geboten ist. Versehentlich hatte
dort der Rechtsanwalt die Berufungsbegründung nicht an das zuständige
Oberlandesgericht, sondern an das Landgericht versandt. Die Berufung wurde vom
Oberlandesgericht - zu Recht, wo der BGH - verworfen, da mit dem Zugang beim Landgericht
nicht ein notwendiger fristgerechter Zugang bei dem Oberlandesgericht gewahrt
wurde. Das Verschulden des Rechtsanwalts wird der Partei zugerechnet. In diesem
Fall hat allerdings der Mandant einen Schadensersatzanspruch gegen seinen Rechtsanwalt,
vorausgesetzt, die Berufung wäre erfolgreich gewesen (was im Rahmen einer Klage
auf Schadensersatz dann von dem darüber zur Entscheidung berufenen Gericht zu
klären wäre).
Aber wie steht es um den Anspruch
des Mandanten, wenn aus technischen Gründen eine Übermittlung des Schriftstückes
an das Gericht nicht möglich ist ? Hier bietet zwar § 130d S. 2 ZPO dem
Rechtsanwalt die Möglichkeit, nach den „allgemeinen Vorschriften“ seinen
Schriftsatz an das Gericht zu senden. Dies ist allerdings für den Rechtsanwalt
mit erheblichen Mehraufwand verbunden: Nach § 130d S. 3 ZPO muss der Rechtsanwalt
die vorübergehende Störung glaubhaft machen, selbst dann, wenn sie
gerichtsbekannt ist (so ArbG Lübeck, Urteil vom 01.10.2020 - 1 Ca 572/20 -, Rn.
87). Erfolgt die Glaubhaftmachung nicht, nicht ausreichend oder verspätet, kann
sich daraus auch eine Schadensersatzpflicht des Rechtsanwalts gegenüber seinem
Mandanten ergeben.
Leider sind Störungen im elektronischen
Verkehr mit Gerichten häufig. Nachzulesen sind sie auf der offiziellen Seite des
beA zur „beA Verfügbarkeit“. Dort kann man eine fehlende Verfügbarkeit aber nicht sogleich finden, wenn sie
eintritt, sondern mit (unterschiedlicher) zeitlicher Verzögerung), weshalb der
gewissenhafte Rechtsanwalt zunächst das Problem bei seiner Anwendung versucht
zu finden (verschiedene Versuche, runter- und hochfahren des PC pp.). Interessant
wird dies, wenn man ein Problem bei dem Versand feststellt, seinen
Softwarespezialisten anruft, dieser Prüfungen vornimmt und dann plötzlich
festgestellt wird, dass unter „beA Verfügbarkeit“ plötzlich der Systemausfall
eingestellt wird, allerdings mit einer zeitlichen Verschiebung von 15 Minuten,
und nach Behebung des Mangels der zeitliche Verzug zur eigenen Feststellung
plötzlich mit 20 Minuten deklariert wird (so wie ich es vor einigen Wochen
erleben durfte).
Grundsätzlich wäre, folgt aus
einer nicht möglichen Versendung aufgrund einer vorübergehenden technischen Störung
(sei es am eigenen System oder beim Empfänger) eine Fristversäumung, eine
Wiedereinsetzung möglich. Allerdings erfordert dies, dass die Frist oder
Notfrist ohne Verschulden nicht eingehalten wurde, § 233 ZPO. Ein verschulden
wird man grundsätzlich annehmen können, wenn der Weg des § 130d S. 2 ZPO möglich
wäre.
Allerdings ist dem Rechtsanwalt die
Möglichkeit des § 130d S. 2 ZPO verwehrt, wenn er den gem. § 130d S. 1 BGB das
Schriftstück per beA an das Gerichts- oder Verwaltungspostfach des zuständigen
Gerichts sandte und die nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO übermittelte automatisieret
Bestätigung (Sendeprotokoll) den erfolgreichen Zugang bei dem adressierten (und
zuständigen) Gericht bestätigt. Ergibt mithin die Prüfung des Sendeprotokolls,
dass das Schriftstück ordnungsgemäß eingegangen ist, hat er alles getan, um eine
Frist zu wahren und für den Fall, dass das Schriftstück bei dem Gericht
gleichwohl nicht einging, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
gewähren, wenn er erkennt oder erkennen muss, dass der Bestätigungsvermerk
falsch ist und innerhalb der Frist des § 234 ZPO Wiedereinsetzung beantragt.
Das rechtliche Problem liegt
allerdings darin, dass die Wiedereinsetzung lediglich den Ablauf einer
prozessualen Frist betrifft, nicht (auch) den Ablauf einer materiellen Frist.
Soll mit einer Klage oder sonstigen Antrag (z.B. ein Antrag auf Einleitung des
selbständigen Beweisverfahrens, § 485 ZPO) die Verjährung gehemmt werden (§ 204
BGB), so ist Voraussetzung der rechtzeitige, vor Ablauf liegende Eingang des
entsprechenden Antrages bei Gericht erforderlich (und dessen Zustellung bei der
Gegenseite „demnächst“). Problematisch ist dies in dem Fall, wenn zwar nach dem
Sendeprotokoll der rechtzeitige Eingang bei Gericht bestätigt wird, dieser aber
tatsächlich nicht erfolgte.
beA ist unberechenbar. Man denke
an die großflächige Störung im Zeitraum vom 18.04.2023 (18.00 Uhr) bis zum 21.04.2023
(21.20 Uhr) in Niedersachen, Nordrhein-Westfalen und Teilen von
Baden-Württemberg (zeitmäßig teilweise anders); Sendungen an Gerichte in diesen
Bundesländern waren nicht möglich. Nicht genug damit: Für einige Versender war
dies nicht erkennbar, das sie ein Sendeprotokoll mit einem Vermerk über den
erfolgreichen Eingang erhielten, obwohl ein solcher nicht vorlag. Insoweit
erfolgte unter „beA Verfügbarkeit“ der Eintrag:
„Es
kann nicht sichergestellt werden, dass Daten, die im Zeitraum vom 18.04.2023,
18:00 Uhr bis zur Einstellung des Produktionsbetriebs am 20.04.2023 um 8:30 Uhr
versendet worden sind, beim adressierten Empfänger angekommen sind. Die in
diesem Zeitraum versandten Daten müssten dann erneut eingereicht werden.“
Diese erneute Einreichung mag in
Ansehung von § 233 ZPO unproblematisch sein, da ein Verschulden des Versenders
nicht angenommen werden kann. Anders stellt sich dies aber dar, wenn mit dem Schriftsatz
die Verjährung gehemmt werden sollte. Die Wiedereinsetzung in die abgelaufene
Verjährungsfrist ist im Gesetz nicht geregelt. Das Gesetz nennt lediglich
Umstände, die zwingend zu einer Hemmung führen, wie z.B. die bei Gericht
eingehende Klage oder die Zustellung des Antrages auf Einleitung eines selbständigen
Beweisverfahrens (allerdings rückwirkend auf den Eingang bei Gericht, wenn die
Zustellung „demnächst“ erfolgt, also nicht durch Verschulden des Antragstellers
verzögert wird, § 167 ZPO).
Das hätte zur Konsequent, dass dem
Rechtsanwalt, der auf die Richtigkeit des Sendeprotokolls vertrauen durfte, kein
Sorgfaltsverstoß vorgeworfen werden kann, ihm gegenüber also
Schadensersatzansprüche nicht erfolgreich geltend gemacht werden können. Ein
Amtshaftungsanspruch gegen das jeweilige Bundesland gem. § 839 BGB dürfte aber
auch nicht erfolgreich sein. Es kann zwar geltend gemacht werden, dass die
Gerichte und damit das Bundesland (ebenso wie die Rechtsanwaltschaft) dafür
Sorge tragen müssen, dass sie im beA-Verfahren über ihr EGVP erreichbar sind, doch
können technische Pannen auftreten, die ein Verschulden (welches auch im Rahmen
des § 839 BGB erforderlich) nicht zwingend begründen. Diskutabel wäre
allenfalls, ob die grundlegende Verpflichtung zur Nutzung von beA und
Einreichung mittels eines elektronischen Dokuments über das EGVP des zuständigen
Gerichts angesichts der hohen Instabilität des Systems (wie schon die
Auflistung auf „beA Verfügbarkeit“ ergibt) ein zumindest fahrlässiges Verhalten
darstellt, welches grundsätzlich für den Amtshaftungsanspruch ausreichend ist. Allerdings
sind die Länder nur ausführende Organe; die zwingende Umsetzung (zum
01.01.2022) hat der Bundesgesetzgeber beschlossen.
Danach verbliebe es bei dem
Schaden des Mandanten, der keine Ansprüche gegen eine Dritten geltend machen
kann. Dieses Ergebnis wäre nicht nur unbillig, es würde auch gegen den
Justizgewährleistungsanspruch des Art. 2 Abs. 1 GG sprechen. Dieser ist
tangiert, wenn nicht der Staat sicherstellt, dass innerhalb der gesetzlichen
Frist (hier der Verjährungsfrist) gerichtliche Maßnahmen eingeleitet werden
können. Fällt das dafür vorgesehene elektronische System aus und kann deshalb
(unverschuldet) der Anspruch nicht bei Gericht anhängig gemacht werden, kommt
der Staat seiner sich aus Art. 2 Abs. 2 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG bestehenden
Verpflichtung nicht nach. Zwar hat er den Ausfall des Systems in § 130d S. 2
ZPO berücksichtigt, nicht aber den Fall, dass der Absender entgegen den
tatsächlichen Umständen ein den erfolgreichen Eingang bei dem zuständigen
Gericht bestätigendes Sendeprotokoll erhält und mithin keine Veranlassung hat, einen
alternativen Sendeweg zu wählen. Es wäre § 204 BGB dahingehend zu ergänzen,
dass die Hemmungsfristen auch dann als gewahrt gelten, wenn das Dokument nach
dem Sendeprotokoll gem. § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO bei dem zuständigen Gericht
eingegangen sein soll.
Der Gesetzgeber hat ersichtlich diesen
Fall nicht bedacht. Damit liegt eine Gesetzeslücke vor. In der Gesetzesbegründung
zu § 130a Abs. 5 ZPO zu Satz 2 heißt es (BT-Drs. 17/1234 S. 26) heißt es zum
Sendeprotokoll:
„Hierdurch soll der Absender
unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit
erlangen, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere
Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments
erforderlich sind.“
Hierdurch soll der Absender
unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit
erlangen, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere
Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments
erforderlich sind.
Es könnte hier der Rechtsgedanke
des § 206 BGB zur höheren Gewalt aufgegriffen werden. Nach § 206 BGB wird die Verjährung
gehemmt, wenn innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist höhere
Gewalt die Rechtsverfolgung hindert. Hier wird aber verlangt, dass innerhalb
der letzten sechs Monate vor Eintritt der Verjährung die Rechtsverfolgung
gehindert sein muss. Werden z.B. aus einem Werkmangel Ansprüche kurz vor Ablauf
der Verjährungsfrist geltend gemacht und kommt es nun dazu, dass durch Ausfall
des elektronischen System bei dem zuständigen Gericht kein Eingang des die
Verjährungshemmung bewirkenden Schriftsatzes erfolgt, der Rechtsanwalt
gleichwohl ein den Eingang bestätigendes Sendeprotokoll erhält, könnte in
Ansehung der 6-Monats-Frist des § 206 nicht auf diesen rekrutiert werden. Der
Gläubiger hätte bereits früher den Anspruch geltend machen können; kannte er
seien Anspruch früher noch nicht, erfuhr er erst kurz vor Ablauf davon, musste
er zwar zunächst den Unternehmer zur Nachbesserung auffordern, um mögliche Kosten
des Verfahrens zu ersparen für den Fall, dass der Werkunternehmer die Nachbesserung
vornimmt, doch würde dies die fehlende Hemmungswirkung des § 206 BGB nicht
tangieren. Der Gesetzgeber hatte bewusst davon Abstand genommen, die Hemmung
auf alle Fälle auszudehnen, in denen der Gläubiger ohne Verschulden an der
Rechtsverfolgung gehindert war (BT-Drs. 14/6040 S. 119).
Höhere Gewalt iSv. § 206 BGB wird
angenommen, wenn der Gläubiger an der Verfolgung seiner Rechte selbst unter
Wahrung der äußersten, billigerweise zu erwartenden Sorgfalt und Anstrengung
gehindert worden ist (BAG, Urteil vom 07.11.2002 - 2 AZR 297/01 -; BGH, Urteil
vom 06.07.1994 - XII ZR 136/93 - mwN.). Wenn in dem Fall des fehlerhaften Sendeprotokolls
schlicht die Durchführung der Versendung des Schriftsatzes an das Gericht nicht
möglich gewesen wäre oder als nicht erfolgreich gekennzeichnet worden wäre, hätte
der Rechtsanwalt noch einen alternativen Versandweg gem. § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO
wählen können. Dem Sendeprotokoll zu vertrauen kann nicht gegen die
anzuwendende Sorgfalt und Anstrengung sprechen; es kann nicht erwartet werden,
dass stets von der Rechtsanwaltskanzlei bei den entsprechenden Gerichten
angerufen wird und nachgefragt wird, ob das Schriftstück eingegangen ist, zumal
es dann auch nicht mehr des Sendeprotokolls bedürfte, welches gerade diese Unsicherheit
beseitigen und eine Kontrolle des Rechtsanwalts ermöglichen soll.
Der Umstand, dass hier nicht früher
der Antrag gestellt wird, kann hier auch nicht (entsprechend § 206 BGB) dem
Gläubiger angelastet werden. Er kann - unabhängig davon, ob ihm im Einzelfall
eine frühere Antragstellung mit Wirkung der Verjährungshemmung möglich ist - darauf vertrauen, dass der Justizgewährungsanspruch
jederzeit gegeben ist, und mithin auch ein Schriftstück kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist
ordnungsgemäß bei dem Gericht eingeht, wenn er ein entsprechendes
Sendeprotokoll erhält.
Von daher wäre in diesem Fall
nach dem Rechtsgedanken des § 206 BGB zur höheren Gewalt bei einem Fehler des
Sendeprotokolls die Verjährungsfrist als gewahrt anzusehen.
Andernfalls bliebe nur die Möglichkeit,
soll mittels eines bestimmten Antrages die Verjährung nach § 404 BGB gehemmt
werden, den Antrag nicht nur elektronisch zu übermitteln, sondern zusätzlich auch
als Telefax oder durch Einwurf in den Gerichtsbriefkasten. Stellt sich dann
heraus, dass der elektronisch über beA gesandte Antrag wegen eines Systemfehlers
entgegen dem Sendeprotokoll nicht bei Gericht eingegangen ist, unverzüglich die
Annahme der richtigen Übertragung glaubhaft zu machen und auf den bereits
rechtzeitig dem Gericht auf anderweitigem Weg zugeleiteten Antrag zu verweisen.