Freitag, 27. Oktober 2023

Videoverhandlung und rechtliches Gehör für präsente Partei

Die Prozessordnungen sehen (teils seit vielen Jahren) die Möglichkeit vor, dass eine Teilnahme an mündlichen Verhandlungen vor Gerichten in Form der Videozuschaltung erfolgt. Seit Corona nimmt diese Art der Verfahrensteilnahme zu. Aber auch hier sind rechtstaatliche Grundsätze zu achten, sowohl im Hinblick auf den per Video zugeschalteten Teilnehmer der Verhandlung, wie auch (wie der der hiesigen Besprechung zugrunde liegende Fall zeigt) der im Gericht anwesenden Teilnehmer.

 Die Klägerin, die Akteneinsicht begehrte und diesbezüglich vor dem Finanzgericht (FG) Klage erhob, nahm an dem vom FG anberaumten Verhandlungstermin vor Ort (in der Person ihres Geschäftsführers) im Gerichtssaal teil. Dem Vertreter des Finanzamtes (FA) war auf Antrag gestattet worden, aus dem Dienstgebäude des FA heraus mittels Videokonferenz an der Verhandlung teilzunehmen, § 91a Abs. 1 S. 1 FGO. Die Klage wurde abgewiesen. Mit der dagegen eingelegten Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision machte die Klägerin u.a. als Verfahrensfehler geltend, dass während der Videoverhandlung das Bild des FA nicht vor ihr auf einem Bildschirm erschien, sondern nur hinter ihr an die Wand projiziert worden sei. Daher habe sich der Geschäftsführer umsehen müssen und so abwechselnd zwischen Richterbank und dem FA wechseln müssen. Das sei unzulässig, da so nicht die Möglichkeit bestanden habe, die Mimik und Gestik aller Teilnehmer der mündlichen Verhandlung zu erfassen. Auch habe der Geschäftsführer einem Redebeitrag des FA erst nach Körperdrehung folgen können, wenn dieser bereits begonnen habe. Das FA wandte u.a. ein, der Geschäftsführer habe die benannten Umstände während der Verhandlung nicht gerügt.

Der BFH gab der Beschwerde statt. Er sah hier eine Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG), weshalb er das Urteil des FG aufhob und den Rechtsstreit dorthin zurückverwies.

Rechtliches Gehör werde u.a. durch die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung gewährt; Art. 103 Abs. 1 GG setze voraus, dass sich die Verfahrensbeteiligten bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt über den gesamten Verfahrensstoff informieren können (BVerfG, Beschluss vom 08.06.1993 – 1 BvR 878/90 -).  Das Gericht könne den Beteiligten auf Antrag die Teilnahme in Form der „Videoübertragungstechnik“ erlauben, die „ohne Verlust an rechtsstaatlicher Qualität“ genutzt werden dürfe (BT-Drucks. 17/112, S. 10). Das Geschehen müsse vollständig übermittelt werden (dürfe sich also nicht auf einzelne Beteiligte beschränken) und jeder Beteiligte müsse zeitgleich die anderen Beteiligten visuell und akustisch wahrnehmen können.

Zur Verletzung des rechtlichen Gehörs bei Videoübertragungen stellte der BFH fest: Jeder Beteiligte müsse zeitgleich die Richterbank du die anderen Beteiligten visuell und akustisch wahrnehmen können. Daran ermangele es, wenn ein anwesender Beteiligter einen zugeschalteten Beteiligten nur sehen könne, wenn er sich selbst um 180° wenden würde. Dem Geschäftsführer sei es ohne sich entsprechend zu wenden nicht möglich gewesen, den Vertreter des FA bzw. die Richterbank zu sehen; ein zeitgleiches Sehen sei ausgeschlossen gewesen. Damit könnten ihm Einzelheiten, wie Mimik und Gestik, entgehen und - anders als im Rahmen einer Verhandlung in Anwesenheit aller Beteiligter – mögliche nonverbale Kommunikationen zwischen einem Beteiligten und der Richterbank entgehen. Selbst wenn im Regelfall die Beteiligten (Kläger / Beklagte) bei Präsenzverhandlungen nebeneinander sitzen würden, würden sie doch aus den Augenwinkeln eine entsprechende nonverbale Kommunikation mitbekommen können. Auch bestünde durch das widerholte Hin- und herschauen die Gefahr, dass der Geschäftsführer abgelenkt würde und deshalb seine Konzentration auf den Prozessstoff beeinträchtigt würde.

Auch wenn das Finanzgericht in Abwesenheit eines Beteiligten verhandeln und entscheiden könne (§ 91 Abs. 2 FGO), würde der per Videoverhandlung Beteiligte nicht abwesend sein und müsse daher der andere Beteiligte in der Lage sein, dessen verbalen und nonverbalen Äußerungen umfassend wahrzunehmen.

Die Klägerin sei mit ihrer Rüge auch nicht ausgeschlossen. Zwar würde grundsätzlich das Rügerecht gem. § 295 Abs. 1 ZPO iVm. § 155 S. 1 FGO verlorengehen, wenn ein verzichtbares Verfahrensrecht betroffen sei, wobei für den Verlust ausreichend sei, wenn eine rechtzeitige Rüge unterlassen würde. Allerdings würde dies nur in den Fällen angenommen, in denen der Kläger rechtskundig vertreten würde (BFH, Beschluss vom 29.10.2004 – XI B 213/02 -). Im finanzgerichtlichen Verfahren sei die Klägerin nicht rechtskundig vertreten gewesen. Zudem sei bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre ein Verfahrensmangel im Hinblick auf den Rahmen der Videoverhandlung nicht ohne weiteres erkennbar.

BFH, Beschluss vom 18.08.2023 - IX B 104/22 -

Dienstag, 24. Oktober 2023

Videoaufzeichnung in WEG-Anlage und individueller Abwehranspruch

Die Klägerin als Wohnungseigentümerin begehrte den beklagten Wohnungseigentümern die Unterlassung der Aufstellung von Kameras, mit denen der Hausflur vor ihrer Wohnung aufgenommen werde. Die Parteien verglichen sich und erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Das Amtsgericht erlegte der Klägerin die Kosten auf. Die dagegen von der Klägerin eingelegte sofortige Beschwerde hatte teilweise Erfolg und führte zur Kostenaufhebung der gegenseitigen Kosten.

Das Landgericht stellte unter Verweis auf den Beschluss vom 28.10.2008 - VIII ZB 28/08 - darauf ab, dass im Rahmen der hier nach § 91a ZPO zu treffenden Kostenentscheidung nicht in einer rechtlich schwierigen Sache nur wegen dieser Kostenfolge keine bedeutsamen Rechtsfragen entschieden werden müssten. Vorliegend sei die Sach- und Rechtlage keinesfalls als geklärt anzusehen, weshalb eine Kostenaufhebung sachgerecht sei.

Das Amtsgericht hatte die Klage als unzulässig angesehen. Dem wollte das Landgericht nicht ohne weiteres folgen und verwies darauf, dass zwar nach dem reformierten Wohnungseigentumsgesetz (zum 01.12.2020) Wohnungseigentümer Abwehransprüche nach § 1004 BGB bezüglich des gemeinschaftlichen Eigentums nicht mehr selbst geltend machen könnten und der Abwehranspruch aus § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG bei der Gemeinschaft liege (BGH, Urteil vom 28.01.2022 - V ZR 106/21 -).

Nach Auffassung des Landgerichts sei es der Klägerin hier aber nicht um derartige Ansprüche gegangen. Sie wolle vielmehr die Unterlassung von Videoaufzeichnungen vom Eingangsbereich ihrer Wohnung bzw. Beseitigung eines entsprechenden Überwachungsdrucks. Im Kern verlange sie das Unterlassen von Aufnahmen von ihr beim Betreten/Verlassen der Wohnung. Solche Ansprüche würden sich aus § 823 BGB iVm. dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht oder aus der DSGV ergeben und es würde sich nicht um Ansprüche handeln, die nach § 9a Abs. 2 WEG der Wohnungseigentümergemeinschaft zur Ausübung übertragen worden seien. Die Ansprüche würden sich nicht aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergeben und hätten ihre Rechtsgrundlage auch nicht in dem Verhältnis der Wohnungseigentümergemeinschaft. Es handele sich um Individualansprüche der jeweils Beeinträchtigten (hier der Klägerin); deren Eigenschaft (auch) als Wohnungseigentümer führe nicht dazu, dass die GdWE an deren Stelle den Anspruch geltend machen müsse. Es handele sich auch nicht um eine mittelbare Folge einer primären Störung des Gemeinschaftseigentums (BGH, Urteil vom 28.01.2022 - V ZR 106/21 -). Der auf Abwehr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts gerichtete Anspruch sie ein individueller Anspruch. Betroffen sei nicht die WE-Anlage insgesamt oder das Sonder- oder Gemeinschaftseigentum.

Offen sei u.a., ob der Unterlassungsanspruch im geltend gemachten Umfang der Klägerin zugestanden habe, zudem hätten die Beklagten die Aufstellung funktionierender Kameras bestritten. Der Rechtsstreit sei daher offen gewesen. 

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 10.05.2023 - 2-13 T 33/23 -

Samstag, 21. Oktober 2023

Zur Frage des zulässigen Beweismittels: Kamera filmt Beschädigung am abgestellten Kfz

Mit seinem Urteil vom 15.08.2018 - VI ZR 233/17 - hatte der BGH entschieden, dass die permanente und anlasslose Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens mit datenschutzrechtlichen Regelungen nicht vereinbar sei. Die Nutzung von Dashcam-Aufzeichnungen, die ein Unfallbeteiligter vom Unfallgesehen gefertigt habe, sei in einem Unfallhaftpflichtprozess gleichwohl verwertbar. Daran anknüpfend entschied das AG Lörrach einen Fall, bei dem mittels einer aufgestellten Wildkamera festgestellt werden sollte, wer ein Fahrzeug durch Beibringung von Kratzern schädigt.

Der Beklagte ist Eigentümer, der Kläger und der Drittwiderbeklagte sind Mieter einer Immobilie, in der neben den benannten auch die Eltern des Klägers und des Beklagten wohnen. Am Fahrzeug des auf dem Grundstück abgestellten Fahrzeugs des Klägers (dessen Eigentum vom Beklagten bestritten wurde) kam es im Zeitraum Oktober und November 2020 zu immer neuen Kratzern an dem Fahrzeug, weshalb der Drittwiderbeklagte am 26.11.2020 (im Einvernehmen mit dem Kläger), nachdem zuletzt neue Kratzer am 20.11.2020 festgestellt wurden, eine Wildkamera aufstellte, die das Fahrzeug und den Hauseingang filmte. Diese nahm nur auf, wenn der Bewegungssensor derselben Bewegungen feststellte. Am 30.11.2020 ist der Beklagte sichtbar, wie er sich - mit einem Schlüssel – am Heck des Fahrzeugs befindet. Den Schaden durch Kratzer verlangte der Kläger vom Beklagten; die Kratzer habe der Beklagte mit einem spitzen Gegenstand, wie einem Schlüssel, hineingeritzt.  Der Beklagte bestritt dies; er habe sich das Fahrzeug nur auf Wunsch seiner Mutter angesehen; zudem sei das Video der Wildkamera unverwertbar. Drittwiderklagend beantragte er festzustellen, dass der Drittwiderbeklagte keine Schadensersatzansprüche gegen ihn im Zusammenhang mit der Schädigung habe. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht (AG) wurde das sich in der beigezogenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte befindliche Video angesehen.

Das AG stellte zunächst fest, dass der Kläger Eigentümer des Fahrzeugs sei (was bestritten war). Mangels Eigentums hätte ansonsten seine Klage abgewiesen werden müssen. Das AG kam aufgrund der Videoaufzeichnung zu dem Ergebnis, dass der Schaden vom Beklagten verursacht wurde. Damit stellte sich die Frage der Verwertbarkeit der Aufzeichnung.

Dahingestellt ließ das AG, ob die Aufnahmen rechtmäßig waren. Es spräche allerdings vieles dafür, dass sie nach Art. 6 Datenschutzverordnung (DSGVO) unrechtmäßig erfolgten, wobei insbesondere zu berücksichtigen sei, dass die Aufnahmen auf dem Grundstück des Beklagten erfolgten und dieser mithin ohne Kenntnis in seinem privaten Bereich gefilmt wurde. Allerdings würden auch rechtswidrig erlangte Aufnahme nicht zwingend zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Das Interesse des Klägers an der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche, verankert im Grundgesetz mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 GG iVm. dem Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspflege und einer materiell richtigen Entscheidung auf der einen Seite, sei mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beklagten aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art, 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informelle Selbstbestimmung und ggf. als Recht am eigenen Bild, soweit er auf einer Aufnahme erkennbar sei, abzuwägen (BGH, Urteil vom 15.05.2018 – VI ZR 233/17 -). Nach Maßgabe einer abgestuften Schutzwürdigkeit, in denen sich die Persönlichkeit verwirkliche, würden die sogen. sensitiven Daten (zugeordnet der Intim- und Geheimsphäre) besonderen Schutz genießen. Geschützt sei aber auch das Recht auf Selbstbestimmung bei der Offenbarung persönlicher Lebenssachverhalte, die lediglich zur Sozial- und Privatsphäre gehören würden.

Da die Kamera auf dem eigenen Grundstück des Beklagten aufgestellt gewesen sei und auch der Eingangsbereich des Hauses (und damit das Rein- und Rausgehen des Beklagten) zu sehen sei, sei ein sensibler Bereich betroffen. Man könne davon ausgehen, dass das eigene Grundstück ein geschützter Bereich sei, auf dem auch keine ungenehmigten Videoaufzeichnungen gefertigt werden dürfen. Zu berücksichtigen sei aber dass nur ein kleiner Bereich gefilmt worden sei und im Vordergrund das Fahrzeug zu sehen sei. Auch würde nur ein Teil gefilmt, bei dem man idR. nur kurz durchlaufen würde und keine besondere die Persönlichkeit entfaltende Tätigkeit vornehme. Damit sei die Privatsphäre des Beklagten hier nur in einem untergeordneten Maße betroffen gewesen.

Auf der anderen Seite sei der Kläger in schwerer Beweisnot gewesen. Er hatte in einem kurzen Zeitraum mehrere Beschädigungen an seinem Fahrzeug entdeckt und habe mit weiteren zu rechnen gehabt. Für ihn sei auch nicht auszuschließen gewesen, dass der Beklagte der Täter war (was hier vom AG nicht weiter ausgeführt wurde). Es sei bei dem Kläger das Rechtsgut Eigentum durch Sachbeschädigung betroffen, was als gewichtig anzusehen sei. Er und der Drittwiderbeklagte seien eingriffsschonend vorgegangen; so sei nur eine Wildkamera mit Bewegungssensor aufgestellt worden. Diese sie am 26.11. aufgestellt worden und am 30.11.2022 hätten sich der Kläger und der Drittwiderbeklagte mit dieser Aufnahme begnügt. Es sei ihnen also nur um die Beweissicherung der erfolgten Beschädigung gegangen.

Einer Verwertung der Aufzeichnung stünde nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beklagten entgegen. Die Privatsphäre des Beklagten sei nicht stark betroffen. Demgegenüber sei die Beweisnot des Klägers als hoch anzusehen. Der Umstand, dass auch Dritte von den Aufnahmen betroffen sein könnten, ändere an der Abwägung nichts. Ihrem Schutz sei durch die Regelungen des Datenschutzes selbst auch Rechnung getragen (BGH aaO.). Für den Kläger spreche dessen Interesse an der materiellen Wahrheit im Zivilprozess. Das Recht am eigenen Bild des Beklagten ändere auch nichts an der Abwägung, da ein Verbreiten nach § 22 KunstUrhG nicht beabsichtigt gewesen sei und auch nicht stattgefunden habe.

Der Beklagte könne sich auch nicht auf das einen ähnlichen Sachverhalt betreffende Urteil des OLG Karlsruhe vom 08.11.2001 – 12 U 180/21 – berufen, da diese vor dem Urteil des BGH zur Dashcam (aaO.). berufen- Das OLG habe auf das Interesse unbeteiligter Dritter abgestellt, was aber nach der BGH-Entscheidung nicht mehr stark zu gewichten sei. Bei dem beklagtenseits benannten Urteil des OLG Köln vom 05.07.2005 – 24 U 12/05 – sei es um Aufzeichnungen in einer Waschküche, und damit einem sensiblen Bereich gegangen, wie er hier nicht vorgelegen habe. Ebenso wenig greife das Urteil des LG Mühlhausen vom 12.05.2020 – 6 O 486/18 – zugunsten des Beklagten, da es sich dort um anlasslose Aufnahmen gehandelt habe, demgegenüber hier die kurzzeitigen Aufnahmen unter schwerer Beweisnot des Klägers bei zu befürchtenden weiteren Schädigungen erfolgt seien.

Der Klage wurde stattgegeben, der Drittwiderklage wurde stattgegeben (darauf wurde oben nicht näher eingegangen).

AG Lörrach, Urteil vom 27.02.2023 - 3 C 111/22 -

Montag, 16. Oktober 2023

Wohnraummodernisierung und Anforderung an Mieterhöhungserklärung

Der Mieter (Kläger) mietete von der Beklagten eine preisfreie Wohnung, Die Beklagte kündigte eine Modernisierung von Wohnung und Gebäude an. U.a. wurde ausgeführt, dass Mittel der KfW zur Durchführung der Maßnahmen beantragt seien. Nach Abschluss der Arbeiten erklärte die Beklagte dem Kläger die Erhöhung der Grundmiete aufgrund der Modernisierungsmaßnahmen von € 291,59 um € 83,79 auf € 375,38. Dem Schreiben war eine Anlage als Kostenzusammenstellung beigefügt. Der Kläger hielt die Mieterhöhung aus formellen Gründen für unwirksam, zahlte unter Vorbehalt und forderte dann (gerichtlich) die Zahlungen zurück. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen, ebenso die vom Berufungsgericht zugelassene und eingelegte Revision.

Möglich sei es zwar, für die verschiedenen Modernisierungsmaßnahmen die jeweils entstandenen Gesamtkosten im Rahmen der Kostenzusammenstellung und Berechnung der Mieterhöhung nicht nach den einzelnen Gewerken aufgeschlüsselt oder anderweitig zu untergliedern. Das gelte für reine Modernisierungen als auch modernisierenden Instandsetzungen bei Anrechnung des Instandsetzungsanteils des Vermieters, § 559 Abs. 2 BGB. In diesem Fall der modernisierenden Instandsetzung reiche die Angabe der Gesamtkosten, ergänzt um die Angabe der Quote oder des bezifferten Betrages für den darin enthaltenen Instandsetzungsanteil.

Allerdings ermangele es dem Erhöhungsverlangen an einer ausreichenden Erläuterung der Mieterhöhung im Hinblick auf die in § 559b Abs. 1 S. 2 BGB genannte Vorschrift des § 559a BGB zur Anrechnung von Drittmitteln, weshalb die Mieterhöhungserklärung der Beklagten formell unwirksam sei. Nach § 559a BGB habe der Gesetzgeber für auf Modernisierungsmaßnahmen beruhende Mieterhöhungen eine Anrechnung bestimmter Mittel (Zuschüsse sowie zinsverbilligte oder zinslose Darlehen aus öffentlichen Haushalten, Aufwendungsbeihilfen, sonstige Drittmittel; dazu auch § 558 Abs. 5 BGB)  vorgesehen, die die Maßnahmekosten ganz oder teilweise decken würden. Vom oder für den Mieter von einem Dritten übernommene oder mit Zuschüssen aus öffentlichen Haushalten gedeckte Kosten würden nach § 559a Abs. 1 BGB nicht zu den aufgewendeten Kosten des Vermieters iSv. § 559 BGB gehören und deshalb nicht bei der Erhöhung der Miete nach § 559 Abs. 1 BGB angesetzt und auf den Mieter umgelegt werden. Im Falle zinsverbilligter oder zinsloser Darlehen oder Mietvorauszahlungen des Mieters oder Leistungen Dritter für den Mieter sowie aus Mitteln der Finanzierungsinstitute von Bund und Ländern verringere sich der Erhöhungsbetrag gem. § 559a Abs. 2 und 33 BGB um den Jahresbetrag der Zinsermäßigung des Zuschusses oder Darlehens. Dies erfolge, damit dies auch dem Mieter zugute komme (BGH, Urteil vom 01.04.2009 – VIII ZR 179/08 -).

Da damit die Pflicht zur Anrechnung dieser Drittmittel Bedeutung für den Umfang der geforderten Mieterhöhung habe, erstrecke sich im Hinblick auf die dem Mieter zu verschaffende Möglichkeit zur angemessenen Information und Nachprüfung die Pflicht des Vermieters zur Begründung auch auf die Voraussetzungen zur Anrechnung von Drittmitteln nach § 559a BGB.

Dem entspreche die Mieterhöhungserklärung nicht. Im Text und den beigefügten Unterlagen finde sich unmittelbar keine Angabe zu anzurechnenden Drittmitteln iSv. § 559a BGB. Möglich wäre zwar aus Sicht des objektiven Erklärungsempfängers dies als stillschweigende Erklärung der Beklagten zu verstehen, dass solche Mittel nicht in Anspruch genommen wurden. Dem würde entgegenstehen, dass in der Erhöhungserklärung „vollumfänglich“ auf die Ausführungen im Ankündigungsschreiben Bezug genommen wurde und dort auf die beabsichtigte Beantragung von Mitteln der KfW für die Durchführung verwiesen worden sei. Dieser Hinweis sei infolge der Bezugnahme bei der Auslegung zu berücksichtigen. Damit sei für den Empfänger unklar, welche Erklärung die Beklagte zur Inanspruchnahme von Drittmitteln letztlich habe abgeben wollen: Es erfolgte tatsächlich keine Inanspruchnahme, oder Drittmittel seien beantragt worden aber nicht bewilligt worden, oder gewähret Drittmittel seien nicht auf die Modernisierungsmaßnahmen anzurechnen oder bereits vorweg abgezogen und nicht gesondert ausgewiesen worden. Denkbar sei auch, dass die Beklagte eine Erklärung zu den Drittmitteln schlichtweg vergessen habe.

Damit sei die Mieterhöhungserklärung für die Beklagte nicht geeignet, dem Kläger diejenigen Informationen zu geben, die dieser benötige, um den Grund und den Umfang der Mieterhöhung auf Plausibilität überprüfen zu können und zu entscheiden, ob Bedarf für eine eingehende Kontrolle (z.B. Belegprüfung durch Einsichtnahme in Rechnungen / sonstige Belege, Zuziehung juristisch oder bautechnisch sachkundiger Personen) besteht (BGH, Urteil vom 20.07.2022 – VIII ZR 361/21 -).

BGH, Urteil vom 19.07.2023 - VIII ZR 416/21 -

Donnerstag, 12. Oktober 2023

Erstattungsfähigkeit der zusätzlichen Kosten durch Anwaltswechsel ?

Immer wieder kommt es im Laufe eines Verfahrens (in einer Instanz) zu einen Anwaltswechsel, sei es, dass der Rechtsanwalt verstirbt, wegen Alters oder aus anderen Gründen seine Zulassung zurückgibt (oder zurückgeben muss), oder wegen Unzufriedenheit des Mandanten mit dem bisherigen Prozessbevollmächtigten. In diesen Fällen stellt sich im Falle des (auch teilweisen) Obsiegens dieser Partei die Frage, ob die dadurch verursachten Kosten (zusätzlich) gegen den Gegner im Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzt werden können. 

Im Kostenfestsetzungsbeschluss wurden nur die Kosten des zunächst die Beklagte vertretenen Rechtsanwalts berücksichtigt, nicht die Kosten des später mandatieren (neuen) Rechtsanwalts (der nach der neuen – höheren – Gebührenordnung abrechnete). Die dagegen von der Beklagten eingelegte sofortige Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen.

Das OLG verwies zunächst auf ein die gesamte Privatrechtsordnung und das Prozessrecht beherrschende Prinzip von Treu und Glauben, welches das in § 91 ZPO verankerte Gebot einer sparsamen bzw. ökonomischen Prozessführung präge. § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO sei Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes kostensparender Prozessführung. Damit können Kosten, die durch einen Anwaltswechsel bedingt würden, nur erstattungsfähig sein, wenn sie notwendig gewesen wären, also nicht auf ein Verschulden der Partei oder ein ihr zuzurechnendes Verschulden ihres Rechtsanwalts beruhen würden (BGH, Beschluss vom 22.08.2012 – XII ZB 183/11 -). Alleine eine objektive Notwendigkeit sei aber nicht ausreichend; hinzukommen müsste zudem deren Unvermeidbarkeit, die dann nicht gegeben sei, wenn die den Anwaltswechsel bedingenden Umstände für die Partei oder deren Rechtsanwalt vorhersehbar gewesen wären oder (willentlich) herbeigeführt worden seien.

Die Beklagte habe vorliegend die Notwendigkeit des Anwaltswechsels nicht ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht.

Vorliegend hatte die Beklagte allerdings nur die Kosten des zweitbeauftragten Rechtsanwalts zur Festsetzung angemeldet, an deren Stelle die Rechtspflegerin nur die Kosten des Erstanwalts berücksichtigte. Das würde nach Auffassung des OLG an den oben benannten Grundsätzen nichts ändern. Aus § 92 Abs. 2 S. 1 ZPO folge nicht, dass diese den Erstattungsanspruch der obsiegenden Partei reduzierende Vorschrift nur zur Anwendung käme, wenn die Kosten von zwei Rechtsanwälten zur Festsetzung angemeldet würden. Es würde ganz allgemein geregelt, welche Rechtsanwaltskosten von dem unterliegenden Gegner zu erstatten seien. Nach den Gründen in der Gesetzgebung habe der Gesetzgeber das Prinzip zum Ausdruck bringen wollen, dass die Erstattungspflicht objektiv auf die Erstattung derjenigen Kosten beschränkt würde, soweit diese nach dem freien Ermessen des Gerichts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig gewesen wären („Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 30. Januar 1877“, S. 197 zu § 85 CPO). Das Ermessen des Gerichts käme nach den Materialien auch in Bezug auf die Anwaltskosten zum Tragen, wenn die Partei „ohne Nothwendigkeit des Wechsels successive sich mehrerer Anwälte bedient“ habe (aaO. S. 198).

Damit sei bei der Kostenfestsetzung stets zu prüfen, ob möglicherweise nicht notwendige Mehrkosten zur Kostenfestsetzung angemeldet würden. Die Frage würde sich unabhängig davon stellen, ob die Kosten für zwei Rechtsanwälte oder für einen von zwei Rechtsanwälten angemeldet würden. Solche Mehrkoten könnten (wie hier) dadurch entstehen, dass die Mandatierung des zweiten Rechtsanwalts nach Änderung der Gebührenordnung (und Erhöhung der Gebühren, die bei dem ersten Rechtsanwalt insoweit nicht angefallen wären) erfolge.

Selbst wenn man annehmen wolle, dass § 92 Abs. 2 S. 2 ZPO tatbestandlich nicht einschlägig sei, wenn nicht Kosten mehrerer Rechtsanwälte im Rahmen der Kostenfestsetzung erstattet verlangt würden, würde dies keine andere Entscheidung rechtfertigen (entgegen OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.07.2011 – OVG 1 K 118.08 -), da der Grundsatz kostensparender Prozessführung auch neben § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO selbständige Bedeutung habe. Es wäre also auch in diesem Fall zu fragen, ob das Verfahren kostensparender durch einen Rechtsanwalt hätte betrieben werden können.

OLG Celle, Beschluss vom 19.06.2023 - 2 W 75/23 -

Dienstag, 10. Oktober 2023

Verkehrssicherungspflicht des Handwerkers gegenüber Mieter

Der Antragsgegner führte im Auftrag des Vermieters der Antragstellerin Renovierungsarbeiten in deren Wohnung durch. Bei den Arbeiten wurde der Boden der Küche bis auf die Rigipsdecke der unteren Wohnung geöffnet, ohne dass in der Wohnung eine Absperrung oder Absicherung erfolgte. Die Antragstellerin betrat die Wohnung währen dieser Zeit, obwohl die im Einvernehmen mit dem Vermieter die Wohnung zur Durchführung der Arbeiten verlassen hatte und nicht betreten sollte, und zog sich infolge der Bodenöffnung Verletzungen zu. Ihr Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wurde mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgewiesen; die gegen den Ablehnungsbeschluss eingelegte Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen.

Grundlage könnte nur ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB aufgrund einer Verkehrssicherungspflichtverletzung sein, da zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner kein Vertragsverhältnis bestünde du aus dem Werkvertrag zwischen dem Vermieter und dem Antragsgegner sich auch unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages zugunsten Dritter keine vertraglichen Ansprüche im Rahmen einer hier vorliegenden Körperverletzung ergeben würden, da es an der erforderlichen Leistungsnähe deshalb ermangeln würde, das die Antragstellerin nicht anwesend sein und die Wohnung nicht betreten sollte, weshalb sie auch mit dem Handwerker nicht hätte in Berührung kommen können / sollen.

Der Antragsgegner habe nicht damit rechnen müssen, dass die Antragstellerin am Unfalltag die Wohnung doch betreten würde und sich in die Küche begeben würde und dabei auf der Gefahrenquelle nicht Rechnung trug.  Die Bauarbeiten seien offensichtlich gewesen und die Handwerker hätten mit Ortsunkundigen nicht rechnen müssen.

Ein anspruchsausschließendes Mitverschulden (§ 254 BGB) der Antragstellerin, auf welches das Vorgericht die Versagung der Prozesskostenhilfe stützte, vermochte das OLG allerdings nicht zu erkennen. Alleine der Umstand, dass der Geschädigte bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt eine pflichtwidrig bestehende Gefahrenquelle hätte erkennen und umgehen können, ließe sich dies nicht folgern. Es würde dabei der Umstand vernachlässigt, dass der Verkehrssicherungspflichtige die Ursache gesetzt habe. Der Schutzzweck der Verkehrssicherungspflicht soll auch Verkehrsteilnehmer vor Schäden bewahren, die nicht stets ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Vorsicht walten ließen. Die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen würde bei einem Mitverschulden des Geschädigten nur entfallen können, wenn das Handeln des Geschädigten von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet sei (BGH, Urteil vom 20.06.2014 – III ZR 326/12 -). Dafür sah das Oberlandesgericht hier keine Anhaltspunkte, worauf es allerdings nicht ankam, da ohnehin die rechtlichen Voraussetzungen für eine Verkehrssicherungspflichtverletzung fehlen würden.  

OLG Hamm, Beschluss vom 25.04.2022 - 11 W 15/22 -

Freitag, 6. Oktober 2023

Beschwer durch Einkünftequalifikation in Einkommensteuerbescheid ?

Der BFH musste sich im Rahmen der Beschwerde der Kläger gegen ein Urteil eines Finanzgerichts klären, ob eine Beschwer der Kläger vorlag, was er verneinte. Das Finanzamt hatte Einkommensteuer-Änderungsbescheide für die Jahre 2017 bis 2019 erlassen, deren Aufhebung die Kläger (erfolglos) begehrten. Im Rahmen der Änderung nahm das Finanzamt eine andere Qualifikation der Verpachtung landwirtschaftlicher Flächen vor, wogegen sich die Kläger wandten.

Dazu hielt der BFH fest, dass die Frage, ob die Steuerpflichtigen mit der Verpachtung (hier) der landwirtschaftliche genutzten Flächen Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft oder aus Vermietung und Verpachtung erzielen würden, nach dem Grundsatz der Abschnittbesteuerung bei der Einkommensteuer als Jahresteuer (§ 2 Abs. 7 S. 1 u. 2 EStG) für jeden Veranlagungszeitraum neu zu entscheiden sei. Es handele sich dabei um einen gem. § 157 Abs. 2 AO nicht selbständig anfechtbaren Teil der Einkommensteuerbescheide. Da diese Qualifizierung nicht zu einer höheren Einkommensteuer gegenüber der ursprünglichen Steuerfestsetzung führte, fehle es an einer notwendigen Beschwer (vgl. BFH, Beschluss vom 05.07.2011 – X B 222/10 –).

BFH, Beschluss vom 04.07.2023 - VI B 21/23 -