Sonntag, 18. Juni 2023

Sturz bei begleiteten Spaziergang in Tagespflegeeinrichtung

Die Klägerin ist Erbin ihrer verstorbenen Mutter (Geschädigte). Sie machte materielle und immaterielle Schadenersatzansprüche im Hinblick auf einen Sturz der Geschädigten geltend. Die Geschädigte befand sich in einer Tagespflgeeinrichtung der Beklagten. Bei einem Spaziergang der Geschädigten mit einer weiteren Seniorin in Begleitung der bei der Einrichtung beschäftigten Praktikantin stürzte die Geschädigte und zog sich dabei einen Oberschenkelhalsbruch zu. Die Klägerin vertrat die beklagtenseits bestrittene Auffassung, der Spaziergang hätte wegen Glätte und des körperlichen Zustandes der Geschädigten nicht durchgeführt werde dürfen, zudem sei die Praktikantin nicht ausreichend qualifiziert gewesen und eingewiesen worden. Die Geschädigte hätte allenfalls untergehakt laufen dürfen, was nicht erfolgte. Es läge ein der Beklagten zuzurechnendes Pflege- bzw. Organisationsverschulden vor. Das Landgericht wies, nach Beweiserhebung zu den Witterungsverhältnissen, die Klage ab. Die dagegen eingelegte Berufung beabsichtigte das Oberlandesgericht (OLG) mit dem hier besprochenen Beschluss nach § 522 ZPO zurückzuweisen.

Es sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht davon auszugehen, dass die Geschädigte wegen witterungsbedingter Glätte stürzte. Eine allgemeine Glättegefahr ließe noch keine Schlussfolgerung zu, dass an einer bestimmten Stelle Glätte war. Nach Angaben u.a. der Praktikantin sei bereits der städtische Winterdienst tätig gewesen. Der Sturz selbst belege keine Glätte an der Unfallstelle, da auch andere Ursachen möglich wären und die Praktikantin ein Stolpern der Geschädigten über ihre eigenen Beine geschildert habe. Da im Bereich der Unfallstelle auch Glatteisbildung nicht mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden könne, läge für Glätte an der Unfallstelle auch kein Beweis des ersten Anscheins vor.

Danach könne auch keine Pflichtverletzung der beklagten in der Durchführung des Spaziergangs festgestellt werden. Es ermangele an einem von der Klägerin zu beweisenden haftungsbegründenden Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen einem (hier unterstellend zugunsten der Klägerin) pflichtwidrig trotz Glatteis durchgeführten Spaziergang und dem zum Schaden führenden Sturzgeschehen, da (wie oben festgestellt) nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Geschädigte wegen des Glatteises stürzte.

Auch mit dem Vorwurf, dass die Praktikantin die Geschädigte zum Zeitpunkt des Sturzes nicht untergehakt habe, konnte die Klägerin nicht durchdringen. Es sei nicht dargetan, weshalb das Landgericht hätte davon ausgehen müssen, dass die Geschädigte nur untergehakt hätte gehen dürfen.

Die Beweiserleichterung des § 630h Abs. 1 BGB, die auch im Bereich der Pflege Anwendung fände, greife hier nicht. Nach § 630h Abs. 1 BGB würde ein Fehler des Behandlers vermutet, wenn sich ein allgemeines und für den Behandelnden voll beherrschbares Behandlungsrisiko verwirkliche. Ein Sturz bei einem begleiteten Spaziergang im Rahmen der Betreuung in einer Tagespflegeeinrichtung stelle kein „voll beherrschbares Behandlungsrisiko iSv. § 630h Abs. 1 BGB dar. Zwar sah das OLG neben den typischen Fallgestaltungen der Fehlerhaftigkeit von medizinischen Geräten und von Hygienemängeln grundsätzlich auch die Gefahr von Stürzen im Rahmen von pflegerischen Maßnahmen als ein vollbeherrschbares Risiko an. Vorliegend sei es aber nicht um pflegerische Maßnahme im engeren Sinne gegangen, sondern ein begleiteter Spaziergang, bei dem kein voll beherrschbarer Gefahrenbereich vorläge. Voll beherrschbare Risiken seien dadurch gekennzeichnet, dass sie durch den Klinik-/Praxisbetrieb gesetzt würden und durch dessen ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen werden könnten und müssten. Diese seien abzugrenzen von den Gefahren, die aus den Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus bzw. den Besonderheiten des Eingriffs in diesen Organismus erwachsen und deshalb der Patientensphäre zuzurechnen seien. Denn die Vorgänge im lebenden Organismus könnten auch vom besten Arzt bzw. hier der besten Pflegekraft nicht immer so beherrscht werden, dass der ausbleibende Erfolg oder auch ein Fehlschlag auf eine fehlerhafte Behandlung hindeuten würde (BGH, Beschluss vom 16.08.2016 - VI ZR 634/15 -). Danach stelle sich der Spaziergang, auch wenn er in Begleitung einer Pflegekraft erfolge, nicht als ein spezifisch durch den Pflegebetrieb gesetztes Risiko dar, welches durch eine ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen werden könne oder ausgeschlossen werden müsse. Der begleitete Spaziergang setze ein zwar unterstütztes aber eigenständiges Laufen der betreuten Person voraus, weshalb die Sturzgefahr durch die begleitende Person zwar minimiert, aber nicht ausgeschlossen würde (zur ähnlichen Problematik bei einer Gangschulung durch einen Physiotherapeuten OLG Frankfurt, Urteil vom 29.08.2017 - 8 U 172/16 -).

Nach der Auffassung des OLG käme es vorliegend nicht darauf an, ob die Praktikantin hinreichend qualifiziert gewesen sei, da nicht ersichtlich sei, weshalb eine nicht ausreichende Qualifikation für den Sturz kausal gewesen sein sollte. Die Beweiserleichterung des § 640h Abs. 4 BGB, die auch für den nichtärztlichen Bereich anwendbar sei, greife hier nicht. Danach würden dieser Beweiserleichterung nur solche (für den Schaden kausal gewordenen) Handlungen unterfallen, für die auch tatsächlich eine spezifische Ausbildung erforderlich sei. Das begleitete Spaziergehen, welcher offenkundig (§ 291 ZPO) von jeder gesunden erwachsenen Person mit einem durchschnittlichen Maß an Verantwortungsgefühl ausgeübt werden könne (das OLG wies darauf hin, dass auch die Klägerin selbst mit der geschädigten regelmäßig spazieren gegangen sei), sei keine spezifische Ausbildung erforderlich.

OLG Bamberg, Beschluss vom 21.02.2023 - 4 U 222/22 -

Mittwoch, 14. Juni 2023

Darlegung des Zulassungsgrundes Divergenz bei Nichtzulassungsbeschwerde zum BFH

Die Finanzgerichtsordnung (FGO) gibt den Parteien (Steuerpflichtigen bzw. Finanzverwaltung) die Möglichkeit, gegen Urteile der Finanzgerichte ein Rechtsmittel einzulegen, auch wenn die Revision nicht zugelassen wurde. Dies kann durch eine Nichtzulassungsbeschwerde geschehen, § 116 Abs. 1 FGO. Entscheidend ist hier (auch) die Art bzw. der Inhalt der Darlegung der Zulassungsgründe. Dies verdeutlicht ein Beschluss des BFH vom 14.03.2023, mit dem er eine Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verwarf.

Der Beschwerdeführer hatte seine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass das angefochtene Entscheidung von der Rechtsprechung des BFH abweiche (Divergenz, § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO). Nach dem Wortlaut des § 115 Abs. 2 FGO ist auf die Nichtzulassungsbeschwerde die Revision (nur) zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (Nr. 2) oder ein vorliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Allerdings ergibt sich aus dieser Auflistung der Zulassungsgründe nicht, wie im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde der Anspruch geltend gemacht werden muss, d.h. was dazu zwingend vorzutragen ist.  § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO (Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) fordert, dass das angefochtene finanzgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines anderen Finanzgerichts, des BFH oder eines sonstigen obersten Bundesgerichts abweiche, so der BFH. Die von der angefochtenen Entscheidung divergierende Entscheidung sei durch Datum und Aktenzeichen bzw. Fundstelle zu bezeichnen. Damit nicht genug: Es müsse ein tragender abstrakter Rechtssatz aus dem angefochtenen Urteil als auch aus der behaupteten Divergenzentscheidung gebildet werden und diese Rechtssätze müssten zur Darstellung der Abweichung gegenübergestellt werden, wobei zusätzlich dargelegt werden müsse, dass es sich in beiden Fällen um den gleichen oder einen vergleichbaren Sachverhalt handelt, so dass sich in der angefochtenen wie auch in der Divergenzentscheidung dieselbe Rechtsfrage stellen würde. Diese Umstände werden vom BFH als Schlüssigkeitserfordernis angesehen.

Den Anforderungen habe der Beschwerdeführer nicht genügt, der zwar drei Urteile des BFH als Divergenzentscheidungen benannt habe, aber die tragenden abstrakten Rechtssätze werde aus diesen Entscheidungen noch aus der angefochtenen Entscheidung gebildet habe und diese gegenübergestellt habe, noch zu vergleichbaren Sachverhalten ausgeführt habe. Das Aufzeigen von angeblich im Widerspruch zur angefochtenen Entscheidung stehenden Entscheidungen würde nicht verdeutlichen, warum der Beschwerdeführer von einer Divergenz und nicht von einem Subsumtionsfehler ausgehe.

Es ist also nicht ausreichend, unter Verweis auf eine oder mehrere Entscheidungen eine Divergenz zu behaupten, sondern erforderlich, diese durch aus der angefochtenen und der benannten Divergenzentscheidung zu bildenden Rechtssätzen und deren Gegenüberstellung darzulegen, wobei auch der Sachverhalt und dessen Identität bzw. Ähnlichkeit. Auch wenn letztlich der BFH selbst entscheidet, ob er eine Divergenz annimmt bzw. die Abweichung billigt oder nicht, ist die Hürde für eine Zulassung aufgrund einer Divergenz sehr hoch gesteckt und erfordert eine akribische rechtliche Bearbeitung.

Ergänzend wies der BFH darauf hin, dass die weiteren Angriffe des Beschwerdeführers sich gegen die materielle Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung richten würden, dies aber kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO darstelle (numerus clausus der Zulassungsgründe).

BFH, Beschluss vom 14.03.2023 - IX B 60/22 -

Sonntag, 11. Juni 2023

Ersatzpflicht nach § 833 S. 1 BGB auch bei mittelbarer Schädigung durch ein Tier

Die Klägerin stand auf der unteren Treppenstufe, um mit einem Besen Schnee von der Treppe zu fegen. Dabei sah sie, wie sich der Hund des Beklagten auf ihre Katze stürzte und diese am Kopf packte. Dies veranlasste sie, mit dem Besen zu den Tieren zu eilen, um mit dem Besen den Hund (den sie gut kannte) zu vertreiben. Aufgrund der winterlichen Glätte stürzte sie. Zwar stand sie wieder auf, stürzte aber danach gleich wieder, wobei streitig ist, ob sie stürzte, da der Hund sie streifte, oder aus sonstigen Gründen. Sie zog sich Verletzungen zu. Das Landgericht wies die Klage ab, da sich keine spezifische Tiergefahr verwirklicht habe. Auf die Berufung der Klägerin änderte das Oberlandesgericht (OLG) das landgerichtliche Urteil nach Anhörung der Parteien ab, gab der Klage dem Grunde nach statt, stellte fest, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den materiellen und immateriellen Schaden aus dem Vorfall zu ersetzen und verwies im Übrigen den Rechtsstreit an das Landgericht zurück.

Das OLG ging von dem von der Klägerin geschilderten Sachverhalt zu Geschehensablauf aus, den der Beklagte nicht habe sehen können.

Nach § 833 S. 1 BGB hafte der Tierhalter für einen Schaden, den ein Dritter „durch“ das Tier erleide. Es handele sich um eine verschuldensunabhängige Haftung (Gefährdungshaftung, ähnlich § 7 StVG), die nicht nur dann bestünde, wenn eine unmittelbare Verletzung durch ein Tier erfolge (z.B. durch Beißen), sondern bereits dann, wenn eine Verletzung adäquat kausal auf ein Tierverhalten zurückzuführen sei. Ein mittelbarer Zusammenhang oder eine Mitverursachung sei für die Haftung nach § 833 S. 1 BGB ausreichend.

Diese Rechtsansicht des OLG ist zutreffend und basiert auf gefestigter Rechtsprechung. So hat bereits das Rechtsgericht in seiner Entscheidung vom 20.02.1902 - VI. 399/01 - (RGZ 50, 2018, 221 f) den ausgeführt, dass n Ansehung der Angabe im Gesetz „durch ein Tier“ eine mittelbare Verursachung genügt, wenn ein kausaler Zusammenhang bestünde. Dem folgte z.B. auch das OLG Hamm mit Urteil vom 19.05.1980 - 13 U 61/80 - (ein Hund sprang auf einen Vorbeigehenden zu, der sich erschrak und deshalb stürzte) und das OLG Saarbrücken mit Urteil vom 17.01.2006 - 4 U 615/04 - (mehrere Pferde blockierten die Fahrbahn, mit einem Pferd kollidierte der dabei getötete Motorradfahrer, wobei es das OLG für ausreichend hielt, dass eines der blockierenden Pferde das des dortigen Beklagten war, da die Blockade ursächlich war), ferner der BGH in seinem in VersR 1967, 67 veröffentlichten Urteil, bei dem es zur Kollision mit einer Kuh kam, die einer Herde ausgebrochener Kühe angehörte, und eine Haftung des Tierhalters bejaht, obwohl der Motorradfahrer nicht durch den Sturz im Zusammenhang mit der Kollision mit einer tödlich verursachet, sondern wegen eines Fahrfehlers eines Lkw, der ihn überrollte).

Für den zur Entscheidung durch das OLG stehenden Vorgang nahm dieses einen mittelbaren Zusammenhang zutreffend an. Die Klägerin sei erst durch den Angriff des Hundes auf ihre Katze dazu veranlasst worden, dieser zu Hilfe zu eilen. Es merkte an (was im Rahmen des Mitverschuldens zu prüfen ist), dass es wohl von der Klägerin unklug gewesen sei. Sich trotz der winterlichen Verhältnisse schnell auf die Tiere zuzubewegen, doch sei zu berücksichtigen, dass sie ohne nähere Überlegung zu den Gefahren eines eventuell glatten Bodens zulief, da ein Vertreiben des Hundes mit dem Besen wesentlich erfolgversprechender schien als ein bloßes Zurufen. Die Reaktion der Klägerin sei kausal durch das Verhalten des Hundes des Beklagten herausgefordert worden.

Das OLG ließ es auch dahinstehen, ob sich die Klägerin die Verletzungen bereits bei dem ersten Sturz oder bei dem zweiten Sturz zuzog, auch, ob für den zweiten Sturz ursächlich ein Streifen des Hundes war. Der zweite Sturz habe jedenfalls im unmittelbaren Zusammenhang mit dem ersten Sturz gestanden; wäre die Klägerin nicht durch das Verhalten des Hundes zum Eingreifen veranlasst worden und dabei gestürzt, wäre sie auch nicht beim Aufstehen zum zweiten Mal gestürzt.

OLG Frankfurt, Urteil vom 18.01.2023 - 4 U 249/21 -

Donnerstag, 8. Juni 2023

Anrechnung eines Großkundenrabatts bei Schadensregulierung nach Verkehrsunfall ?

Die klagende Leasinggesellschaft, die nur Neuwagen, keine Gebrauchtwagen anschaffte, machte restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall mit einem ihrer Fahrzeuge geltend. Das von ihr eingeholte Sachverständigengutachten wies für das beschädigte Fahrzeug einen Wiederbeschaffungswert von € 26.218,49 und einen Restwert von € 14.521,01 aus. Unter Abrechnung auf Basis eines Totalschadens begehrte sie € 11.697,48. Gezahlt wurden von der beklagten Haftpflichtversicherung darauf nur € 6.453,78 mit der Begründung, die Klägerin müsse sich einen Großkundenrabatt von 20% auf den Wiederbeschaffungswert anrechnen  lassen, da sie bei Neuwagenkauf diesen Rabatt erhalte. Die Klage auf Zahlung des Betrages von € 6.453,78 wurde abgewiesen. Auf die Berufung hin wurde der Klägerin der Betrag zugesprochen.

Das Oberlandesgericht (OLG) führte aus, dass der Geschädigte gem. § 240 Abs. 2 S. 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen könne. Bei einem wirtschaftlichen  Totalschaden wie hier könne der Geschädigte den Betrag fordern, der für die Beschaffung eines gleichwertigen Fahrzeuges (zum Zeitpunkt direkt vor dem Unfall) erforderlich sei, mithin den Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert (BGH, Urteil vom 06.03.2007 - VI ZR 120/06 -). Der Wiederbeschaffungswert richte sich nach den nach den Verhältnissen auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu ermittelnden Preis für einen entsprechenden Gebrauchtwagen bei Kauf von einem seriösen Händler (BGH, Urteil vom 23.05.2017 - VI ZR 9/17 -).  

Für die konkrete wie auch die fiktive Schadensabrechnung würde das Wirtschaftlichkeitsgebot gelten (BGH, Urteil vom 29.10.2019 - VI ZR 45/19 -). Abzustellen sei auf einen verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten, ob der Herstellungsaufwand zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig bzw. angemessen erscheine. Bei mehreren Möglichkeiten sei der geschädigte gehalten jene zu wählen, die den geringeren Aufwand darstellt; nur dieser sei nach § 240 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erforderlich. Der Geschädigte solle zwar vollen Ersatz verlangen können, nicht aber am Schadensfall verdienen (BGH, Urteil vom 18.10.2011 - VI ZR 17/11 -).

Eingeschränkt würde das Wirtschaftlichkeitsgebot im Rahmen des dem Geschädigten Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage. Dabei sei auf die individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten Rücksicht zu nehmen (BGH, Urteil vom 25.06.2019 - VI ZR 358/18 -). Dies könne sich zugunsten des Schädigers wie auch des Geschädigten auswirken. Verfüge der Geschädigte über eine besondere Expertise, erhöhte Einflussmöglichkeiten oder sonstige Vorteile oder Erleichterungen, so sei hierauf zugunsten des Geschädigten Rücksicht zu nehmen. Es könne mithin in der Situation des Geschädigten wirtschaftlich unvernünftig sein, eine ohne weiteres gegebene vorteilhafte Möglichkeit bei der Schadensabwicklung ungenutzt zu lassen, die im Rahmen des eigenen Gewerbes typischerweise ohne weiteres genutzt würde (BGH, Urteil vom 25.06.2019 - VI ZR 358/18 -).

Würde man den von der Klägerin erzielbaren Rabatt auf einen Neupreis anspruchsmindernd berücksichtigen, bliebe unberücksichtigt, dass sich die Naturalrestitution hier nicht auf die Anschaffung eines Neuwagens richte. Nur dann, wenn die Anschaffung eines Neufahrzeuges unter Berücksichtigung des Sonderrabatts wirtschaftlich günstiger wäre als die (wohl fiktive) Anschaffung eines Gebrauchtwagens, könnte die Klägerin darauf verwiesen werden, doch läge hier der Fall nicht vor.

Nach der subjektbezogenen Schadensbetrachtung könne ein Rabatt ansonsten nur berücksichtigt werden, wenn er auf den Erwerb von Gebrauchtwagen gewährt würde. Da die Klägerin nur Neuwagen, keine Gebrauchtwagen kaufe, sei ausgeschlossen, dass der Klägerin ein Großkundenrabatt für Gebrauchtwagen zugänglich sei. Die Rechtsprechung des BGH zur Berücksichtigung von Großkundenrabatten bei der Abrechnung fiktiver Reparaturkosten (BGH, Urteil vom 29.10.2019 - VI ZR 45/19 -) sei hier nicht einschlägig, da dies zur Voraussetzung  habe, dass diese Rabatt der Klägerin ohne weiteres zugänglich gewesen wäre.

Auch die Überlegung, dass die Klägerin das Fahrzeug bereits mit einem Rabatt erworben habe, das Unfallfahrzeug durch ein Neufahrzeug (mit Rabatt) ersetzen würde, rechtfertigt nach Auffassung des OLG nicht die Berücksichtigung des Rabatts. Abzustellen sei auf den Preis, den der Geschädigte für den Kauf eines gleichwertigen Fahrzeuges aufbringen müsse. Nicht käme es auf die Anschaffungskosten, den Abschreibungswert oder den Preis an, den der Geschädigte beim Verkauf des Unfallfahrzeugs in unbeschädigtem Zustand erzielt hätte (BGH, Urteil vom 23.05.2017 - VI ZR 9/17 -). Da der Geschädigte darin frei sei, ob er den Schadensbetrag dazu verwendet, einen (auch höherwertigen) Neuwagen zu kaufen (oder einen Gebrauchtwagen), stünde in seiner freien Disposition (BGH, Urteil vom 29.04.2003 - VZ ZR 393/02; BGH, Urteil vom 05.04.2022 - VI ZR 7/21 -).

OLG Stuttgart, Urteil vom 19.01.2023 - 2 U 303/21 -

Sonntag, 4. Juni 2023

Fiskus als Erbe gem. § 1964 BGB und Folgen für den Nachlassgläubiger

Wird ein Erbe nicht innerhalb „einer den Umständen entsprechenden Frist“ ermittelt, so hat das Nachlassgericht festzustellen, dass ein anderer Erbe als der Fiskus nicht vorhanden ist, § 1964 Abs. 1 BGB, für den dann die Vermutung spricht, gesetzlicher Erbe zu sein, § 1964 Abs. 2 BGB. Das Nachlassgericht erließ einen solchen Beschluss, gegen den die Beteiligte zu 1 (eine Nachlassgläubigerin) Beschwerde einlegte.

Beschwerdeberechtigt ist derjenige, der geltend machen kann, durch einen Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt zu sein, § 59 Abs. 1 FamFG.

Im Hinblick auf die Regelung des § 59 Abs. 1 FamFG verwarf das OLG Celle die Beschwerde als unzulässig. Seitens der Nachlassgläubigerin sei lediglich ihre Eigenschaft als Nachlassgläubigerin  eingewandt worden, nicht aber die Stellung eines Erbprätendenten. 

Rechte des Nachlassgläubigers würden durch den Beschluss nicht betroffen. Dieser könne Ansprüche weiterhin gegen den Fiskus (mithin das jeweilige Bundesland) nach §§ 1936, 1966, 2011 oder gegen den aus ihrer Sicht wahren Erben geltend machen.  Der Feststellungsbeschluss nach § 1964 Abs. 1 BGB habe keine rechtsbegründende Wirkung und könne jederzeit bei Vorliegen neuer Tatsachen aufgehoben werden (dies ergibt sich aus § 48 Abs. 1 FamFG). 

Der Feststellungsbeschluss verschaffe dem Fiskus, ohne Änderung der tatsächlich eingetretenen Erbfolge, eine Legitimation im Rechtsverkehr.   

Hier ist ergänzend darauf zu verweisen, dass die Legitimation auch beschränkt ist; muss ein Grundbucheintrag erfolgen, so kann dieser vom Fiskus auf der Grundlage dieses Beschlusses nicht vornehmen, sondern muss für sich einen Erbschein nach § 2353 BGB beantragen, da der Beschluss nach § 35 GBO den Erbschein (oder das europäische Nachlasszeugnis) nicht ersetzt, es sei denn, die Erbeinsetzung würde auf einer letztwilligen Verfügung beruhen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.02.2020 - I-3 Wx 12/19 -). Die Erbeinsetzung des Fiskus nach § 1964 ist nur subsidiär und in der Regel ein vermutetes Erbrecht; der Feststellungsbeschluss hat damit keine rechtsgestaltende Wirkung, die den Fiskus für alle Zeiten gegenüber jedermann zum Erben macht (OLG Düsseldorf aaO.). Mithin ist der wirkliche Erbe nicht gehindert, seine Rechte geltend zu machen (so auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 05.09.1983 - 20 W 515/83 -; OLG Köln, Beschluss vom 06.08.1965 - 2 Wx 117/65; BayObLG, Beschluss vom 01.04.1987 - BReg 2 Z 8/87 -). 

Zu berücksichtigen ist auch, dass, tritt der Fiskus als Erbe ein, da sich keine gesetzlichen Erben finden lassen, der Staat nur mit dem Nachlass des Erblassers, nicht weitergehend haftet (BGH, Urteil vom 14.12.2018 - V ZR 309/17 -). 

OLG Celle, Beschluss vom 22.03.2023 - 6 W 31/23 -

Freitag, 2. Juni 2023

Haftung bei Unfall eines Businsassen durch starkes Abbremsen (Notbremsung)

An einer Kreuzung hielt der Linienbus an einer Ampel mit Rotlicht. Nachdem die Ampel auf Grün umsprang, fuhr der Bus in den Kreuzungsbereich hinein um dort nach links abzubiegen. Die Klägerin, die kurz nach dem Kreuzung an der Haltestelle aussteigen wollte (und bereits das Haltesignal betätigt hatte) stand auf und positionieret sich am Ausgang, mit einer Hand sich an der Haltestange haltend, in der anderen Hand einen Regenschirm und die Handtasche haltend. Nach einem kurzen Stopp im Kreuzungsbereich, um Gegenverkehr durchfahren zu lassen, fuhr er wieder an; eine im Kreuzungsbereich anwesende Fußgängerin wollte im Bereich der Fußgängerfurt (bei Grünlicht für Fußgänger) die Straße überqueren, in die der Bus im Begriff war einzufahren. Nachdem der Busfahrer (der Beklagte zu 1.) die Fußgängerin wahrnahm, nahm er bei einem Abstand von nur noch 1 m eine Notbremsung vor, erfasste die Fußgängerin aber gleichwohl, die deshalb stürzte (aber unverletzt blieb). Infolge der Notbremsung konnte sich die Klägerin nicht mehr an der Haltestange ausreichend festhalten und stürzte. Sie machte Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend. Das Landgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die Klägerin hätte bis zum Halt an der Haltestelle sitzen bleiben können und dann zügig den Bus verlassen können; in diesem Fall wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu einer Schädigung gekommen. In der von der Klägerin eingelegten Berufung machte sie nur noch 50% als Haftungsanteil der Beklagten geltend. Das Oberlandesgericht (OLG) stellte dem Grunde nach eine Haftung der Beklagten zu 50% fest und verwies den Rechtsstreit zur Höhe an das Landgericht zurück.

Das OLG verwies darauf, dass die Beklagten die Gefährdungshaftung gem. §§ 7, 8a, 18 StVG treffe. Eine die Haftung nach § 7 StVG ausschließende höhere Gewalt wurde vom OLG nicht erörtert, da diese ersichtlich nicht vorliegen konnte. Stattdessen nahm das OLG sogar (zutreffend) eine durch einen Verkehrsverstoß des Busfahrers leicht gesteigerte Betriebsgefahr beim Abbiegen an. Zwar bedeute das für den Beklagten zu 1. (Busfahrer) gültige Licht der Ampel nach § 37 Abs. 2 S. 3 Nr. 1, S. 2 StVO, dass er nach den Regeln des § 9 StVO abbiegen dürfe. Allerdings habe derjenige, der nach § 9 StVO abbiegen wolle, u.a. auf Fußgänger zu achten und ggf. zu warten, § 9 Abs. 3 S. 3 StVO. Hier habe der Beklagte zu 1. die Fußgängerin übersehen, was zu der Notbremsung führte. Der Verkehrsverstoß sei in die Haftungsabwägung mit einzubeziehen, auch wenn nicht die Klägerin der Grund für die Notbremsung war. Der Bremsvorgang sei kein normaler Bremsvorgang im fließenden Straßenverkehr gewesen, sondern eben als Notbremsung, der eine Verletzung der Pflicht aus § 9 Abs. 3 StVO zugrunde liegt.

Allerdings läge auch ein Mitverschulden der Klägerin vor, §§ 9 StVG, 254 BGB. Der Fahrgast von Straßenbahnen und Bussen sie verpflichtet, sich im Fahrzeug einen festen Halt zu verschaffen, § 4 Abs. 3 S. 5 BefBedV. Ein Beweis des ersten Anscheins läge aber dafür nur vor, wenn keine außergewöhnlichen Fahrereignisse vorlägen (OLG Celle, Urteil vom 02.05.2019 - 14 U 183/18 -), welches hier infolge der Notbremsung vorläge. Jeder Fahrgast sei aber selbst dafür verantwortlich. Dass er durch typische und zu erwartende Bewegungen des Busses nicht zu Fall käme (KG, Urteil vom 07.05.2012 - 22 U 251/11 -). Das erfordere, gerade bei älteren Fahrgästen, ein Festhalten mit beiden Händen an der Haltestange (OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.05.2015 - 1 U 71/14 -). Dem sei die Klägerin nicht nachgekommen. Das Festhalten mit nur einer Hand genüge schon bei ruckartigen Fahrt- oder Bremsbewegungen nicht, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.  Zudem habe die Klägerin ihren sicheren Sitzplatz im unmittelbarer Nähe zum Ausgang trotz ausgelösten Haltesignals verlassen.

Mit dem Kammergericht (KG, Beschluss vom 29.06.2010 - 12 U 30/10 -) würde das Eigenverschulden des Fahrgastes, der sich nicht ordnungsgemäß festhalte, eine Gefährdungshaftung aus einfacher Betriebsgefahr des Busses vollkommen verdrängen. Das Eigenverschulden könne sich bei Vorliegen besonderer Umstände verringern. Es sei (so hier) eine Haftungsquotelung von 50 : 50 bei einer kausalen Notbremsung des Busfahrers anzunehmen.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 25.04.2023 - 7 U 125/22 -

Sonntag, 28. Mai 2023

Parteiberichtigung auf Beklagtenseite bei der Beschlussmängelklage und Fristwahrung (§ 45 WEG)

Die Kläger, Mitglieder der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GsWE), erhoben eine Klage gegen Beschlüsse einer Eigentümerversammlung vom 14.12.2020 zu TOP 1 und TOP 2, die die geänderte Ausführung einer Geländerkonstruktion im Zusammenhang mit einer zu einem früheren Zeitpunkt beschlossenen Instandsetzung zusammenhängender Dachterrassenflächen zum Gegenstand hatten. In der am 13.01.2021 bei Gericht eingegangenen Klageschrift benannten sie die übrigen Wohnungseigentümer als Beklagte und die Verwalterin als Zustellungsbevollmächtigte. Auf Hinweis des zuständigen Amtsgerichts auf die neue Rechtslage seit dem 01.12.2020 haben sie noch mit am 11.02.2021 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz das Beklagtenrubrum dahingehend geändert, dass Beklagte die GsWE sei, „mit Ausnahme der Kläger“. In der Verhandlung wurde von den Klägern erklärt, die Klage richte sich ohne Ausnahme gegen die GdWE. Die Klage wurde von Amts- und Landgericht zurückgewiesen.

Das Landgericht hatte die Zulassung der Revision auf die für die Anfechtungsfrist des § 45 S. 1 WEG entscheidende Frage, ob die Frist gewahrt sei, beschränkt. Diese Beschränkung sah der BGH als unwirksam an. Eine Beschränkung der Revisionszulassung sei nur auf rechtlich und tatsächlich abtrennbare Teile des Gesamtstreitstoffs zulässig. Danach müsste der zugelassene Streitstoff unabhängig von dem übrigen Streitstoff bewertet werden können. Auf einzelne Rechtsfragen könne die Zulassung nicht beschränkt werden. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen seien materiellrechtlich auf das gleiche Rechtsschutzziel, Klärung der Gültigkeit der angegriffenen Beschlüsse, gerichtet. Es läge keine Klagehäufung vor. Infolge der Identität wären auch die Auswirkungen der Rechtskraft dieselben. Nach dem Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz zum 01.12.2020 habe sich daran nichts geändert. Eine rechtserhebliche Unterscheidung gäbe es zwischen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage lediglich dann, wenn es auf eine der Fristen des § 45 S. 1 WEG (Frist für Anfechtungsklage 1 Monat nach Beschlussfassung, für Klagebegründung 2 Monate nach Beschlussfassung) ankäme. Bei Versäumung dieser Fristen könne die Klage nur Erfolg haben, wenn der angefochtene Beschluss nichtig sei.

Allerdings wurde die Revision zurückgewiesen, da die Beschlussklagen gem. § 44 Abs. 2 S. 1 WEG gegen die GdWE und nicht mehr (wie nach § 46 Abs. 1 S. 1 WEG) ein Klage auf Erklärung der Ungültigkeit eines Beschlusses der Wohnungseigentümer  gegen die weiteren Wohnungseigentümer zu richten sei. Eine gegen die Wohnungseigentümer gerichtete Klage könne damit auch die Frist des § 45 WEG (für die Anfechtungsklage) nicht wahren.

Innerhalb der Frist des § 45 WEG sei die Klage gegen die übrigen Wohnungseigentümer bei Gericht eingegangen. Wer Partei ist, ergäbe sich aus der in der Klageschrift anzugebenden Parteibezeichnung, § 253 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Diese sei zwar als Prozesshandlung auslegungsfähig. Maßgeblich sei dabei auf den Inhalt der Klageschrift einschließlich etwaig beigefügter Anlagen aus objektiver Deutung aus Sicht des Empfängers abzustellen. Bei objektiv unrichtiger oder auch mehrdeutiger Bezeichnung sei grundsätzlich die Person als Partei anzusehen, die erkennbar betroffen sein soll. Zu unterscheiden sei dies von einer irrtümlichen Benennung der falschen, materiell am Rechtsverhältnis nicht beteiligten Person als Partei, die Partei würde. Danach würden die übrigen Wohnungseigentümer Parte auf Beklagtenseite, wenn eine Beschlussklage wie hier gegen sie gerichtet wird.  

Eine Auslegung, dass sich die Klage entgegen der Parteibezeichnung gegen die GdWE richte, sei nur ausnahmsweise möglich. Dafür müssten konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Wenn  die Wohnungseigentümer als Partei bezeichnet würden, müsste sich für die Annahme, die Klage richte sich gegen die GdWE entsprechende Anhaltspunkte aus dem übrigen Inhalt der Klageschrift (und Anlagen) ergeben. Die Benennung des Verwalters genüge dazu nicht; dieser sei als Organ der Gemeinschaft (§ 9a Abs. 1 S. 1 WEG) auch nach § 44 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 WEG a.F. zu benennen gewesen. Die irrtümliche Benennung der falschen Partei sei daher damit gerade nicht auszuschließen.

In seinem späteren Urteil vom 24.02.2023 - V ZR 152/22 - wies der BGH auch darauf hin, dass die Klage gegen die nicht namentlich benannten übrigen Wohnungseigentümer diese als Partei darstellen würde, nicht die GdWE, da nach bisherigen Recht (gültig bis 30.11.2020) nicht notwendig die Wohnungseigentümer bereits in der Klage benannt werden mussten und der Verwalter (als Zustellungsvertreter) benannt wurde, es ausreichend gewesen sei, wenn die Benennung bis zum Schluss der Verhandlung erfolgt, § 44 Abs. 1 S. 2 WEG a.F. Diese Regelungen habe der BGH auch herangezogen, um eine fristwahrenden Parteiwechsel von den übrigen Wohnungseigentümern auf den Verband zu rechtfertigen. Dies sei auf die jetzige Rechtslage (seit dem 01.12.2020) nicht übertragbar. Die Regelungen in den bisherigen §§ 44 Abs. 1, 45 Abs. 1 WEG a.F., und damit die Anknüpfung für den bisher angenommenen fristwahrenden Parteiwechsel, seien ersatzlos entfallen.

Damit sei hier zum Zeitpunkt der Änderung (Richtigstellung) der Parteibezeichnung mit Schriftsatz vom 11.02.2021 die Frist des § 41 S. 1 WEG zur Erhebung der Anfechtungsklage abgelaufen. Die Klage gegen die richtige Beklaget wurde (mit dem Schriftsatz vom 11.02.2021 qua Berichtigung der Parteibezeichnung) verspätet gewesen. Eine Beschlussanfechtungsklage, die nach dem 30.11.2021 bei Gericht eingehe und sich gegen die übrigen Wohnungseigentümer richte, wahre die Klagefrist nicht.

Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gem. § 45 S. 2 WEG iVm. §§ 233 ZPO scheide aus, da dies ein fehlendes Verschulden an der Versäumung der Frist voraussetze.  Dies könne bei der Benennung der übrigen Wohnungseigentümer statt der GdWE als Beklagte bei der (hier) anwaltlich vertretenen Partei nicht in Betracht kommen.

Damit scheide eine Anfechtung der Beschlüsse aus. Ein Nichtigkeitsgrund wurde vom BGH verneint.

BGH, Urteil vom 13.01.2023 - V ZR 43/22 -