Die Klägerin ist Erbin ihrer verstorbenen Mutter (Geschädigte). Sie machte materielle und immaterielle Schadenersatzansprüche im Hinblick auf einen Sturz der Geschädigten geltend. Die Geschädigte befand sich in einer Tagespflgeeinrichtung der Beklagten. Bei einem Spaziergang der Geschädigten mit einer weiteren Seniorin in Begleitung der bei der Einrichtung beschäftigten Praktikantin stürzte die Geschädigte und zog sich dabei einen Oberschenkelhalsbruch zu. Die Klägerin vertrat die beklagtenseits bestrittene Auffassung, der Spaziergang hätte wegen Glätte und des körperlichen Zustandes der Geschädigten nicht durchgeführt werde dürfen, zudem sei die Praktikantin nicht ausreichend qualifiziert gewesen und eingewiesen worden. Die Geschädigte hätte allenfalls untergehakt laufen dürfen, was nicht erfolgte. Es läge ein der Beklagten zuzurechnendes Pflege- bzw. Organisationsverschulden vor. Das Landgericht wies, nach Beweiserhebung zu den Witterungsverhältnissen, die Klage ab. Die dagegen eingelegte Berufung beabsichtigte das Oberlandesgericht (OLG) mit dem hier besprochenen Beschluss nach § 522 ZPO zurückzuweisen.
Es sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht davon auszugehen, dass die Geschädigte wegen witterungsbedingter Glätte stürzte. Eine allgemeine Glättegefahr ließe noch keine Schlussfolgerung zu, dass an einer bestimmten Stelle Glätte war. Nach Angaben u.a. der Praktikantin sei bereits der städtische Winterdienst tätig gewesen. Der Sturz selbst belege keine Glätte an der Unfallstelle, da auch andere Ursachen möglich wären und die Praktikantin ein Stolpern der Geschädigten über ihre eigenen Beine geschildert habe. Da im Bereich der Unfallstelle auch Glatteisbildung nicht mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden könne, läge für Glätte an der Unfallstelle auch kein Beweis des ersten Anscheins vor.
Danach könne auch keine Pflichtverletzung der beklagten in der Durchführung des Spaziergangs festgestellt werden. Es ermangele an einem von der Klägerin zu beweisenden haftungsbegründenden Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen einem (hier unterstellend zugunsten der Klägerin) pflichtwidrig trotz Glatteis durchgeführten Spaziergang und dem zum Schaden führenden Sturzgeschehen, da (wie oben festgestellt) nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Geschädigte wegen des Glatteises stürzte.
Auch mit dem Vorwurf, dass die Praktikantin die Geschädigte zum Zeitpunkt des Sturzes nicht untergehakt habe, konnte die Klägerin nicht durchdringen. Es sei nicht dargetan, weshalb das Landgericht hätte davon ausgehen müssen, dass die Geschädigte nur untergehakt hätte gehen dürfen.
Die Beweiserleichterung des § 630h Abs. 1 BGB, die auch im Bereich der Pflege Anwendung fände, greife hier nicht. Nach § 630h Abs. 1 BGB würde ein Fehler des Behandlers vermutet, wenn sich ein allgemeines und für den Behandelnden voll beherrschbares Behandlungsrisiko verwirkliche. Ein Sturz bei einem begleiteten Spaziergang im Rahmen der Betreuung in einer Tagespflegeeinrichtung stelle kein „voll beherrschbares Behandlungsrisiko iSv. § 630h Abs. 1 BGB dar. Zwar sah das OLG neben den typischen Fallgestaltungen der Fehlerhaftigkeit von medizinischen Geräten und von Hygienemängeln grundsätzlich auch die Gefahr von Stürzen im Rahmen von pflegerischen Maßnahmen als ein vollbeherrschbares Risiko an. Vorliegend sei es aber nicht um pflegerische Maßnahme im engeren Sinne gegangen, sondern ein begleiteter Spaziergang, bei dem kein voll beherrschbarer Gefahrenbereich vorläge. Voll beherrschbare Risiken seien dadurch gekennzeichnet, dass sie durch den Klinik-/Praxisbetrieb gesetzt würden und durch dessen ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen werden könnten und müssten. Diese seien abzugrenzen von den Gefahren, die aus den Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus bzw. den Besonderheiten des Eingriffs in diesen Organismus erwachsen und deshalb der Patientensphäre zuzurechnen seien. Denn die Vorgänge im lebenden Organismus könnten auch vom besten Arzt bzw. hier der besten Pflegekraft nicht immer so beherrscht werden, dass der ausbleibende Erfolg oder auch ein Fehlschlag auf eine fehlerhafte Behandlung hindeuten würde (BGH, Beschluss vom 16.08.2016 - VI ZR 634/15 -). Danach stelle sich der Spaziergang, auch wenn er in Begleitung einer Pflegekraft erfolge, nicht als ein spezifisch durch den Pflegebetrieb gesetztes Risiko dar, welches durch eine ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen werden könne oder ausgeschlossen werden müsse. Der begleitete Spaziergang setze ein zwar unterstütztes aber eigenständiges Laufen der betreuten Person voraus, weshalb die Sturzgefahr durch die begleitende Person zwar minimiert, aber nicht ausgeschlossen würde (zur ähnlichen Problematik bei einer Gangschulung durch einen Physiotherapeuten OLG Frankfurt, Urteil vom 29.08.2017 - 8 U 172/16 -).
Nach der Auffassung des OLG käme es vorliegend nicht darauf an, ob die Praktikantin hinreichend qualifiziert gewesen sei, da nicht ersichtlich sei, weshalb eine nicht ausreichende Qualifikation für den Sturz kausal gewesen sein sollte. Die Beweiserleichterung des § 640h Abs. 4 BGB, die auch für den nichtärztlichen Bereich anwendbar sei, greife hier nicht. Danach würden dieser Beweiserleichterung nur solche (für den Schaden kausal gewordenen) Handlungen unterfallen, für die auch tatsächlich eine spezifische Ausbildung erforderlich sei. Das begleitete Spaziergehen, welcher offenkundig (§ 291 ZPO) von jeder gesunden erwachsenen Person mit einem durchschnittlichen Maß an Verantwortungsgefühl ausgeübt werden könne (das OLG wies darauf hin, dass auch die Klägerin selbst mit der geschädigten regelmäßig spazieren gegangen sei), sei keine spezifische Ausbildung erforderlich.
OLG Bamberg, Beschluss vom
21.02.2023 - 4 U 222/22 -
Aus den Gründen
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 17.08.2022, Az. 23 O 215/20 Hei, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Berufungsstreitwert auf 33.766,80 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 10.03.2023.
Gründe
I.
Die Klägerin
verlangt von der Beklagten als Erbin ihrer am xx.xx.2019 verstorbenen Mutter A.
(nachfolgend nur: Geschädigte) materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen
eines Sturzes der Geschädigten, der sich am 21.01.2019 gegen 13.15 Uhr
ereignete.
Zu diesem
Zeitpunkt wurde die Geschädigte in der Tagespflegeeinrichtung im B.
Seniorenzentrum ... in ... betreut. Die Beklagte ist die Trägerin dieser
Einrichtung. Während eines Spaziergangs, bei dem die Geschädigte und eine
weitere Seniorin von der in der Tagespflegeeinrichtung beschäftigten
Praktikantin C. begleitet wurde, stürzte die Geschädigte und zog sich hierbei
einen Oberschenkelhalsbruch zu. Es folgten eine operative Versorgung und ein
stationärer Krankenhausaufenthalt bis 04.02.2019.
Die Klägerin
ist der Auffassung, dass der Spaziergang wegen der an diesem Tag herrschenden
Glätte und des körperlichen Zustands der Geschädigten nicht hätte durchgeführt
werden dürfen. Zudem sei die Praktikantin C. nicht ausreichend qualifiziert
gewesen und hätte zudem mit der Geschädigten nur untergehakt laufen dürfen, was
aber nicht geschehen sei. Der auf die am Unfallort bestehende Eisglätte
zurückzuführende Sturz sei damit auf ein der Beklagten zuzurechnendes Pflege-
bzw. Organisationsverschulden zurückzuführen. Die Klägerin begehrt
Schmerzensgeld (mindestens 25.000,-- €), den Ersatz von materiellen Schäden
(nicht von der Versicherung der Geschädigten übernommene Krankenhaus- und Pflegekosten)
in Höhe von 8.766,80 €, sowie die Zahlung von vorgerichtlichen
Rechtsanwaltskosten.
Die Beklagte
hat die Vorwürfe der Klägerin zurückgewiesen. Eine Sorgfaltspflichtverletzung
der zuverlässigen Praktikantin C., die zuvor auch ausreichend angeleitet und
eingewiesen worden sei, und die kausal zum Sturz geführt hätte, liege nicht
vor. Auch sei der Sturz weder vorherzusehen, noch auf Glätte zurückzuführen
gewesen.
Das Landgericht
hat zur Frage der Witterungsverhältnisse am Unfalltag und zum Sturzgeschehen
Beweis erhoben durch die Einvernahme von Zeugen und die Einholung eines
meteorologischen Sachverständigengutachtens. Mit Endurteil vom 17.08.2022 hat
es die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass ein
glättebedingtes Ausrutschen bzw. ein glättebedingter Sturz der Geschädigten
nicht nachweisbar sei. Ferner sei die Praktikantin C. auch nicht grundsätzlich
ungeeignet gewesen, den Spaziergang durchzuführen; ein fehlerhaftes Verhalten
bei der Begleitung der Geschädigten sei nicht nachgewiesen. Auch hätten weder
das Wetter, noch die Konstitution der Geschädigten gegen einen Spaziergang
gesprochen.
Gegen das
Endurteil des Landgerichts hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung
eingelegt und begründet. Mit der Berufung verfolgt sie ihre erstinstanzlichen
Anträge weiter. Angegriffen wird die Feststellung des Landgerichts, wonach ein
glättebedingtes Ausrutschen der Geschädigten nicht nachgewiesen sei. So habe
das Landgericht nicht berücksichtigt, dass die Praktikantin C. selbst erklärt
habe, dass am Unfalltag gestreut worden sei, was eine Glättebildung und damit
risikobehaftete Wetterbedingungen voraussetze. Nicht ausreichend berücksichtigt
habe das Gericht auch entsprechende Aussagen der beiden Zeugen D., die
ebenfalls entsprechende Witterungsverhältnisse bestätigten. Soweit sich das
Gericht bei seiner Beurteilung der Witterungsverhältnisse auf das Gutachten des
meteorologischen Sachverständigen stütze, lasse es außer Acht, dass auch nach
den Ausführungen der Beklagtenseite das von der Unfallstelle gefertigte
Lichtbild (Anlage K3) spätestens am 29.01.2019 gefertigt worden sei, was aber
vom Sachverständigen, dem das Gericht gefolgt ist, in Abrede gestellt wurde.
Das Gericht habe es in der Folge unterlassen, das tatsächliche Datum der
Aufnahme festzustellen, wodurch mögliche Rückschlüsse auf die Erläuterungen des
Sachverständigen insgesamt verhindert worden seien. Ferner habe das Gericht
auch die Widersprüche in den Aussagen der Praktikantin C. und des -
unbeteiligten - Zeugen D. (Senior) zu der Frage, ob die Praktikantin C. während
des Spaziergangs beide Seniorinnen untergehakt hatte, nicht bzw. falsch
gewürdigt. Frau C. sei zudem nicht ausreichend qualifiziert gewesen; den
entsprechenden Argumenten der Klägerseite hierzu sei das Gericht zu Unrecht
nicht gefolgt.
Die Klägerin beantragt,
1. Das Urteil des Landgerichts Bamberg
vom 17.08.2022 (Az.: 23 O 215/20 Hei) wird aufgehoben.
2. Die Beklagte und Berufungsbeklagte
wird verurteilt an die Klägerin und Berufungsklägerin 8.766,80 € nebst Zinsen
hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit zu bezahlen.
3. Die Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 25.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klägerin und Berufungsklägerin zu bezahlen.
4. Die Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt an die Klägerin und Berufungsklägerin vorgerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 1.437,70 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagte
beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Sie weist
darauf hin, dass selbst im Falle einer generellen Glättebildung am Unfalltag
keine Aussage dazu getroffen werden könne, ob es noch zum Zeitpunkt des Unfalls
und/oder an der Unfallstelle glatt gewesen sei. Ferner sei der Beklagten ein
Organisationsverschulden nicht vorzuwerfen; es habe sich mit dem Sturz der
Geschädigten lediglich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht.
II.
Die Berufung
hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Endurteil
weder auf einer Rechtsverletzung beruht, noch die zugrunde zu legenden
Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1, 513 Abs. 1, 529, 546 ZPO).
Gemäß
§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht an die
Tatsachenfeststellungen des erstinstanzlichen Gerichts gebunden, soweit nicht
konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der
entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb erneute
Feststellungen durch das Berufungsgericht gebieten.
Zweifel im
Sinne dieser Vorschrift liegen nur dann vor, wenn - aufgrund konkreter
Anhaltspunkte - aus der Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse - nicht
notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle
erneuter Tatsachenfeststellungen die erstinstanzlichen Feststellungen keinen
Bestand haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. BGHZ
158, 269 ff. = NJW 2004, 1876 ff.; BGHZ 162, 313 ff. = NJW 2005, 1583 ff.; BGH
NJW 2003, 3480 ff.).
Diese
Voraussetzungen für den Wegfall der Bindung an die erstinstanzlichen
Tatsachenfeststellungen liegen hier nicht vor. Das Landgericht hat den
Sachverhalt auch rechtlich zutreffend gewürdigt. Der Senat schließt sich nach
Beratung dem angefochtenen Urteil an und nimmt vorbehaltlich der nachfolgenden
Ausführungen auf die dort getroffenen Feststellungen und die Begründung des
Urteils Bezug. Eine mündliche Verhandlung erscheint nicht geboten, weil es
nicht ersichtlich ist, dass in einer mündlichen Verhandlung neue, im
Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden können, die zu
einer anderen Beurteilung führen. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche
Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Fortbildung des Rechts
und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine
Entscheidung des Berufungsgerichts nicht (§ 522 Abs. 2 Nr. 3).
Ergänzend wird
ausgeführt:
1. Nicht zu
beanstanden ist die Feststellung des Landgerichts, wonach die durchgeführte
Beweisaufnahme nicht ergeben habe, dass die Geschädigte tatsächlich wegen einer
an der Unfallstelle vorhandenen witterungsbedingten Glätte gestürzt sei.
Insoweit hat zwar die Klägerin mit nachvollziehbaren Argumenten ausgeführt,
weswegen an den Ausführungen des Sachverständigen zu den allgemeinen
Witterungsbedingungen Zweifel angebracht sind (Aussagen des R. D. und der
Praktikantin C.). Allerdings zeigt die Berufung nicht auf, weshalb das
Landgericht, selbst wenn es von den klägerseits behaupteten und insbesondere
von R. D. geschilderten Witterungsbedingungen hätte ausgehen müssen, konkrete
Feststellungen in Bezug auf die Verhältnisse an der Unfallstelle zum
Sturzzeitpunkt hätte treffen können und müssen. Aus einer vorherrschenden
allgemeinen Glättegefahr ergeben sich keine zwingenden Schlussfolgerungen
bezüglich des Zustands einer bestimmten Stelle. Dies ist hier insbesondere
deshalb nicht der Fall, weil - den Angaben des R. D. und der Praktikantin C.
zufolge - zum Zeitpunkt des Unfalls bereits der städtische Winterdienst tätig
geworden war und R. D. die Glättebildung auch zu einem anderen Zeitpunkt und
auch nicht an der Unfallstelle wahrgenommen haben will. Es ist ferner nicht
zwingend, dass aufgrund der Tatsache des Sturzes, an der Unfallstelle auch
Glatteis vorhanden gewesen sein müsste. Dies deswegen, weil auch andere Unfallursachen
denkbar oder zumindest nicht auszuschließen sind (die Praktikantin hat hier ein
Stolpern der Geschädigten über die eigenen Beine geschildert). Ferner liegt, da
eine Gefahrenstelle (Glatteisbildung) an der Unfallstelle nicht mit
ausreichender Sicherheit feststellbar ist, auch kein Beweis des ersten
Anscheins (MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl. 2022, BGB § 249 Rn. 493) dahingehend
vor, dass eine solche hier unfallursächlich geworden ist.
Infolgedessen
kann auch nicht festgestellt werden, dass eine evtl. der Beklagten
vorzuwerfende Pflichtverletzung (Durchführung eines Spaziergangs trotz
Glatteisgefahr) tatsächlich auch haftungsbegründend schadensursächlich geworden
ist. Schließlich hat auch die Klägerseite nicht behauptet, dass mit der
Geschädigten überhaupt keine Spaziergänge hätten unternommen werden dürfen.
Soweit aber, was nicht ausgeschlossen werden kann (s.o.), sich die
Witterungsbedingungen (i.e. Glatteis) nicht unfallursächlich ausgewirkt haben,
würde es jedenfalls an einem - von der Klägerin zu beweisenden -
haftungsbegründenden Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen einem
(unterstellt) pflichtwidrig trotz Glatteisgefahr durchgeführten Spaziergang und
dem zum Schaden führenden Sturzgeschehens fehlen.
2.
Entsprechendes gilt für den Vorwurf, dass die Praktikantin C. die Geschädigte
zum Zeitpunkt des Sturzes nicht untergehakt habe. Auch für den Fall, dass
aufgrund der körperlichen und geistigen Konstitution der Geschädigten bei einem
Spaziergang allein mit „untergehakter Begleitung“ hätte erfolgen dürfen, ist
nicht ersichtlich, weshalb das Landgericht (beweispflichtig ist insoweit die
Klägerin) auch eine entsprechende Feststellung hätte treffen müssen bzw.
rechtsfehlerhaft nicht getroffen hat. So schildert zwar R. D. in seiner
Zeugenvernehmung, dass er die Praktikantin hinter den Seniorinnen laufend
wahrgenommen habe. Allerdings umfasst diese Wahrnehmung nicht den Zeitpunkt des
Sturzes und widerspricht auch den Angaben der Praktikantin C. selbst.
Die Klägerin
kann ferner die Beweiserleichterung des § 630h Abs. 1 BGB (der
grundsätzlich auch für den Bereich der Pflege Anwendung findet: MüKoBGB/Wagner,
a.a.O., § 630h Rn. 29) wonach ein Fehler des Behandelnden vermutet wird,
wenn sich ein allgemeines und für den Behandelnden voll beherrschbares Behandlungsrisiko
verwirklicht hat, nicht für sich in Anspruch nehmen. Ein Sturz bei einem
begleiteten Spaziergang im Rahmen der Betreuung in einer Tagespflegeeinrichtung
stellt nach Auffassung des Senats kein „voll beherrschbares Behandlungsrisiko“
im Sinne dieser Vorschrift dar. Zwar können zum vollbeherrschbaren Risiko neben
den typischen Fallgruppen der Fehlerhaftigkeit von medizinischen Geräten und
der Hygienemängel, grundsätzlich auch die Gefahr von Stürzen im Rahmen von
pflegerischen Maßnahme zu rechnen sein (siehe Martis/Winkhart,
Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., Rn. V 360 ff., S 575 ff.). Im vorliegenden Fall,
in dem nicht eine pflegerische Maßnahme im engeren Sinne, sondern ein
begleiteter Spaziergang im Raum steht, liegt ein voll beherrschbarer
Gefahrenbereich jedoch nicht vor. So sind voll beherrschbare Risiken dadurch
gekennzeichnet, dass sie durch den Klinik- oder Praxisbetrieb gesetzt werden
und durch dessen ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen werden können und
müssen. Sie sind abzugrenzen von den Gefahren, die aus den Unwägbarkeiten des
menschlichen Organismus bzw. den Besonderheiten des Eingriffs in diesen
Organismus erwachsen und deshalb der Patientensphäre zuzurechnen sind. Denn die
Vorgänge im lebenden Organismus können auch vom besten Arzt (bzw. hier der
Pflegekraft) nicht immer so beherrscht werden, dass schon der ausbleibende
Erfolg oder auch ein Fehlschlag auf eine fehlerhafte Behandlung hindeuten
würden (BGH, Beschluss vom 16.8.2016 – VI ZR 634/15, NJW-RR 2016, 1360 Rn. 6).
Der Senat teilt insoweit die Auffassung der Beklagtenseite, wonach ein
Spaziergang, auch wenn dieser in Begleitung einer Pflegekraft unternommen wird,
keine spezifischen durch den Pflegebetrieb gesetzten Risiken generiert, die
durch eine ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen werden können und daher
auch müssen. So hat das OLG Frankfurt für den Fall der Durchführung einer
Gangschule durch einen Physiotherapeuten entschieden (Urteil v. 29.8.2017 – 8 U
172/16, BeckRS 2017, 141852, Rz. 15, 16), dass bei krankengymnastischen Übungen
die Behandlung im Gegensatz zu pflegerischen Maßnahmen oder beim Transport des
Patienten typischerweise gerade in der Anweisung und Anleitung zu aktiver
Bewegung besteht, bei welcher Geschicklichkeit, Mitarbeit und Konzentration des
Patienten gefordert sind, so dass der Ablauf von den Unwägbarkeiten des
menschlichen Organismus geprägt ist und von der Therapeutin nicht voll
beherrscht werden kann. Entsprechendes gilt auch bei einem begleiteten
Spaziergang, der ebenfalls ein zwar unterstütztes aber eigenständiges Laufen
der betreuten Person voraussetzt, weswegen eine Sturzgefahr durch eine
begleitende Person zwar minimiert aber nicht vollständig ausgeschlossen werden
kann.
Soweit die
Klägerin behauptet, die Praktikantin C. sei nicht hinreichend qualifiziert gewesen,
ist nicht ersichtlich, weshalb im vorliegenden Fall eine nicht ausreichende
Qualifikation für den Sturz kausal geworden sein soll. Die Klägerin kann nach
Auffassung des Senats insoweit auch keine Beweiserleichterung für sich in
Anspruch nehmen. Abgesehen von der Frage, ob die Beweislasterleichterung des
§ 630h Abs. 4 BGB auch für den nichtärztlichen Bereich anwendbar ist,
unterfallen der Beweiserleichterung nur solche (für den Schaden kausal
gewordenen) Handlungen, für die auch tatsächlich eine spezifische Ausbildung
erforderlich ist. Für das begleitende Spaziergehen, das offenkundig (§ 291
ZPO) von jeder gesunden erwachsenen Person mit einem durchschnittlichen Maß von
Verantwortungsgefühl ausgeübt werden kann (schließlich ist auch die Klägerin selbst
mit der Geschädigten regelmäßig spazieren gegangen), ist das nicht der Fall.
III.
Die Rechtssache
hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die
Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht (§ 522 Abs. 2
Nr. 3). Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten, weil auszuschließen
ist, dass in einer mündlichen Verhandlung neue, im Berufungsverfahren
zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden können, die zu einer anderen
Beurteilung führen.
Auf die bei
Berufungsrücknahme in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung von 4,0 auf
2,0 (vgl. KV Nr. 1220, 1222) wird vorsorglich hingewiesen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen