Dienstag, 6. Dezember 2022

Ordnungsgeld bei Nichtwahrnehmung des Umgangsrechts, § 1684 Abs. 1 BGB

Das Amtsgericht (Familiengericht) hatte das Umgangsrecht des Antragsgegners mit seinen zwei Kinder geregelt, wonach er an jedem ungeraden Kalenderwochenende seine zwei Kinder von Freitag 14 Uhr bis Montag 8 Uhr und in den geraden Wochen Dienstag von 14.30 bis 19 Uhr Umgang mit ihnen haben sollte. Auf Antrag der Antragstellerin verhängte das Amtsgericht, nach vorangegangener Androhung, gegen den Antragsgegner mit diesem am 28.06.2022 zugestellten Beschluss ein Ordnungsgeld in Höhe von € 500,00, nach dieser das Umgangsrecht seit April den Umgang mit den Kindern nicht mehr wahrnahm. Gegen diesen Beschluss legte der Antragsgegner sofortige Beschwerde ein, die vom OLG als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Beim Amtsgericht hatte der Antragsgegner argumentiert, er sei finanziell nicht in der Lage, für die Übernachtung seiner Kinder ein geeignetes Umfeld aufzubauen. Im Rahmen der Beschwerde begehrte der Antragsgegner auch neben der Aufhebung des Beschlusses auch die Abänderung der Umgangsregelung; es entspräche nicht dem Kindeswohl, den umgangsunwilligen Elternteil mittels Ordnungsgeld zum Umgang anzuhalten.

Das sah das OLG in Ansehung der tatsächlichen Umstände anders. Grundsätzlich müsse ein Elternteil einen Eingriff in dem Persönlichkeitsschutz im Hinblick auf die den Eltern durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG den Eltern auferlegte Verantwortung für ihre Kinder (BVerfGE 121, 68, 95). In § 1684 Abs. 1 BGB sei der Elternverantwortung durch die dort normierte Umgangsverpflichtung als elterliche Pflicht verankert. Damit könne ein Elternteil auch unter Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts zum Umgang mit seinen Kindern verpflichtet werden, wenn dies dem Kindeswohl diene. Allerdings habe die zwangsweise Durchsetzung der Umgangspflicht zu unterblieben, gebe es im konkreten Einzelfall keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der erzwungene Umgang dem Kindeswohl dienen könnte.

Hier nun sah das OLG allerdings keine Gefahr für das Kindeswohl. Es vertrat die Auffassung, dass die Berufung auf finanzielle Erwägungen emotionale Gründe habe, weshalb nicht davon auszugehen sei, dass er bei einem persönliche Umgang mit den Kindern diesen gegenüber Abneigung zum Ausdruck bringen würde, und es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass er bei einem persönlichen Umgang seiner Verantwortung gegenüber den Kindern nicht nachkäme und den Streit mit seiner ehemaligen Frau um Geld nicht vom Verhältnis zu den Kindern trennen könne. Bei der Abwägung seien auch die Folgen einer Entfremdung der Kindern von dem Antragsgegner für ihre psychosoziale Entwicklung zu berücksichtigen. Die Anhörung der Kinder habe zudem ergeben, dass sie in der Vergangenheit problemlos auch bei dem Antragsgegner (der bei seinen Eltern mit seinem Bruder wohne) waren, dort auch früher bereits übernachteten, und  Bindungen zur Großmutter und zum Onkel zum Ausdruck gekommen seien.

Kommentar:

Damit legte das OLG dar, dass die Verweigerungshaltung, Umgang mit den eigenen Kindern Umgang zu pflegen, das Recht weder beeinträchtigt noch aus der dem Recht genüberstehenden Pflicht entbindet. Zwangsmittel, wie hier das Ordnungsgeld, sollen nur erfolgen, wenn diese Mittel dem Kindeswohl dienen. Denn das dem Umgangsrecht innenwohnende Gegenstück, die Umgangspflicht, soll nicht dazu führen, dass durch den erzwungenen Umgang das Kindeswohl gefährdet wird. Angezeigt ist damit ein Ordnungsmittel zur Erzwingung des Umgangs, wen sicher davon ausgegangen werden kann, dass dies nicht dem Kindeswohl entgegenstehen könnte. Ob dies allerdings alleine durch Anhörungen des Umgangsunwilligen und der Kinder geklärt werden kann (wie hier wohl geschehen), lässt sich kaum verallgemeinern, da dann der oder die zur Entscheidung berufenen Richter letztlich psychologische Befähigungen haben müssten, und selbst für Psychologen wäre bei gewissenhafter Expertise nicht eine kurze Anhörung nicht ausreichend. Zutreffend wird allerdings vom OLG darauf verwiesen, dass der fehlende Umgang mit (hier) dem Vater die psychosoziale Entwicklung der Kinder beeinträchtigen könnte. Es handelt sich hier also um einen Balanceakt, den das Familiengericht oder (beim OLG) der Familiensenat vollziehen muss.

Da sich hier offensichtlich der bisherige Umgang des Vaters mit den Kindern nicht al negativ erwies, er insbesondere wohl auch nicht seine Verantwortung den Kindern gegenüber vernachlässigte, dürfte die Entscheidung vor dem Hintergrund richtig sein, dass der Vater auf seine finanziellen Ressourcen zur Verweigerung der Umgangsverpflichtung verwies und wohl noch Auseinandersetzungen zwischen den (ehemaligen) Eheleuten zu finanziellen Fragen anhängig sind, die hier (wohl) vom Vater genutzt wurden. Es ist bedauerlich, wenn die Trennung der Eltern so letztlich über die Kinder ausgetragen werden, weshalb die Entscheidung des OLG zu begrüßen ist.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.08.2022 - 6 WF 112/22

Montag, 5. Dezember 2022

Ausgleich des Mietrückstandes innerhalb der Schonfrist und ordentliche Kündigung

Die Beklagte (Mieterin) kam mit ihren Mietzahlungen in Verzug und die Klägerin (Vermieterin) kündigte deshalb das Mietverhältnis fristlos, vorsorglich hilfsweise ordentlich. Nach Zustellung der Klage glich die Beklagte die Mietrückstände aus. Das Amtsgericht gab der Räumungsklage auf der Grundlage der hilfsweise ausgesprochenen Kündigung statt. Das Landgericht (LG Berlin, Urteil vom 20.08.2021 - 66 S 98/20 -) hatte im Berufungsverfahren die Klage insgesamt abgewiesen. Auf die zugelassene Revision hob der BGH die Entscheidung des Landgerichts auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

Der BGH verwies darauf, dass die auf die ausgebliebenen Mietzahlungen gestützte Kündigung der Klägerin infolge der Schonfristzahlung (Befriedigung der ausstehenden Zahlungen innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Klage, § 569 Abs. 3 Nr. 3 S. 1 BGB) nicht unwirksam geworden sei. Diese Zahlung würde lediglich die Folgen einer fristlosen Kündigung (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) haben. Eine auf den zum Kündigungszeitpunkt bestehenden Mietrückstand (zeitgleich) gestützte ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 1 S. 1m Abs. 2 Nr. 1 BGB bliebe von der Schonfristzahlung unberührt. § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB sei hierauf weder direkt noch anlog anzuwenden.

Der anderweitigen, vom LG Berlin (so Urteil vom 01.07.2022 - 66 S 200/21 - vertretenen Ansicht widersprach der BGH. Das LG Berlin habe sich zur Begründung des anderweitigen Normverständnisses des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB insbesondere auf ein historisches Normverständnis und der jüngeren Gesetzgebungsgeschichte befasst. Auch wenn ein Schweigen des Gesetzgebers zur bisherigen Rechtsprechung der Zivilgerichte nicht ohne Weiteres als ausreichender objektiver Anhaltspunkt für einen Bestätigungswillen angesehen werden könne (BVerfGE 78, 20, 25; Beschluss des BGH vom 15.07.2016 - GSSt 1/16 -) würde verkannt, das sich der hier zur Entscheidung berufene Senat des BGH nicht auf ein blo0es Schweigen des Gesetzgebers im Rahmen jüngerer Gesetzgebungsvorhaben abgestellt hat, insoweit er bereits früher die Schonfristzahlung als nicht die ordentliche Kündigung tangierend angesehen habe Urteil vom 13.10.2021 - VIII ZR 81/20 -), denn der Gesetzgeber habe die derzeitige Normanwendungspraxis des § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB nach der langjährigen und ständigen Senatsrechtsprechung, welcher weit überwiegend die Instanzgerichte und die herrschende Meinung in der Literatur folgen würden nicht lediglich passiv unbeanstandet gelassen. Er habe vielmehr Gesetzesvorhaben, welche eine Erstreckung der Schonfristzahlung auch auf die ordentliche Kündigung beinhalten sollten,  nicht weiter verfolgt und mehrfach Gesetzesänderungen, die dies zum Ziel gehabt hätten, abgelehnt  (vgl. auch BT-Plenarprotokoll 19/236 S. 30739 zur Ablehnung des Gesetzentwurfs BT-Drucks. 19/20589). Dies spreche dafür, dass der Gesetzgeber das vom Senat aufgezeigte Normverständnis als weiterhin geltende Rechtspraxis ansehe. Auch Ansätze für eine Änderung im Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung seien bisher nicht eingeleitet worden.

Von daher sei das Berufungsurteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung durch das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Insoweit wäre vom Berufungsgericht, sollte es nicht das Mietverhältnis als durch die ordentliche Kündigung beendet ansehen (was hier im Revisionsverfahren zu unterstellen war, da sich das Landgericht aus seiner Sicht nicht damit auseinandersetzen musste), auch darauf einzugehen, dass klägerseits die Kündigung auch auf einen „zumindest versuchten Prozessbetrug“ (dazu BGH, Beschluss vom 21.10.2021 - VIII ZR 91/20 -) der Beklagten gestützt wurde, worauf das Berufungsgericht nicht eingegangen sei.

BGH, Urteil vom 05.10.2022 - VIII ZR 307/21 -

Dienstag, 29. November 2022

Erfüllungseinwand in Zwangsmittelverfahren und Erhebung Vollstreckungsabwehrklage ?

Die Beklagten hatten ein rechtskräftiges Urteil auf Auskunftserteilung durch Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses erwirkt. Sie stellten am 05.03.2018 einen Antrag auf Festsetzung von Zwangsmitteln zur Vollstreckung der Auskunftsverpflichtung (§ 888 ZPO), in dem der Kläger ein notarielles Nachlassverzeichnis vorlegte. Der Kläger ging davon aus, dass er damit den titulierten Anspruch erfüllt habe; die Beklagten sahen das Nachlassverzeichnis als lückenhaft an. Das zuständige Landgericht hatte zum Zeitpunkt der Entscheidung über die sodann vom Kläger erhobene Vollstreckungsabwehrklage noch nicht entschieden.  Die Beklagten erklärten in diesem neuen Verfahren, dass in älteren anhängigen Verfahren auf Zwangsmittel nach § 888 ZPO, dass sie für den Fall, dass dieser Antrag rechtskräftig mit der Begründung zurückgewiesen würde, dass der Auskunftsanspruch erfüllt sei, sie sich verpflichten würden, diese Entscheidung anzuerkennen. Das Landgericht wies die Vollstreckungsabwehrklage ab. Die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen. Im rahmen der vom OLG zugelassenen Revision wurde das klageabweisende Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen.

Entgegen der Ansicht des OLG bejahte der BGH ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers.

Ein Rechtsschutzbedürfnis würde fehlen, wenn eine Klage oder ein Antrag objektiv schlechthin sinnlos sei. Für die Vollstreckungsabwehrklage würde solange ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen, solange der Gläubiger den Titel in seinen Händen halte, selbst dann, wenn der Gläubiger auf seine Rechte aus dem Titel verzichte und/oder Einigkeit bestünde, dass Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht mehr in Betracht kommen. Dies basiere darauf, dass der Schuldner alleine durch Vorlage einer öffentlichen oder vom Gläubiger ausgestellten privaten Urkunde, aus der sich die Erfüllung der Forderung ergäbe, die Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen nicht erreichen könne (§§ 775 Nr. 4, 776 ZPO) und ein Verzicht keine weitergehende Wirkung als die Erfüllung habe.  Dies entspräche der Norm des § 767 ZPO, die einem Vollstreckungstitel seine Vollstreckungsfähigkeit schlechthin nehmen würde. Die Zulässigkeit der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO würde grds. nicht davon abhängen, ob eine Vollstreckung drohe.

Damit bestünde hier das Rechtsschutzbedürfnis. Fehlerhaft habe das OLG darauf abgestellt, ob eine Zwangsvollstreckung gegen den Kläger drohe oder eine konkrete Vollstreckungsmaßnahme bevorstehe, da es darauf nicht ankäme. Zudem nähme das OLG unzutreffend an, es drohe keine Vollstreckungsmaßnahme, da die beklagten doch das Verfahren nach § 888 ZPO eingeleitet hätten.

Weiterhin negierte der BGH ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage nach § 767 ZPO vor dem Hintergrund, dass der Kläger den Erfüllungseinwand auch im Verfahren nach § 888 ZPO geltend machen könne und geltend gemacht habe. Es handele sich nicht um gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeiten.

In beiden Verfahren (§§ 887, 888 ZPO und § 767 ZPO) sei der Schuldner mit dem Einwand der Erfüllung zu hören. Ein anhängiges Zwangsmittelverfahren wie hier sperre gleichwohl nicht die Erhebung der Vollstreckungsabwehrklage.

Dabei sei schon bedeutsam, dass die Entscheidung im Zwangsmittelverfahren, ob die Titelforderung erfüllt ist, nicht in Rechtskraft erwachse. Streitgegenstand sei hier nur die Festsetzung des Zwangsmittels. Die Feststellung der Erfüllung sei Teil der Entscheidung, würde aber nicht tituliert. Der Beschluss stünde zwar einem neuen Zwangsmittelantrag mit gleicher Begründung entgegen, könne aber aus Gründen der materiellen Rechtskraft nicht der Erhebung der Vollstreckungsabwehrklage entgegenstehen.

Weiterhin seien auch praktische Gründe zu beachten. Das Zwangsmittelverfahren würde nur auf Antrag des Gläubigers eingeleitet und dieser könne den Antrag auch jederzeit zurücknehmen.  Schon deshalb sei es für den Schuldner, der in diesem Verfahren den Erfüllungseinwand erhebt, nicht gesichert, dass das Gericht darüber auch entscheidet. Neben der Zurücknahme des Antrages durch den Gläubiger kämen auch Zurückweisungen durch das Gericht wegen Fehlens allgemeiner Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen in Betracht; dies würden einer neuen Antragstellung durch den Gläubiger nicht entgegenstehen. Hingegen könne der Schuldner mit der Vollstreckungsabwehrklage aktiv das Ziel verfolgen, laufende oder zukünftige Zwangsvollstreckungen den Boden entziehen, da ein dieser Klage rechtkräftig stattgegebenes Urteil die Vollstreckbarkeit des Titels beseitige.

Die Erklärung der Beklagten sei rechtlich belanglos. Der erklärte Verzicht auf die rechte aus dem Titel ließe das Rechtsschutzbedürfnis nach § 676 ZPO nicht entfallen, solange der Gläubiger den Titel noch habe. Zudem hätten hier die beklagten nicht einmal verzichtet, sondern dem Kläger nur einen schuldrechtlichen Herausgabeanspruch eingeräumt, zudem unter einer aufschiebenden Bedingung.

BGH, Beschluss vom 29.09.2022 - I ZR 180/21 -

Sonntag, 27. November 2022

Elektronische Unterlagen als Nachweis für Amtsniederlegung des Geschäftsführers ?

Mit dem digitalen Medium musste sich das Kammergericht im Rahmen einer Beschwerde gegen eine Zwischenverfügung des Handelsregisters auseinanderzusetzen. Der Beteiligte zu 2., alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer einer UG (haftungsbeschränkt), § 5a GmbHG, hatte mit einer notariell beglaubigten Erklärung sein Ausscheiden als Geschäftsführer der Beteiligten zu 1. Der UG (haftungsbeschränkt) zum Handelsregister angemeldet. Der Anmeldung war das undatierte Protokoll einer Gesellschafterversammlung beigefügt, welches seine Niederlegung aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt der Eintragung im Handelsregister enthielt. Die Gesellschafter hatten nach dem Protokoll darüber hinaus der Abtretung der Anteile des Beteiligten zu 2. an der Gesellschaft durch diesen zugestimmt. Die Unterschriften der Gesellschafter bzw. ihrer Organvertreter enthielten den Vermerk „DocuSignes“. Das Amtsgericht reklamierte, dass die Signatur, die mit dem Programm “DocuSign“ erfolgte, nicht geprüft werden könne; vorzulegen seien der den dem Beteiligten zu 2. Und noch einem weiteren Gesellschafter unterzeichnete Gesellschafterbeschluss.

Das Kammergericht sah die formellen Voraussetzungen für den Vollzug des Eintragungsantrages als gegeben an; der beteiligte zu 2. Sei auch anmeldebefugt, da sein Amt erst mit der Eintragung der Amtsniederlegung ende. Die zur Eintragung erforderlichen Unterlagen lägen entgegen der Ansicht des Registergerichts vor.

Nach § 39 Abs. 2 GmbHG seien der Anmeldung über Veränderungen in den Personen der Geschäftsführung Urkunden über deren Bestellung oder Beendigung in Urschrift oder beglaubigter Abschrift beizufügen. Mit Einführung des elektronischen Handelsregisters würden gem. § 8 Abs. 5 GmbHG die Regelung in § 12 HGB entsprechend gelten, wonach Dokumente elektronisch einzureichen seien. Soweit mithin eine Urschrift einzureichen sei, reiche die Einreichung einer elektronischen Aufzeichnung. Bei einer Amtsniederlegung sie deshalb diese und ihr Zugang bei mindestens einem Gesellschafter durch eine elektronische Aufzeichnung nachzuweisen.

Aus dem eingereichten Protokoll ergäbe sich, dass der Beteiligte zu 2. den anderen Gesellschaftern gegenüber die Niederlegung aufschiebend bedingt erklärt habe. Damit sei sowohl die Abgabe der Erklärung über die Niederlegung wie auch ihr Zugang beim Bestellorgan belegt. Dass die Widergabe fehlerhaft sei, ergäbe sich nicht und würde auch vom Registergericht nicht geltend gemacht. Das Protokoll sei auch in ausreichender Form eingereicht worden, auch wenn der Signaturablauf (Abgabe vor dem Dienstleister) nahelegen würde, dass es originär elektronisch erstellt wurde. Auch diese Form würde dem § 12 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 HGB entsprechen. Die teilweise wohl vertretene Auffassung, ein elektronisches Dokument sei immer aus einem Papierdokument zu erstellen, teile der Senat nicht. Der Begriff der Aufzeichnung kann auch die Festhaltung des zu dokumentierenden Vorgangs bezeichnen. Ausreichend sei die Erstellung eines Dokuments, dass dauerhaft wiedergegeben werden könne. Dies entspräche auch § 48 Abs. 2 GmbHG, demzufolge Beschlüsse der Gesellschafter in Textform gefasst werden könnten (vgl. § 126b BGB, wonach Textform bedeutet, dass es sich um eine lesbare Erklärung auf einem dauerhaften Datenträger handelt). Wenn danach eine elektronische Aufzeichnung ausreiche, sei es auch nicht erforderlich, dass diese durch den Notar erstellt wird.

Materiell-rechtlich läge eine wirksame Niederlegung vor, da diese formfrei abgegeben werden könne. Es käme nicht darauf an, ob eine Fernbeglaubigung nach dem Verfahren DocuSign rechtswirksam ist. Dies gelte erst Recht für die Unterschriften der beiden weiteren Gesellschafter, die im Zusammenhang mit der Niederlegung keine Willenserklärung abgeben müssten.

Die aufschiebende Bedingung der Niederlegung sei wirksam (BGH, Beschluss vom 21.06.2011 - II ZB 15/10 -).

Kammergericht, Beschluss vom 30.06.2022 - 22 W 36/22 -

Freitag, 25. November 2022

Gilt „Rechts vor Links“ auch bei Fahrt entgegen der Einbahnstraße ?

Die Fahrerin des Pkw des Klägers bog nach links in eine Straße ab. Zu dieser Zeit befuhr der Zweibeklagte die Straße, in die die das klägerische Fahrzeug einbog um letztlich in gleicher Fahrtrichtung weiterzufahren, wie der klägerische Pkw nach seinem Einbiegen. Bis zu der Einmündung der Straße, aus der der klägerische Pkw auf die vom Beklagtenfahrzeug genutzte Straße einfuhr, war die vom Beklagtenfahrzeug genutzte Straße eine Einbahnstraße, die das Beklagtenahrzeug entgegen der erlaubten Fahrtrichtung befuhr; erst ab der Einmündung war ein Befahren in beiden Fahrtrichtungen zulässig. Im Kreuzungsbereich kollidierten die Fahrzeuge.

Der Kläger klagte auf Erstattung des ihm entstandenen Schadens zu 100%. Das Amtsgericht gab der Klage in Höhe von 50% statt. Die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Für keine der Parteien sei der Verkehrsunfall unabwendbar iSv. § 17 Abs. 2 StVG gewesen; beiden Parteien (Fahrern) sei ein Verschuldensvorwurf zu machen.

Das schuldhafte Verhalten der Beklagtenseite sei der Verstoß des Beklagten zu 2. als Fahrer des Fahrzeugs gegen Zeichen 220 zu § 41 Abs. 2 Nr. 2 StVO, wobei dahinstehen könne und müsse (diesbezüglich sei kein Vortrag erfolgt), ob der Beklagte zu 2. Auch gegen Zeichen 267 StVO (Verbot der Einfahrt in die Straße) verstoßen habe. Jedenfalls sei der Beklaget zu 2. bei der ursprünglichen Einfahrt in die Straße an dem Zeichen 220 voreigekommen, welches allen Verkehrsteilnehmern auf der Fahrbahn die Fahrtrichtung vorschreibe. Auch wenn er dies bei der ursprünglichen Einfahrt in die Straße übersehen oder vergessen habe, begrüne dies einen Fahrlässigkeitsvorwurf. Der Verstoß sei auch mitursächlich gewesen, da es ohne diesen Verstoß nicht zu dem Verkehrsunfall gekommen wäre. Zudem habe der Beklagte zu 2., informatorisch angehört, angegeben, auf aus seiner Sicht von links kommenden Verkehr nicht geachtet zu haben, was einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO darstelle, da er damit habe rechnen müssen, dass ein Kraftfahrer die Einbahnstraße in die Gegenrichtung befahre.

Ein unfallursächliches Verschulden auf Klägerseite läge darin begründet, dass die Fahrerin nach dem Bewies des ersten Anscheins gegen das Gebot des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen habe. Das Beklagtenfahrzeug sei aus Sicht des klägerischen Fahrzeugs von rechtsgekommen. Dem Vorfahrtsrecht des Beklagtenfahrzeugs würde nicht entgegen stehen, dass dieses die in diesem Bereich als Einbahnstraße ausgeschilderte Straße in verbotener Fahrtrichtung befahren wurde. Zwar habe der BGH ein Vorfahrtsrecht ein Vorfahrtsrecht ausgeschlossen, wenn es schon an einem Recht zum Fahren ermangele (BGH, Urteil vom 06.10.1981 - VI ZR 296/79 -). Dem könne aber „inzwischen für die vorliegende Fallgestaltung nicht gefolgt werden“, da dies inkonsequent wäre. Auch derjenige, der unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot links fahre behalte nach der Rechtsprechung des BGH sein Vorfahrtsrecht (BGH, Urteil vom 19.09.1974 - III ZR 73/72 -). Auch würde das Vorfahrtsrecht nicht tangiert, wenn der Vorfahrtsberechtigte eine für ihn (nicht allgemein) gesperrte Straße nutze (zu denken wäre hier an Anliegerstraßen o.ä.).  Seit 1977 könnten zudem Einbahnstraße für den Radverkehr in beide Fahrtrichtungen geöffnet werden; mithin habe ein Radfahrer (wobei es sich nicht notwendig um Zweiräder handeln müsse) der die Einbahnstraße berechtigt entgegen der Einbahnstraße entgegen der Fahrtrichtung befahre in diesem Fall die Vorfahrt gegenüber von links kommenden Fahrzeugen. Angesehen davon dürfe der nach § 8 Abs. 1 S. 1 StVO Wartepflichtige nicht darauf vertrauen, dass aus der verbotenen Richtung überhaupt kein Fahrzeug käme; er müsse schon aus Rücksicht auf etwaige Anlieger oder Vorrechtsfahrzeuge (§ 35 Abs. 1 StVO: Polizei, Feuerwehr pp.) die Fahrbahn in beiden Fahrtrichtungen beobachten.

Die Revision wurde nicht zugelassen, da keine grundsätzliche Bedeutung bestünde. Auch würde die Zulassung nicht aus Gründen der Fortbildung des Rechts geboten sein, da es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ermangele. Die Entscheidung des BGH vom 06.10.1981 - VI ZR 296/79 -  veranlasse die Zulassung nicht, da sie noch nicht die Möglichkeit berücksichtige, das zwischenzeitlich Fahrradfahrern die Möglichkeit gegeben werden könne, die Einbahnstraße in beiden Fahrtrichtungen zu nutzen.

Kommentar

Der Entscheidung des Landgerichts kann insgesamt nicht gefolgt werden.

1. Das Beklagtenfahrzeug fuhr unzulässig entgegen der Einbahnstraße und es kam deshalb (wohl da die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht nach rechts bei Einfahrt auf diese Straße, die aber der Einfahrt in beide Fahrtrichtungen freigegeben war) zum Verkehrsunfall. Wenn das Beklagtenfahrzeug die Einbahnstraße nur ein Stück befahren hätte um dann dort zu wenden, wäre nachvollziehbar, wenn hier ein Verstoß gegen Zeichen 220 angenommen wird. Wurde die Straße in voller Länge befahren und nur zur Durchfahrt genutzt, muss sich der Fahrer nicht merken, ob eine solche Straße Einbahnstraße ist, um dies bei der Rückfahrt noch zu erinnern und zu beachten. Es käme also in diesem Fall darauf an, dass das Zeichen 267 an der Einfahrt zu Straße stand.

2. Für die Fahrerin des Klägerfahrzeugs war erkennbar, dass die Straße, auf die sie auffuhr, nach rechts eine Einbahnstraße war, die nicht in der Fahrtrichtung zu ihr hätte befahren werden dürfen. Es wird auch nicht ausgeführt (und war wohl auch nicht der Fall), dass diese Einbahnstraße für Fahrradfahrer in beiden Fahrtrichtungen freigegeben war, was auch durch entsprechend Beschilderung „Radfahrer frei“ (Zeichen 1022-10). Ist dieses nicht vorhanden, konnte sich die Fahrerin des klägerischen Pkw darauf verlassen, dass auch Radfahrer nicht die Straße entgegen der Fahrtrichtung befahren. Ebensowenig verfängt nicht der Verweis auf Sonderrechtsfahrzeuge. Nutzen diese entgegen der allgemeinen Verkehrsregelungen Straßen (z.B. Überqueren von Kreuzungen mit roter Ampelschaltung), so haben sie ihre Absicht deutlich kundzutun (z.B. Einschalten der Sirene); insoweit wird daran erinnert, dass bei Herannahen eines nur mit Blaulicht versehenen Polizei- oder Krankenwagens die Kreuzung nicht durch Hineinfahren in dieselbe trotz Rotlichts der Ampelanlage genutzt werden darf, sondern erst, wenn auch die Sirene am Einsatzfahrzeug eingeschaltet wird.

3. Die Revision hätte hier zwingend wegen Abweichung von dem Urteil des BGH vom 06.10.1981 - VI ZR 296/79 - zugelassen werden müssen. Gemäß § 546 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des BGH abweicht und auf dieser Abweichung (wie hier) beruht (BVerfG, Beschluss vom 19.12.2000 - i BvR 1684/99 -). Die Überlegungen des Landgerichts, weshalb gleichwohl die Revision nicht zugelassen wurde, tragen nicht. Zum Einen ergibt sich aus weiteren Entscheidungen des BGH nicht, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht festhält. Zum Anderen stützt sich das Landgericht für die Nichtzulassung auf das möglicherweise Radfahrern eingeräumte (hier nicht einmal feststellbare) Recht, die Einbahnstraße in beiden Fahrtrichtungen zu befahren. Da nicht festgestellt wurde, dass ein derartiges Recht für Fahrradfahrer bestand, liegt eine Abweichung vor, die zwingend die Revisionszulassung nach sich zog. Denn es muss auch in diesem Fall von einer verbotenen Nutzung der Einbahnstraße durch Radfahrer ausgegangen werden, wenn sie diese entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung befahren (was auch bußgeldbewährt ist). Zudem: Wenn, wie das Landgericht angibt, die Regelung zu Fahrradfahrern in 1977 geschaffen wurde, lag diese zum Zeitpunkt der Entscheidung des BGH bereits vor. Auch die in dem Urteilsgründen benannten weiteren Erwägungen des Landgerichts tragen dessen Entscheidung nicht. Zwar hat der BGH entschieden, dass sich das Vorfahrtsrecht auf einer Straße auf die gesamte Straßenbreite und nicht lediglich auf die rechte Fahrspur bezieht, weshalb ein einbiegen auf eine Vorfahrtsstraße und eine Kollision mit dem sich auf der Vorfahrtsstraße entgegen dem Rechtsfahrgebot links fahrenden Fahrzeug als Vorfahrtsverletzung darstellt. Eine solche Konstellation lag hier aber nicht vor, da das Beklagtenfahrzeug eine Einbahnstraße schlicht verbotswidrig entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung befuhr.

Bei dieser Situation eine hälftige Haftungsteilung anzunehmen, ist nicht nachvollziehbar, da damit die Grundsätze der Straßenverkehrsordnung verkehrt werden. Der grob regelwidrig Fahrende Verkehrsteilnehmer, der die Einbahnstraße verboten befährt, kommt in den von der Verkehrsordnung nicht vorgesehenen Genuss eines „rechts vor links“-Vorteils, obwohl doch gerade deshalb in Bereichen von Einbahnstraßen keine Vorfahrtszeichen bzw. Vorfahrtbeachtungszeichen aufgestellt werden, da es an den Beschilderungen fehlt, wenn nur in eine bestimmte Richtung eingebogen werden kann, aus der anderen Richtung keine Gefahr droht oder drohen kann.

LG Wuppertal, Urteil vom 30.06.2022 - 9 S 48/22 -

Montag, 21. November 2022

Unanfechtbare Entscheidung im selbständigen Beweisverfahren und Rechtsbeschwerde

Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) hatte einen Antrag in einem selbständigen Beweisverfahren (§§ 485 ff ZPO) durch Einholung des schriftlichen Gutachtens eines vom Gericht zu beauftragenden Sachverständigen gestellt, dem das Amtsgericht stattgab. Nach Durchführung des Orttermins teilte der Sachverständige mit, es sei noch eine Bauteilöffnung erforderlich, für die die Parteien einen Handwerker beauftragen müssten, im Hinblick auf die Beantwortung des Beweisbeschlusses zu einem Innenbereich seien alle Feststellungen getroffen. Nachdem die Parteien erklärten, keine Handwerker zu stellen, beschränkte das Amtsgericht das beweisverfahren auf den Innenbereich. Auf die Beschwerde der GdWE als Antragsteller hob das Landgericht diesen Beschluss auf und verweis das Verfahren an das Amtsgericht zurück. Das Landgericht ließ gegen seinen Beschluss die Rechtsbeschwerde mit der Begründung zu, den Antragsgegnern müsse rechtliches Gehör gewährt werden zu der Frage der Zulässigkeit der gegen den amtsgerichtlichen Beschluss eingelegten Beschwerde (welches es selbst bejahte). Die von den Antragsgegnern eingelegte Rechtsbeschwerde wurde vom BGH als unzulässig abgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde sei nur statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt sei, § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO oder sie vom Rechtsbeschwerdegericht zugelassen worden sei, § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO. Die hier einzig in Betracht kommende Alternative der Zulassung würde hier gleichwohl nicht zur Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde führen. Die Zulassung sei nämlich dann nicht bindend, wenn die Beschwerde bereits nicht statthaft gewesen sei. Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung könne nicht durch Zulassung einer Anfechtung unterworfen werden. Deshalb sei die Rechtsbeschwerde auch dann unzulässig, wenn sie vom Beschwerdegericht gerade (wie hier) im Hinblick der Klärung der Zulässigkeit der Beschwerde zugelassen habe (BGH, Beschluss vom 13.09.2011 - VI ZB 67/10 -).

Ein Beschluss, mit dem die Durch- oder Fortführung eines selbständigen Beweisverfahrens angeordnet würde, sei nicht anfechtbar, auch dann nicht, wenn sie vom Beschwerdegericht angeordnet würde. Dies beruhe auf dem mit § 490 Abs. 2 S. 2 ZPO verfolgten Beschleunigungsprinzip. Gleiches gelte für einen Beschluss, mit dem die Fortführung des Beweisverfahrens angeordnet würde.

Anmerkung:

Das Landgericht hätte bereits von Rechts wegen die von der GdWE eingelegte Beschwerde als unzulässig zurückweisen müssen. Da das Landgericht allerdings annahm, in diesem Fall sei die Beschwerde ausnahmsweise zulässig, da es sich um einen deklaratorischen Beschluss handele, sei hier § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO anzuwenden und die Rechtsbeschwerde zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Antragsgegner zuzulassen. Die Entscheidung des Landgerichts war mithin mit einem schwerwiegenden Rechtsfehler behaftet, der letztlich sogar einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) insoweit darstellte, als die Entscheidung - ohne jegliche Beschwerdemöglichkeit - alleine dem Amtsgericht oblag und dessen Entscheidung rechtsbindend war. Da nun der BGH als Rechtsbeschwerdegericht feststellte, dass die Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss nicht zulässig war, konnte er natürlich nicht in der Sache über die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des Amts- bzw. Landgerichts befinden. Allerdings hatte er erkannt, dass auch das Landgericht in der Sache nicht hätte entscheiden dürfen, einerlei ob es die amtsgerichtliche Entscheidung stützen wollte oder (wie hier) nicht. War das Landgericht prozessual nicht berufen, eine Entscheidung zu treffen, da eine Rechtsbindung bereits durch die Entscheidung des Amtsgerichts eingetreten war, entschied ein hier dazu nicht berufener Richter. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 18.02.2020 - 1 BvR 1750/19 - für eine die Verfassungsbeschwerde rechtfertigende Rüge der Verletzung des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG gefordert, dass das Fachgericht (hier Landgericht) die Gewährleistung aus Art. 101 Abs. 2 S. 1 verkannt habe oder maßgebliche Verfahrensnormen objektiv willkürlich angewandt wurden. In der vom BVerfG zu beurteilende Entscheidung hatte ein Landgericht eine bereists seit Wochen zur Staatsanwaltschaft berufende Richterin an dieser mitgewirkt. Hierin sah das BVerfG einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter; entweder sei die Frage der Zuständigkeit übergangen worden oder ein Ermessen für sich in Anspruch genommen, welches nach dem klaren Regelungen des Geschäftsverteilungsplan nicht bestanden habe. In beiden Fällen sei die Entscheidung fehlerhaft und unvertretbar.  Dies sei eine willkürliche fehlerhafte Anwendung der Zuständigkeitsnormen.

Vorliegend hatte das Landgericht seine Annahme einer Zulässigkeit der Beschwerde begründet. Kann aber eine Willkürlichkeit alleine deshalb entfallen, da das Gericht eine mögliche Unzulässigkeit der Beschwerde erkennt, diese aber aus einer Auslegung heraus meint verneinen zu können ? Wohl nicht. War aber damit, wie auch der BGH erkennt, letztlich das Landgericht nicht berechtigt über die Beschwerde zu entscheiden, war zwar der BGH nach seiner ständigen Rechtsprechung gehindert, über die zugelassene Rechtsbeschwerde in der Sache zu entscheiden. Er hätte damit zwar nicht in der Sache entscheiden können, aber über die Entscheidung des Landgerichts als Beschwerdegericht insgesamt und sie wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG aufheben können. Es kann dem Bürger nicht zugemutet werden, nach einer zugelassenen Rechtsbeschwerde, die wegen eines Zulassungsmangels zum Landgericht unzulässig ist, nach Abweisung der Rechtsbeschwerde als unzulässig Verfassungsbeschwerde einzulegen.  Zudem hätte hier der BGH von der Erhebung der Gerichtsosten wegen Fehlbehandlung durch das Landgericht absehen können, § 21 GKG.

BGH, Beschluss vom 15.09.2022 - V B 71/21 -

Freitag, 18. November 2022

Schönheitsreparaturen als fiktiver Schadensersatz im Mietrecht

Der Beklagte war nach dem Mietvertrag zur Durchführung von Schönheitsreparaturen verpflichtet. Er wurde nach Beendigung des Mietverhältnisses von dem klagendenden Vermieter auf der Grundlage eines Kostenvoranschlags deshalb auf Schadensersatz verklagt, nachdem er zuvor von dem Kläger unter Fristsetzung unter Darlegung näher bezeichneter Schönheitsreparaturen zur Durchführung derselben aufgefordert wurde. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Die Berufung des Beklagten wurde vom Landgericht zurückgewiesen. In Bezug auf die Zuerkennung fiktiven Schadensersatzes ließ das Landgericht die Revision zu, die vom Beklagten eingelegt wurde. Nach seinem Hinweisbeschluss beabsichtigte der BGH diese zurückzuweisen; die Revision wurde daraufhin zurückgenommen.

Die Beschränkung der Zulassung der Revision, so der BGH, sei hier statthaft, da bei einem nach Grund und Höhe streitigen Anspruch die Zulassung auch auf den Streit über die Höhe beschränkt werden könne. Es handele sich dabei um einen selbständigen teil des Streitstoffs, da dieser in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem übrigen Streitstoff (dem Anspruchsgrund, hier die Frage, ob eine Pflicht zur Schönheitsrenovierung bestand) beurteilt würde und auch im Falle einer Zurückverweisung kein Widerspruch zu dem nicht anfechtbaren teil des Streitstoffs auftrete.

Soweit der VII. Zivilsenat des BGH in seinem Urteil vom 22.02.2018 - VII ZR 46/17 -) im Rahmen des Werkvertragsrechts eine Bemessung des Schadens anhand von fiktiven Mängelbeseitigungskosten im Rahmen des Schadensersatzanspruchs statt der Leistung gem. § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 Abs. 1 BGB verneinte, sei dies einzig auf den Besonderheiten des Werkvertragsrechts, insbesondere dem Vorschussanspruch des Bestellers gem. § 637 Abs. 3 BGB zurückzuführen (BGH, Beschluss vom 08.10.2020 - VII ARZ 1/20 -), was auf andere Rechtsverhältnisse nicht übertragbar sei (so z.B. BGH, Urteil vom 31.03.2021 - XII ZR 42/20 -) und sollen es auch nicht sein (BGH, Beschluss vom 08.10.2020 - VII ARZ 1/20 -).

Zwar gäbe es (anders als im Kaufrecht) im Mietrecht einen mit § 637 Abs. 3 BGB vergleichbaren Anspruch auf Vorschuss für eine beabsichtigte Selbstvornahme. Nach § 536a Abs. 2 Nr. 1 BGB bestünde ein Vorschussanspruch des Mieters bei Mängelbeseitigungen (so BGH, Urteil vom 08.07.2020 - VIII ZR 163/18 -) und könne auch der Vermieter vom Mieter einen Vorschuss in dem Fall verlangen, dass sich der Mieter mit den Schönheitsreparaturen in Verzug befände (BGH, Urteil vom 15.03.2006 - VIII ZR 123/05 -). Um derartige Ansprüche würde es hier aber nicht gehen, da das Mietverhältnis beendet sei (BGH, Urteil vom 31.03.2021 - XII ZR 42/20 -).

Das Berufungsgericht habe zutreffend den vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzanspruch wegen der nicht vorgenommenen Schönheitsreparaturen gem. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB, § 281 Abs. 1 BGB anhand der sogenannten fiktiven Mängelbeseitigungskosten (hier: auf der Grundlage eines Kostenvoranschlags) bemessen können. Bei den abgerechneten fiktiven Kosten handele es sich um Schönheitsreparaturen im Sinne der auch für den preisfreien Wohnraum maßgeblichen Definition in § 28 Abs. 4 S. 3 der Zweiten Berechnungsverordnung (II. BV).

Das Bestreiten der zugrunde gelegten Größen der Wandflächen sei vom Beklagten unzulässig pauschal erfolgt. Der Beklagte habe dort zehn Jahre gewohnt, weshalb er Kenntnisse habe und ihm daher ein pauschales Bestreiten verwehrt sei, § 138 Abs. 1m 2 ZPO. Zudem habe der vom Gericht hinzugezogene Sachverständige die im Kostenvoranschlag in Ansatz gebrachten Mengen anhand einer unstreitigen Wohnfläche von 70 qm nachvollziehen können.

 BGH, Hinweisbeschluss vom 10.05.2022 - VIII ZR 277/20 -