Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) hatte einen Antrag in einem selbständigen Beweisverfahren (§§ 485 ff ZPO) durch Einholung des schriftlichen Gutachtens eines vom Gericht zu beauftragenden Sachverständigen gestellt, dem das Amtsgericht stattgab. Nach Durchführung des Orttermins teilte der Sachverständige mit, es sei noch eine Bauteilöffnung erforderlich, für die die Parteien einen Handwerker beauftragen müssten, im Hinblick auf die Beantwortung des Beweisbeschlusses zu einem Innenbereich seien alle Feststellungen getroffen. Nachdem die Parteien erklärten, keine Handwerker zu stellen, beschränkte das Amtsgericht das beweisverfahren auf den Innenbereich. Auf die Beschwerde der GdWE als Antragsteller hob das Landgericht diesen Beschluss auf und verweis das Verfahren an das Amtsgericht zurück. Das Landgericht ließ gegen seinen Beschluss die Rechtsbeschwerde mit der Begründung zu, den Antragsgegnern müsse rechtliches Gehör gewährt werden zu der Frage der Zulässigkeit der gegen den amtsgerichtlichen Beschluss eingelegten Beschwerde (welches es selbst bejahte). Die von den Antragsgegnern eingelegte Rechtsbeschwerde wurde vom BGH als unzulässig abgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde sei nur statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt sei, § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO oder sie vom Rechtsbeschwerdegericht zugelassen worden sei, § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO. Die hier einzig in Betracht kommende Alternative der Zulassung würde hier gleichwohl nicht zur Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde führen. Die Zulassung sei nämlich dann nicht bindend, wenn die Beschwerde bereits nicht statthaft gewesen sei. Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung könne nicht durch Zulassung einer Anfechtung unterworfen werden. Deshalb sei die Rechtsbeschwerde auch dann unzulässig, wenn sie vom Beschwerdegericht gerade (wie hier) im Hinblick der Klärung der Zulässigkeit der Beschwerde zugelassen habe (BGH, Beschluss vom 13.09.2011 - VI ZB 67/10 -).
Ein Beschluss, mit dem die Durch- oder Fortführung eines selbständigen Beweisverfahrens angeordnet würde, sei nicht anfechtbar, auch dann nicht, wenn sie vom Beschwerdegericht angeordnet würde. Dies beruhe auf dem mit § 490 Abs. 2 S. 2 ZPO verfolgten Beschleunigungsprinzip. Gleiches gelte für einen Beschluss, mit dem die Fortführung des Beweisverfahrens angeordnet würde.
Anmerkung:
Das Landgericht hätte bereits von Rechts wegen die von der GdWE eingelegte Beschwerde als unzulässig zurückweisen müssen. Da das Landgericht allerdings annahm, in diesem Fall sei die Beschwerde ausnahmsweise zulässig, da es sich um einen deklaratorischen Beschluss handele, sei hier § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO anzuwenden und die Rechtsbeschwerde zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Antragsgegner zuzulassen. Die Entscheidung des Landgerichts war mithin mit einem schwerwiegenden Rechtsfehler behaftet, der letztlich sogar einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) insoweit darstellte, als die Entscheidung - ohne jegliche Beschwerdemöglichkeit - alleine dem Amtsgericht oblag und dessen Entscheidung rechtsbindend war. Da nun der BGH als Rechtsbeschwerdegericht feststellte, dass die Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss nicht zulässig war, konnte er natürlich nicht in der Sache über die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des Amts- bzw. Landgerichts befinden. Allerdings hatte er erkannt, dass auch das Landgericht in der Sache nicht hätte entscheiden dürfen, einerlei ob es die amtsgerichtliche Entscheidung stützen wollte oder (wie hier) nicht. War das Landgericht prozessual nicht berufen, eine Entscheidung zu treffen, da eine Rechtsbindung bereits durch die Entscheidung des Amtsgerichts eingetreten war, entschied ein hier dazu nicht berufener Richter. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 18.02.2020 - 1 BvR 1750/19 - für eine die Verfassungsbeschwerde rechtfertigende Rüge der Verletzung des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG gefordert, dass das Fachgericht (hier Landgericht) die Gewährleistung aus Art. 101 Abs. 2 S. 1 verkannt habe oder maßgebliche Verfahrensnormen objektiv willkürlich angewandt wurden. In der vom BVerfG zu beurteilende Entscheidung hatte ein Landgericht eine bereists seit Wochen zur Staatsanwaltschaft berufende Richterin an dieser mitgewirkt. Hierin sah das BVerfG einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter; entweder sei die Frage der Zuständigkeit übergangen worden oder ein Ermessen für sich in Anspruch genommen, welches nach dem klaren Regelungen des Geschäftsverteilungsplan nicht bestanden habe. In beiden Fällen sei die Entscheidung fehlerhaft und unvertretbar. Dies sei eine willkürliche fehlerhafte Anwendung der Zuständigkeitsnormen.
Vorliegend hatte das Landgericht seine Annahme einer Zulässigkeit der Beschwerde begründet. Kann aber eine Willkürlichkeit alleine deshalb entfallen, da das Gericht eine mögliche Unzulässigkeit der Beschwerde erkennt, diese aber aus einer Auslegung heraus meint verneinen zu können ? Wohl nicht. War aber damit, wie auch der BGH erkennt, letztlich das Landgericht nicht berechtigt über die Beschwerde zu entscheiden, war zwar der BGH nach seiner ständigen Rechtsprechung gehindert, über die zugelassene Rechtsbeschwerde in der Sache zu entscheiden. Er hätte damit zwar nicht in der Sache entscheiden können, aber über die Entscheidung des Landgerichts als Beschwerdegericht insgesamt und sie wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG aufheben können. Es kann dem Bürger nicht zugemutet werden, nach einer zugelassenen Rechtsbeschwerde, die wegen eines Zulassungsmangels zum Landgericht unzulässig ist, nach Abweisung der Rechtsbeschwerde als unzulässig Verfassungsbeschwerde einzulegen. Zudem hätte hier der BGH von der Erhebung der Gerichtsosten wegen Fehlbehandlung durch das Landgericht absehen können, § 21 GKG.
BGH, Beschluss vom
15.09.2022 - V B 71/21 -
Aus den Gründen:
Tenor
Die
Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts München I - 36.
Zivilkammer - vom 29. November 2021 wird auf Kosten der Antragsgegner als
unzulässig verworfen.
Gründe
I.
Die Parteien
bilden eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Aufgrund eines Antrags
des Antragstellers auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens hat
das Amtsgericht im März 2020 die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens
angeordnet. Gegenstand des Gutachtens ist unter anderem, ob in der Wohnung des
Antragstellers Wasser eintritt und Probleme bei der Regenwasserableitung
vorhanden sind. Der beauftragte Sachverständige hat nach Durchführung eines
Ortstermins mitgeteilt, dass für eine noch ausstehende Begutachtung des
Dachrandes Bauteilöffnungen erforderlich seien, für die durch die Parteien
Handwerker beauftragt werden müssten; zur Beantwortung der Fragen des
Beweisbeschlusses im Innenbereich seien hingegen alle erforderlichen
Feststellungen getroffen.
Nachdem die
Parteien mitgeteilt hatten, keine Handwerker zu stellen, hat das Amtsgericht
einen Beschluss erlassen, wonach das selbstständige Beweisverfahren nur noch
für den Innenbereich weitergeführt werde und im Übrigen beendet sei. Auf die
sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Landgericht den Beschluss
aufgehoben und das Verfahren zur weiteren Durchführung des selbstständigen
Beweisverfahrens an das Amtsgericht zurückgegeben. Gegen diese Entscheidung
wenden sich die Antragsgegner mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde, deren
Zurückweisung der Antragsteller beantragt.
II.
Das
Beschwerdegericht erachtet die sofortige Beschwerde für zulässig. Zwar habe ein
Beschluss, mit dem die Beendigung des selbstständigen Beweisverfahrens
festgestellt werde, nur deklaratorische und keine konstitutive Wirkung,
weswegen eine hiergegen gerichtete Beschwerde mangels Rechtsschutzbedürfnisses
grundsätzlich unzulässig sei. Allerdings könne der deklaratorische Beschluss
verhindern, dass einer Verfahrenspartei das ihr zustehende rechtliche Gehör
gewährt werde. Daher sei gegen einen Beschluss, der die Beendigung eines
selbstständigen Beweisverfahrens ganz oder teilweise ausspreche, gemäß
§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO eine sofortige Beschwerde zulässig. Der
Begriff des weit zu fassenden rechtlichen Interesses im Sinne des § 485
Abs. 2 Satz 2 ZPO als Voraussetzung für die Durchführung eines
selbstständigen Beweisverfahrens würde entkernt, wenn der sofortigen Beschwerde
in diesem Fall das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen würde. Die sofortige
Beschwerde sei auch begründet.
III.
Die
Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft und daher unzulässig.
1. Eine
Rechtsbeschwerde ist nur statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt
ist (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) oder das
Beschwerdegericht sie in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§ 574
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Die erstgenannte Alternative liegt
nicht vor. Die Statthaftigkeit ergibt sich auch nicht auf der Grundlage der
zweiten Alternative. Zwar hat das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zur
Klärung der Frage, ob die sofortige Beschwerde gegen einen Beschluss, der das
selbstständige Beweisverfahren für beendet erkläre, zulässig sei, zugelassen.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht ist aber für das
Rechtsbeschwerdegericht nicht bindend, wenn die Rechtsbeschwerde gegen die
angefochtene Entscheidung bereits nicht statthaft ist. Eine nach dem Gesetz
unanfechtbare Entscheidung kann nicht durch Zulassung einer Anfechtung
unterworfen werden. Die Rechtsbeschwerde ist in diesem Fall auch dann
unzulässig, wenn das Beschwerdegericht sie eigens zur Klärung der
Zulässigkeitsfrage zugelassen hat (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 13.
September 2011 - VI ZB 67/10, NJW 2011, 3371 Rn. 5 mwN; vgl. auch Senat,
Beschluss vom 9. März 2017 - V ZB 119/16, FGPrax 2017, 184 Rn. 11).
2. So
liegt der Fall hier. Ein Beschluss, mit dem die Durch- oder Fortführung eines
selbstständigen Beweisverfahrens angeordnet wird, ist nicht anfechtbar; dies
gilt auch dann, wenn die Anordnung durch das Beschwerdegericht erfolgt. Gemäß
§ 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist vor dem Hintergrund des mit dem
selbstständigen Beweisverfahren auch verfolgten Zwecks der
Prozessbeschleunigung (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - VII ZB
23/03, MDR 2005, 227, 228) ein Beschluss, durch den dem Antrag im selbstständigen
Beweisverfahren stattgegeben wird, nicht anfechtbar. Dies begegnet keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken (näher BGH, Beschluss vom 13. September 2011 -
VI ZB 67/10, NJW 2011, 3371 Rn. 6 ff.). Gleichermaßen ist ein Beschluss, mit
dem - wie hier - die Fortführung eines selbstständigen Beweisverfahrens
angeordnet wird, unanfechtbar. Denn die Entscheidung, das selbstständige
Beweisverfahren fortzusetzen, ist mit der Entscheidung, dem Antrag auf
Anordnung des selbstständigen Beweisverfahrens stattzugeben, vergleichbar (vgl.
OLG Celle, IBR 2014, 1223; BeckOK ZPO/Kratz [1.7.2022], § 490 Rn. 5;
HK-ZPO/Kießling, 9. Aufl., § 490 Rn. 16). Die sich aus § 490
Abs. 2 Satz 2 ZPO ergebende Unanfechtbarkeit gilt schließlich auch
dann, wenn die Anordnung der Durch- oder Fortführung des selbstständigen
Beweisverfahrens - wie hier - durch das Beschwerdegericht erfolgt (vgl. zur
Anordnung der Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens BGH, Beschluss
vom 13. September 2011 - VI ZB 67/10, NJW 2011, 3371 Rn. 6).
3. Die
Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts
kann - anders als die Rechtsbeschwerde meint - aufgrund der Regelung des
§ 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht
geprüft werden. Daher kommt es auch auf die Frage, derentwegen das
Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat, nicht an.
IV.
Die
Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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