Samstag, 15. Januar 2022

Fitnessstudio: Verkehrssicherungspflicht für Free-Style-Bereiche

Die Beklagte unterhielt in ihrem Fitnessstudio einen sogen. Free-Style-Bereich. Es handelte sich um einen  Bereich, in dem die Kunden des Studios u.a. verschiedene bereitliegende Geräte nehmen und nach eigener Vorstellung mit diesen trainieren konnten.  In diesem Bereich war eine sogen. Slackline (Kunstfaser- oder Gurtband, auf dem balanciert werden kann) in signalroter Farbe zwischen zwei Säulen auf einer Distanz von 6 bis 8 m gespannt, die nach Angaben der Beklagten in einer Höhe von 50 cm, nach Angaben der 74-jährigen Klägerin (die sie allerdings nach eigenen Angaben gesehen haben will) 15 – 20 cm angebracht war. Die Klägerin stürzte über die Slackline und zog sich Frakturen am Schienbein und einen Wadenbeinbruch zu und klagte auf Schmerzensgeld und Feststellung eines weiteren materiellen und immateriellen Schadens. Sie wandte sich mit ihrer Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts. Ihre Berufung wurde zurückgewiesen. Es würden weder aus Vertrag noch aus Delikt  Ansprüche aus einer Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht der Beklagten bestehen. 

Die gebotene Verkehrssicherungspflicht erfordere diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend halte, um andere vor Schäden zu bewahren. Es müsse daher nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Von daher reiche es aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten dürfe, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm nach den Umständen auch zumutbar seien. Gerade der Betreiber einer Sport- und Spielanlage brauche daher nicht allen Gefahren vorzubeugen; ausreichend sei eine Verkehrssicherung in Bezug auf Gefahren, die über das übliche Risiko bei der Anlagenbenutzung hinausgehen würden und für den Benutzer nicht vorhersehbar und nicht ohne weiteres erkennbar seien (BGH, Urteil vom 09.09.2008 - VI ZR 279/076 -). 

Die Slackline, bei der möglicherweise die Gefahr bestanden habe, über diese zu stolpern, sei nach Auffassung des OLG auch für einen durch sportliche Übung bereits etwas erschöpften Menschen deutlich zu sehen gewesen. Sie sei durch die rote, signalartige Farbe von weitem zu erkennen gewesen und habe sich deutlich von der grün-grau-schwarzen Bodenfläche (auch aus der Ferne) abgehoben. Auch wenn sie eventuell nicht mit der vollen breiten Seite, sondern nur mit der schmalen Seite gesehen würde, sei sie noch deutlich erkennbar gewesen, weshalb sie die Klägerin beim Betreten des Free-Style-Bereichs hätte erkannt werden können. 

Zudem stelle der Free-Style-Bereich keinen Bereich dar, in dem nach seiner Zweckbestimmung nicht mit Hindernissen zu rechnen sei. Da er von den Nutzern frei als Bewegungsraum für das eigene Training auch mit Hantieren von Geräten und auch Bodenübungen genutzt werden soll und wurde, sei bereits mit dem Herumliegen von Geräten und anderen Nutzern zu rechnen. Die Klägerin selbst habe sogar nach ihren eigenen Angaben Bodenübungen machen wollen und zum Zeitpunkt des Sturzes nach einem Platz für ihr Handtuch gesucht. Von ihr sei zu erwarten gewesen, dass sie auf bereits trainierende andere Nutzer und die Geräte achtet, wobei sie sogar in ihrer Anhörung eingeräumt habe, dass sie die Slackline früher schon gesehen habe. Nach alledem habe für sie auch individuell Anlass bestanden, beim Betreten des Bereichs Aufmerksamkeit walten zu lassen.

Die von der Klägerin benannte Entscheidung des OLG Karlsruhe (Beschluss vom 16.07.2019 - 14 U 60/16 -) würde nicht einschlägig sein. Dort war eine  Slackline quer über einen Rad- und Fußweg gespannt gewesen, vorliegend aber war die Slackline nicht über oder im Bereich einer Verkehrsfläche gespannt.

 

Dahinstehen könne, ob die Slackline nur in einer Höhe von 15 – 20 cm gespannt gewesen sei, da das OLG nach Durchführung einer Beweisaufnahme von einer Höhe von etwa 50 cm überzeugt sei. Nicht nur sei dies auf einem Foto (drei Tage nach dem Vorfall aufgenommen) ersichtlich du wurde es auch entsprechend von einer Zeugin glaubhaft bekundet. Die Bekundung der Zeugin sei auch plausibel, da dann, wenn die Slackline tiefer gespannt würde, diese bei einer Länge von einigen Metern unter dem Gewicht eines Menschen bis auf den Boden durchdrücken würde und damit für Balance- und Kraftübungen nicht geeignet sei. 

Da die Slackline als zu übersteigendes Hindernis deutlich erkennbar gewesen sei, stelle sie keine Stolperfalle im Sinne der Arbeitsstättenverordnung Fußböden ASR 8/1 dar, die eine (zusätzliche) Kenntnismachung erfordere. 

OLG Frankfurt, Urteil vom 05.08.2021 - 16 U 162/20 -

Donnerstag, 13. Januar 2022

Unrichtige Angaben zu wirtschaftlichen Verhältnissen und Versagung der Restschuldbefreiung (§ 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO)

Der Schuldner wurde von dem Hauptzollamt wegen Tabaksteuer in Höhe von € 79.832,59 in Anspruch genommen (Bescheid vom 09.08.2010). Mit anwaltlichen Schreiben vom 11.03.2011 bat der Schuldner, auch in Ansehung von arretierten Vermögensgegenständen, um Stundung und Freigabe der arretierten Gegenstände.  Dabei berief er sich darauf, dass er einen Kredit aufnehmen wollen und dabei sein Haus als Sicherheit anbiete und bis zur Kreditgewährung das Hauptzollamt seine Forderung durch eine Hypothek oder Grundschuld auf dem Grundstück absichern könne. Dem Schreiben lag ein Wertgutachten zu dem Grundstück bei, in dem der Schuldner als Eigentümer benannt wurde. Allerdings war der Schuldner nicht mehr Eigentümer dieses Grundstücks; dieses hatte er bereits im April 2010 veräußert und das Eigentum der Käuferin wurde im September 2010 gewahrt.

In dem gegen den Schuldner eröffneten Insolvenzverfahren über sein Vermögen beantragte das Hauptzollamt als Gläubigerin die Versagung der Restschuldbefreiung, da der Schuldner unrichtige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht habe. Das Insolvenzgericht wies den Antrag zurück. Die Beschwerde der Gläubigerin blieb erfolglos, doch wurde die (von der Gläubigerin erhobene) Rechtsbeschwerde zugelassen. Dieses hob die Beschwerdeentscheidung aus formalen Gründen auf und verwies den Rechtsstreit an das Beschwerdegericht zurück, da der Einzelrichter die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen habe, in diesem Fall aber nicht der Einzelrichter hätte entscheiden dürfen, sondern als gesetzlicher Richter die Kammer. Allerdings nahm der BGH die Gelegenheit wahr, für das weitere verfahren entscheidende Hinweise zu geben:

Nach § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO sei die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn dieser von Antrag von einem Gläubiger gestellt würde, der seine Forderung angemeldet habe und der Schuldner in den letzten drei Jahren vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach dem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht habe, um einen Kredit zu erhalten, Leistungen aus öffentlichen Mitteln zu beziehen oder Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt.

Richtig sei von der Vorinstanz das Schreiben des Schuldners dahingehend gewertet worden, dass der Schuldner eine Grundschuld/Hypothek an einem eigenen Grundstück als Sicherung angeboten habe. Auch wenn die Aussage in einem Schreiben seines anwaltlichen Bevollmächtigten gestanden habe, sei sie ihm als eigene schriftliche Erklärung zuzurechnen. § 289 Abs. 1 Nr. 2 InsO verlange keine eigenhändig vom Schuldner unterzeichnetes Schriftstück. Ausreichend sei, dass die unrichtige Angabe mit seinem Wissen und seiner Billigung an den Empfänger weitergeleitet worden sei (BGH, Beschluss vom 11.09.2003 - IX ZB 37/03 -); dass der Anwalt hier eigenmächtig gehandelt habe, habe der Schuldner nicht behauptet.

Es sei auch Vorsatz anzunehmen, da der Schuldner durch den Verkauf und die ihm bekannte Auflassung des Grundstücks an die Käuferin (Eigentumsübertragung im Grundbuch) wusste, dass er nicht mehr Eigentümer war und mithin über dieses nicht befinden konnte. Zudem sei die Erklärung in den letzten drei Jahren vor der Stellung des Insolvenzantrages abgegeben worden. Und sie sei mit dem Ziel abgegeben worden, Leistungen aus öffentlichen Mitteln zu beziehen und Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden.

Letzteres schlussfolgerte der BGH aus dem Wortlaut der Norm des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO und  einem vom Beschwerdegericht verkannten finalen Zusammenhang:

Der Wortlaut „um ... zu“ verdeutliche das erforderliche finale Handeln zur Verwirklichung der Zielsetzung der Leistungsbeziehung und/oder Leistungsvermeidung. Dabei käme es nicht darauf an, ob die Zielsetzung auch verwirklicht wurde. Sanktioniert sei die Unredlichkeit des Schuldners, die sich dem zielgerichteten Handeln verwirkliche, wenn zwischen dem Handeln und den tatbestandlich vorausgesetzten Leistungen ein objektiver Zusammenhang bestünde (BGH, Beschluss vom 20.12.2007 - IX ZB 189/06 -).

Der Begriff „Kredit“ in § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO sei weit auszulegen. Er umfasse jede Form von Darlehen, Zahlungsaufschub oder Finanzierungshilfe. Die „Leistungsvermeidung“ läge vor, wenn der Schuldner bestandkräftige Steuern nicht zahlen wolle und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen versuche abzuwehren. In diesem Zusammenhang wies der BGH darauf hin, dass häufig im Zusammenhang mit Anträgen auf Stundung von Steuerrückständen nach § 222 AO oder auf einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung (§ 259 AO) unrichtige Angaben gemacht würden; im Regierungsentwurf zur Insolvenzordnung von 1992 sei die Vermeidung von Steuerzahlungen als Beispiel explizit genannt.  

Auch wenn das Beschwerdegericht das Schreiben vom 11.03.2011 dahingehend verstanden habe, es sei ihm lediglich darum gegangen, die Steuern später zu zahlen, läge der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor. Zahlungsaufschub und Stundung würden eine Leistungsverweigerung darstellen, wobei hier hinzu käme, dass der Schuldner sichergestellte Vermögenswerte freibekommen wollte.

 

Ebenfalls würde nicht gegen die Anwendbarkeit der Norm sprechen, dass der Schuldner seine Angaben im Zusammenhang mit einem Vergleichsvorschlag getätigt habe. Der Schuldner hätte keinen Vergleichsvorschlag unterbreiten müssen; würde es gleichwohl tun, dürften die Angaben über die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht falsch sein. Sollen durch falsche Angaben Zugeständnisse erschlichen werden, würde dies unter den Versagungstatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO fallen.

Auch die Überlegung des Beschwerdegerichts, es sei nicht widerlegt, dass der Eigentümer des Grundstücks die Sicherungshypothek bewilligt hätte, trage nicht, da der Schuldner keine Sicherheit an einem fremden, sondern an einem eigenen Grundstück angeboten habe.

BGH, Beschluss vom 18.11.2021 - IX ZB 1/21 -

Sonntag, 9. Januar 2022

Bauüberwachung und Haftung des Architekten wegen Verkehrssicherungspflichtverletzung

Ist einem Architekten auch die Bauüberwachung übertragen worden, in deren Rahmen ihm auch eine Verkehrssicherungspflicht obliegt, bei deren Verletzung er haftet. So das OLG Köln in seinem Beschluss nach § 522 ZPO, mit dem es darauf hinwies, die Berufung des verklagten Architekten gegen das landgerichtliche Urteil zurückweisen zu wollen.

Grundsätzlich obläge dem Architekten nur eine sekundäre Verkehrssicherungspflicht. Er müsse danach nur diejenigen Verkehrssicherungspflichten beachten, die dem Bauherrn als dem mittelbaren Veranlasser der aus der Baumaßnahme fließenden Gefahren obliegen. Allerdings würde der mit der örtlichen Bauaufsicht, Bauleitung und Bauüberwachung beauftragte Architekt unmittelbar verkehrssicherungspflichtig, wenn Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der beauftragte Unternehmer in dieser Hinsicht nicht genügend sachkundig oder zuverlässig sei, wenn er Gefahrenquellen erkenne oder wenn er diese bei gewissenhafter Beobachtung der ihm obliegenden Sorgfalt hätte erkennen können. In diesen Fällen sei er verpflichtet, zumutbare Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern (BGH, Urteil vom 18.11.2014 - VI ZR 47/13 -).

Vorliegend sei ein Kaminzug schadensursächlich gewesen, Dieser sei 11 Tage vor dem Schadenstag im Zuge der Bauausführung von dem Rohbauunternehmer mit Mineralwolle verstopft worden, um so die Ableitung der Abgase aus der Wohnung der Klägerin zu verhindern. In Ansehung der Gefährlichkeit einer Vergiftung der Mieter seiner Auftraggeberin hätte es daher dem beklagten Architekten oblegen, sich selbst von der ordnungsgemäßen provisorischen Ableitung der Abgase aller aktiven Kaminzüge nach deren Vornahme Gewissheit zu verschaffen und auch im Weiteren im Zuge der Baumaßnahmen durch regelmäßige Kontrollen sicherzustellen.

Der Beklagte könne sich nicht darauf berufen, er habe die provisorische Maßnahme angeordnet und einen zuverlässigen Unternehmer damit beauftragt. Die Planung habe eine bauliche Veränderung der bis zum Rückbau funktionierenden Kaminzüge vorgesehen, so dass der Beklagte mit seiner planerischen Maßnahme in das bisher funktionierende System der Ableitung der anfallenden Abgase eingriff und zu einem Provisorium verändert habe. Gerade deshalb habe er sich selbst im Rahmen der ihm obliegenden Bauüberwachung davon zu überzeugen gehabt, dass die zum Schutz Dritter vorgesehene provisorische Maßnahme ordnungsgemäß ausgeführt wurde. Hierfür habe dem Beklagten bis zum Schadensfall auch genügend Zeit zur Verfügung gestanden, da er nur 12 Kaminzüge hätte prüfen müssen.

Von daher hafte der Beklagte für die Vergiftungserscheinungen bei der Klägerin.

OLG Köln, Beschluss vom 01.07.2021 - I-7 U 117/20 -

Donnerstag, 6. Januar 2022

Allgemeiner Gerichtsstand einer Gesellschaft im Ort mit mehreren Amtsgerichtsbezirken

Die Gläubigerin wollte auf der Grundlage eines Vollstreckungsbescheides gegen die GmbH einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwirken. Diesen Antrag stellte sie bei dem AG Gießen. Die Schuldnerin (GmbH) war mit einer Anschrift in Hungen benannt (dem Verwaltungssitz). Das AG Gießen hat nach Anhörung der Gläubigerin den Antrag an das AG Berlin-Charlottenburg verwiesen, da dort der statuarische Sitz (Sitz der Gesellschaft gemäß Gesellschaftsvertrag, gewahrt im Handelsregister) der GmbH (wenn auch ohne Anschrift in Berlin) war. Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg negierte seine Zuständigkeit auch, weshalb letztlich der Vorgang dem OLG Frankfurt am Main zur Gerichtstandsbestimmung vorgelegt wurde, § 36 Abs. 2 ZPO. Dieses bestimmte das AG Berlin-Charlottenburg als zuständiges Gericht.

Da sich beide Amtsgerichte für örtlich unzuständig hielten lagen die Voraussetzungen für die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor und war das OLG Frankfurt nach § 36 Abs. 2 dafür zuständig, da das zunächst zuständige höhere gemeinschaftliche Gericht für das AG Gießen und das AG Berlin-Charlottenburg der BGH wäre und in diesem Fall das OLG des Gerichtsbezirks zur Zuständigkeitsbestimmung zuständig ist, in dessen Bezirk das Amtsgericht (Gericht) liegt, welches zuerst mit der Sache befasst war (hier: AG Gießen).

Eine Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des AG Gießen nach § 281 ZPO sei nicht eingetreten. Die Bindungswirkung träte nicht lediglich in dem Fall der Willkür (die hier nicht vorlag) nicht ein, sondern auch dann nicht, wenn die Verweisung auf Antrag (wie hier) erfolge, § 828 Abs. 3 S. 2 ZPO.

Der allgemeine Gerichtsstand einer juristischen Person (hier GmbH) bestimmt sich nach deren Sitz (§ 17 ZPO). Der Sitz einer Gesellschaft muss nicht mit dem Verwaltungssitz übereinstimmen. Das OLG verweist darauf, dass der Sitz nach § 4a GmbHG der Ort im Inland sei, den der Gesellschaftsvertrag bestimme, unabhängig vom Verwaltungssitz (RGZ 59, 106, 107f). Das bedeute, dass der Sitz nicht im örtlichen Zusammenhang mit einer betrieblichen Einrichtung stehen müsse. Selbst wenn die Betriebsstätte und die Verwaltung der Gesellschaft an einem anderen Ort sind, könne ein fiktiver Satzungssitz im Inland gewählt werden. [Anm.: Dies Trennung von Verwaltungssitz und statuarischen Sitz kommt häufig vor, wenn eine Gesellschaft ihre Verwaltung und Betriebsstätte aus einem Ort in einen anderen verlegt, ohne aber den in der Satzung benannten Sitz zu ändern.]

Vorliegend war als statuarischer Sitz (Sitz gemäß Gesellschaftsvertrag und damit Eintragung im Handelsregister) Berlin. Da es in Berlin verschiedene Amtsgerichtsbezirke gibt (wie z.B. auch in Duisburg), musste sich das OLG damit mit der Frage auseinandersetzen, welches Amtsgericht zuständig sein soll, da die Ermittlung eines bestimmten Amtsgerichts durch Benennung einer Anschrift in Berlin nicht möglich war. Das OLG verweist darauf, dass in der Literatur darauf verwiesen würde, dass ein bei Existenz mehrerer Amtsgerichtsbezirke ein zentrales Registergericht eingerichtet sei, ohne dass allerdings auf die Frage der notwendigen genauen Bestimmung eingegangen würde, mit der der Sitz als Anknüpfungspunkt  gerichtlicher Zuständigkeit hinreichend festgelegt werden könne. 

Vorliegend sei die Schuldnerin im beim AG Berlin-Charlottenburg geführten Handelsregister mit Sitz in Berlin eingetragen. § 7 GmbHG fordert, dass die Gesellschaft bei dem Gericht zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden sei, in dessen Bezirk sie ihren Sitz habe. Da aber das AG Berlin-Charlottenburg das zentrale Registergericht für Berlin sei., könne aus der Eintragung nicht gefolgert werden, dass aus der dortigen Eintragung sich ein Sitz in Berlin-Charlottenburg ergäbe. Ein zentrales Gericht für Vollstreckungsmaßnahmen sei in Berlin nicht eingerichtet. Das AG Berlin-Mitte sei zwar nach dem Orts- und Gerichtsverzeichnis als zentrales Vollstreckungsgericht eingerichtet, allerdings lediglich zuständig für die zentrale Verwaltung der Schuldner- und Vermögensverzeichnisse; die Zuständigkeit für Vollstreckungsmaßnahmen (wie hier den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses) bliebe davon aber unberührt.

Das AG Charlottenburg habe darauf verwiesen, dass sich der satzungsmäßige Sitz der Gesellschaft in Berlin nicht näher bestimmen ließe. Allerdings würde dies entgegen der Auffassung des (für Berlin als Oberlandesgericht zuständigen) Kammergerichts (Beschluss vom 11.10.2007 - 2 AR 41/07 -) nicht bedeuten, dass deshalb auf einen außerhalb Berlins liegenden Verwaltungsort abzustellen sei (hier Hungen mit der daraus sich ergebenden Zuständigkeit des AG Gießen). Dagegen spreche schon der Umstand, dass sich der allgemeine Gerichtsstand der GmbH bei Zuständigkeit des Landgerichts Berlin nach dem Sitz, bei Zuständigkeit des Amtsgerichts außerhalb Berlin ergeben würde, mithin eine Aufspaltung je nachdem ergäbe, ob nun das Amtsgericht zur Entscheidung berufen ist oder das Landgericht.

Damit würde in den Fällen, in denen der Sitz in der Gemeinde unbestimmt ist, da es mehrere Gerichtsbezirke und nur ein zentrales Handelsregister gäbe, sich der Sitz auf das Gebiet der politischen Gemeinde (Anm.: resp. das Gebiet des Registergerichts) erstrecke, der Sitz in allen erfassten Amtsgerichtsbezirken befände. Dies habe zur Folge, dass die Gläubigerin (Anm.: bei Klagen die Klägerin/der Kläger) das zuständige Gericht gemäß § 35 ZPO unter den damit in Betracht kommenden Gerichten in den erfassten Gerichtsbezirken des Sitzes auswählen könne. Die damit in Betracht kommenden Gerichte wären dann nur in Bezug auf andere Amtsgerichte gem. § 802 ZPO ausschließlich zuständig. Zutreffend verweist das OLG darauf, dass dies der Situation bei Annahme eines Doppelsitzes einer Gesellschaft entspräche.

In einem Beschluss vom 04.04.2019 – 11 SV 12/19 – habe der Senat noch zur Konkretisierung auf eine frühere Geschäftsdresse der Schuldnerin in diesem Ort mit mehreren in Betracht kommenden Amtsgerichten abgestellt. Daran würde ausdrücklich nicht mehr festgehalten. Es sei bei dieser Entscheidung nicht berücksichtigt worden, dass die Sitzbestimmung als notwendiger Satzungsbestandteil von der Geschäftsadresse (hier der Verwaltungssitz) abzugrenzen sei, die mit dem Sitz nicht übereinstimmen müsse. Nicht zu entscheiden sei der Fall (und offen bleibt daher), ob bei einer noch bestehenden Geschäftsadresse in der als Sitz bestimmten Gemeinde nach § 17 Abs. 1 S. 2 ZPO („gilt“) konkretisiert werden könne, da sie ohne Widerspruch zur Satzung bestimme, was sich aus dieser an näherer Bestimmung nicht ergebe.

Von einer Vorlage an den BGH sah das OLG ab, § 36 Abs. 3 ZPO. Zur Begründung führte das OLG aus, die von der eigenen Auffassung abweichende Ansicht des Kammergerichts sei für die dortige Entscheidung nicht tragend gewesen, da dorr (anders als hier) ein bindender Verweisungsbeschluss vorgelegen habe und damit die Verweisung des zuerst angerufene Amtsgericht Gültigkeit hatte.

Anmerkung: Der Entscheidung des OLG Frankfurt ist zuzustimmen. Würde man sich der als obiter dictum zu bewertenden Annahme des Kammergerichts anschließen, hätte dies zur Konsequenz, dass die Zuständigkeit des örtlichen Gerichts im Hinblick auf den Sitz einer Gesellschaft von dem Streitwert abhängig wäre. Bei einem Streitwert von bis zu € 5.000,00 müsste am Verwaltungssitz, bei einem Streitwert ab € 5.000,00 bei dem Gericht des Sitzes geklagt werden. Das Auseinanderklaffen der Gerichtsstände nach dem Streitwert wäre aber prozessual nicht zu vertreten.

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 29.04.2021 - 11 SV 16/21 -

Montag, 3. Januar 2022

Rechtliches Gehör und Kündigung wegen geringer Mietdifferenz über längere Zeit

Die Parteien (Brüder) hatten einen schriftlichen Mietvertrag mit einer Bruttomiete von € 562,42 vereinbart. Nach Darstellung des Beklagten soll die Miethöhe mündlich reduziert worden sein. Der Kläger kündigte fristlos wegen einer Mietdifferenz von € 162,42/Monat für den Zeitraum Januar 2015 bis Januar 2018 und machte die offene Mietdifferenz von € 9.709,54 geltend. Die Klage wurde - auch im Berufungsverfahren vor dem Landgericht - diesbezüglich abgewiesen, da die Beweisaufnahme ergeben habe, dass eine Mietreduzierung vereinbart worden sei. . Auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin hob der BGH das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an eine andere Kammer des Landgerichts zurück, § 544 Abs. 9 ZPO.

Der BGH sah eine verfahrenserhebliche Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) darin, dass das Landgericht das Vorbringen des Klägers nicht berücksichtigt habe, dass auch bei Zugrundelegung der Zeugenaussagen eine monatliche Mietdifferenz von € 12,42 vorliege. Es läge daher eine nach seiner Ansicht ein nach § 573 Abs. 1 Nr. 2 BGB relevanter Mietrückstand von (mehr als) einer Monatsmiete seit März 2017 vor, der auch bei Ausspruch der Kündigung bestanden habe und bis zu diesem Zeitpunkt noch angestiegen sei. 

Das Gebot des rechtlichen Gehörs erfordere vom erkennenden Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, ohne dass es allerdings gehalten sei, sich ausdrücklich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen zu befassen. Wenn allerdings im Einzelfall besondere Umstände vorlägen, aus denen sich ergebe, dass tatsächliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden seien, sei ein Verstoß gegen die Pflicht aus Art. 103 Abs. 1 GG gegeben. Hier habe das Landgericht nicht den vom Kläger geltend gemachten Umstand berücksichtigt, dass sich bei der Berechnung der Mietreduzierung von € 562,42 um € 300,00 noch ein Betrag von € 312,42 ergäbe, nicht lediglich von € 300,00, wie vom Beklagten gezahlt. Zudem wurde vom Kläger auf ein Schreiben des Beklagtenvertreters verwiesen, demzufolge der Beklagtenvertreter in einem Schreiben vom 17.09.2009 (unstreitig) eine geschuldete Miete von € 312,00 benannt habe und weder dort noch im Rahmen der Verhandlung vor dem Amtsgericht erklärt hätte, warum er, wenn sich die Miete um € 250,00/Monat reduziert habe, nicht den Differenzbetrag von € 312,42 sondern nur € 300,00 zahle. Zudem habe er geltend gemacht, dass ausgehend von einer Miete in Höhe von € 312,00 im Zeitraum von Januar 2015 bis Januar 2018 ein Mietrückstand von € 444,00 bestünde und damit die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung gerechtfertigt sei. Damit und mithin mit der Kernfrage des Rechtsstreits für die (noch) rechtshängigen Ansprüche auf Räumung und Herausgabe und Zahlung von rückständiger Miete) habe sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt, also mit der Frage, welche konkrete Miete letztlich geschuldet würde. Es habe das Vorbringen des Klägers ausgeblendet.  Es habe damit einen wesentlichen Punkt des Berufungsvorbringens des Klägers nicht nur im Kern, sondern vollständig übergangen. 

Dies sei aber sowohl für die Berechnung des Zahlungsanspruchs für die Miete als auch für die am 23.01.2018 erklärte (ordentliche) Kündigung von Relevanz gewesen. Bei Beachtung dieses Vorbringens hätte das Berufungsgericht nicht zur vollständigen Abweisung der Berufung gelangen können. Ausgehend von einer Miete in Höhe von € 312,42 hätte sich ein Mietrückstand für die Zeit Januar 2015 bis Januar 2018 von € 459,54 ergeben, was zwar für eine fristlose Kündigung nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Buchst. a und b BGB nicht ausreichend gewesen wäre, allerdings die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfüllt hätte, die hilfsweise ausgesprochen worden war, da bis zum Zugang der Kündigungserklärung vom 23.01.2018 ab März 2017 ununterbrochen mehr als € 312,42 an Miete offen gestanden habe (BGH, Urteil vom 10.10.2012 - VIII ZR 107/12 -). Damit hätte das Mietverhältnis mit Ablauf des 31.10.2019 geendet. 

Der BGH ging auch auf die Subsidiarität der Rüge der Gehörsverletzung ein. Danach hätten die Prozessbeteiligten alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Gehörsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (z.B. BGH, Urteil vom 09.02.2011 - VIII ZR 285/09 -). Dies entspräche dem sich aus § 295 ZPO ersichtlichen Rechtsgedanken, wonach eine Gehörsverletzung nicht mehr gerügt werden könne, wenn nach Erkennen derselben die verbliebene Möglichkeit einer Äußerung nicht genutzt würde. Hier sei sie vom Kläger im Rahmen zulässig im Rahmen der Berufung genutzt worden. 

Es sei auch vorliegend nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Vortrages des Klägers, anders entschieden hätte, wenn es den Vortrag des Klägers zum amtsgerichtlichen Urteil in Bezug auf die  Diskrepanz im Beklagtenvortrag berücksichtigt hätte, nach dem das Landgericht der Darstellung des Beklagten nach Beweisaufnahme folgte, und nicht aufgeklärt und damit offen gelassen habe, ob nur € 281,21 (die Hälfte von € 562,42), € 300,00 (so die letzte Überweisung) oder € 312,42 (€ 564,42 abzüglich € 250,00) als Miete geschuldet würden. 

Das Berufungsgericht sei schon deswegen nicht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gebunden gewesen, da dieses nur unvollständig und zur Höhe der geschuldeten Miete widersprüchlich (€ 562,42 abzüglich € 250,00 ergeben nicht die Hälfte von € 562,42) sei. Selbst bei Zugrundelegung des vom Berufungsgericht angenommenen, auf das Vorliegen von Rechtsfehlern iSv. § 286 Abs. 1 ZPO beschränkten Prüfungsmaßstabs gehalten gewesen sei, eigene Feststellungen zu treffen. Zudem handele es sich bei dem Berufungsverfahren um eine zweite Tatsacheninstanz, die das erstinstanzliche Urteil nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen habe. Auch als „eingeschränkte Tatsacheninstanz“ bestünde seine Aufgabe in der Gewinnung von „fehlerfreien und überzeugenden“ und damit „richtigen“ Entscheidungen (BGH, Urteil vom 26.05.2020 - VIII ZR 64/19 -). 

BGH, Beschluss vom 10.11.2020 - VIII ZR 18/20 -

Mittwoch, 22. Dezember 2021

Auswechseln der Mieter bei Vermietung an eine Wohngemeinschaft

Die Beklagte hatte als Vermieterin eine 241 m“ große Wohnung an die Kläger als Mieter vermietet, die dort nach ihrer Kenntnis eine Wohngemeinschaft bilden wollten. Vier der sieben Mieter wohnten nicht mehr dort, sondern hatten ihre Zimmer untervermietet. Die Kläger begehrten, dass im Rahmen einer entsprechenden Änderung des Mietvertrages die ausgezogenen Hauptmieter aus dem Mietverhältnis ausscheiden können und die Untermieter an ihrer Stelle in dieses eintreten. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten hin änderte das Landgericht das Urteil ab und wies die Klage ab.

Das Landgericht setzte sich mit den dazu vertretenen Ansichten auseinander.

Die Einen sehen die Mieter als eine Innengesellschaft bürgerlichen Rechts als Wohngemeinschaft (WG) zum Betrieb einer gemeinsamen Wohnung, der zufolge ein Anspruch auf Zustimmung zum Auswechseln bestünde, wenn (wie hier) de, Vermieter bei Vermietung der Zweck bekannt sei. Dies nicht nur in Fällen, in denen ausdrücklich von den Mietern vor Vertragsabschluss formuliert worden sei, dass ein Bedürfnis für die eine Aufnahme weiterer oder neuer WG-Mitglieder bestünde, ferner für den Fall, dass der Vermieter in der Vergangenheit einem Auswechseln zugestimmt habe und auch in dem Fall, dass junge  Studenten oder sonstige Personen, die nicht verwandt wären oder in Lebensgemeinschaften leben würden, einen unbefristeten Mietvertrag abgeschlossen hätten.

Die Gegenmeinung schließe einen Rechtsanspruch gegen den Vermieter aus. Die Mieter einer WG  seien danach auf das Recht zur anteiligen Untervermietung nach § 553 BGB beschränkt, wenn der Mietvertrag ein Auswechseln nicht vorsehen würde.

Das Landgericht folgt der Gegenmeinung. Es verweist auf die Vertragsautonomie des Vermieters, demzufolge es ihm auch dann nicht zumutbar sei, einem Auswechseln zuzustimmen, selbst wenn er bei Vertragsabschluss wissen würde, dass die Mieter eine WG betreiben wollen und ein Interesse dran haben, bei Auszug einzelner WG-Mitglieder an ihrer Stele neue aufzunehmen. Dies begründet das Landgericht damit, dass ein solcher Anspruch darauf hinauslaufen könnte, dass der Vermieter eine solche Wohnung ein für alle Mal als WG-Wohnung gewidmet hätte und dauerhaft an den Mietvertrag gebunden bliebe, da die jeweiligen WG-Mitglieder den Mietvertrag an immer neue Generationen von WG-Mitgliedern übertragen könnten, ohne dass der Vermieter den Vertrag irgendwann einmal kündigen oder davon ausgehen könnte, dass das Mietverhältnis – etwa durch Auszug oder Tod des Mieters – einmal enden werde. Vorliegend würde dies dadurch deutlich, dass von den ursprünglichen sieben Mietern bereits anlässlich einer Nachtragsvereinbarung sechs ausgeschieden und ersetzt worden seien und nun auch der siebte ursprüngliche Mieterausgewechselt werden soll.

Unter Berücksichtigung der Interessen der Mieter wies das Landgericht darauf hin, dass diese durch die mögliche Untervermietung gewahrt würden, wozu es nicht zwingen deiner Änderung des Hautmietvertrages bedürfe. Der Aufwand, der z.B. darin bestünde, dass im Außenverhältnis die die ausgezogenen WG-Mitglieder gegenüber dem Vermieter berechtigt und verpflichtet blieben, sei zumutbar, zumal der Vermieter mit steigender Anzahl der Untermieter wegen eines nach Ansicht des Gerichts damit verbundenen zusätzlichen Verwaltungsaufwandes in der Praxis häufig der Vermieter damit einverstanden erklären würde, die neue Zusammensetzung der WG doch im Hauptmietvertrag nachzuvollziehen. Erkläre er sich damit allerdings nicht einverstanden, würde zwar das letzte von der ursprünglichen WG in der Wohnung verbliebene Mitglied nicht mehr untervermieten können (da damit eine vollständige Gebrauchsüberlassung an Dritte vorläge. Hier bliebe den Mietern nach § 540 Abs. 1 S. 2 BGB die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses, was aber den bei Vertragsbeginn absehbaren gegenseitigen Interessen am ehesten gerecht würde.

Vorliegend sei der Austausch der WG-Mitglieder im Mitvertrag nicht vorgesehen. Es gäbe auch mit dem zweimaligen Austausch keine langjährige Übung, die einen Anspruch begründen könnte. Bei dem ersten Austausch wurde ein WG-Mitglied mehr aufgenommen, wodurch die Anzahl der WG-Mieter von bis dahin sechs Mietern auf sieben erhöht wurde und zugleich ein neuer Mietzins durch Erhöhung desselben vereinbart; bei dem zweiten Mal im Rahmen eines Austauschs sei zwar nicht Weiteres vereinbart worden, doch würde sich auch daraus keine langjährige Übung ergeben.

Wohnung anmieten, zum Zwecke des Austauschs einzelner WG-Mitglieder gegen den Vermieter ein Anspruch auf entsprechende Änderung des Mietvertrags zusteht.

Das Landgericht ließ die Revision zu. Die Revision wurde zu BGH VIII ZR 304/21 eingelegt.

LG Berlin, Urteil vom 18.08.2021 - 64 S 261/20 -

Freitag, 17. Dezember 2021

Unzulässige Verwerfung der Beschwerde und Sachentscheidung durch Beschwerdegericht

Der Sohn der Betroffenen (Beteiligter zu 1.) besaß eine Vorsorgevollmacht, auf Grund der er für sie tätig werden konnte. Auf Initiative von Nachbarn der Betroffenen, die diese häufiger orientierungslos und hilfsbedürftig im Haus und dessen Umgebung angetroffen wurde, wurde das Betreuungsverfahren eingeleitet, und das Amtsgericht als Betreuungsgericht hatte nach Anhörung der Betroffenen und ihres Sohnes und der Einholung eines Sachverständigengutachtens eine Kontrollbetreuung in der Person des Beteiligten zu 2.  angeordnet (§ 281 FamFG iVm. § 1896 Abs. 3 BGB).   

Das Landgericht wies die Beschwerde der Betroffenen zurück und verwarf die Beschwerde ihres Sohnes wegen mangelnder Beschwerdebefugnis. Die dagegen von der Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde blieb erfolgslos; allerdings wurde die Rechtsbeschwerde des Sohnes nicht wegen mangelnder Beschwerdebefugnis sondern in der Sache abgewiesen.

In der Sache wurde gerügt, dass der amtsgerichtliche Anhörungsvermerk (der Betroffenen) unvollständig sei. Nachdem die fehlende Seite überlassen wurde, wurde diese Rüge nicht weiter aufrechterhalten. Soweit gerügt wurde, dass es für die Betroffene eines Verfahrenspflegers bedurft hätte, sah dies der BGH anders: Weder sähe das Gesetz bei der angeordneten Kontrollbetreuung einen Regelfall der Beiordnung eines Verfahrenspflegers vor, § 276 Abs. 1  S. 2 Nr. 1 und 2 FamFG, noch sei dies gem. § 276 Abs. 1 S. 1 FamFG zur Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen erforderlich gewesen, da die Kontrollbetreuung keine Befugnis enthalte, die Vorsorgevollmacht zu widerrufen (BGH, Beschluss vom 28.07.2015 - XII ZB 674/14 -).  

Allerdings sei die Rüge, die Beschwerde des Sohnes zu verwerfen, gerechtfertigt (auch wenn dessen Beschwerde aus den obigen Gründen auch keinen Erfolg hatte). Seine Beschwerdebefugnis ergäbe sich bereits aus § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG als Abkömmling der Betroffenen, zumal er auch am erstinstanzlichen Betreuungsverfahren beteiligt gewesen sei (BGH, Beschluss vom 17.03.2021 - XII ZB 169/19 -). Zwar habe nicht der Sohn die Rechtsbeschwerde eingelegt, doch könne sich auch die Betroffene auf diesen Verfahrensfehler berufen. Da den Angehörigen und Vertrauenspersonen nach dem Beschwerderecht ausdrücklich im Interesse des Betroffenen eingeräumt sei, sei die Betroffene durch die Verwerfung der Beschwerde des Sohnes materiell beschwert, zumal über die in ihrem Interesse eingelegte Beschwerde nicht materiell entschieden worden sei (BGH, Beschluss vom 14.10.2020 - XII ZB 235/20 -).  

Verwerfe das Beschwerdegericht eine Beschwerde unzulässig, könne grundsätzlich in der Rechtsbeschwerde über diese nicht entschieden werden (was zur Zurückverweisung führen müsste). Ausnahmsweise sei aber das Rechtsbeschwerdegericht zu einer Sachentscheidung befugt, wenn dem angefochtenen Beschluss eine für die abschließende rechtliche Beurteilung ausreichende tatsächliche Grundlage dem angefochtenen Beschluss zu entnehmen sei und für den Fall einer Zurückverweisung an das Beschwerdegericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung des Sachverhalts ein anders Ergebnis als das vom Rechtsbeschwerdegericht für richtig erachtete nicht möglich erscheine (BGH, Beschluss vom 04.09.2013 - XII ZB 97/12 -).

Da vorliegend das Beschwerdegericht das einheitlich gehaltene Vorbringen der Betroffenen und ihres Sohnes vollumfänglich gewürdigt habe und seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe, habe es seine Entscheidungsgrundlage nicht verkürzt. Das Landgericht als Beschwerdegericht habe ausführlich und richtig begründet, weshalb eine Kontrollbetreuung nach § 1896 Abs. 3 BGB erforderlich sei, da der Sohn der Betroffenen die Interessen der Betroffenen nicht hinreichend wahrnehme (BGH, Beschluss vom 05.06.2019 - XII ZB 59/19 -).

BGH, Beschluss vom 25.08.2021 - XII ZB 436/20 -