Donnerstag, 21. Oktober 2021

Zum Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten und den Voraussetzungen zur Belegeinsicht

Der Kläger als Pflichtteilsberechtigter begehrte mit seiner Klage von der Beklagten als Erbin Auskunft und Belegvorlage, um seine Pflichtteilsansprüche beziffern zu können. Die Beklagte vertrat die Ansicht, sie habe bereits einen Teil vorgelegt, aber der Kläger habe ohnehin keinen Anspruch auf Belegvorlage.

Das Landgericht hatte der Klage mit dem angefochtenen Teilurteil stattgegeben. Es sah die Beklagte ausnahmsweise als zur Belegvorlage verpflichtet an. Dem folgte das OLG im Berufungsverfahren nicht. Es legte seiner Entscheidung folgende Grundsätze zugrunde:

a) Die Auskunftspflicht des Erben nach § 2314 BGB erstrecke sich auf alle tatsächlich zum Erbfall vorhandenen Aktiv- und Passivposten.

b) Es bestünde kein allgemeiner Anspruch auf Belegvorlage im Rahmen der Auskunft (OLG Koblenz, Beschluss vom 20.02.2009 - 2 U 1386/08 -; OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.07.2018 - I-7 U 9/17 -).

(1) Ausnahmsweise seien Unterlagen vorzulegen, wenn zum Nachlass ein Unternehmen gehöre und zur Beurteilung von dessen Wert Bilanzen und ähnliche Unterlagen erforderlich seien (BGH, Urteil vom 02.06.1960 - V ZR 124/59 -).

(2) Ausnahmsweise seien Unterlagen auch dann vorzulegen, wenn der Wert einzelner Nachlassgegenstände ungewiss sei und die Vorlage erforderlich sei, damit der Pflichtteilsberechtigte den Wert selbst abschätzen könne.

Maßgeblich sei, dass § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB nur auf § 260 BGB verweise, nicht auch auf § 259 BGB. § 260 BGB enthalte keine allgemeine Pflicht zur Rechenschaftslegung und auch keine Pflicht zur Vorlage von Belegen.

Die Ausnahmen, nach denen hier Unterlagen im Rahmen der dem Pflichtteilsberechtigten erteilten Auskunft zur eigenen Feststellung desselben zum Wert des Nachlasses erforderlich seien, lägen hier nicht vor.

Zum Nachlass würden ehemalige landwirtschaftliche Flächen gehören, die allerdings alle verpachtet seien. Es sei sicherlich für die Beklagte einfach, die Pachtverträge vorzulegen und praktisch für den Kläger zur späteren Bezifferung eines Anspruchs nützlich, die Pachtverträge zur Erkenntnis der Erträge aus diesen zu sehen. Auch sei die Vorlage nicht erforderlich um festzustellen, ob die Pachtflächen ein Landgut iSv. § 2312 BGB seien, da bei einem Streit über die Eigenschaft als Landgut es besonderer Sachkunde bedürfe und ggf. ein Gutachten einzuholen sei (BGH, Beschluss vom 26.09.2007 - IV ZR 207/06 -).

Allerdings würde dies die Vorlagepflicht nicht rechtfertigen; der Bestand des Nachlasses würde feststehen. Der Kläger habe hier einen Auskunftsanspruch (wenn auch mit Belegvorlage) geltend gemacht, § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Belege würden gerade nicht für den Auskunftsanspruch benötigt, sondern nur für den (selbständig neben dem Auskunftsanspruch stehenden) Wertermittlungsanspruch nach § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB benötigt und könnten von daher auch nur in diesem Rahmen begehrt werden. Ein Wertermittlungsanspruch sei aber nicht geltend gemacht worden.

Von daher könne der Pflichtteilsberechtigte auch keine Auskunft dazu begehen, ob die Erblasserin eine Vollmacht zur Verfügung über ihre Konten erteilt habe. Der Auskunftsanspruch sei auf die Bekanntgabe von Aktiven und Passiven beschränkt, zu denen eine Vollmacht nicht zählt.   

Anmerkung: Das OLG hat in seiner Entscheidung fehlerhaft für den Auskunftsanspruch § 2314 Abs. 1 BGB statt § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB und für den Wertermittlungsanspruch § 2314 Abs. 2 BGB statt § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB benannt. § 2314 Abs. 2 BGB behandelt die Kosten für die Erstellung des Nachlassverzeichnisses, der Wertermittlung pp. 

OLG München, Urteil vom 23.08.2021 - 33 U 325/21 -

Mittwoch, 20. Oktober 2021

Unterlassener Abschluss einer Gebäudeversicherung durch (faktischen) Verwalter und Anfechtung der Wiederwahl

Die Klägerin hatte die Wiederwahl der Beklagten als Verwalterin der Wohnungseigentümer-gemeinschaft (WEG) vom März 2019 angefochten. Das Amtsgericht hatte der Klage stattgegeben. Da die Klägerin nach Einleitung des Berufungsverfahrens durch die Beklagte ihr Wohnungseigentum aufgab und auf einen Dritten übertrug und zudem auch die Bestellzeit der beklagten Verwalterin aus dem angefochtenen Beschluss ablief, wurde die Hauptsache für erledigt erklärt. Das Landgericht verneinte die Erfolgsaussichten der Beklagten und erlegte dieser die Kosten des Verfahrens auf.

Die Beklagte war bereits vormals Verwalterin gewesen. Der Bestellzeitraum endete zum 31.12.2017. Allerdings wurde kein anderer Verwalter von der WEG berufen und die Beklagte führte das Amt unstreitig faktisch weiter aus. So habe sie, so das Landgericht, die Abrechnungen erstellt, Eigentümerversammlungen einberufen und geleitet und die Beschluss-Sammlung geführt. Si sei damit faktische Verwalterin gewesen. Auch wenn zwischen den Parteien die Einzelheiten des Rechtsverhältnisses zwischen der beklagten als (faktische) Verwalterin und der WEG streitig seien, würden die Parteien doch darin übereinstimmen, dass das Pflichtenprogramm eines bestellten Verwalters (einschließlich seiner Haftung) hier zugrunde liegen würde, entweder da von einem Auftragsverhältnis gem. § 662 BGB auszugehen sei, oder da die Grundsätze der fehlerhaften Anstellung heranzuziehen seien.

Vor diesem Hintergrund könnten Fehler bei der Verwaltertätigkeit der Beklagten nach dem 31.12.2017 zur Prüfung der angefochtenen Verwalterwahl herangezogen werden wie in dem Fall, dass der wiederbestellte Verwalter bis zu seiner Wahl ordnungsgemäß bestellter Verwalter gewesen wäre.

Voraussetzung für die Anfechtung der Wiederwahl sei, dass ein wichtiger Grund vorliegen würde, der gegen die Bestellung der Beklagten als Verwalterin sprechen würde. Wie bei der Abberufung des Verwalters nach § 26 Abs. 1 S. 3 WEG a.F. könne ein wichtiger Grund nur bejaht werden, wenn unter Berücksichtigung aller (nicht einmal notwendigerweise vom Verwalter verschuldeter) Umstände nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Zusammenarbeit mit dem gewählten Verwalter unzumutbar wäre und das erforderliche Vertrauensverhältnis von vornherein nicht zu erwarten sei. Dies sei u.a. dann  anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die dafür sprächen, dass der Gewählte unfähig oder ungeeignet für das Amt erscheine. Ein solcher Grund würde aber die Wohnungseigentümer noch nicht ohne weiteres dazu verpflichten, den Verwalter abzuberufen (§ 26 Abs. 1 S. 3 WEG a.F.), vielmehr sei (auch im Rahmen einer Wiederwahl) eine Prognose vorzunehmen , ob er das Amt ordnungsgemäß ausüben wird, was einen Beurteilungsspielraum einräume. Erst bei Überschreitung dieses Beurteilungsspielraums würde nach altem Recht die Nichtabberufung und (auch nach geltendem Recht) die Wiederwahl den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung widersprechen. Erforderlich sei deshalb, dass es objektiv nicht mehr vertretbar erscheine, den Verwalter ungeachtet der gegen ihn sprechenden Umstände (hier) erneut zu bestellen. Dies sei dann der Fall, wenn die Mehrheit der (abstimmenden) Wohnungseigentümer aus der Sicht eines vernünftigen Dritten gegen ihre eigenen Interessen handele, weil sie – etwa aus Bequemlichkeit – massive Pflichtverletzungen tolerieren solle (BGH, Urteil vom 10.02.2012 - V ZR 105/11 -; LG Frankfurt am Main, Urteil vom 12.12.2019 - 2-12 S 143/18 -).

Das Amtsgericht hatte darauf abgestellt, dass das Gebäude über einen längeren Zeitraum ohne Gebäudeversicherung gewesen sei. Dies stelle, so das Landgericht, eine Lücke im Versicherungsschutz mit einem Totalverlustrisiko dar, welches die Eigentümer nicht hinnehmen müssten. Hinzu käme hier, das die Eigentümer auf der von der Beklagten geleiteten Eigentümerversammlung vom 22.10.2018 den Abschluss einer Gebäudeversicherung beschlossen hätten, wobei zu diesem Zeitpunkt bereits seit längerer Zeit eine solche nicht bestanden habe. Im März 2019, zum Zeitpunkt der Wiederwahl, sei immer noch keine Gebäudeversicherung abgeschlossen gewesen. Damit sei es von den Eigentümern objektiv nicht mehr hinnehmbar, diesem Verwalter weiterhin die Verwaltung eines erheblichen Teils ihres Vermögens anzuvertrauen. Kein Eigentümer müsse gegen seinen Willen hinnehmen, wenn gleichwohl die Mehrheit der Eigentümer unter diesen Umständen meinen, diesem Verwalter gleichwohl vertrauen zu können (LG Frankfurt am Main aaO.).

Der Verweis der Berufung darauf, dass eine Gebäudehaftpflichtversicherung bestanden habe, verkenne, dass § 21 Abs. 5 Nr. 3 WEG a.F. (§ 19 Abs. 2 Nr. 3 WEG n.F.) nicht nur eine Haftpflichtversicherung sondern auch die für die Eigentümer von besonderen Interesse Gebäudeversicherung erfordere, um das Risiko im Schadensfall abzuwenden (Anm.: Wird der Kauf einer Eigentumswohnung finanziert, sehen die Darlehensbedingungen der Finanzierungsinstitute in der Regel vor, dass eine Gebäudeversicherung bestehen muss).

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 24.06.2021 - 2-13 S 25/20 -

Montag, 18. Oktober 2021

Wohnfläche – Zum Unterschied für die Annahme eines Mangels und bei Geltendmachung einer Mieterhöhung

Im Mietvertrag der Beklagten vom August 2006 über eine Wohnung in Bonn wurde in § 1 zum Mietgegenstand angegeben, dass eine Wohnung im Erd-, Unter- und Zwischengeschoss mit einer Größe von ca. 180qm vermietet werde. Anlässlich einer Mieterhöhung in 2010 legte der Rechtsvorgänger der Klägerin als Vermieter eine Wohnfläche von 177qm zugrunde. Im Rahmen der aktuell geltend gemachten Mieterhöhung legte die Klägerin auch 177qm Wohnfläche zugrunde und ferner Betriebskosten geltend gemacht und machte diesen Anspruch klageweise geltend. Die Beklagten erhoben mit der Behauptung, die Wohnfläche betrage nur 144,50qm Widerklage auf Rückzahlung von nach ihrer Ansicht dadurch bedingter Zuvielzahlung in Höhe von € 47.493,50 mit der Begründung, es liege ein Mangel der Mietsache vor..

Das Amtsgericht hat der Klage zu den Betriebskosten teilweise stattgegeben, ansonsten Klage und Widerklage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung beider Parteien zurückgewiesen. Im Rahmen der zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Widerklageantrag weiter.

Ein Rückzahlungsanspruch der Beklagten nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB wegen überzahlter Miete bestünde nicht. Die Zahlungen seien von den beklagten mit Rechtsgrund erfolgt, da ein von ihnen angenommener Mangel einer zu geringen Wohnfläche (die zur Mietminderung führen würde) nicht bestünde.

Die Wohnflächenangabe im Mietvertrag sei keine unverbindliche Beschreibung, sondern als Beschaffenheitsvereinbarung anzusehen mit der Folge, dass eine Abweichung von mehr als 10% einen Mangel der Mietsache darstelle (BGH, Urteil vom 24.03.2004 - VIII ZR 295/03 -). Dabei käme es nicht darauf an, ob die Wohnfläche (wie hier) mit „circa“ angegeben sei (BGH, Urteil vom 17.04.2019 - VIII ZR 33/18 -).

Der Begriff der Wohnfläche sei aber auslegungsbedürftig. Eine verbindliche Regelung zur Berechnung von Flächen bei preisfreiem Wohnraum fehle. Grundsätzlich könnten auch bei frei finanzierten Wohnraum (mangels anderweitiger Vereinbarung und mangels einer anderen ortsüblichen oder naheliegenden Berechnungsmethode) die für den preisgebundenen Wohnraum geltenden Bestimmungen herangezogen werden.

Danach sei ein Rechtfehler bei der Entscheidung des Landgerichts nicht zu erkennen. Dieses habe auch das Untergeschoss berücksichtigen dürfen. Der Umstand, dass dieser nach Behauptung der Beklagten wegen unterdurchschnittlicher Beleuchtung wegen der daraus folgenden eingeschränkten Nutzbarkeit nicht als Wohnraum genehmigungsfähig sei, würden die Beklagten verkennen, dass die öffentlich-rechtliche Nutzungsbeschränkung mangels Einschreitens der Behörde keine Mietminderung begründen könne (BGH, Urteil vom 16.09.20ß9 - VIII ZR 275/08 -). Es sei den Parteien unbenommen, Flächen als Wohnfläche zu vereinbaren, die nach der II. BVO oder der Wohnflächenverordnung an sich nicht oder nicht vollständig berücksichtigungsfähig seien.

Der Umstand, dass die Wohnfläche im Rahmen der Mieterhöhung anders behandelt würde als im Rahmen der Mietminderung wegen behaupteter Mängel, sei auch nicht widersprüchlich. Es sei der Unterschied zwischen einem Sachmangel, bei dem es für die Frage des Vorliegens eines solchen auf die Vereinbarung der Mietvertragsparteien über die Wohnfläche ankäme, und einer Mieterhöhung nach dem Vergleichsmietverfahren (§ 558 BGB) zu beachten. Die Beschaffenheitsvereinbarung der Parteien enthalte die Regelung, welche Flächen in die Wohnfläche einzubeziehen seien, während bei dem Mieterhöhungsbegehren nur die objektiv festgestellten Flächen einbezogen werden dürfen und eine davon abweichende Vereinbarung in diesem Fall unwirksam wäre, § 558 Abs. 6 BGB (vgl. auch BGH, Urteile vom 18.11.2015 - VIII ZR 266/14 - und vom 27.02.2019 - VIII ZR 255/17 -).

BGH, Beschluss vom 22.06.2021 - VIII ZR 26/20 -

Sonntag, 17. Oktober 2021

Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Anwaltsgebühren des Gläubigers trotz Klagedrohung ?

Wer bei Fälligkeit einer Forderung und Verzug (sei es durch Mahnung oder zulässige Frist nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB) nicht zahlt, wird häufig vor einer Zahlungsklage des Gläubigers eine anwaltliche Mahnung erhalten, deren Kosten der Gläubiger ersetzt haben will. Kann er diese aber in jedem Fall begehren ?

Der BGH musste sich mit der Frage der Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Anwaltsgebühren befassen. Dem lag der Erwerb eines Diesel-Fahrzeuges durch den Kläger zugrunde, der durch anwaltliches Schreiben die Beklagte Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs zur Erstattung des Kaufpreises aufforderte. Nach fruchtlosen Ablauf der dort gesetzten Frist erhob er Klage, mit der er u.a. die vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von € 1.171,67 (in Form eines Freistellungsantrages) geltend machte. Während des Landgericht der Klage im Wesentlichen stattgab, hat das Berufungsgericht – unter Zulassung der Revision – die Klage in Bezug auf die Anwaltsgebühren abgewiesen. Die Revision wurde vom BGH zurückgewiesen.

Der BGH wies darauf hin, dass es sich bei den geltend gemachten Rechtsanwaltskosten um einen Schadensersatzanspruch handele, der in erster Linie Sache des nach § 287 BBGB besonders frei gestellten Tatrichters sei und von daher nur dahingehend geprüft werden könne, ob dieser Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt habe, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt habe.

Ob und inwieweit der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Rechtsanwaltskosten erfasse müsse unter Beachtung des Unterschiedes zwischen dem Innenverhältnisses des Rechtsanwalts zu seinem Mandanten (Geschädigten) und des Außenverhältnisses zwischen Geschädigten zum Schädiger entschieden werden. Voraussetzung sei stets, dass im Innenverhältnis ein Anspruch des Rechtsanwalts gegen seinen Mandanten auf Zahlung der Gebühren bestehe und im Außenverhältnis mit Rücksicht auf seine spezielle Situation die konkrete anwaltliche Tätigkeit erforderlich und zweckmäßig war (BGH, Urteil vom 22.01.2019 - VI ZR 403/17 -). Ob eine vorgerichtliche anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr des Rechtsanwalts nach Nr. 2300 VV RVG auslöse oder als lediglich vorbereitende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1S. 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug und daher mit der prozessualen Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten sei, gehöre dem Innenverhältnis an und sei von Art und Umfang des erteilten Mandats abhängig. Sei der unbedingte Auftrag zur gerichtlichen Geltendmachung erteilt, würden bereits Vorbereitungsmaßnahmen diese Gebühr auslösen, auch wenn der Rechtsanwalt zunächst nur außergerichtlich tätig würde. In diesem Fall sei kein Raum für die Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG. Nur wen sich der Auftrag an den Rechtsanwalt auf die die außergerichtliche Tätigkeit beschränke oder der Prozessauftrag nur unter der aufschiebenden Bedingung der erfolglosen außergerichtlichen Tätigkeit beziehe, entstehe die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG.

Dies sei vom Landgericht im Rahmen des § 287 ZPO berücksichtigt worden. Es habe ausgeführt, der Kläger habe nicht schlüssig dargelegt, seinen Rechtsanwalt lediglich mit der außergerichtlichen Vertretung beauftragt zu haben oder einen nur bedingten Prozessauftrag erteilt zu haben. Grundlage war das vorgelegtes außergerichtliches Schreiben des Rechtsanwalts, in dem er darauf hinwies, dass für den Fall, dass nicht innerhalb der Frist gezahlt würde oder kein angemessenes Vergleichsangebot erfolge, Klage erhoben würde. Dies sei ein Indiz gegen die Behauptung, es sei nur ein Mandat zur außergerichtlichen Vertretung oder nur ein bedingter Prozessauftrag erteilt worden. Zwar ließe sich aus der nach außen gerichteten Tätigkeit des Rechtsanwalts und der dort vorgenommenen Klageandrohung nicht ohne Weiteres darauf schließen, dass er diese Tätigkeit im Rahmen eines ihm bereits unbedingt erteilten Klageauftrages ausübte oder ihm im Innenverhältnis tatsächlich zunächst nur eine Vertretungs- und kein (unbedingter) Prozessauftrag erteilt worden sei. Diese Unsicherheit gehe aber zu Lasten des Klägers, der darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen habe, dass er seinen Anwalt einen Auftrag zur außergerichtlichen Vertretung erteilt habe.

BGH, Urteil vom 22.06.2021 - VI ZR 353/20 -

Donnerstag, 14. Oktober 2021

Dienstbarkeit auf Sondereigentum und Instandhaltungsrücklage der WEG (Erstattungsanspruch)

Zugunsten einer Sondereigentumseinheit auf dem Nachbargrundstück, an der der Beklagten 1/8 gehörte, bestand an 18 Tiefgaragenstellplätzen, deren Sondereigentum zu 1/18 bei der Klägerin lag, eine Grunddienstbarkeit. Eine Reglung zur Kostentragung für laufenden Unterhalt und Betriebskosten bestand nicht.  

In den Jahren 2014 bis 2016 will die Klägerin ihre Aufwendungen für die Instandhaltungsrücklage ihrer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) gezahlt haben. Mit ihrer Klage begehrt sie Erstattung gem. Ihrem Miteigentumsanteil und Feststellung, dass der Beklagte entsprechend die „TG Rücklagen Zuführung“ der Klägerin zu erstatten habe.

Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

Nach § 1020 S. 2 BGB habe der Grunddienstbarkeitsberechtigte (hier die Beklagte), der zur Ausübung der Dienstbarkeit auf dem belasteten Grundstück eine Anlage (wie hier die Tiefgaragenstellplätze, s. OLG Hamm, Urteil vom 27.05.2013 - 5 U 163/12 -) halte, diese im ordnungsgemäßen Zustand zu erhalten. Die Verpflichtung umfasse auch, soweit erforderlich, die Instandsetzung. Dies, insoweit er dafür sorgen müsse, dass von der Anlage keine Beeinträchtigungen des Eigentums ausgehen, die Anlage den Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht entspricht und er müsse gegebenenfalls auch für ein ordentliches Aussehen sorgen (BGH, Urteil vom 12.11.2004 – V ZR 42/04 -). Käme der Dienstbarkeitsberechtigte dem nicht nach, könne der Eigentümer die Maßnahmen in Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) selbst vornehmen und die Kosten nach §§ 683 S. 1, 670 BGB vom Dienstbarkeitsberechtigten verlangen, soweit dieser nicht widersprochen habe. Zudem sei der Dienstbarkeitsberechtigte zum Schadensersatz gegenüber dem Eigentümer nach §§ 280 Abs. 1 und 3, 281 Abs. 1 und 3 BGB verpflichtet (BGH aaO.).

In dem Fall, dass die Grunddienstbarkeit wie vorliegend an dem Sondereigentum eines Wohnungseigentümers bestünde, könne der Sondereigentümer die Kosten für die erforderliche Unterhaltung und ggf. für die Instandsetzung unmittelbar aus dem Begleitschuldverhältnis verlangen, welches zwischen dem Dienstbarkeitsberechtigten und ihm bestünde und seinen Ausdruck u.a. in der Unterhaltungsverpflichtung nach § 1020 S. 2 finde (BGH, Urteil vom 08.03.2019 - V ZR 343/17 -). Ein Anspruch aus GoA scheide in diesem Fall aus, da im Hinblick auf das Gemeinschaftseigentum der Dienstbarkeitsberechtigte nicht zur eigenen Durchführung der Unterhaltungsmaßnahmen berechtigt sei.

Die Bildung von Rücklagen für Erhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen, die hier streitgegenständlich sind, würden aber nicht zu der Pflicht des Dienstbarkeitsberechtigten zählen, die Anlage in einem ordnungsgemäßen Zustand zu erhalten.

Der BGH habe bereits entschieden, dass eine Grunddienstbarkeit in Form eines Geh- und Fahrrechts an einem im Gemeinschaftseigentum der WEG stehenden Grundstück (Privatweg) die WEG nicht berechtige, im Hinblick auf eine künftige Unterhaltung der Privatstraße eine Instandhaltungsrücklage von dem Dienstbarkeitsberechtigten zu verlangen. Dafür gäbe § 1020 S. 2 BGB nichts her (BGH, Urteil vom 17.12.2020 - V ZR 125/10 -).

Nichts anderes würde hier gelten. Sei das Sondereigentum mit einer Grunddienstbarkeit belastet, könne der Sondereigentümer von dem Dienstbarkeitsberechtigten nicht die Zahlung der von ihm an die WEG erbrachten Zahlungen auf die Instandhaltungsrücklage erstattet verlangen, wenn keine davon abweichende Vereinbarung (§ 1021 Abs. 2 BGB) bestehe. Die Rücklage diene nicht der Unterhaltung der Anlage, sondern sei eine Vorsorge für den Fall, dass bei künftigen Erhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen die erforderlichen Mittel zur Verfügung stünden. Eine entsprechende Vorsorgeverpflichtung ergäbe sich aus § 1020 S. 2 BGB nicht. Sei der Dienstbarkeitsberechtigte zum Zeitpunkt der notwendigen Durchführung solcher Maßnahmen außer Stande, die zu finanzieren, realisiere sich das allgemeine Risiko jedes (ungesicherten) Gläubigers. Auch aus dem Umstand, dass der Eigentümer die Kosten einer Haftpflichtversicherung zur Abdeckung der Risiken der Verletzung der dem Dienstbarkeitsberechtigten obliegenden Verkehrssicherungspflicht tragen müsse, ergebe sich nichts anderes; der Abschluss der Versicherung mit der damit verbundenen – nichts erst zukünftig anfallenden – Prämienzahlung sei Bestandteil der Unterhaltungspflicht nach § 1010 S. 2 BGB (BGH, Urteil vom 08.03.2019 - V ZR 343/17 -).

Die Rechtsverhältnisse des Sondereigentümers zum Dienstbarkeitsberechtigten und zur WEG seien gesondert zu betrachten. Die Zahlungspflicht des Sondereigentümers für die Rücklage würde nach § 21 Abs. 5 Nr. 4 WEG a.F. / § 19. Abs. 2 Nr. 4 WEG n.F. bestehen und habe nicht die Zahlungspflicht des Dienstbarkeitsberechtigten zur Folge. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Rücklage nicht notwendig für die Instandhaltung der fraglichen Anlage genutzt werden müsse, sondern auch für sonstige Maßnahmen am Gemeinschaftseigentum eingesetzt werden könne. Für § 1020 S. 2 BGB könne es ohnehin keine Rolle spielen, ob es sich bei dem Dienstbarkeitsverpflichteten um einen Alleineigentümer handele (dann würde die Pflicht zur Rücklagenbildung ohnehin nicht bestehen) oder um einen Sondereigentümer in einer WEG, der im Hinblick darauf besonderen Pflichten unterworfen sei.

Damit sei der Sondereigentümer (die Klägerin) darauf beschränkt, Ersatz der tatsächlich angefallenen Kosten für Instandhaltung und Instandsetzung zu verlangen. Setze die WEG die von der Grunddienstbarkeit umfassten Tiefgaragenstellplätze instand, könne die Klägerin den auf sie entfallenden Betrag  von dem Dienstbarkeitsberechtigten erstattet verlangen, unabhängig davon, ob die WEG die Kosten aus der Instandhaltungsrücklage entnommen habe oder auf sonstige Mittel der Gemeinschaft (so Sonderumlage) zurückgreife.

BGH, Urteil vom 18.06.2021 - V ZR 146/20 -

Montag, 11. Oktober 2021

GbR: Recht der Gesellschafter bei Immobilienteilungsversteigerung und Wiederversteigerung

Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) war Eigentümerin eines Grundstücks. Im Rahmen eines Antrags auf Teilungsversteigerung zum Zwecke der Aufhebung der Gemeinschaft (GbR) erfolgte die Zwangsversteigerung, bei dem es der Beteiligten zu 1 (B1), die neben den Beteiligten zu 2 (B2) und 3 (B3) Mitgesellschafter der GbR war, zugeschlagen wurde. Mit Ausnahme eines Teilbetrages zahlte B1 das Bargebot nicht. Das Vollstreckungsgericht ließ auf Antrag der GbR eine Sicherungshypothek auf dem Grundstück eintragen; B1 wurde als neue Eigentümerin eingetragen. Nachdem Einigungsversuche scheiterten, beriefen B2 und B3 für den 08.02.2018 eine Gesellschafterversammlung der GbR ein, zu der B1 nicht erschien, und beschlossen die Auflösung der Gesellschaft, eine Auseinandersetzungsbilanz und die Aufteilung der Forderung gegenüber B1. Am 18.07.2018 ordnete das Vollstreckungsgericht auf Antrag von B2 und B3 die Wiederversteigerung des Grundstücks aus der Sicherungshypothek an und bestimmte danach einen Versteigerungstermin. B1 beantragtem den Versteigerungstermin aufzuheben und das Zwangsversteigerungsverfahren vorläufig gem. § 28 Abs. 2 ZVG einzustellen. Sie vertrat die Auffassung, durch die Kündigung der Gesellschaft durch B2 und B3 seien diese aus dieser ausgeschieden und deren Vermögen sei auf ihn als verbliebenen Gesellschafter zu Alleineigentum übergegangen.

Das Vollstreckungsgericht stellte das Wiederversteigerungsverfahren vorläufig gem. § 28 ZVG ein und gab B2 und B3 Gelegenheit, ein Urteil des OLG Schleswig in einem Rechtsstreit der Beteiligten über die Voraussetzungen der Auseinandersetzung und Teilung des Gesellschaftsvermögens binnen einer gesetzten Frist vorzulegen und kündigte für den Fall des fruchtlosen Ablaufs der Frist die Aufhebung des Wiederversteigerungsverfahrens an. Diesen Beschluss hob das Landgericht auf die Beschwerde von B1 und B2 auf. Dagegen wandte sich B1 mit der vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, über die der BGH zu befinden hatte.

Das OLG wies die Rechtsbeschwerde von B1 zurück. Zwar sei das Wiederversteigerungsverfahren ein eigenständiges Versteigerungsverfahren mit in § 133 ZVG geregelten Besonderheiten, dessen Grundlage entweder die Forderung gegen den Ersteher, die das Vollstreckungsgericht nach § 118 Abs. 1 ZVG auf den Berechtigten übertragen habe, oder die auf Antrag des Berechtigten gewährte Sicherungshypothek (§§ 128 Abs. 1, 130 Abs. 1 ZVG; BGH, Urteil vom 20.02.2008 - XII ZR 58/04 -). Erbringe der Ersteher nach dem Zuschlag das Bargebot nicht (oder nur teilweise) und sei daher die GbR berechtigt, den Wiederversteigerungsantrag zu stellen, müsse der Antrag auf Wiederversteigerung durch einen zur Vertretung der Gesellschaft berechtigten Gesellschafter erfolgen; dem einzelnen Gesellschafter stehe das Recht nicht zu.

Eine Besonderheit bei dem Vertretungsrecht bestehe allerdings dann, wenn sich wie hier die Wiederversteigerung eines Grundstücks an eine Teilungsversteigerung zum Zwecke der Auseinandersetzung der Gesellschaft anschließe, weil der Ersteher des Bargebot nicht entrichtete.  Mit der Nichtentrichtung habe die Teilungsversteigerung ihr eigentliches Ziel, das Grundstück in Gelt zum Zweck der Ermöglichung der Auseinandersetzung der Gesellschaft nicht erreicht. Dies ließe sich sachgerecht nur erreichen, wenn jeder Gesellschafter in dieser Situation berechtigt sei, auch ohne Zustimmung der übrigen Gesellschafter die Wiederversteigerung zu betreiben.

Zwar stünde das Grundstück nicht im Miteigentum der Gesellschafter, sondern im Alleineigentum der Gesellschaft. Damit ergäbe sich die Zulässigkeit der Teilungsversteigerung nicht direkt aus § 180 Abs. 1 ZVG, doch folge das Recht aus dem Umstand, dass für die Auseinandersetzung einer gekündigten GbR gem. § 731 S. 2 BGB die Regeln der Gemeinschaft gelten würden und damit nach § 735 Abs. 1 BGB eine Teilungsversteigerung nach § 180 ZVG betrieben werden könne (BGH, Beschluss vom 16.05.2013 - V B 198/12 -).

Die Teilungsversteigerung ohne Zustimmung der übrigen Gesellschafter der GbR könne ein Gesellschafter nur betreiben, wenn er als Gesellschafter (im Grundbuch, § 47 Abs. 2 GBO) eingetragen sei und den Nachweis des Zugangs der Kündigung erbringen könne (Anm: Es empfiehlt sich, die Kündigung mittels Gerichtsvollzieher zustellen zu lassen, da damit ein leichter urkundlicher Beweis des Zugang erfolgen kann). Das Fehlen anderer Voraussetzungen könnten die übrigen Gesellschafter nicht mit versteigerungsrechtlichen Rechtsbehelfen geltend machen, sondern nur mit einer Widerspruchsklage analog § 771 ZPO, in dessen Rahmen das Zwangsversteigerungsverfahren analog § 769 ZPO durch einstweilige Anordnung vorläufig ausgesetzt werden könnte (BGH, Beschluss vom 16.05.201 - V B 198/12 -).

Die gleichen Grundsätze würden für die Wiederversteigerung gem. § 133 ZVG gelten. § 731 S. 2 BGB verweise, wie dargelegt, auf die Vorschriften über die Teilung einer Gemeinschaft. § 735 Abs. 1 BGB sei nicht lediglich in Bezug auf die Auseinandersetzung durch Teilungsversteigerung anzuwenden, sondern auch auf den vorliegenden Fall, dass das Bargebot nicht (oder nicht vollständig) entrichtet wurde, der Anspruch auf den Erlösüberschuss gegen den Ersteher auf die GbR übergegangen sei und zu deren Gunsten eine Sicherungshypothek im Grundbuch zur Wahrung des Anspruchs eingetragen wird. Anstelle des Grundstücks treten in diesem Fall der Anspruch auf Übertragung der Forderung und die Sicherungshypothek, die nun zum Zwecke der Auseinandersetzung ebenfalls in Geld umgesetzt werden müssten.

Nach § 432 BGB stehe der Erlös aus der Teilungsversteigerung den Teilhabern unverteilt zu und diese Leistung könne jeder Teilhaber an alle fordern. Dieses Einziehungsrecht umfasse auch die gerichtliche Geltendmachung der gemeinschaftlichen Forderung und damit das Recht, die Zwangsvollstreckung in das Grundstück zu betreiben (BGH, Urteil vom 20.02.2008 - XII ZR 58/04 -). Aus der Sicherungshypothek könne jeder früher als Bruchteilseigentümer eingetragene Beteiligte alleine vollstrecken und daher die nochmalige Versteigerung verlangen (BGH aaO.). Gleiches gelte für die GbR nach § 731 S. 2 BGB.

Der Umstand, dass die Auflösungsbilanz nur von allen Gesellschaftern gemeinschaftlich beschlossen werden könne, ändere daran nichts, da es hier nicht zur Vorwegnahme der Verteilung des Erlöses komme, weder im Rahmen der Teilungsversteigerung noch im Falle der Wiederversteigerung. Die Aufteilung des Übererlöses sei nicht Sache des Vollstreckungsgerichts sondern Sache der Gesellschafter.

BGH, Beschluss vom 08.07.2021 - V ZB 94/20 -

Samstag, 9. Oktober 2021

Fehlende Parteifähigkeit einer britischen Limited mit tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland

Die Antragstellerin (AS), die nach ihrer Darstellung Kosmetikprodukte als Onlinehändlerin vertrieb, war eine in der britischen Rechtsform einer Limited betriebene Gesellschaft, wollte im Rahmen einer einstweiligen Verfügung eine kartellrechtliche Untersagung gegen einen Konkurrenten erwirken. Der Antrag wurde vom Landgericht als unbegründet zurückgewiesen. Auf die Berufung wurde der Antrag als unzulässig zurückgewiesen. In beiden Instanzen wurde von der fehlenden Parteifähigkeit der AS ausgegangen.

Um klagen zu können, bedarf es der Parteifähigkeit nach § 50 Abs. 1 ZPO, die Land- und Oberlandesgericht der Klägerin absprachen. Die Parteifähigkeit ist gem. § 56 ZPO von Amts wegen untr freier Beweiswürdigung zu prüfen. Dabei ging das OLG davon aus, dass die AS ihre Parteifähigkeit mit dem Vollzug des Austritts des vereinigten Königsreichs aus der EU gem. Art. 50 EUV nah Ablauf der Übergangsfrist zum 31.12.2020 (Brexit), und damit vor der Antragstellung im vorliegenden Verfahren, verloren habe. Dies begründete das OLG damit, dass der tatsächliche Verwaltungssitz der AS in Deutschland sei.

Grundsätzlich würde gegenüber Drittstaaten wegen dem weder im sekundär anzuwendenden Regelungen des Unionsrechts noch im deutschen Recht enthaltenen Kollisionsregeln für Gesellschaften und juristische Personen die Sitztheorie Anwendung finden. Unter Sitz sei der tatsächliche Verwaltungssitz zu verstehen. Dieser sei an dem Ort, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt würden (BGH, Urteil vom 21.03.1986 - V ZR 10/85 -). Die AS habe nicht belegt, dass ihr tatsächlicher Veraltungssitz in Großbritannien – und nicht, wie von der Antragsgegnerin behauptet – in Berlin sei. Es sei von der AS eine abstrakte steuerrechtliche Aussage ohne konkreten Bezug zu der AS vorgelegt worden, nach der britische Unternehmen ohne Sitz, Geschäftsleitung oder Zweigniederlassung in Deutschland sich nach § 13b Abs.  7 UstG registrieren lassen müssten, weshalb sich zu einem Sitz in Großbritannien daraus nichts ergäbe. Auch eine weiter von ihr vorgelegte Unterlage sage nichts zu einem tatsächlichen Verwaltungssitz in Großbritannien aus; sie enthalte nur eine Bestätigung einer britischen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die nicht weiter geprüfte Umsätze der AS enthalte. Beide vorgelegten Unterlagen würden zudem als Anschrift der AS zudem die Anschrift der  Wirtschaftsprüfungsgesellschaft enthalten, was nach lebensnaher Betrachtung die Vermutung zulasse, dass dort eine Umsetzung von Leitungsentscheidungen nicht stattfinde. Auch eine weitere Unterlage enthalte lediglich Angaben zu Buchhaltung und Steuerangelegenheiten, bei denen es sich lediglich um sekundäre Verwaltungstätigkeiten handeln würde. Ein verweis auf das Impressum der Webseite der AS ergäbe auch nichts zugunsten der AS, da dort auch nicht für eine Umsetzung der Leitungsentscheidungen in Großbritannien ersichtlich sei, vielmehr sogar eine Postfachadresse in Berlin angegeben worden sei.

Sei damit deutsches recht anzuwenden, sei der numerus clausus der Gesellschaftsformen zu beachten. Das deutsche Recht kenne die Gesellschaftsform der britischen Limited nicht, weshalb diese in Deutschland nicht rechtsfähig sei. Allerdings ei sie nach der sogenannten milden Form der Sitztheorie nicht als rechtliches Nullum zu behandeln, sondern je nach tatsächlicher Ausgestaltung als GbR, OHG oder – wie hier – bei nur einer Gesellschafterin als einzelkaufmännisches Unternehmen (BGH, Urteil vom 27.10.2008 - II ZR 158/06 -), was die volle persönliche Haftung zur Folge habe.

Auch das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich vom 24.12.2020 ändere daran nichts. Dieses regele den Zugang britischer Unternehmen zum Binnenmarkt. Es gewähre keine Rechtsposition, die der Niederlassungsfreiheit in der Ausprägung der EuGH-Rechtsprechung zur freien Wahl von Sitz und anwendbaren Gesellschaftsrecht gleichkomme. In einem Vorlageaufhebungsbeschluss vom 16.02.2021 - II ZB 25/17 – habe der BGH klar  ausgeführt, dass die Niederlassungsfreiheit (nach der eine Gesellschaft aus einem EU-Land in einem anderen EU-Land ihren Verwaltungssitz haben könne) voraussetze, dass der Staat, nach dessen Recht die Gesellschaft gegründet worden sei, zum Zeitpunkt ihrer Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit Mitgliedsstaat der EU sei.

OLG München, Urteil vom 05.08.2021 – 29 U 2411/21 Kart -