Montag, 13. Juli 2020

Haftung des Geschäftsführers für Steuerschulden in der Insolvenz ?


Die Antragsgegnerin erließ einen Haftungsbescheid gegen den Antragsteller wegen Steuerschulden aus Vergnügungssteuer (betrieb von Gelspielgeräten) der von dem Antragsteller als Geschäftsführer ehedem vertretenen GmbH. Vom Antragsteller wurde Widerspruch eingelegt und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt. Er machte geltend, er habe bereits einen Großteil der Steuerschulden der Gesellschaft aus privaten Mitteln gezahlt und der Antragsgegnerin sei die wirtschaftliche Situation der GmbH bekannt gewesen. Sein Antrag wurde vom Verwaltungsgericht zurückgewiesen. Seine Beschwerde zum OVG hatte keinen Erfolg.

Das OVG verweist darauf, dem Antragsteller treffe eine Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Erteilung erforderlicher Auskünfte, §§ 90 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AO. Dieser sei er nicht genügend nachgekommen, wobei er sich nicht darauf berufen könne, die Unterlagen würden sich 8nun) beim Insolvenzverwalter befinden, da er jedenfalls in Grundzügen über fällige Forderungen und  liquide Mittel im Haftungszeitraum informiert sein müsse. Letztlich aber würde der Antragsteller mit seinem Vortrag sogar die Haftung wegen grober Verletzung der ihm als Geschäftsführer obliegenden Pflichten nach §§ 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und d KAG iVm. §§ 69, 34 Abs. 1 AO bekräftigen, da er selbst in einem Schreiben an die Antragsgegnerin in 2018 ausführte, die GmbH sei schon 2013 nicht mehr in der Lage gewesen aus liquiden Mitteln Schulden zu zahlen (wobei er auf eine eigene Forderung der Gesellschaft aus 2012 in Höhe von € 58.000,00 verwies, die bis 2015 auf € 150.000,00 angewachsen sei), weshalb im Hinblick auf die hier streitbefangenen Steuerschulden für den Zeitraum ab April 2014 weiter anfallenden und ab Mai 2014 fälligen und unbeglichenen Steuerschulden  davon auszugehen sei, dass Zahlungsunfähigkeit vorlag. Es sei davon auszugehen, dass eine zur Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 S. 1 InsO allenfalls durch Gesellschafterdarlehen habe vermieden werden können, wobei spätestens ab Mai 2015 Zahlungsunfähigkeit hinzugekommen sei. Damit sei der Antragsteller weiterhin wirtschaftlich tätig geworden, obwohl für ihn erkennbar gewesen sei, dass er weitere Steuerschulden anhäufen würde.

Soweit steuerliche Literatur und die Entscheidung des BFH vom 28.11.2002 – VII R 41/01 – (ergangen zur Umsatzsteuer) eine Haftung nach §§ 69, 34 Abs. 1 AO unbeschadet gesellschafts- und insolvenzrechtlicher Regelungen, die eine steuerliche Haftung nicht begründen könnten, wegen des Weiterbetreibens von Geschäften negiert, obwohl diese eine Steuer auslösen könnten, könne dem nach den in Nordrhein-Westfalen entsprechend anwendbaren Haftungsvorschriften der AO für die Geldspielgerätesteuer nicht gelten. Vielmehr sei danach der Vertreter der juristischen Person (Geschäftsführer der GmbH) verpflichtet, Vorsorge für die Zahlung der erkennbar entstehenden Steuerschuld zu treffen. Dies schließe insbesondere die rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrages (§§ 15a Abs. S. 1, 18 InsO) ein.

Im Hinblick auf den Schadensersatzcharakter des Haftungsanspruchs würden nur die Steuern umfasst, die durch die Pflichtverletzung ausgefallen seien. Diese Pflichtverletzung müsse ursächlich sein. Bei einer Pflichtverletzung in Form der fehlenden Unterlassung weiterer steuerbegründender Geschäfte könne zwar zweifelhaft sein, , ob der Weiterbetrieb der Geschäfte mit den dann anfallenden Steuern wirtschaftlich einen Steuerschaden darstellen könne (vgl. auch BGH, Urteil vom 06.06.1994 - II ZR 292/91 -). Gegen den Weiterbetrieb von Geldspielgeräten  würde auch nach Insolvenzreife nichts sprechen, wenn der ein wirtschaftlich sinnvoller Weiterbetrieb erfolge und damit die Masse erhöht würde, wobei, wenn anders die Mittelvorsorgeverpflichtung für diese Steuern nicht gesichert werden könne, dies allerdings unter Insolvenzbedingungen erfolgen müsse, da in diesem Fall die Vergnügungssteuerschulden Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1Nr. 1 2. Alt. InsO und nach § 55 InsO und vorab zu  befriedigen wären. Diese Mittelvorsorge sei vom Antragsteller unterlassen worden.

OVG Münster, Beschluss vom 15.11.2019 - 14 B 1443/19 -

Mittwoch, 8. Juli 2020

Verletzungsbedingter Mehraufwand (hier für Betreuer) im Urlaub als Schaden ?


Die Klägerin, die eine Rundumbetreuung bedurfte, machte gegen den Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung Ersatz von behinderungsbedingten Mehrkosten einer Urlaubsreise geltend. Es handelt sich um die Zusatzkosten für drei Personen für eine Woche in einem auf schwerbehinderte Menschen spezialisierten Hotel auf Gran Canaria, bei denen sie von den Kosten ersparten Verpflegungsaufwand abzog, und um eigene zusätzliche Kosten für die Reisedurchführung mittels Rollstuhltransport und die erhöhten Kosten durch die Spezialisierung des Hotels.

Die Klage war erfolgreich; die Revision der Beklagten wurde vom BGH zurückgewiesen.

Die Einstandspflicht des Schädigers erstrecke sich auf alle Vermögeneinbußen des Geschädigten aus der diesem zugefügten Verletzung, § 249 Abs. 1 BGB. Insoweit habe der Schädiger den Zustand wiederherzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Damit seien insbesondere auch die infolge dauernder Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens entstehenden Nachteile auszugleichen. Hierzu würden auch verletzungsbedingt erforderliche Kosten einer Begleitung (so bei Spaziergängen, Behördengängen, zu kulturellen Veranstaltungen u.a.) gehören. Der Mehrbedarf bestimme sich nach den Dispositionen, die ein verständiger Geschädigter an Mitteln aufwenden würde, wenn er diese selbst zu tragen habe und tragen könnte.

Die Ersatzpflicht bei einer Urlaubsreise sei dann ausgeschlossen, wenn die vom Geschädigten vorgenommene Ortsveränderung mit unverhältnismäßigen und für den Schädiger nach Trau und Glauben nicht zumutbaren Aufwendungen verbunden sei. Auf eine medizinische Notwendigkeit der Ortsveränderung käme es allerdings nicht an.

Soweit die Parteien einen endgültigen Vergleich zu den immateriellen Kosten geschlossen hatten, wies der BGH die Rechtsansicht der Beklagten zurück, es würde sich hier bei den Mehraufwendungen für die Betreuung um eine Kompensation für Einschränkungen der Freizeitgestaltung handeln und damit um einen immateriellen Schaden. Die Kosten seien entstanden, da die Klägerin die Reise aufgrund der Behinderung nur in Begleitung von Betreuungspersonen und unter Inanspruchnahme besonderer Dienstleistungen (so der Rollstuhltransport) habe unternehmen können. Es handele sich um Aufwendungen, die die Reise erst ermöglichen würden und damit der Herstellung eines Zustandes dienen würden, der möglichst nahe dem Zustand käme, der ohne das schädigende Ereignis bestünde. Der Ersatzanspruch beruhe daher auf § 249 BGB und stelle sich nicht als Ausgleich dafür dar, dass die Klägerin ihren Urlaub nicht so genießen könne, wie dies ohne das schädigende Ereignis möglich gewesen wäre.

BGH, Urteil vom 10.03.2020 - VI ZR 316/19 -

Montag, 6. Juli 2020

Anfechtung der Erbausschlagung wegen Irrtums


Die Stadt D. veranlasste im Wege der Ersatzvornahme die Bestattung der Erblasserin und teilte den Beteiligten (den 11 Kindern der Erblasserin) mit Schreiben vom 24.07.2013 mit, aufgrund der Angaben der Beteiligten zu 1, 3, 8 und 11 zugunsten aller Beteiligten wegen unbilliger Härte von einer Kostenersatzforderung Abstand zu nehmen. Gleichzeitig teilte sie mit, dass dies die beteiligten nicht von der Erbschaft befreie und empfahl die Erbschaft auszuschlagen. Die Beteiligten zu 1, 3 und 7 schlugen daraufhin die Erbschaft aus und teilten dabei mit, dass ihnen die Zusammensetzung des Nachlasses nicht bekannt sei.  Am 09.08.2018 teilte der Beteiligte zu 12 mit, der Wert des Nachlasses belaufe sich nach dem Verkauf eines Grundstücks auf € 35.000,00. Die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 erklärten nunmehr die Anfechtung ihrer Ausschlagungserklärung. Die Beteiligte zu 1 gab an, angenommen zu haben, dass die bestehenden Verbindlichkeiten den Wert des Grundstücks übersteige; von den Beteiligten zu 3 und 7 wurde geltend gemacht, nichts von dem Grundstück gewusst zu haben. Die Beteiligte zu 1 gab an, sie habe annehmen müssen, der Nachlass sei überschuldet.

Im Dezember 2018 beantragte die Beteiligte zu 3 die Erteilung eines Erbscheins nach gesetzlicher Erbfolge, der die Beteiligten zu 1 bis 11 als Erben zu je 1/11 ausweist. Dieser Antrag wurde vom Nachlassgericht mit Beschluss vom 18.07.2019 zurückgewiesen, da nach seiner Auffassung die Erbausschlagung nicht erfolgreich angefochten worden sei. Gegen diesen Beschluss legten die Beteiligten zu 2, 3 und 8 Beschwerde ein. Nachdem das Nachlassgericht dieser nicht abgeholfen hatte, musste das zuständige OLG entscheiden. Es half der Beschwerde ab.

Das OLG ging dabei von einem Anfechtungsgrund in Form eines Eigenschaftsirrtums gem. § 1954 Abs. 1 BGB iVm. § 119 Abs. 2 BGB aus. Zwar würde ein Irrtum über die Größe des Nachlasses grundsätzlich keinen Anfechtungsgrund darstellen, da nicht der Wert selbst, sondern die wertbildenden Faktoren als Eigenschaften anzusehen seien. Würde eine Erbschaft für finanziell uninteressant gehalten und daher ausgeschlagen, könne dies nicht angefochten werden, wenn sich späterhin wertvolle Nachlassgegenstände herausstellen würden oder ein vorhandener Nachlassgegenstand als wertvoll herausstelle.

Allerdings gehöre die Zusammensetzung des Nachlasses zu den Eigenschaften der Erbschaft. Ein Irrtum über die Zugehörigkeit bestimmter Rechte zum Nachlass könne daher eine Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft rechtfertigen, wenn es sich dabei um wesentliche Eigenschaften handele. Dies würde bei einem Irrtum zur Frage der Überschuldung angenommen, wenn der Irrtum auf falschen Vorstellungen über das Vorhandensein von Nachlassgegenständen oder –verbindlichkeiten beruhe, nicht aber bei einer fehlerhaften Einschätzung des Wertes. Wer ohne nähere Kenntnis der Zusammensetzung des Nachlasses eine Fehlvorstellung von dessen Größe habe, sei daher nicht zur Anfechtung der Annahme oder der Ausschlagung berechtigt, da es sich bei der zugrundeliegenden Annahme bzw. Ausschlagung um eine spekulativem bewusst ungesicherte Entscheidung handeln würde.

Vorliegend hätte sich zwar die Beteiligten 1 bis 3 und 7 nach ihren Ausschlagungserklärungen keine vertieften Gedanken über die Zusammensetzung des Nachlasses gemacht. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass sie mit der Ausschlagung einer ausdrücklichen Empfehlung der Stadt D. gefolgt seien. Auch wenn sich aus dem Schreiben der Stadt ergäbe, dass die Anerkennung einer unbilligen Härte für den Verzicht auf den Kostenerstattungsanspruch auf Angaben der Beteiligten 1, 3, 8 und 11 beruhe, habe für die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 keine Veranlassung bestanden anzunehmen, dass die Empfehlung der Stadt nicht auf einer eigenen (behördlichen) Einschätzung bezüglich einer Überschuldung des Nachlasses beruhe. Damit beruhe die Ausschlagung auf der irrtümlichen Annahme, die Stadt habe eine Überschuldung des Nachlasses festgestellt. Hinzu käme, dass nach den Angaben der Beteiligten zu 3 Erfahrungen über ständige Vollstreckungen bei den Eltern bestanden hätten, weshalb in einem solchen Fall nicht davon gesprochen werden könne, die Entscheidung der Anfechtenden sei auf einer spekulativen, bewusst ungesicherten Grundlage getroffen worden. Der Irrtum sei hier auch kausal.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.01.2020 - 3 Wx 167/19 -

Freitag, 3. Juli 2020

Umgehung des Erben durch gesellschaftsvertragliche Regelungen ?


Das Verfahren vor dem BGH zeigte anschaulich die Möglichkeiten auf, Vermögenswerte im Todesfall auch außerhalb eines Testaments auf Dritte zu übertragen, ohne dass der Erbe oder Pflichtteilsberechtigte notwendig Ansprüche geltend machen kann.

Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass eine gesellschaftsrechtliche Regelung, nach der eine Gesellschaft beim Tod eines Gesellschafters unter den verbleibenden Mitgesellschaftern fortgesetzt wird und Abfindungsansprüche (der Erben / Pflichtteilsberechtigten) ausgeschlossen werden, ohne dass dies eine ergänzungsbedürftige Schenkung iSv. § 2325 BGB (Regelung zum Pflichtteilsergänzungsanspruch) darstelle. Diesbezüglich bedarf es jeweils einer Einzelfallprüfung.

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB setze eine Schenkung des Erblassers nach § 516 BGB voraus, was mithin bedeute, so der BGH, dass der Empfänger aus dem Vermögen des Gebers unentgeltlich bereichert würde. Unentgeltlichkeit läge bei fehlender Abhängigkeit von einer Gegenleistung, gleich in welcher Art, vor.

Bei der Zuwachsung der Gesellschaftsanteile auf den oder die verbliebenen Gesellschafter käme es daher darauf an, ob eine Gegenleistung vorliege oder nicht. Läge sie nicht vor, sei Unentgeltlichkeit gegeben und würde der Erbe bzw. Pflichtteilsberechtigte Ansprüche geltend machen können. Ein allseitiger Abfindungsausschluss für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters sei nicht als Schenkung zu werten. Es sei nicht davon auszugehen, dass die gesellschaftsvertragliche Nachfolgevereinbarung (auch wenn sie Abfindungsansprüche der Erben ausschließe) den Sinn habe, dem Nachfolger etwas zuzuwenden, sondern dazu diene, das Gesellschaftsunternehmen nach dem Tod des Gesellschafters zu erhalten. Bei dem Abfindungsausschluss handele es sich auch um ein aleatorisches (also zufallsabhängiges) Geschäft, da jeder Gesellschafter dem anderen das gleiche zuwende und jeder das Risiko in Kauf nähme, dass der Vorteil der Nachfolge in den Anteil dem anderen Gesellschafter zufällt.

Im konkreten Fall wurde aber diese gesellschaftsrechtliche Zuwachsung negiert und eine Unentgeltlichkeit angenommen. Auch wenn, wie der BGH ausführte, entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht die Anzahl der Gesellschafter (2) also solche dies begründen würde, könne dies aber sehr wohl bedeuten, dass für Fortführung des Unternehmens nicht im Vordergrund stünde. Vorliegend (die Gesellschaften in Form Gesellschaften bürgerlichen Rechts nach § 705 BGB) hielten eine Wohnung zur Eigennutzung durch die Gesellschafter, eine Wohnung zur verbilligten Vermietung an einen Angehörigen der Gesellschafter.

Auch habe vorliegend das Berufungsgericht zutreffend ein aleatorisches Geschäft verneint. Es sei rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Erblasser mit der Vereinbarung kein Verlustrisiko einging, sondern die abfindungsfreie Übertragung gerade seiner Zielsetzung entsprochen habe. Zwar sei für die Annahme einer Schenkung nicht Voraussetzung, dass der Gesellschaftsvertrag auch oder alleine zu dem Zweck geschlossen wurde, Pflichtteilsansprüche von Abkömmlingen zu mindern, würde dies allerdings im besonderen Maße für den Schenkungswillen der beteiligten sprechen. Debei sei auch zu berücksichtigen, dass die Gesellschafter Eheleute gewesen seien (Kläger im verfahren ist der Sohn aus 1. Ehe des verstorbenen Ehemanns). Auch wenn der Erblasser erst nach der gesellschaftsvertraglichen Regelung zugunsten seiner Frau testiert habe und er nicht an das Testament gebunden war, läge darin gleichwohl die Willensrichtung, der Beklagten (Ehefrau) Vermögen unter Ausschluss des Klägers zuzuwenden. Und sollte tatsächlich der Erblasser vor seiner Frau versterben, würde dies nichts schaden, da er dann alles hätte und selbst insgesamt neu testieren pp. könne.

Soll mithin mittels einer gesellschaftsvertraglichen Regelung ein Erbe ausgeschlossen werden, erfordert dies eine gründliche Überlegung zum Grund und sinnvollerweise dessen Dokumentation. Der Anschein (zwei-Personen-Gesellschaft zwischen Eheleuten) kann den Regelungszweck im Sinne der Aufrechterhaltung einer Gesellschaft entgegenstehen und damit nicht anerkannt werden.

BGH, Urteil vom 03.06.2020 - IV ZR 16/19 -

Samstag, 27. Juni 2020

WEG: Titulierung rückständigen Wohngeldes über die Jahresabrechnung ?


Mit der Klage machte die Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) die Abrechnungsspitzen aus den Jahresabrechnungen 2016 und 2017 geltend.  In diesen Jahresabrechnungen wurde den Ausgaben, soweit sie auf den beklagten Miteigentümer entfielen, nur die tatsächlich von ihm erbrachten Zahlungen entgegengestellt, nicht die (höheren) Zahlungen, die er nach den für die jeweiligen Jahre geltenden Wirtschaftsplänen hätte zahlen müssen.

Das Landgericht (LG) führte aus, dass die Klage unbegründet gewesen sei, da die WEG sich zur Geltendmachung der Forderung nicht auf die Jahresabrechnungen hätte stützen dürfen. Durch die Jahresabrechnung und sich daraus ergebender Abrechnungsspitzen (die vom Wohnungseigentümer zu zahlen seien) würde nur eine neue Schuld begründet (BGH, Urteil vom 01.12.2012 – V ZR 171/11 -).  Die Klägerin habe eingeräumt, dass die Klageforderung zum überwiegenden Teil aus rückständigen Forderungen aus den Wirtschaftsplänen stamme. Hier aber fehle es der WEG an einer Beschlusskompetenz, durch den Beschluss über die Jahresabrechnung letztlich eine neue Anspruchsgrundlage zu schaffen (BGH aaO.). Damit dürften die Beschlüsse über die Jahresabrechnung bereits nichtig sein; es kam also nicht darauf an, ob der Beklagte die Beschlüsse innerhalb der Anfechtungsfrist angefochten hatte (was wohl nicht geschah).

Der Beklagte hatte nach Zustellung der Klage gezahlt und die klagende WEG hatte die Hauptsache für erledigt erklärt. Danach verwies die Klägerin auf die Wirtschaftspläne und stützte die (in der Hauptsache erledigte) Klage auf diese. Das Landgericht wies die Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des Amtsgerichts, mit der dieses der Klägerin die Kosten auferlegt hatte, zurück. Es verwies darauf, dass es sich bei der Geltendmachung der Forderungen aus den Jahresabrechnungen um eine Klageänderung handele. Es würde sich um unterschiedliche Ansprüche handeln, die ihre Grundlage in verschiedenen Beschlüssen der der WEG fänden und auch bei einem Eigentümerwechsel unterschiedliche Personen treffen könnten. Da die Zahlung vor der Klageänderung erfolgte, sei entspräche es billigen Ermessen, der WEG die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.02.2020 - 2-13 T 9/20 -

Mittwoch, 24. Juni 2020

Rechtliches Gehör: Wann muss Vortrag nach Schluss der mündlichen Verhandlung vom Gericht zwingend berücksichtigt werden ?


Das rechtliche Gehör und dessen Verletzung beschäftigt immer wieder die Instanzgerichte bis hin zum BGH. Da es sich bei der Gewährung rechtlichen Gehörs um einen verfassungsrechtlichen Anspruch der Partei vor Gericht handelt (Art. 103 GG), weshalb an sich die Gerichte dem eine erhebliche Bedeutung beimessen sollten.

Während das Landgericht der Klage auch weiteren materiellen und immateriellen Schadensersatz gegen eine Apothekerin nach fehlerhafter Herstellung eines Medikaments un Hinblick auf weiteren Huashaltsführungsschaden des Klägers statt gab und das Begehren auf weiteres Schmerzensgeld abwies, hat das Berufungsgericht (OLG Stuttgart) auf die Berufung des Klägers  diesem ein weiteres Schmerzensgeld zugesprochen und auf die Anschlußberufung der Beklagten hin den Anspruch auf den weiteren Haushaltsführungsschaden abgewiesen. Der vom Kläger erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde half der BGH im Hinblick auf den Haushaltsführungsschaden durch Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung ab.

Die Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung durch Abweisung des Begehrens auf den Haushaltsführungsschaden habe das OLG damit begründet, dass der Kläger auf einen Hinweis des Senats des OLG (im Verhandlungstermin, auf dem das Urteil ergibt) nicht vorgetragen habe, welche Zeiten der Tätigkeit seiner Lebensgefährtin er für seine Pflege und Betreuung und in Abgrenzung dazu, welche Zeiten er für die Haushaltsführung geltend mache. Erst nach der mündlichen Verhandlung sei Vortrag dazu erfolgt, was verspätet sei, wobei der Kläger es auch unterlassen habe, nach dem Hinweis im Termin einen Schriftsatznachlass gem. § 239 Abs. 5 ZPO zum ergänzenden Vortrag zu dem Hinweis zu stellen. Von daher sei auch nach dem verspäteten Vortrag die mündliche Verhandlung nicht wiederzueröffnen.

Diese Nichtberücksichtigung verstößt nach Auffassung des BGH vorliegend gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs. Art. 103 Abs. 1 GG. Das rechtliche Gehör würde verletzt, wenn Vortrag unberücksichtigt bleibe, ohne dass dies im Prozessrecht eine Stütze finde. Dieser Fall sei vorliegend gegeben.

Eine in erster Instanz siegreiche Partei dürfe darauf vertrauen,  vom Berufungsgericht einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will. Grundsätzlich habe der Hinweis so rechtzeitig zu erfolgen, dass die betroffene Partei noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung darauf reagieren könne, § 139 Abs. 4 ZPO.  Würde  - wie hier – der Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung erfolgen, so müsse der Partei genügend Gelegenheit gegeben werden, darauf zu reagieren. Sei offensichtlich, dass die Partei in der mündlichen Verhandlung nicht reagieren könne, so müsse das Gericht entweder in das schriftliche Verfahren überleiten oder (auch ohne entsprechenden Antrag auf Schriftsatznachlass) vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu gewähren.  

Gegen diese Pflichten habe das OLG verstoßen. Der Hinweis sei erst in der Berufungsverhandlung erteilt worden. Diese sei geschlossen worden, obwohl dem Kläger wegen des mit dem Hinweis verbundenen Rechercheaufwandes eine sofortige Erklärung nicht möglich gewesen sei. Wegen dieses Verfahrensfehlers sei das OLG verpflichtet gewesen, sich mit dem Vortrag des Klägers in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz auseinanderzusetzen, was nicht stattfand.

Etwas anderes ergäbe sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger es verabsäumte, Schriftsatznachlass zu beantragen (s.o.; BGH, Beschlüsse vom 04.07.2013 - V ZR 151/12 - und vom 18.99.2006 - II ZR 10/05 -).

Ebenfalls sei der Umstand nicht durchgreifend, dass der Hinweis durch das OLG bereits erstinstanzlich (als auch im Berufungsverfahren) den Einwand erhoben habe, daß die Tätigkeit der Lebensgefährtin nicht zeitgleich der Haushaltsführung und der Pflege des Klägers gedient habem könne. Diese Hinweise des Gegners müssen den Kläger nicht notwendig zu der Annahme veranlassen, dem würde das Berufungsgericht folgen und damit eine andere Rechtsansicht als das Landgericht vertreten, weshalb vorsorglich der eigene Vortrag zu ergänzen sei (BGH, Beschluss vom 21.01.2016 - V ZR 183/15 -).

Der Gehörsverstoß sei auch erheblich. Der Kläger habe nach Schluss der mündlichen Verhandlung zu dem Hinweis weitergehend vorgetragen und es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das OLG über den Anspruch betreffend Ersatz des Haushaltsführungsschadens bei Berücksichtigung desselben anders als geschehen entschieden hätte. 

BGH, Beschluss vom 21.01.2020 - VI ZR 346/18 -

Montag, 22. Juni 2020

Rechtsstellung des (verbliebenen) werdenden Wohnungseigentümers nach Bildung der Wohnungseigentümergemeinschaft


Der BGH hat nunmehr erstmals in einer Sachentscheidung zu der Problematik eine Entscheidung darüber getroffen, welche Rechtsstellung der werdende Wohnungseigentümer hat, der nach Wahrung des oder der ersten Erwerber von Wohnungseigentum nach der durch die Eigentumswahrung erfolgten Begründung der Wohnungseigentümergemeinschaft in dieser hat.

Die T. GmbH hatte mit notarieller Urkunde vom 26.01.2013 das Grundstück in Wohn- und Teileigentum aufgeteilt. Schon bis zur Wahrung im Grundbuch am 30.09.2015 begann die T. GmbH mit dem Verkauf von wohnungs- und Teileigentumseinheiten und am 31.03.2016 wurde die erste Käuferin aufgrund Auflassungserklärung vom 155.01.2015 im Grundbuch als Miteigentümerin eingetragen. Mit notariellen Vertrag vom 30.06.2016 verkaufte die T. GmbH zwei schon errichtete und vier noch zu errichtende Wohnungen an eine andere Erwerberin (nachfolgend: Erwerberin). Am 02.08.2016 wurde zu deren Gunsten eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch gewahrt und die Übergabe erfolgte mit Zahlung des Kaufpreises am 22.08.2016. Zu den Wohnungseigentümerversammlungen vom 19.01., 09.05. und 13.07.2017 wurde die Erwerberin geladen, wobei deren Geschäftsführer auf einer der Versammlungen auch zum Mitglied des Verwaltungsbeirates berufen wurde. Auch an der Versammlung vom 06.11.2017 wollte der Geschäftsführer der Erwerberin für diese teilnehmen, wurde aber vom Verwalter mit der Begründung ausgeschlossen, die Erwerberin sei noch nicht im Grundbuch als Eigentümerin gewahrt. Gegen die Beschlussfassung bei dieser Versammlung (mit dem der Verwaltungsbeirat ermächtigt wurde, mit dem Verwalter einen Aufhebungsvertrag zu schließen, für den 9.308,468/10.000stel stimmten) erhoben die Klägerinnen (zu denen nicht die Erwerberin gehörte) unter Berufung auf den Ausschluss der Erwerberin in Person deren Geschäftsführers Klage.

Der BGH gab der Klage statt.

Kernfrage war, ob der Ausschluss der Erwerberin an der Teilnahme zulässig war und – bejahendenfalls – ob die die Ungültigkeit des Beschlusses begründen kann.

Derjenige, der von dem teilenden Eigentümer Wohnungs-/Teileigentum erwerbe, erlange mit der Eintragung der Auflassungsvormerkung und Übergabe der Wohnung / des Teileigentums eine besondere Rechtsstellung als werdender Wohnungseigentümer. Bis zur Eintragung als Eigentümer bestünde eine Übergangsphase, in der er in vorgelagerter Anwendung des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) wie ein Wohnungseigentümer zu behandeln sei und daher auch an Eigentümerversammlungen teilnehmen und dort abstimmen könne. Diese Rechtsstellung würde er nicht mit Eintragung des ersten Käufers als Eigentümers im Grundbuch verlieren, auch wenn sich mit dieser Eintragung  die werdende Wohnungseigentümergemeinschaft in eine Wohnungseigentümergemeinschaft im Rechtssinne wandle. Diese setze sich in der Übergangszeit bis zur Wahrung des letzten werdenden Wohnungseigentümers als Eigentümer im Grundbuch aus den Volleigentümern und den werdenden Eigentümern zusammen.  

Die Rechtsstellung als werdender Wohnungseigentümer erlange ein Ersterwerber unabhängig davon, ob er vor oder nach der der Eintragung des ersten Käufers als Eigentümer den Kaufvertrag geschlossen habe. Das Entstehen der Wohnungseigentümergemeinschaft würde nämlich nicht die Regelungslücke schließen, die Voraussetzung für die vorgelagerte entsprechende Anwendung der Vorschriften des WEG auf die werdende Wohnungseigentümergemeinschaft sei. Unabhängig davon, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft nach dem Gesetz nicht schon mit der Teilung (§ 8 WEG) durch den Eigentümer begründet würde, da sie eine Personenmehrzahl von mindestens zwei Personen erfordere, läge die entscheidende Lücke darin, dass die Regelung des WEG dem „Demokratisierungsinteresse“ der Erwerber mit gesicherter Rechtsposition nicht Rechnung trage. Anders als die bereits als Eigentümer gewahrten Käufer könnten die nicht eingetragenen Käufer, wie es geboten wäre, aus eigenem Recht an der Bewirtschaftung und Verwaltung der Wohnanlage mitwirken. Diese Lücke würde erst mit der Wahrung des letzten werdenden Eigentümers als Eigentümer schließen. Hierbei käme es auch nicht darauf an, ob ein solcher Ersterwerber (also jenem, der vom ursprünglich teilenden Eigentümer erwirbt) während der eigentlichen Vermarktungsphase oder erst längere Zeit danach, evtl. nach Begründung der Wohnungseigentümergemeinschaft, erwerbe.

Damit sei die Erwerberin zu Unrecht von der Versammlung ausgeschlossen worden. Eine Ungültigkeitserklärung würde zwar gleichwohl ausscheiden, wenn  sich der Ausschluss nicht auf das Abstimmungsergebnis ausgewirkt hätte. Anders sei dies nur bei schwerwiegenden Verstößen, die dazu führen würden, dass das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht eines Mitgliedes in gravierender Weise unterlaufen würde. Da vorliegend der Geschäftsführer der Erwerberin an mehreren Wohnungseigentümerversammlungen teilgenommen habe und auch zum Mitglied des Verwaltungsbeirats gewählt worden sei und auch zur fraglichen Eigentümerversammlung erschienenen sei, bei unveränderter Sachlage ausgeschlossen würde. Dies stelle einen gravierenden Eingriff in den Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte dar, bei denen es nicht darauf ankäme, ob der Beschluss auch bei seiner Teilnahme gefasst worden wäre. Von daher sei unerheblich, dass der Beschluss mit einer großen Mehrheit gefasst wurde. Aus dem gleichen Grund käme es nicht darauf an, ob die Beschlussmängelklage von ihm oder auch von ihm erhoben wurde.

BGH, Urteil vom 14.02.2020 - V ZR 159/19 -