Samstag, 13. Juni 2020

Beitragspflicht für Schmutzwasserableitung trotz fehlenden Anschlusses bei Friedhof mit Kapelle ?


Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks, welches als Friedhof genutzt wurde und mit einer Kapelle bebaut war. Der Beklagte verlangte von ihr mit Bescheid vom 13.11.2017 Schmutzwasserbeitrag, wobei er von einer beitragspflichtigen Grundstücksfläche von 525qm (bei einer Gesamtgrundstücksfläche von 6.814qm) sowie einer zulässigen Vollgeschossen von 1,00 ausging. Der Widerspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen. Mit ihrer Klage machte die Klägerin  geltend, dass  ein Abwasseranschluss nicht vorhanden sei und auch keine Anlagen vorhanden seien, für die ein solcher benötigt würde. Die Klage war erfolgreich.

Rechtsgrundlage des Bescheides war die auf §§ 1, 2 und 8 KAG Brandenburg beruhende Schmutzwasserbeitragssatzung (SWBS) gewesen. Das Verwaltungsgericht (VG) negierte eine Beitragspflicht nach § 3 Abs. 1, 2 SWBS, wonach der Beitragspflicht Grundstücke unterliegen, die an die zentrale öffentliche Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung angeschlossen werden können und für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung festgesetzt ist, sobald sie bebaut oder gewerblich genutzt werden dürfen, oder eine bauliche oder gewerbliche Nutzung nicht festgesetzt ist, wenn sie aber  nach der Verkehrsauffassung Bauland sind und baulich oder gewerblich genutzt werden dürfen, oder bereits eine bauliche oder gewerbliche Nutzung unterliegen oder bereits an die Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen wären. Die Beitragspflicht würde aber bei Bestehen einer tatsächlichen Anschlussmöglichkeit bei einem (wie hier) im Außenbereich belegenen Grundstück nur entstehen, wenn durch für das Grundstück ein wirtschaftlicher Vorteil entstünde.

Eine Anschlussmöglichkeit bejahte das VG vorliegend für das im Auß0enbereich belegene Grundstück. Es sei auch mit einer Kapelle bebaut. Allerdings würde der notwendige wirtschaftliche Vorteil nicht bestehen, § 3 Abs. 2 S. 2 SWBS. Weder würde für das als Friedhof mit einer Kapelle genutzte Grundstück eine größere Ausnutzbarkeit entstehen, noch eine erstmalige Bebauungsmöglichkeit. Auch die tatsächlich bestehende Bebauung ändere nichts daran, dass für das Grundstück im Außenbereich grundsätzlich kein Baurecht bestünde, § 35 BauGB. Damit würde ersichtlich keine Abwasserrelevanz bestehen.

Auch wenn bei Parkhäusern wegen typischerweise vorhandener Toilettenanlagen (OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.12.1993 - 2 L 135/92 -) und bei Grundstücken mit Kirchen aus diesem Grund ein voller wirtschaftlicher Vorteil angenommen würde, ergäbe sich etwas anderes bei einer Bebauung, die  nur eines Teilanschlusses bedürfe. Dies sei z.B. bei einzelnen Garagen der Fall, die nur der Unterstellung des Fahrzeuges dienen würden. Bei Campingplätzen u.ä. käme es darauf an, ob diese zur Erfüllung ihres Zwecks auf Anlagen angewiesen seien, in denen typischerweise Abwasser anfalle.

Gemessen daran sei für einen Friedhof eine Abwasserrelevanz nicht zu sehen. Der in der Literatur vertretenen Rechtsansicht bei Friedhöfen mit Leichenhallen oder Kapellen, die in diesen Fällen eine Abwasserrelevanz sehen würden, würde nicht gefolgt. Bei einer Kapelle ohne Vorrichtung, die einen Schmutzwasseranfall zur Folge haben könnte,  sei eine Abwasserrelevanz nicht zu sehen. Sie diene nur dem kurzfristigen Aufenthalt von Friedhofbesuchern und habe keinen Zweck, der die Vorhaltung von Toilettenanlagen erforderlich mache, was auch für einen Friedhof als solchen gelte.

VG Cottbus, Urteil vom 08.06.2020 - 4 K 1129/19 -

Mittwoch, 10. Juni 2020

Haftungsverteilung bei Verkehrsunfall: Wendemanöver gegenüber überhöhter Geschwindigkeit


Der Verkehrsunfall ereignete sich im Zusammenhang mit dem Ausparken der Klägerin und einem dabei von ihr eingeleiteten Wendevorgang. Der Beklagte zu 2. Fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit (feststellbar jedoch nur mit 8 km/h Überhöhung). Da die Unfallschäden bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden seien, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen sei (§ 7 StVG), im Übrigen für keinen der Unfallbeteiligten sich der Unfall als unabwendbar darstelle (§ 17 Abs. 3 StVG), würde - so das OLG – im Verhältnis der Unfallbeteiligten (Versicherer) die Verpflichtung zum Umfang des Schadensersatzes von den Umständen, insbesondere davon abhängen, inwieweit der Schaden von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei.

Die für die Abwägung maßgeblichen Umstände müssten nachweislich Umstände für die Umstände des Schadens (Schadenshergangs) und zur Kausalität feststehen. Der Beweis obliege jenem, der sich darauf berufe.

Die Klägerin habe gegen § 9 Abs. 5 StVO wie auch gegen § 10 S. 1 StVO verstoßen. Sowohl beim Anfahren (§ 10 S. 1 StVO) also auch beim Wenden (§ 9 Abs. 5 StVO) würden dem Fahrzeugführer gesteigerte Sorgfaltspflichten treffen. Nach § 9 Abs. 5 StVO sei eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen, nach § 10 S. 2 StVO sei die „äußerste“ bzw. „größtmögliche“ Sorgfalt zu beachten. Der Anscheinsbeweis, den die Klägerin nicht widerlegt habe, spräche gegen eine Verletzung dieser Pflichten. Auch wenn der Beklagte zu 2. Mit jedenfalls 58 km/h gefahren sei, wäre der Anscheinsbeweis für die Ursächlichkeit nicht widerlegt, da die Klägerin als Wendende mit „verkehrsüblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen“ rechnen müsse. Der Anscheinsbeweis würde in diesen Fällen nur in Frage gestellt, wenn sich der Unfall auch bei der zumutbaren Sorgfalt ereignet hätte; dies könnte dann angenommen werden, wenn entweder das sich nähernde Fahrzeug noch nicht sichtbar war oder aber aufgrund der Entfernung nicht mit einer Behinderung zu rechnen gewesen wäre (z.B. bei einer Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit um 50%). Diese Umstände könnten hier nicht angenommen werden.

Nach der Beweissituation hätte die Klägerin nur eine Geschwindigkeitsüberschreitung des Beklagten zu 2. Um 8 km/h nachweisen können. Insoweit läge aber ein Verstoß des Beklagten zu 2. gegen § 3 StVO vor. Berücksichtigungsfähig sei dies aber nur dann, wenn dieser Umstand sich auf das Unfallgeschehen oder die Schwere der Unfallfolgen ausgewirkt hätte. Es stünde nach dem eingeholten Sachverständigengutachten fest, dass sich der Unfall auch bei Einhaltung der gebotenen zulässigen Geschwindigkeit von 50 km/h ereignet hätte, dass aber die geringere Geschwindigkeit hinsichtlich der Verletzungsfolgen deutlich geringere Auswirkungen gehabt hätte.

Bei der Haftung nach §§ 17, 7 StVO sei zu berücksichtigen, dass beide Fahrzeugführer gegen Regelungen der StVO verstoßen hätten. In Ansehung der Gefahrträchtigkeit eines Wendemanövers müsse bei einem Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO stets die Alleinhaftung des Wendenden in Betracht gezogen werden, zumal dann, wenn sich der Unfall wie hier im Zusammenhang mit einem Anfahren ereigne. In derartigen Fällen würde regelmäßig die Betriebsgefahr  eines mit dem wenden Fahrzeug zusammenstoßenden Fahrzeuges zurücktreten. Damit rechtfertige hier die Überschreitung der Geschwindigkeit durch den Beklagten zu 2. nur eine Haftungsquote für diesen von 25%.

OLG Dresden, Urteil vom 25.02.2020 - 4 U 1914/19 -

Dienstag, 9. Juni 2020

Zur Beschwerdefähigkeit der (vorläufigen) Streitwertfestsetzung

Bildunterschrift hinzufügen

Die Antragstellerin bezifferte den Gegenstandswert des von ihr eingeleiteten einstweiligen Verfügungsverfahrens mit € 28.713,00 (wobei sei bereits einen Abschlag von 2/3 im Hinblick auf die Verfahrensart vorgenommen haben will). Das Landgericht setzte den Gegenstandswert auf vorläufig € 5.000,00 fest und wies die Antragstellerin sodann auf Bedenken zur sachlichen Zuständigkeit (bis € 5.000,00 ist das Amtsgericht sachlich zuständig, § 23 Nr. 1 ZPO) hin. Gegen die Streitwertfestsetzung legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein.

Unzulässig, so die Ansicht des OLG, dem nach nicht erfolgter Abhilfe durch das Landgericht der Vorgang zur Entscheidung vorgelegt wurde.  

Grundsätzlich ist eine Beschwerdegegen eine lediglich vorläufige Streitwertfestsetzung nur zulässig, wenn diese die Zahlungen weiterer Kosten für die Tätigkeit des Gerichts bedinge, §§ 63 Abs. 1 S. 2m 67 Abs. 1 S. 1 GKG. Hier aber würde für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht einmal eine Vorschussverpflichtung bestehen. Auch Anwälte könnte aus eigenem Recht gegen die vorläufige Wertfestsetzung kein Rechtsmittel einlegen, § 32 Abs. 2 RVG.

Auch wenn die vorläufige Streitwertfestsetzung (wie hier) der Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit diene, sei ein Rechtsmittel unzulässig. Dies folge bereits aus § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO, wonach der Beschluss zur Zuständigkeit unanfechtbar sei und mittels einer entsprechenden Beschwerde § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO letztlich umgangen würde. Die in § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO benannte Bindungswirkung für das danach dann zuständige Ger9icht könne allenfalls bei Willkür entfallen.

Auch die in § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG vorgesehene Änderungsmöglichkeit für das Rechtmittelgericht für den Fall, dass der Rechtsstreit in der Rechtsmittelinstanz anhängig ist, begründe nicht die Zulässigkeit, da diese Regelung ansonsten eine unzulässige Umgehung der Rechtsmittelbeschränkung des § 68 Abs. 1 S. 1 GKG darstellen würde.

Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 02.06.2020 - 1 W 16/20 -

Freitag, 5. Juni 2020

Wohngebäudeversicherung: Rohrbruch unterhalb der Bodenplatte


Der Kläger hatte bei der Beklagten eine Wohngebäudeversicherung abgeschlossen. Im Streit war zwischen den Parteien, ob der Kläger im Zusammenhang mit einem Wasserschaden Anspruch auf Versicherungsschutz hat.

Nach den der Versicherung Wohngebäudeversicherung zugrundeliegenden VGB 2011 sei die Beklagte zur Entschädigung für außerhalb von Gebäuden eintretenden frostbedingten und sonstigen Bruchschäden nur im Hinblick auf Zuleitungsrohre der Wasserversorgung und der Rohre der Warmwasserheizungs-, Dampfheizungs-, Klima-, Wärmepumpen und Solarheizungsanlagen verpflichtet (§ 3 Nr. 2 VGB 2011). Bei einem Abwasserrohr wie hier wäre dieses nur dann von der Versicherung umfasst, wenn es sich innerhalb des Gebäudes befände (§ 3 Nr. 1 VGB 2011). Nach Ansicht des OLG würde sich das Rohr aber, zu dem der Kläger mehrere Rohrbrüche behaupte, außerhalb des Gebäudes befinden. Ausdrücklich würde es in § 3 Nr. 1 VGB 2011 heißen: „Soweit nicht etwas vereinbart ist, sind Rohre und Installationen unterhalb der Bodenplatte nicht versichert.“ Die differenzierende Rechtsprechung des BGH zu den vorangegangenen VGB 62 sei durch die VGB 2011 überholt. Die Beschränkung des Versicherungsschutzes sei auch wirksam. Der Versicherer habe ein legitimes Interesse an der Beschränkung und die Regelung sei auch nicht überraschend iSv. § 305c Abs. 1 BGB und stelle sich auch nicht als eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers (§ 307 Abs. 1 BGB) dar. Dies verdeutliche sich schon daraus, dass der Ausschluss nicht nur einseitig der Beklagten als Versicherer diene, sondern auch die Versichertengemeinschaft schütze, da die Feststellung genauer Schadensursachen an solchen Rohren mit einem erheblichen Aufwand verbunden sei (dazu auch OLG Saarbrücken, Urteil vom 20.09.2000 - 5 U 345/00 -).

Auch die Formulierung im Versicherungsschein „Ihr Wohngebäude ist gegen folgende Gefahren abgesichert: Brand, Blitzschlag, .., Leitungswasser, Bruchschäden innerhalb und außerhalb von Gebäuden sowie Nässeschäden….“. Auch wenn unter gewissen Umständen bei Abweichungen von Antrag und Versicherungsschein nach § 5 Abs. 1 VVG Vertragsbestandteil würden und der Versicherungsvertrag auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 VVG  mit dem Inhalt des Versicherungsscheins zustande kommen könne, würde jedenfalls eine „Abweichung“ hier nicht vorliegen. Der Versicherungsschein müsse nicht das genaue Spiegelbild des Antrages und der zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen sein. Es sei durch Auslegung zu ermitteln, ob tatsächlich inhaltliche Abweichungen vorlägen.

Die im Versicherungsschein pauschale Formulierung „Bruchschäden innerhalb und außerhalb von Gebäuden“ ergäbe keine Abweichung, da zum Einen auf die VGB 2011 ausdrücklich verwiesen würde, zum Anderen ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer erkenne, dass im Versicherungsschein die versicherten Gefahren nur schlagwortartig erfasst würden und sich die Einzelheiten aus den in Bezug genommenen Versicherungsbedingungen ergäben.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 20.02.2019 - I-20 U 2/19 -

Dienstag, 2. Juni 2020

Gerichtsbescheid zur Aufhebung eines ablehnenden Bescheides über Grundsicherung nach SGB II


Der Kläger begehrte Leistungen nach dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende). Er besitze ein selbstbewohntes, 1882 gebautes Eigenheim. In Ansehung der benannten Daten zum Eigenheim holte die Beklagte eine Auskunft aus der Kaufpreissammlung des Gutachterausschusses ein. Nach der ersten Auskunft wurde ein Wert von € 50.000,00 angegeben. Die Beklagte stellte fest, dass die Angaben des Klägers zu Wohnflächen und bebaute Fläche des Grundstücks von diesem geschätzt wurden und er nicht in der Lage ist, diese Werte selbst zu ermitteln. Der Antrag wurde von der beklagten abgewiesen, da der Kläger über verwertbares Vermögen in Höhe von € 54.432,68 (davon alleine das Eigenheim mit € 50.000,00) verfüge, welches den Vermögensfreibetrag um € 9.150,00 übersteige. Der Kläger legte gegen den Bescheid der Beklagten Widerspruch ein und begründete dies damit, dass der angenommene Verkehrswert auf einer Schätzung der Beklagten beruhe, die weder das Baujahr  noch die ländliche Gegend, in der die Immobilie läge, berücksichtigt habe. In einem Vermerk stellte ein Mitarbeiter der beklagten die Problematik der unterschiedlichen Größenangaben dar und dass der Kläger nicht wisse, wie die Flächenermittlung erfolge (so z.B. in Bezug auf Schrägen). Der Zustand der Immobilie sei nicht berücksichtigt worden. Es sei davon auszugehen, dass die Immobilie nur zu einem sehr geringen Wert, wie von Kläger angegeben, zu veräußern sei.

Der Widerspruch wurde sodann von der Beklagten zurückgewiesen. Auf die dagegen erhobene Klage entschied das Sozialgericht (VG) durch Gerichtsentscheid, hob den Bescheid in der Fassung des  Widerspruchsbescheids auf und verwies den Vorgang an die Behörde zur weiteren Ermittlung zurück.

Das SG vertrat die Auffassung, dass es mit Gerichtsbescheid gem. § 105 Abs. 1 SGG entscheiden könne, d.h. ohne mündliche Verhandlung und ohne ehrenamtliche Richter nach Anhörung der Parteien. Der Rechtsstreit biete keine besonderen Schwierigkeiten und der Sachverhalt sei geklärt.

Ob der Sachverhalt geklärt sei, richte sich nicht nach dem begehren in der Hauptsache, sondern ausschließlich bei einer beabsichtigten Zurückverweisung danach, ob die tatsächlichen Voraussetzungen einer Zurückverweisung nach § 131 Abs. 6 S. 1 SGG vorlägen. Auch wenn damit eine Spruchreife (zum Hauptantrag, mit dem Leistungen nach dem SGB II begehrt wurden) nicht vorläge, sei daher der Entscheidungsweg für einen Gerichtsbescheid offen  LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.01.2006 – L 6 SB 197/05 -). Falsch sei die dagegen vertretene Ansicht, in Fällen der Zurückverweisung läge stets eine besondere Schwierigkeit vor (die als solcher dem Gerichtsbescheid entgegensteht). Dies würde unberücksichtigt lassen, dass das Gericht gerade nicht in der Sache abschließend ermittle und bewertete, sondern lediglich feststelle, dass diese Ermittlung von der Behörde nicht erfolgt sei, was regelmäßig keine besonderen Schwierigkeiten aufweise.

In der Sache würden Tatsachengrundlagen fehlen, wie auch die Beklagte ausweislich der in der Behördenakte befindlichen Notizen selbst festgestellt habe. Es würden verlässliche Angaben zur Größe der Wohnfläche und zum Zustand des Hauses fehlen. Vor diesem Hintergrund könne man nur annehmen, dass die Ausführung im Widerspruchsbescheid „Anhaltspunkte für eine falsche Entscheidung sind  weder genannt noch aus den Unterlagen ersichtlich“ bausteinartig eingesetzt wurde. Überwiegende Belange der Beteiligten, die einer Entscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG entgegen stehen könnten, sind nicht ersichtlich, vielmehr sei davon auszugehen, dass die Beklagte mit ihren Ressourcen deutlich besser als der Kläger in der Lage sein dürfte, die Grundlagen zu ermitteln.

SG Braunschweig, Gerichtsbescheid vom 18.05.2020 - S 44 AS 1780/19 -

Sonntag, 31. Mai 2020

Verbraucherinsolvenz: Vollstreckungsprivileg bei deliktischen Forderungen


Der Gläubiger beantragte den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, mit dem mit dem er Arbeitseinkommen des Schuldners unter Herabsetzung der Pfändungsfreigrenze nach § 850f Abs. 2 ZPO beantragte. Zum Nachweis einer Forderung aus einer vorsätzlich vom Schuldner begangenen unerlaubten Handlung legte der gläubiger einen vollstreckbaren Auszug aus der Insolvenztabelle aus dem Verbraucherinsolvenzverfahren des Schuldners vor. Das Amtsgericht wies den Antrag zurück, ebenso wie das Beschwerdegericht die dagegen eingelegte Beschwerde des Gläubigers. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde erfolgte ein Aufhebung der Vorentscheidungen und Zurückverweisung.

Der BGH hielt unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 04.09.2019 - VII ZB 91/17 -  fest, dass der Gläubiger durch Vorlage eines vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle den Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung führen kann, um das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO nutzen zu können, wenn  sich daraus ergibt, dass eine entsprechende Forderung zur Tabelle festgestellt wurde und diese Feststellung nicht vom Schuldner bestritten wurde. Dieser Fall lag vor, da sich aus der Insolvenztabelle die Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung ergab und auch ergab, dass der Schuldner dies nicht bestritten hatte.

§ 850f Abs. 2 ZPO lautet:
„Wird die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung betrieben, so kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens ohne Rücksicht auf die in § 850c vorgesehenen Beschränkungen bestimmen; dem Schuldner ist jedoch so viel zu belassen, wie er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf.“

BGH, Beschluss vom 11.03.2020 - VII ZB 38/19 -

Dienstag, 19. Mai 2020

Pfändungsschutz auf P-Konto für Corona-Soforthilfe ?


Auf das Pfändungsschutzkonto (P-Konto) des Schuldners wurde eine von ihm beantragte und bewilligte Corona-Soforthilfe gezahlt. Das Konto war allerdings durch drei Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse gepfändet, demzufolge das über den nach § 850k ZPO bescheinigten pfandfreien Betrag hinaus die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse bedient werden müssten. Der Schuldner beantragte, über den nach § 850k ZPO bescheinigten pfandfreien Betrag auch einmalig € 5.000,00 (aus der Corona-Soforthilfe) gem. §§ 850k Abs. 4 iVm. § 851 ZPO pfandfrei belassen werden. Das Amtsgericht (AG) gab dem Antrag statt.

Das AG begründete seine Entscheidung damit, dass zwar der Gesetzgeber („bisher“) keine Unpfändbarkeit für eine Corona-Soforthilfe geschaffen habe. Allerdings sei gem. § 851 Abs. 1 ZPO eine Forderung in Ermangelung besonderer Vorschriften zur Pfändung dieser nur insoweit unterworfen, als sie übertragbar sei. Die Zweckbindung müsse sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ableiten lassen (wie es bei Vorschriften zur Gewährung öffentlicher Beihilfen regelmäßig der Falls sei), sondern ließe sich auch aus der Natur des Rechtsverhältnisses und bei öffentlich-rechtlichen Leistungen und aus einschlägigen normersetzenden oder –interpretierenden Verwaltungsvorschriften herleiten (wie das AG aus der Entscheidung des BGH vom 29.10.1969 – I ZR 72/67 – herleiten will, bei der sich der BGH mit § 549 Abs. 1 ZPO und dazu ergangenen innerdienstlichen Anweisungen auseinandersetzte). Danach sei die Corona-Soforthilfe iSv. § 851 ZPO zweckgebunden und damit weder abtretbar noch pfändbar.

Als problematisch sah es das AG an, dass der Betrag bereits auf das P-Konto gezahlt worden sei. Die Verweisungsvorschrift des § 850k Abs. 4 S. 2 ZPO verweise nicht auf § 851 ZPO. Hier meint das Amtsgericht eine teleologische Erweiterung (Extension) vornehmen zu können und so die Grundlagen des § 851 ZPO auch im Rahmen des § 850k Abs. 4 S. 2 ZPO anwenden zu können, weshalb dem Antrag stattgegeben wurde, da die Voraussetzungen nach § 851 ZPO vorlägen.

Die Entscheidung ist nicht überzeugend.

Zweifelhaft ist bereits, ob überhaupt die Voraussetzungen für die Soforthilfe vorlagen oder der Schuldner evtl. wegen falscher Angaben die Soforthilfe erhielt. Grundlage der Soforthilfe ist nämlich, dass ein Liquiditätsengpass infolge der Corona-Pandemie vorliegt. Dieser Liquiditätsengpass muss aber bereits vorher bestanden haben, wie die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse  aus 2015 dokumentieren und er Umstand, dass der Schuldner mittels des P-Kontos in der Verfügung über Vermögensmasse (auf dem Konto) beschränkt war. Die Entscheidungsgründe des AG lassen hierzu aber keine rechtliche Bewertung zu.

Gegen die Entscheidung spricht die teleologische Extension, bei der es sich um ein Rechtsinstitut zur Ausfüllung von Gesetzeslücken handelt. Hier müsste zunächst festgestellt werden, ob überhaupt eine Gesetzeslücke vorliegt. Bei § 850k handelt es sich um  eine Spezialvorschrift, die abweichend von den sonstigen Pfändungsnormen erreichen will, dass dem Schuldner ohne aufwendiges Verfahren ein Existenzminimum verbleibt (BT-Drs. 16/7615, S. 17f; BGH, Urteil vom 16.07.2013 - XI ZR 260/12 -). Hier hat der Gesetzgeber klar definiert, für welche Leistungen der Pfändungsschutz auf diesem Konto gilt und gerade § 851 ZPO nicht benannt. Da die speziellere Vorschrift der allgemeinen Vorschrift vorgeht (lex spexialis derogat legi generali) verbietet sich hier im Rahmen einer teleologischen Extension die Anwendung des § 851 ZPO entgegen der gesetzgeberischen Vorgabe auf die Vorschrift des § 850k Abs. 4 S. 2 ZPO.

AG Passau, Beschluss vom 07.05.2020 - 4 M 1551/20 -