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Mittwoch, 22. März 2023

Gerichtliche Entscheidung während der Aussetzung des Verfahrens

Das Amtsgericht hatte den Antragsgegner zur Zahlung von Trennungsunterhalt verpflichtet. Gegen diesen Beschluss legte durch seinen damaligen Verfahrensbevollmächtigten Beschwerde ein. Die Begründungsfrist für die Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht (OLG) bis zum 12.10.2021 verlängert. Da der Antragsgegner gegen die Antragstellerin Strafanzeige wegen Prozessbetruges erstattet hatte, setzte das OLG das Verfahren mit Beschluss vom 17.09.2021 „bis zur Erledigung des Ermittlungsverfahrens“ aus. Mit Schriftsatz vom 11.10.2021 beantragte der Antragsgegner eine weitere Verlängerung der Begründungsfrist und wies darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren eingestellt habe, er aber dagegen Beschwerde eingelegt habe; gleichzeitig stellte er einen neuen Aussetzungsantrag. Die Antragstellerin, der der Schriftsatz zur Stellungnahme überlassen wurde, stimmte der weiteren Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist nicht zu. Das OLG verwarf nunmehr die Beschwerde wegen fehlender Begründung.

Die dagegen vom Antragsgegner eingelegte Rechtsbeschwerde hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des Beschlusses und Zurückverweisung.

Entgegen der Annahme des OLG sei das Verfahren zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch ausgesetzt gewesen. Ergäbe sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat, könne das erkennende Gericht das Verfahren bis zur Erledigung des Strafverfahrens aussetzen (§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG iVm. § 149 ZPO). Sollte das Gericht dies nicht aufheben (§ 150 S. 1 ZPO), ende die Aussetzung automatisch mit rechtskräftigen Abschluss des Ermittlungsverfahrens (BGHZ 106, 295, 298).

Die Aussetzung führe nach § 113 FamFG Abs. 1 S. 1 FamFG iVm. § 149 Abs. 1 ZPO dazu, dass der Lauf jeglicher Frist aufhöre und erst nach Beendigung wieder zu laufen beginne, ohne dass die vor Aussetzung verstrichene Frist angerechnet würde oder es einer 8neuen) Fristsetzung bedürfe (BGH, Beschluss vom 24.09.2020 - IX ZB 22/19 -).  Prozesshandlungen einer Partei während der Unterbrechung oder Aussetzung (durch Parteien oder Gericht) blieben ohne rechtliche Wirkung, § 149 ZPO. Allerdings seien gerichtliche Entscheidungen, die trotz Unterbrechung oder Aussetzung ergehen würden, nicht nichtig, müssten vielmehr mit den gegebenen Rechtsmitteln angefochten werden.  

Der Fortbestand der Aussetzung ergäbe sich vorliegend daraus, dass das Ermittlungsverfahren mit dem Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft wegen der (auch nach der Rechtmittelbelehrung auf dem Einstellungsbeschluss) erfolgten Beschwerde noch nicht seine Erledigung gefunden habe. Damit hätte die Aussetzung des Verfahrens erst mit der weiteren Einstellungsverfügung vom 09.12.2021der Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 StPO geendet. Hier begann erst die Beschwerdebegründungsfrist wieder zu laufen. Die Beschwerde hätte also am Tag der Zurückweisung der Beschwerde noch nicht begründet gewesen sein müssen.

Allerdings hätte der Antragsgegner seiner Beschwerde unbeschadet des Verwerfungsbeschlusses des OLG seine Beschwerde fristgerecht begründen müssen, was evtl. nicht erfolgte. Es sei dem Antragsgegner zuzumuten, sich so zu verhalten, als habe die Rechtsbeschwerde gegen die Verwerfungsentscheidung Erfolg (BGH, Beschluss vom 12.12.100ß - XII ZB 64/90 -). „Rechtsbeschwerderechtlich“ sei aber gleichwohl davon auszugehen, dass der Antragsgegner seine Beschwerde fristgerecht begründet habe. Er habe behauptet, diese am 25.10.2021 per Telefax eingehend beim OLG begründet zu haben. Diese wurde nicht mehr aufgefunden; aus den Akten ergäbe sich aber ein Eingang eines Schriftsatzes, der an den Antragsgegner zurückgesandt worden sei. Damit könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerde nicht fristgerecht begründet wurde; dem Gericht zuzurechnende Fehler, Unklarheiten und Versäumnisse könnten keine Verfahrensnachteile begründen.

BGH, Beschluss vom 11.01.2023 - XII ZB 538/21 -

Dienstag, 2. Juni 2020

Gerichtsbescheid zur Aufhebung eines ablehnenden Bescheides über Grundsicherung nach SGB II


Der Kläger begehrte Leistungen nach dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende). Er besitze ein selbstbewohntes, 1882 gebautes Eigenheim. In Ansehung der benannten Daten zum Eigenheim holte die Beklagte eine Auskunft aus der Kaufpreissammlung des Gutachterausschusses ein. Nach der ersten Auskunft wurde ein Wert von € 50.000,00 angegeben. Die Beklagte stellte fest, dass die Angaben des Klägers zu Wohnflächen und bebaute Fläche des Grundstücks von diesem geschätzt wurden und er nicht in der Lage ist, diese Werte selbst zu ermitteln. Der Antrag wurde von der beklagten abgewiesen, da der Kläger über verwertbares Vermögen in Höhe von € 54.432,68 (davon alleine das Eigenheim mit € 50.000,00) verfüge, welches den Vermögensfreibetrag um € 9.150,00 übersteige. Der Kläger legte gegen den Bescheid der Beklagten Widerspruch ein und begründete dies damit, dass der angenommene Verkehrswert auf einer Schätzung der Beklagten beruhe, die weder das Baujahr  noch die ländliche Gegend, in der die Immobilie läge, berücksichtigt habe. In einem Vermerk stellte ein Mitarbeiter der beklagten die Problematik der unterschiedlichen Größenangaben dar und dass der Kläger nicht wisse, wie die Flächenermittlung erfolge (so z.B. in Bezug auf Schrägen). Der Zustand der Immobilie sei nicht berücksichtigt worden. Es sei davon auszugehen, dass die Immobilie nur zu einem sehr geringen Wert, wie von Kläger angegeben, zu veräußern sei.

Der Widerspruch wurde sodann von der Beklagten zurückgewiesen. Auf die dagegen erhobene Klage entschied das Sozialgericht (VG) durch Gerichtsentscheid, hob den Bescheid in der Fassung des  Widerspruchsbescheids auf und verwies den Vorgang an die Behörde zur weiteren Ermittlung zurück.

Das SG vertrat die Auffassung, dass es mit Gerichtsbescheid gem. § 105 Abs. 1 SGG entscheiden könne, d.h. ohne mündliche Verhandlung und ohne ehrenamtliche Richter nach Anhörung der Parteien. Der Rechtsstreit biete keine besonderen Schwierigkeiten und der Sachverhalt sei geklärt.

Ob der Sachverhalt geklärt sei, richte sich nicht nach dem begehren in der Hauptsache, sondern ausschließlich bei einer beabsichtigten Zurückverweisung danach, ob die tatsächlichen Voraussetzungen einer Zurückverweisung nach § 131 Abs. 6 S. 1 SGG vorlägen. Auch wenn damit eine Spruchreife (zum Hauptantrag, mit dem Leistungen nach dem SGB II begehrt wurden) nicht vorläge, sei daher der Entscheidungsweg für einen Gerichtsbescheid offen  LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.01.2006 – L 6 SB 197/05 -). Falsch sei die dagegen vertretene Ansicht, in Fällen der Zurückverweisung läge stets eine besondere Schwierigkeit vor (die als solcher dem Gerichtsbescheid entgegensteht). Dies würde unberücksichtigt lassen, dass das Gericht gerade nicht in der Sache abschließend ermittle und bewertete, sondern lediglich feststelle, dass diese Ermittlung von der Behörde nicht erfolgt sei, was regelmäßig keine besonderen Schwierigkeiten aufweise.

In der Sache würden Tatsachengrundlagen fehlen, wie auch die Beklagte ausweislich der in der Behördenakte befindlichen Notizen selbst festgestellt habe. Es würden verlässliche Angaben zur Größe der Wohnfläche und zum Zustand des Hauses fehlen. Vor diesem Hintergrund könne man nur annehmen, dass die Ausführung im Widerspruchsbescheid „Anhaltspunkte für eine falsche Entscheidung sind  weder genannt noch aus den Unterlagen ersichtlich“ bausteinartig eingesetzt wurde. Überwiegende Belange der Beteiligten, die einer Entscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG entgegen stehen könnten, sind nicht ersichtlich, vielmehr sei davon auszugehen, dass die Beklagte mit ihren Ressourcen deutlich besser als der Kläger in der Lage sein dürfte, die Grundlagen zu ermitteln.

SG Braunschweig, Gerichtsbescheid vom 18.05.2020 - S 44 AS 1780/19 -

Samstag, 25. Juni 2016

Ordnungsgeld gegen Zeugen wegen unentschuldigten Fernbleibens auch dann, wenn es nicht (mehr) auf den Zeugen ankommt

Die Zeugenpflicht ist eine Staatsbürgerpflicht  -  und keiner möchte ihr gerne nachkommen. Zumal die Zeugenentschädigung (in Deutschland)  in der Regel nicht den tatsächlichen finanziellen Ausfall ausgleicht. Erscheint aber der Zeuge unentschuldigt nicht zum Termin, wird regelmäßig gegen ihn ein Ordnungsgeld verhangen, § 380 Abs. 1  ZPO.

Was aber, wenn der nicht erschienene Zeuge nicht mehr benötigt wird ? Der Zeuge war unentschuldigt nicht zum Termin erschienen. Es erging daher der Ordnungsgeldbeschluss. Im Termin selbst wurden vom Beweisführer Bedenken geäußert, ob sich der Zeuge tatsächlich zur Sache äußern könne (dies wurde von diesem vorher bereits schriftlich abgestritten).

Das OLG hat die Beschwerde gegen den Ordnungsgeldbeschluss zurückgewiesen. Es verwies darauf, dass es nicht darauf ankommen könne, ob der Zeuge etwas zur Sache beitragen kann und auch nicht darauf, ob sich die Parteien – eventuell auch unter dem Eindruck des Nichterscheinens des Zeugens – vergleichsweise einigen. Das OLG verweist hier auf den divergierenden Meinungsstand in der Rechtsprechung und schließt sich der Auffassung des OLG Frankfurt und des BFH an. Danach verbleibt es bei dem verschuldet den Termin nicht wahrnehmenden zeugen bei dem verhängten Ordnungsgeld, auch wenn das Verfahren später endet, ohne dass eine Vernehmung des Zeugen erforderlich wurde. § 380 Abs. 1 ZPO sähe keine Ermessensausübung vor und es könne nicht von dem Zufall abhängig, sein, ob nun der Zeuge (noch) benötigt würde oder nicht.


OLG Celle, Beschluss vom 19.02.2016 – 8 W 15/16 -