Es war letztlich nach den
bisherigen Entscheidungen des BVerfG zu Restriktionen im Zusammenhang mit
Corona zu erwarten, dass auch die beantragte Anordnung einstweilige Anordnung
gegen eine Rechtsverordnung (hier des Landes Baden-Württemberg) gegen eine Rechtsverordnung
zur Abwehr des Coronavirus abgewiesen wurde, mit der der Betrieb von
Fitnessstudios für den Publikumsverkehr bis (vorläufig) zum 03.05.2020
untersagt wurde.
1. Grundlage der
Rechtsverordnung war auch hier § 32 iVm §§ 28 Abs. 1 S. 1 und 2, 31 InfSG (idF.
vom 20.07.2000m zuletzt geändert mit Gesetz vom 27.03.2020). Gerügt wurde von
der Beschwerdeführerin als Betreiberin eines Fitnessstudios ihr
verfassungsrechtlich garantiertes Recht zur freien Berufsausübung gem. Art. 12
Abs. 1 GG.
Standardmäßig verweist das BVerfG
darauf, dass eine vorläufige Regelung durch einstweilige Anordnung erforderlich
sein kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender
Gefahren oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringen
geboten sei. Bei offenen Ausgang seien die Folgen, die eintreten würden, wenn
die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später
Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die
begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber
der Erfolg versagt bliebe. Darauf basierend erkennt das BVerfG, dass bei einer
Versagung des begehrten Rechtsschutzes die Betreiber solcher Einrichtungen einen
schwerwiegenden und teilweise irreversiblen Eingriff in ihr nach Art. 12 Abs. 1
GG geschütztes Recht der Berufsfreiheit mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen
hinzunehmen hätten. Auf der anderen Seite hätte, sollte der
Verfassungsbeschwerde der Erfolg versagt bleiben, zur Konsequenz die Wiedereröffnung
zahlreicher Fitnessstudios (hier in Baden-Württemberg), was mit einer Zunahme
sozialer Kontakte und damit des Risikos erneuter Infektionsketten den von
Menschen übertragbaren Coronavirus einherginge mit der Gefahr der Erkrankung
vieler Personen mit teilweise schwerwiegenden und tödlichen Krankheitsverläufen
sowie der Gefahr der Überlastung gesundheitlicher Einrichtungen. Dem könne
durch Untersagung des Betriebs von Fitnessstudios entgegengewirkt werden. Unter Beachtung des Grundrechts auf Leben und
körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 GG, das zu schützen der Staat
habe, müssten die allerdings schwerwiegend Beeinträchtigung der
Berufsfreiheit und die wirtschaftlichen
Interessen der Betreiber der Fitnessstudios zurücktreten. Ohne dass dem die
Beschwerdeführerin in ihrer Verfassungsbeschwerde entgegen getreten sei, habe
der VGH Baden-Württemberg darauf verwiesen, dass die wirtschaftlichen Folgen
der Betriebsuntersagung durch staatliche Hilfsprogramme „etwas abgemildert
würden“. Zudem sei durch die Befristung sichergestellt, dass neuere
Entwicklungen der Corona-Pandemie fortgeschrieben werden müssten.
2. Die Entscheidung des BVerfG
setzt sich, wie die bereits zuvor zu Betriebsuntersagungen im Zusammenhang mit
Rechtsverordnungen zur Abwehr des Coronavirus, nicht mit Art. 19 GG
auseinander. Art. 19 GG verlangt, dass im Falle einer Einschränkung eines
Grundrechts (hier betroffen jenes aus Art. 12 Abs. 1 GG) durch ein Gesetz (hier
das Infektionsschutzgesetz – InfSG) diese Grundrecht unter Angabe des Artikels
im Gesetz zu benennen ist, Art 12 Abs. 1 S. 2 GG. Daran ermangelt es hier, da im
InfSG weder das Grundrecht noch der Artikel benannt wurden, vgl. § 19 Abs. 1 S.
4 GG. Art. 19 GG gilt als formelle Sicherung der Grundrechte und Rechtsschutzgarantie.
Mit der Regelung sollten auch versteckte Grundrechtsbeschränkungen unmöglich
gemacht werden. Im Zusammenhang mit der Änderung der Strafprozessordnung zu §
112a StPO hatte das BVerfG entschieden, dass der dort unterlassene Hinweis auf
die Einschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nach Art. 104 Abs.
1 S. 1 GG zulässig sei (Beschluss vom 30.05.1973 - 2 BvL 4/73 -). Auch hat das
BVerfG entschieden, dass berufsregelnde Gesetze keine Einschränkung iSv, Ar 19
Abs. 1 GG darstellen würden und damit keines Hinweises bedürfen (Beschluss vom
04.05.1983 - 1 BvL 76/80 -). In dem letztgenannten Verfahren ging es um die
Regelung, dass die Anerkennung als Prüfingenieur für Baustatik mit Vollendung
des 70. Lebensjahres ende. Das Zitiergebot, so das BVerfG, würde nicht gelten,
wenn der Gesetzgeber „in Ausführung der ihm obliegenden, im Grundrecht
vorgesehenen Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenziehungen
vornimmt“. Dies ist nicht vergleichbar mit der hier vorgenommen Einschränkung,
die die Berufsausübung, wenn auch (zunächst) zeitlich befristet, vollständig
verbietet. Die Berufsausübung kann zwar durch Gesetzes oder aufgrund eines
Gesetzes geregelt werden; eine „Regelung“ dahingehend, dass sie vollkommen
untersagt wird, greift in den Kernbereich ein (nach Art. 19 Abs. GG untersagt),
die nicht die Art oder den Umfang der Berufsausübung regelt, sondern diese
verhindert.
Erfolgte damit kein Hinweis in
dem Infektionsschutzgesetz zum Eingriff in die Berufsausübung, kann dieses
Gesetz auch nicht Grundlage einer die Schließung vorsehenden Rechtsverordnung
sein. Es lässt sich hier zudem auch nicht annehmen, dass der Gesetzgeber diesen
Eingriff vor Augen hatte. § 28 Abs. 1
InfSG weist auf die Zielgruppe hin und verweist für die Schutzmaßnahmen auf die
§§ 28 – 31 InfSG. In § 31 InfSG ist ein Tätigkeits-/Berufsverbot vorgesehen,
aber nur beschränkt auf Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige
und Ausscheider sowie für Personen, die den Krankheitserreger so in oder an
sich tragen, dass im Einzelfall die Gefahr der Weitverbreitung besteht. Ein
Generalverdacht ist nicht normiert.
3. § 56 InfSG regelt den
Entschädigungsanspruch für Personen, die nach § 28 Abs. 1 InfSG von Maßnahmen
betroffen sein können. Für den Verdienstausfall können sie eine Entschädigung
in Geld verlangen, § 56 Abs. 1 InfSG. Die Entschädigung richtet sich nach dem
Verdienstausfall und soll bis zu sechs Wochen dem entgangenen Verdienst (§ 56
Abs. 3 InfSG), danach in Höhe des Krankengeldes (soweit nicht das
Jahresarbeitsentgelt die Grenze der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht
übersteigt, gewährt, § 56 Abs. 2 InfSG.
Ersichtlich ging der Gesetzgeber,
soweit nicht expressis verbis auf bestimmte Einrichtungen wie Einrichtungen zur
Betreuung von Kindern oder Schulen abgestellt wird, in § 56 Abs. 2 InfSG, davon
aus, dass Arbeitnehmer betroffen sind. Soweit Selbständige betroffen sind,
regelt § 56 Abs. 4 S. 2 wird unter Bezugnahme auf Abs. 2 geregelt, dass neben
der dortigen Entschädigung weiterhin auf Antrag Ersatz der in dieser Zeit
weiterlaufenden nicht gedeckten Betriebsausgaben „in angemessenen Umfang“ zu
gewähren ist. Ferner „können“ bei Existenzgefährdung gem. § 56 Abs. 4 S. 1 InfSG die während der
Verdienstausfallzeit entstehenden Mehraufwendungen in angemessenen Umfang
erstattet werden.
Werden hier die Fitnessstudios
auf der Grundlage der §§ 28ff InfSG geschlossen, so wäre jedenfalls
entsprechend § 56 InfSG eine Entschädigung zu leisten. Die betroffenen
Betreiber werden prüfen müssen, ob die staatlich zur Verfügung gestellten
Mitteln dem entsprechen, was sie nach § 56 Abs. 4 InfSG geltend machen könnten.
Sollte dies nicht der Fall sein, wäre zu überlegen, den weitergehenden Anspruch
geltend zu machen. Sollten sich die auf dem Infektionsschutzgesetz zur
Begründung der Rechtsverordnungen zur Schließung als verfassungswidrig
erweisen, hätten die Betroffenen einen weitergehenden Schadensersatzanspruch.
Weiterhin ist § 65 InfSG zu
beachten, wonach bei einem nicht unwesentlichen Vermögensnachteil durch eine
behördliche Maßnahme eine Geldentschädigung zu erfolgen hat.
BVerfG, Beschluss vom 28.04.2020 - 1 BvR 899/20 -