Donnerstag, 16. Juni 2022

Abmahnung per Anhang zur E-Mail und dessen Zugang

Mit einer E-Mail sandte der Verfügungskläger über seinem Rechtsanwalt dem Verfügungsbeklagten (beide Internetverand-händler) ein Abmahnschreiben. In der Mail wurde um Beachtung des im Anhang befindlichen Dokuments gebeten, welches „zur Entlastung der angespannten Infrastruktur im Versandwesen nur auf elektronischen Weg zur Verfügung gestellt würde“. Die Mail war mit den Kontaktdaten des jetzigen Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers versehen, in der Betreffzeile stand „Unser Zeichen: A ./. B 67/20-EU“. Zwei PDF-Dateien waren beigefügt, die eine mit der Bezeichnung „20…EZ12984.pdf“ und die andere mit der Bezeichnung „Unterlassung.pdf“, wobei letztere den Entwurf für eine strafbewehrte Unterlassungserklärung enthielt.  Nachdem der Verfügungsbeklagte nicht reagierte, sandte der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers mit der gleichen Betreffzeile eine neue Mail, in der er lediglich schrieb: „Zur Erfüllung diesseitiger Ansprüche setzen wir eine Nachfrist bis zum 03.04.2020.“

Das Landgericht erließ die dann vom Verfügungskläger beantragte einstweilige Verfügung. Nach Zustellung derselben gab der Verfügungsbeklagte eine Abschlusserklärung (mit der er den letztlich anerkannte), behielt sich aber einen Kostenwiderspruch vor. Er legte gegen die einstweilige Verfügung Widerspruch, beschränkt auf die Kostenentscheidung ein und behauptete, er habe von beiden Mails keine Kenntnis erlangt, könne aber nicht ausschließen, dass diese im Spam-Ordner gelandet wären (was er nicht prüfen könne, da er diesen alle zehn Tage lösche). Das Landgericht erlegte ihm die Kosten auf. Dagegen wandte sich der Verfügungsbeklagte erfolgreich mit seiner sofortigen Beschwerde.

Das Beschwerdegericht vertrat die Ansicht, der Verfügungsbeklagte habe dem Verfügungskläger keine Veranlassung zur Klage gegeben, weshalb der Verfügungskläger in analoger Anwendung des § 93 ZPO die Kosten zu tragen habe. Es könne dem Verfügungsbeklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden, er habe auf die Anmahnung nicht reagiert.

Es könne dahinstehen, ob die Mails überhaupt bei dem Verfügungsbeklagten (ggf. im Spam-Ordner) zugegangen seien. Ein Zugang eine als Dateianhang zu einer Mail gesandtes Abmahnschreiben sei erst zugegangen, wenn der Empfänger den Dateianhang auch wirklich geöffnet habe. Da allgemein im Hinblick auf Virenrisiken gewarnt würde, Anhänge von E-Mails unbekannter Absender zu öffnen, könne von dem Empfänger nicht dessen Öffnung verlangt werden. Der Verfügungsbeklagte habe durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass er von beiden E-Mails des ihm zuvor nicht bekannten Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers keine Kenntnis erlangt und deshalb auch nicht geöffnet habe.

Anmerkung: Selbst wenn mithin vorliegend der Verfügungsbeklagte von beiden Mails Kenntnis gehabt haben sollte, hätte er die Kosten nicht zu tragen, da der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers ihm unbekannt war und er damit nicht hätte einschätzen können, ob sich nicht bei Öffnung des Anhangs Viren auf seinem PC ausbreiten.

OLG Hamm, Beschluss vom 09.03.2022 - 4 W 119/20 -


Aus den Gründen:

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Verfügungsbeklagten wird das am 04.11.2020 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer - Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Bochum abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die einstweilige Verfügung der 15. Zivilkammer - Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Bochum vom 07.04.2020 wird im Kostenpunkt aufgehoben. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Verfügungskläger auferlegt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden ebenfalls dem Verfügungskläger auferlegt.

Gründe

A.

Die Parteien sind Internetversandhändler.

Am 19.03.2020 versandte der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers eine E-Mail an den Verfügungsbeklagten mit der Betreffzeile "Unser Zeichen: A ./. B 67/20-EU". Die E-Mail enthielt folgenden Text:

"Sehr geehrter Herr B,

bitte beachten Sie anliegende Dokumente, die wir Ihnen situationsbedingt zur Entlastung der angespannten Infrastruktur im Versandwesen nur auf elektronischem Wege zur Verfügung stellen.

MfG

C"

Unterhalb dieses Textes befanden sich die Kontaktdaten des Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers. Als Dateianhänge waren der E-Mail zwei PDF-Dateien beigefügt: Eine PDF-Datei mit dem Dateinamen "2020000067EU12984.pdf" enthielt ein auf den 19.03.2020 datiertes anwaltliches Abmahnschreiben wegen der im vorliegenden Verfahren verfahrensgegenständlichen lauterkeitsrechtlichen Vorwürfe, eine PDF-Datei mit dem Dateinamen "Unterlassungs.pdf" enthielt den Entwurf für eine strafbewehrte Unterlassungserklärung.

Am 01.04.2020 versandte der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers eine weitere E-Mail mit der Betreffzeile "Unser Zeichen: A ./. B 67/20-EU" an den Verfügungsbeklagten. Diese E-Mail enthielt folgenden Text:

"Sehr geehrter Herr B,

zur Erfüllung diesseitiger Ansprüche setzen wir eine Nachfrist bis zum 03.04.20.

MfG

C"

Auf Antrag des Verfügungsklägers erließ das Landgericht am 07.04.2020 im Beschlusswege eine einstweilige Verfügung gegen den Verfügungsbeklagten mit einer Kostenentscheidung zum Nachteil des Verfügungsbeklagten. Nach der Zustellung dieser einstweiligen Verfügung an den Verfügungsbeklagten am 16.04.2020 gab dieser unter dem 08.05.2020 eine Abschlusserklärung ab, wobei er sich die Erhebung eines Kostenwiderspruches vorbehielt. Von diesem Vorbehalt hat der Verfügungsbeklagte auch Gebrauch gemacht und mit anwaltlichem Schriftsatz vom 08.05.2020 einen auf die getroffene Kostenentscheidung beschränkten Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung erhoben. Der Verfügungsbeklagte hat behauptet, er habe von den beiden E-Mails des Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers keine Kenntnis erlangt. Er könne nicht ausschließen, dass die beiden E-Mails im sogenannten "Spam-Ordner" seines E-Mail-Postfaches eingegangen seien, könne dies allerdings nicht mehr überprüfen, weil E-Mails in diesem "Spam-Ordner" bereits nach jeweils zehn Tagen wieder gelöscht würden.

Mit dem angefochtenen, am 04.11.2020 verkündeten Urteil hat die 15. Zivilkammer - Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Bochum die einstweilige Verfügung im Kostenpunkt bestätigt und dem Verfügungsbeklagten auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Verfügungsbeklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde.

B.

Die - nach § 99 Abs. 2 Satz 1 ZPO (analog) statthafte und auch im Übrigen zulässige - sofortige Beschwerde des Verfügungsbeklagten ist begründet.

Die Kosten des Rechtsstreits sind in entsprechender Anwendung des § 93 ZPO dem Verfügungskläger aufzuerlegen. Der Verfügungsbeklagte hat dem Verfügungskläger durch sein Verhalten keine Veranlassung zur Anbringung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegeben. Dem Verfügungsbeklagten kann in diesem Zusammenhang insbesondere nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe auf die Abmahnung des Verfügungsklägers nicht reagiert. Denn das anwaltliche Abmahnschreiben vom 19.03.2020 ist dem Verfügungsbeklagten nicht zugegangen: Wird - wie im vorliegenden Falle - ein Abmahnschreiben lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versandt, ist es nur und erst dann zugegangen, wenn der E-Mail-Empfänger den Dateianhang auch tatsächlich geöffnet hat (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. [2022], § 13 Rdnr. 47). Denn im Hinblick darauf, dass wegen des Virenrisikos allgemein davor gewarnt wird, Anhänge von E-Mails unbekannter Absender zu öffnen, kann von dem Empfänger in einem solchen Fall nicht verlangt werden, den Dateianhang zu öffnen (Köhler/Bornkamm/Feddersen, a.a.O.). Es kann mithin im vorliegenden Fall dahinstehen, ob die in Rede stehenden E-Mails überhaupt im E-Mail-Postfach des Verfügungsbeklagten (dort möglicherweise im "Spam-Ordner") eingegangen sind. Der Verfügungsbeklagte hat durch Vorlage seiner eidesstattlichen Versicherung vom 08.05.2020 jedenfalls glaubhaft gemacht, dass er von den beiden E-Mails des - ihm zuvor nicht bekannten - Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers keine Kenntnis erlangt und dementsprechend auch den Dateianhang mit dem Abmahnschreiben nicht geöffnet hat.

C.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens entspricht der Summe der gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens.

 

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