Dienstag, 26. März 2019

Darf sich der Anwalt auf Angaben des Mandanten zu Zugangsdaten (hier: Kündigungsschreiben) verlassen ?


Die Klägerin machte gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche (in Form von Verdienstausfall) aus einem zwischen ihnen ehedem abgeschlossen Anwaltsvertrag geltend, gemäß dem der Beklagte die Klägerin in einem arbeitsgerichtlichen Kündigungsrechtsstreit vertrat, in dem die Kündigungsschutzklage wegen Versäumung der Klagefrist zurückgewiesen wurde.

Das Landgericht wies die Klage als unzulässig ab, das Oberlandesgericht als unbegründet. Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils des OLG und Zurückverweisung des Rechtsstreits.

Entgegen dem OLG ging der BGH davon aus, dass der Beklagte seine anwaltlichen Pflichten verletzt habe. Er hätte die Kündigungsschutzklage binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigungserklärung bei der Klägerin erheben müssen, § 4 Abs. 1 S. 1 KSchG. Er hätte die Einreichung der Klage auf den 13.01.2012 nur dann aufschieben dürfen, wenn gesichert gewesen wäre, dass die Kündigung der Klägerin erst am 23.12.20111 zugegangen sei.

Der Ehemann der Klägerin habe ihm mitgeteilt, dass die Kündigung am 23.12.2011 zugestellt worden sei. Dies sah der BGH nicht als ausreichend an, die Frist zu berechnen. Die Pflicht des Rechtsanwalts zur richtigen und umfassenden Beratung des Mandanten setze voraus, dass der Anwalt zunächst durch Befragen des Mandanten den Sachverhalt kläre, auf den es für die rechtliche Beurteilung ankäme. Ist dieser unklar oder unvollständig, dürfe sich der Anwalt nicht mit der rechtlichen Würdigung des ihm Vorgetragenen begnügen, sondern müsse sich bemühen, durch Befragung des Ratsuchenden ein möglichst vollständiges und objektives Bild der Sachlage zu gewinnen (BGH, Urteil vom 21.11.1960 - III ZR 160/59 -; BGH, Urteil vom 19.01.2006 - IX ZR 232/01 -). Nachfragen seien dann und insoweit nicht notwendig, soweit der Anwalt die Unrichtigkeit der Angaben des Mandanten weder kenne erkennen müsse. Dies sei aber auf Informationen tatsächlicher Art beschränkt. Sie gelte nicht in Bezug auf Informationen, die nur scheinbar tatsächlicher Natur seien. Werden vom Mandanten insbesondere Rechtstatsachen mitgeteilt, habe der Anwalt diese durch Rückfragen in die zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände und Vorgänge aufzulösen, oder, wenn dies keine zuverlässige Klärung ergebe oder erwarten lasse, weitere Ermittlungen anzustellen. Dieser Grundsatz sei hier verletzt worden.

Die Angaben des Mandanten über den Zugang eines Kündigungsschreibens seien wie Angaben über die Zustellung eines Urteils (dazu BGH, Beschluss vom 21.04.1994 - IX ZR 150/93 -) Rechtstatsachen. Der  gesetzlich verwandte Begriff des Zugangs werde rechtlich bestimmt. Ein Zugang unter Abwesenden setze voraus, dass die Willenserklärung so in den Bereich des Empfängers gelangt sei, dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit habe, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Wird ein Brief in einen Briefkasten geworfen, sei der Zugang bewirkt, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen sei (BGH, Urteil vom 05.12.2007 - XII ZR 148/05 -). Erfolge der Einwurf zu einer Tageszeit, zu der nach den Gepflogenheiten des Verkehrs noch mit einer Entnahme am gleichen Tag zu rechnen sei, gelte der Zugang als bewirkt; erfolge der Einwurf nach dieser Zeit, würde der Zugang erst zu einem späteren Datum als bewirkt anzusehen sein.  

Damit hätte der Beklagte sich mit der Angabe eines Zugangs am 23.12.2011 nicht begnügen dürfen. Das Kündigungsschreiben habe auf den 22.12.2011 datiert und sei mit der Aufschrift „per Boten“ versehen worden. Damit sei in Betracht gekommen, dass das Schreiben noch am 22.12.2011 in den Briefkasten zu einer Tageszeit eingeworfen worden sei, zu der noch mit einer Entnahme am gleichen Tag gerechnet werden konnte. Diese Möglichkeit sei durch die Angabe des Ehemanns der Klägerin auch nicht auszuschließen gewesen; es wäre nur dann auszuschließen gewesen, wenn sich aus der Erklärung des Ehemanns ergeben hätte, dass am 22.12.2011 der Briefkasten zu einer Zeit geleert worden wäre nach dem Zeitpunkt, zu dem gewöhnlich noch mit einer Entleerung zu rechnen sei. Eine solche Erkenntnis wäre aber nur möglich, wenn sich der Ehemann erkennbar für den Anwalt der Kriterien bewusst gewesen wäre, die für den Zeitpunkt des Zugangs maßgeblich seien. Diese Kenntnis könne (anders als das OLG angenommen habe, nicht als allgemein vorausgesetzt werden noch seien Umstände aufgezeigt worden, nach denen der Beklagte sich hier Gewissheit über entsprechende Kenntnisse des Ehemanns beschafft hätte. Damit hätte der Anwalt bei der Klägerin und deren Ehemann nachfragen müssen und, wenn ein Zugang am 22. Oder 23.12.2011 nicht geklärt werden könnte, den sichersten Weg wählen müssen, indem die Kündigungsschutzklage bereits am 12.01.2012 eingereicht wird. Indem der Beklagte ungeprüft die Angabe des Ehemanns zugrunde gelegt habe, habe der Beklagte eine Pflichtverletzung begangen, wobei nichts dafür spräche, dass er diese nicht zu vertreten habe (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB).  

Die Rückverweisung erfolgte, da die Klägerin nach dem Urteil des OLG nicht schlüssig vorgetragen habe, dass eine Pflichtverletzung des Beklagten den Schaden verursacht habe. Erst das OLG habe dafür ein Erfordernis gesehen, es aber verabsäumt, die Klägerin gem. § 139 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 1 ZPO darauf rechtzeitig  hinzuweisen; der Hinweis sei erst in der Berufungsverhandlung erfolgt, ohne Gelegenheit zum ergänzenden Vortrag zu geben.

BGH, Urteil vom 14.02.2019 - IX ZR 181/17 -


Aus den Gründen:


Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 30. Juni 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Anwaltshaftung auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Arbeitgeber der Klägerin erklärte mit Schreiben vom 22. Dezember 2011 die außerordentliche Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses. Das Kündigungsschreiben wurde durch einen Boten am selben Tag um 10:52 Uhr in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen; es trug die Aufschrift "per Boten". Anfang Januar 2012 suchte der Ehemann der Klägerin den Beklagten auf, legte ihm das Kündigungsschreiben vom 22. Dezember 2011 mit der Erklärung vor, es sei der Klägerin am 23. Dezember 2011 zugestellt worden, und beauftragte ihn namens seiner Ehefrau, eine Kündigungsschutzklage zu erheben. Nachdem der Beklagte eine Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung eingeholt hatte, reichte er am 13. Januar 2012 Klage beim Arbeitsgericht ein. Die Klage wurde, nachdem der Beklagte einen auf eine Abfindungszahlung gerichteten Vergleich widerrufen hatte, mit der Begründung abgewiesen, die nach § 13 Abs. 1 Satz 2, § 4 Satz 1 KSchG bestehende Klagefrist von drei Wochen sei - ausgehend von einem Zugang des Kündigungsschreibens am 22. Dezember 2011 - bereits am 12. Januar 2012 abgelaufen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Die Klägerin nahm den Beklagten zunächst auf Erstattung des Vergleichsbetrags und der Kosten des Berufungsverfahrens mit dem Vorwurf in Anspruch, er habe den Vergleich pflichtwidrig widerrufen. Die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen. Die zunächst eingelegte Berufung nahm die Klägerin später zurück.
Nunmehr verlangt die Klägerin vom Beklagten wegen der verspäteten Einreichung der Kündigungsschutzklage die Erstattung von Verdienstausfall, den sie für die Zeit vom 1. Juli 2012 bis zum 31. August 2014 mit insgesamt 25.770,22 € beziffert. Das Landgericht hat die auf Erstattung dieses Betrags nebst Zinsen gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unbegründet abgewiesen wird. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Beklagte habe seine Pflichten mit der Einreichung der Kündigungsschutzklage am 13. Januar 2012 nicht schuldhaft verletzt. Er habe sich auf die Angabe des Ehemannes der Klägerin, dass die Kündigung am 23. Dezember 2011 zugestellt worden sei, als Tatsachenangabe verlassen dürfen. Es handle sich bei dieser Angabe nicht um eine sogenannte Rechtstatsache. Der Umstand, dass ein Schreiben bereits am Tag vor der Entnahme aus dem Briefkasten zugegangen sein könne, könne auch bei juristisch nicht vorgebildeten Mandanten als bekannt vorausgesetzt werden und habe den Beklagten nicht zu Nachfragen veranlassen müssen. Er habe voraussetzen dürfen, dass ein Mandant, der einen Zustellungszeitpunkt mit Bestimmtheit behaupte, dies auf der Grundlage tue, dass er seinen Briefkasten täglich leere und dabei das Schreiben am Vortag nicht vorgefunden habe. Im Übrigen könne nicht festgestellt werden, dass eine Nachfrage des Beklagten zur Einhaltung der Klagefrist geführt hätte, weil die Klägerin nicht vorgetragen habe, was dem Beklagten auf eine Nachfrage geantwortet worden wäre. Der Beklagte habe die Unrichtigkeit der Angabe des Ehemannes auch nicht erkennen müssen. Er habe aus der Aufschrift "per Boten" auf dem Kündigungsschreiben nicht auf eine Zustellung bereits am 22. Dezember 2011 schließen müssen.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat der Beklagte die ihm obliegenden vertraglichen Pflichten schuldhaft verletzt (§ 675 Abs. 1, § 280 Abs. 1 BGB).
Die von der Klägerin gewünschte Kündigungsschutzklage musste nach § 4 Abs. 1 Satz 1 KSchG innerhalb einer Frist von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung erhoben werden. Der Beklagte durfte die Einreichung der Klage deshalb nur dann bis zum 13. Januar 2012 aufschieben, wenn gesichert war, dass die Kündigung nicht vor dem 23. Dezember 2011 zugegangen war. Ohne weitere Nachfragen durfte er hiervon selbst dann nicht ausgehen, wenn - was das Berufungsgericht zugrunde gelegt hat - der Ehemann der Klägerin ihm mitteilte, dass die Kündigung am 23. Dezember 2011 zugestellt worden sei.
a) Die Pflicht des Rechtsanwalts zur richtigen und vollständigen Beratung des Mandanten setzt voraus, dass er zunächst durch Befragung seines Auftraggebers den Sachverhalt klärt, auf den es für die rechtliche Beurteilung ankommen kann. Ist der mitgeteilte Sachverhalt unklar oder unvollständig, darf der Rechtsanwalt sich nicht mit der rechtlichen Würdigung des ihm Vorgetragenen begnügen, sondern muss sich bemühen, durch Befragung des Ratsuchenden ein möglichst vollständiges und objektives Bild der Sachlage zu gewinnen (BGH, Urteil vom 21. November 1960 - III ZR 160/59, NJW 1961, 601, 602; vom 2. April 1998 - IX ZR 107/97, NJW 1998, 2048, 2049; vom 19. Januar 2006 - IX ZR 232/01, NJW-RR 2006, 923 Rn. 22 mwN). Auf die Richtigkeit tatsächlicher Angaben seines Mandanten darf der Rechtsanwalt dabei so lange vertrauen und braucht insoweit keine eigenen Nachforschungen anzustellen, als er die Unrichtigkeit der Angaben weder kennt noch erkennen muss (etwa BGH, Urteil vom 21. April 1994 - IX ZR 150/93, NJW 1994, 2293; vom 2. April 1998, aaO). Dies gilt jedoch nur für Informationen tatsächlicher Art, nicht für die rechtliche Beurteilung eines tatsächlichen Geschehens. Bei rechtlichen Angaben des Mandanten muss der Anwalt damit rechnen, dass der Mandant die damit verbundenen Beurteilungen nicht verlässlich genug allein vornehmen kann, weil ihm entsprechende Erfahrungen und Kenntnisse fehlen (BGH, Urteil vom 15. Januar 1985 - VI ZR 65/83, NJW 1985, 1154, 1155). Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts dient in der Regel gerade dem Zweck, die rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts in fachkundige Hände zu legen. Die Ausnahme, dass sich ein Rechtsanwalt grundsätzlich auf tatsächliche Angaben seines Mandanten verlassen darf, gilt deshalb nicht in Bezug auf Informationen, die nur scheinbar tatsächlicher Natur sind (BGH, Urteil vom 21. November 1960, aaO; vom 15. Januar 1985, aaO). Teilt der Mandant insbesondere sogenannte Rechtstatsachen mit, hat der Anwalt sie durch Rückfragen in die zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände und Vorgänge aufzulösen oder, sofern dies keine zuverlässige Klärung erwarten lässt, weitere Ermittlungen anzustellen (BGH, Urteil vom 21. April 1994, aaO; Beschluss vom 7. März 1995 - VI ZB 3/95, NJW-RR 1995, 825, 826; Urteil vom 20. Juni 1996 - IX ZR 106/95, NJW 1996, 2929, 2931; vom 18. November 1999 - IX ZR 420/97, NJW 2000, 730, 731; Weinland in Henssler/Gehrlein/Holzinger, Handbuch der Beraterhaftung, Kap. 3 Rn. 128; Vill in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 2 Rn. 42; Heinemann in Vollkommer/Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 4. Aufl., § 10 Rn. 17; Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung des Rechtsanwalts, 9. Aufl., Rn. 495 ff).
b) Nach diesen Grundsätzen hat der Beklagte im Streitfall seine Pflichten verletzt.
aa) Angaben des Mandanten über den Zugang einer Kündigung betreffen - nicht anders als Angaben über die Zustellung eines Urteils (vgl. dazu BGH, Urteil vom 21. April 1994, aaO; Beschluss vom 7. März 1995, aaO) - eine sogenannte Rechtstatsache (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2002 - IX ZR 418/98, juris Rn. 4; dazu Jungk, BRAK-Mitt. 2002, 267). Der im Gesetz verwendete Begriff des Zugangs wird rechtlich bestimmt. Der Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden setzt voraus, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (BGH, Beschluss vom 21. Juni 2011 - II ZB 15/10, WM 2011, 1531 Rn. 15). Wird ein Brief in den Briefkasten des Empfängers eingeworfen, ist der Zugang bewirkt, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2007 - XII ZR 148/05, NJW 2008, 843). Ein Schreiben gilt deshalb dann als am Tag seines Einwurfs in den Briefkasten als zugegangen, wenn nach den Gepflogenheiten des Verkehrs eine Entnahme durch den Adressaten noch am gleichen Tag zu erwarten war (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. Februar 2018 - 8 U 117/17, juris Rn. 19 ff). Erreicht eine Erklärung den Briefkasten des Empfängers dagegen zu einer Tageszeit, zu der nach den Gepflogenheiten des Verkehrs eine Entnahme durch den Adressaten nicht mehr erwartet werden kann, ist die Willenserklärung nicht mehr an diesem Tag, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen (vgl. etwa BAG, NJW 1984, 1651 f).
bb) Vor diesem Hintergrund durfte der Beklagte die Mitteilung, das Kündigungsschreiben sei am 23. Dezember zugestellt worden, nicht ohne weiteres seinem Vorgehen zugrunde legen. Das vom Ehemann der Klägerin vorgelegte Kündigungsschreiben datierte vom 22. Dezember 2011 und war mit der Aufschrift "per Boten" versehen. Danach kam in Betracht, dass das Schreiben bereits am 22. Dezember 2011 durch einen Boten zu einer Tageszeit in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen wurde, als mit einer Entnahme noch am selben Tag gerechnet werden konnte. Eine solche Möglichkeit konnte der Beklagte auch nicht aufgrund der Äußerung des Ehemannes der Klägerin ausschließen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Mitteilung des Ehemannes, die Zustellung sei am 23. Dezember 2011 erfolgt, zweifelsfrei dahin zu verstehen gewesen wäre, dass am Tag zuvor der Briefkasten nach dem Zeitpunkt geleert worden sei, zu dem noch mit einer Entnahme gerechnet werden konnte, und dabei das Kündigungsschreiben nicht vorgefunden worden sei. Ein solches Verständnis der Mitteilung würde voraussetzen, dass der Ehemann der Klägerin sich erkennbar der Kriterien bewusst war, die für die Bestimmung des Zeitpunkts des Zugangs maßgeblich sind. Dafür gab es jedoch keine Anhaltspunkte. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann ein solches Bewusstsein weder allgemein vorausgesetzt werden noch sind Umstände festgestellt, die im Streitfall dem Beklagten Gewissheit über entsprechende Kenntnisse des Ehemannes der Klägerin hätten verschaffen können. Der Beklagte war deshalb verpflichtet, sich durch Nachfragen beim Ehemann der Klägerin oder bei der Klägerin selbst Klarheit darüber zu verschaffen, ob das Kündigungsschreiben nicht bereits am 22. Dezember 2011 zugegangen sein konnte. Falls dies nicht sicher ausgeschlossen werden konnte, war er verpflichtet, den sichersten Weg zu wählen und die Kündigungsschutzklage bereits am 12. Januar 2012 einzureichen. Indem der Beklagte die Angabe des Ehemannes der Klägerin seinem weiteren Vorgehen ungeprüft zugrunde legte, handelte er pflichtwidrig. Dafür, dass der Beklagte die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hätte (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB), spricht nichts.
3. Die Zurückweisung der Berufung wird auch nicht von der Begründung des Berufungsgerichts getragen, die Klägerin habe nicht schlüssig vorgetragen, dass eine unterstellte Pflichtverletzung des Beklagten den eingetretenen Schaden verursacht habe, weil sie nicht dargelegt habe, was dem Beklagten auf eine Nachfrage zum Zeitpunkt des Zugangs geantwortet worden wäre. Diese Beurteilung beruht auf einem Verfahrensfehler. Das Berufungsgericht durfte die Darlegung der Klägerin nicht als unschlüssig behandeln, ohne ihr weitere Gelegenheit zum Vortrag zu geben.
Die Klägerin hatte es zunächst offenbar für unerheblich gehalten, im Einzelnen dazu vorzutragen, was dem Beklagten auf eine Nachfrage zum Zeitpunkt und zu den Umständen des Zugangs geantwortet worden wäre. Weder sie noch der Beklagte noch das Landgericht waren auf diesen Gesichtspunkt zu sprechen gekommen. Erstmals das Berufungsgericht hielt näheren Vortrag der Klägerin hierzu für erforderlich. Es erteilte aber entgegen § 139 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 ZPO erst in der Berufungsverhandlung den Hinweis, es sei nicht ersichtlich, dass eine Nachfrage des Beklagten einen Sachverhalt ergeben hätte, der zu einer früheren Klageeinreichung Anlass gegeben hätte. Ob dieser Hinweis seinem Inhalt nach geeignet war, der Klägerin ausreichend klar vor Augen zu führen, was noch vorzutragen war, kann dahinstehen. Jedenfalls musste das Berufungsgericht der Klägerin Gelegenheit geben, zu diesem Punkt substantiiert vorzutragen. Die dem Prozessbevollmächtigten eingeräumte Möglichkeit, sich sofort in der Berufungsverhandlung zu äußern, genügte in Abwesenheit der Klägerin und ihres Ehemannes nicht. Wenn es offensichtlich ist, dass die Partei sich in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend erklären kann, muss das Berufungsgericht auch ohne einen Antrag auf Schriftsatznachlass auf geeignete Weise Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Erlässt das Berufungsgericht in diesem Fall ein Urteil, ohne eine solche Gelegenheit gegeben zu haben, verstößt es gegen den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör (vgl. BGH, Beschluss vom 10. März 2011 - VII ZR 35/08, BauR 2011, 1200 Rn. 11 mwN). Nach dem Vorbringen der Revision hätte die Klägerin in einem nachgelassenen Schriftsatz vorgetragen und durch das Zeugnis ihres Ehemannes unter Beweis gestellt, dass ihr Ehemann auf eine Frage des Beklagten, ob angesichts des Datums des Kündigungsschreibens vom 22. Dezember 2011 und des Zusatzes "per Boten" auch eine Zustellung zur üblichen Zustellzeit am 22. Dezember 2011 in Frage kommen könne, mit "ja" geantwortet hätte. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht in diesem Fall zu einer anderen Beurteilung des Ursachenzusammenhangs gelangt wäre.
4. Die Zurückweisung der Berufung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Klage ist, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat und auch die Revisionserwiderung nicht in Abrede stellt, zulässig. Die von der Klägerin zunächst gegen den Beklagten erhobene Schadensersatzklage steht der vorliegenden Klage wegen des unterschiedlichen Streitgegenstands weder unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der anderweitigen Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) noch - nach Zurücknahme der Berufung im dortigen Verfahren - unter demjenigen der materiellen Rechtskraft des im anderen Prozess ergangenen Urteils (§ 322 Abs. 1 ZPO) entgegen. Gegenstand der zunächst erhobenen Klage war sowohl eine andere Pflichtverletzung als auch ein anderer Schaden (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2016 - IX ZR 142/14, WM 2016, 2091 Rn. 18).
5. Das Berufungsurteil war danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

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