Nach einem Verkehrsunfall will der Kläger über ihre Prozessbevollmächtigten zwei Mails an das Regulierungsbüro der mitverklagten Haftpflichtversicherung gesandt, auf welche keine Reaktion erfolgt sei, weshalb Klage erhoben wurde. Nach Klagezustellung kam es zu Gesprächen der Parteien, der Kläger (-bevollmächtigte) legte geforderte ergänzende Unterlagen der Beklagten vor, und die Beklagten zahlten die Klageforderung im Wesentlichen. Über die Kosten des Verfahrens konnten sie sich nicht einigen und erklärten übereinstimmend den Rechtsstreit unter Stellung wechselseitiger Kostenanträge in der Hauptsache für erledigt. Das Landgericht erlegte die Kosten dem Kläger auf. Gegen den Beschluss legte dieser sofortige Beschwerde ein, die vom Oberlandesgericht zurückgewiesen wurde.
Seine Entscheidung, weshalb die Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 ZPO begründete das Oberlandesgericht unter den Erwägungen, dass entgegen der Annahme des Klägers ein sofortiges Anerkenntnis vorläge. Dass zwei Regulierungsschreiben der Beklagten per Mail überlassen worden seien und dieser zugingen, sei vom Kläger darzulegen und zu beweisen, was nicht erfolgte.
Grundsätzlich habe der Versicherer zügig zu regulieren. Dem Versicherer sei aber nach einem Verkehrsunfall eine Prüfungsfrist zuzubilligen. Dies gelte erst recht, wenn der Anspruchsteller unvollständige Angaben mache oder Unterlagen fehlen würden. Vom Grundsatz habe das Verhalten der beklagten Versicherung nach Zustellung der Klage dem entsprochen, da sie dann entsprechend bei dem Klägervertreter nachgefragt habe. Die endgültige Prüfung sei danach der beklagten erst nach Zustellung der Klage möglich gewesen, nachdem im November/Dezember dann ergänzende Unterlagen vorgelegt worden seien. Danach habe der beklagte Versicherer die Zahlung gemäß Regulierungsaufforderungsschreiben vom 12.01.2021 geleistet. Dies sei iSv. § 93 ZPO „sofort“. Die Beklagten hätten keine Veranlassung zur Klage gegeben, wie es § 93 ZPO für ein sofortiges Anerkenntnis vorsieht.
Dabei wies das OLG darauf hin, dass sie vorgerichtlich nicht zur Zahlung aufgefordert worden seien. Dieser Umstand ist zwar zwischen den Parteien streitig gewesen, insoweit der Kläger zwei Regulierungsaufforderungen seines Anwalts an die beklagte Versicherung behauptet, diese aber einen fehlenden Zugang behauptet. Das OLG sah sich veranlasst, hier im Rahmen des § 91a ZPO nach der Darlegungs- und Beweislast entscheiden.
Zunächst verwies das OLG darauf, dass nicht entscheidend sei, ob den Regulierungsanforderungen auf Klägerseite bereits alle aus Sicht der Beklagten notwendigen Unterlagen beigefügt waren (Angaben gemacht wurden). Jedenfalls könne der Geschädigte erwarten, dass der Versicherer nach einem Aufforderungsschreiben zügig reagiert und ggf. darauf hin weist, was nach seiner Ansicht zur Prüfung noch fehle. Reagiere der Versicherer auf mehrere Aufforderungsschreiben nicht, bestünde aus der Perspektive des Geschädigten Grund für die Annahme, er könne voraussichtlich ohne eine Klage seien Forderung nicht durchsetzen. Würde in dieser Situation Klag erhoben und erfolge dann ein Anerkenntnis, würde es sich nicht mehr um, ein „sofortiges Anerkenntnis“ iSv. § 93 ZPO handeln, auch dann nicht, wenn der Geschädigte die dem Versicherer überlassenen Unterlagen (und Angaben) nach Klageerhebung noch ergänzen müsse. Welche Prüfungsfrist der Versicherer habe (Anm.: die Rechtsprechung nimmt hier unterschiedliche Zeiträume an, in der Regel zwischen vier und sechs Wochen) sei in diesem Fall aufgrund der Nichtreaktion unerheblich.
Mithin war vorliegend entscheidend, ob der Kläger vorgerichtlich Anforderungsschreiben an den beklagten Versicherer sandte. Bestünde Streit darüber, ob der Versicherer ein solches erhalten habe, läge die Beweislast für den Nichterhalt beim Schuldner (Versicherer), wie sich aus der Formulierung in § 93 ZPO ergäbe („Hat der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben…“); er habe mithin den Negativbeweis zu führen, dass keine Klageveranlassung bestand (der davon abweichende Beschluss des OLG Saarbrücken vom 17.05.2019 - 4 W 4/19 - berücksichtige nicht die Rechtsprechung des BGH, so dessen Beschluss vom 21.12.2006 - I ZB 17/06 -).
Da es sich um einen negativen Beweis handelt, der vom Versicherer zu erbringen ist, würde dem Gläubiger (Kläger) eine gesteigerte sekundäre Darlegungslast obliegen (BGH aaO.). Dazu würde gehören, dass substantiierte Angaben zur Absendung erfolgen. Hieran würde es vorliegend für die Versendung der E-Mails fehlen.
Die Anforderungen an die Substantiierung würden sich nach den Umständen des Einzelfalls richten. Bei einer anwaltlichen Zahlungsaufforderung (wie hier) sei es wie im Geschäftsverkehr allgemein üblich, dass abgesandte Mails auf dem Rechner gespeichert würden, damit später eine Kopie vorgelegt werden könne, wobei sich aus einer üblichen Dokumentation die E-Mail-Adressen des Absenders und des Empfängers sowie Datum und Uhrzeit ergeben würden. Der Kläger legte eine entsprechende Dokumentation zu seinen behaupteten Mails vom 23.12.2019 und 18.01.2020 nicht vor. Er trug auch nicht vor, weshalb dies entgegen der üblichen Organisation gelöscht worden seien. Damit seien die Angaben des Klägers zur Absendung der behaupteten Mails im Rahmen der sekundären Darlegungslast nicht ausreichend. Da der Kläger den Nachweis der Absendung nicht erbracht habe, könne nicht davon ausgegangen werden, dass sie bei dem Versicherer eingingen, weshalb er auch nicht habe reagieren können mit der Folge, dass von einem sofortigen Anerkenntnis nach § 93 ZPO auszugehen sei mit der Folge, dass der Kläger die Kosten des gerichtlichen Verfahrens zu tragen habe.
OLG Karlsruhe, Beschluss
vom 01.12.2021 - 9 W 35/21 -
Aus den Gründen:
Tenor
1. Die
sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts Offenburg
vom 16.04.2021 - 4 O 118/20 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger
trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der
Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien
streiten über die Kosten des Verfahrens vor dem Landgericht nach
übereinstimmender Erledigung.
Der Kläger hat
nach einem Verkehrsunfall vom 28.10.2019 mit seiner Klageschrift vom 09.10.2020
zunächst eine Klage nur gegen die Beklagte Ziffer 1 erhoben. Die Beklagte
Ziffer 1 sei nach einem Verkehrsunfall für Haftpflichtansprüche passiv
legitimiert gemäß § 6 des Auslandpflichtversicherungsgesetzes. Der Kläger
hat von der Beklagten Ziffer 1 Zahlung in Höhe von 15.817,68 € verlangt wegen
der Beschädigung seines Fahrzeugs und wegen weiterer Schadenspositionen, die er
in der Klageschrift im Einzelnen konkretisiert hat. Die alleinige Verantwortung
für den Unfall treffe den Fahrer des unfallbeteiligten Fahrzeugs, für welches
die Beklagte Ziffer 1 einzustehen habe. Daher müsse diese den Schaden des
Klägers in voller Höhe ersetzen.
Die Beklagte
Ziffer 1 ist innerhalb der Frist zur Klageerwiderung mit Schriftsatz vom
16.11.2020 der Klage zunächst entgegengetreten. Sie habe von dem Unfall und dem
behaupteten Schaden des Klägers erstmals mit der Klage erfahren. Aus der
Klagebegründung sei eine Aktivlegitimation des Klägers für Schäden aus dem
betreffenden Unfall nicht ersichtlich; denn Eigentümer des beschädigten
Fahrzeugs sei offenbar eine andere Person. Außerdem fehlten zu einer Reihe der
angegebenen Schadensposten ergänzende Informationen und Unterlagen des Klägers.
Mit Schriftsatz vom 09.12.2020 hat der Kläger die Klage gegen den Beklagten
Ziffer 2 (Fahrer und Halter des beteiligten Fahrzeugs) erweitert. Die Prozessbevollmächtigte
der Beklagten Ziffer 1 hat mit Schriftsatz vom 28.12.2020 angezeigt, dass sie
auch den Beklagten Ziffer 2 vertrete.
Im Dezember
2020/Januar 2021 führten die Parteien über ihre Prozessbevollmächtigten einen
außergerichtlichen Schriftwechsel über die Regulierung des Unfalls. Im Rahmen
dieses Schriftwechsels legte der Kläger zur Begründung der Forderung und zu den
einzelnen Schadensposten verschiedene ergänzende Unterlagen vor. Mit Schreiben
vom 11.01. und 12.01.2021 einigten sich die Parteien außergerichtlich über die
Regulierung des Unfalls; der Schaden des Klägers wurde von der Beklagten Ziffer
1 - mit geringen einvernehmlichen Abzügen bei einzelnen Schadensposten -
reguliert. Die Parteien kamen außergerichtlich jedoch zu keiner Einigung
hinsichtlich der Kostenfrage.
Mit
Schriftsätzen vom 10.04.2021 und vom 12.04.2021 haben die Parteien den
Rechtsstreit vor dem Landgericht übereinstimmend für erledigt erklärt.
Gleichzeitig haben sie gegenläufige Kostenanträge gestellt. Der Kläger hat die
Auffassung vertreten, die Kosten des Verfahrens seien den Beklagten
aufzuerlegen, da diese Veranlassung für die Klage gegeben hätten. Der Kläger
habe mit Emails vom 23.12.2019 und vom 25.01.2020 an das von der Beklagten
Ziffer 1 beauftragte Regulierungsbüro (A. GmbH in Hamburg), jeweils mit einem
beigefügten spezifizierten Anspruchsschreiben, zur Zahlung aufgefordert. Da die
Beklagten bis zur Klageerhebung im Oktober 2020 keine Reaktion gezeigt hätten,
sei dem Kläger keine andere Möglichkeit geblieben, als Klage zu erheben.
Die Beklagten
sind dieser Darstellung entgegengetreten. Das von der Beklagten Ziffer 1
beauftragte Regulierungsbüro habe die vom Kläger angegebenen Emails vom
23.12.2019 und vom 28.01.2020 nie erhalten. Mithin habe keine Gelegenheit bestanden,
die Forderung des Klägers vor Klageerhebung zu prüfen und zu regulieren.
Aufgrund der zügigen Schadensregulierung nach Klageerhebung seien die
Voraussetzungen eines sofortigen Anerkenntnisses im Sinne von § 93 ZPO
gegeben. Dies sei nach der übereinstimmenden Erledigung im Rahmen von § 91
a Abs. 1 ZPO zu Gunsten der Beklagten bei der Kostenentscheidung zu
berücksichtigen.
Mit Beschluss
vom 16.04.2021 hat das Landgericht die Kosten des Rechtsstreits unter Anwendung
von § 91 a Abs. 1 ZPO dem Kläger auferlegt. Dies entspreche dem
Rechtsgedanken von § 93 ZPO (sofortiges Anerkenntnis). Die Beklagte Ziffer
1 habe keine Veranlassung zur Klage gegeben. Denn es könne nicht von einer
vorprozessualen Aufforderung gegenüber der Beklagten Ziffer 1 ausgegangen werden.
Für einen Zugang der behaupteten Emails vom 23.12.2019 und vom 28.01.2020
treffe den Kläger die Beweislast. Für einen Zugang der Emails habe der Kläger
keinen Beweis angetreten.
Gegen diese
Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers. Er vertritt die
Auffassung, die Kosten des Verfahrens vor dem Landgericht seien den Beklagten
aufzuerlegen. Denn die Beklagte Ziffer 1 habe auf die an das beauftragte
Regulierungsbüro gerichteten Anspruchsschreiben vom 23.12.2019 und vom
28.01.2020 nicht reagiert. Kopien der Anspruchsschreiben befänden sich bei den
Akten des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Die Anspruchsschreiben seien an
eine korrekte Email-Adresse des Regulierungsbüros gesandt worden. Es gebe keine
Anhaltspunkte dafür, dass das für die Gegenseite tätige Regulierungsbüro die
Emails nicht erhalten habe.
Die Beklagten
sind der sofortigen Beschwerde entgegengetreten. Bei dem von der Beklagten
Ziffer 1 beauftragten Regulierungsbüro seien die behaupteten Emails nicht
eingegangen. Dies sei durch nachträgliche umfangreiche Nachforschungen
bestätigt worden. Die Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe es in 15 Jahren
ihrer Zusammenarbeit mit dem Regulierungsbüro noch nicht erlebt, dass dort ein
Posteingang verloren gegangen sei. Es sei daher anzunehmen, dass das vom Kläger
vorgelegte Anspruchsschreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 23.12.2019
infolge eines Büroversehens nie per Email an das Regulierungsbüro abgesandt
worden sei. Hierfür spreche auch, dass der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter
nicht in der Lage seien, einen Nachweis des Versands der Email aus dem Büro des
Prozessbevollmächtigten vorzulegen.
Mit Beschluss
vom 08.06.2021 hat das Landgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen
und die Akten dem Oberlandesgericht Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg -
vorgelegt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, es könne letztlich
dahinstehen, ob der Kläger am 23.12.2019 ein Anspruchsschreiben per Email an
das Regulierungsbüro der Beklagten Ziffer 1 gesandt habe. Denn in dem
behaupteten Anspruchsschreiben seien die Aktivlegitimation des Klägers und die
Begründung verschiedener Schadensposten nicht ausreichend belegt worden, so
dass die Beklagten - vor einer Ergänzung der Angaben im Verfahren vor dem
Landgericht - nicht zur Zahlung verpflichtet gewesen seien.
Im
Beschwerdeverfahren hat der Senat den Kläger mit Verfügung vom 10.11.2021
aufgefordert, Kopien der behaupteten vorgerichtlichen Emails vom 23.12.2019 und
vom 28.01.2020 vorzulegen, und zwar in einer Form, in der - wie bei Emails
üblich - die Absendung der jeweiligen Email aus dem Büro des
Prozessbevollmächtigten mit Email-Adresse, Datum und Uhrzeit dokumentiert wird.
Der Kläger hat daraufhin mitgeteilt, eine solche Vorlage von Kopien der Emails
sei nicht möglich, denn die Emails seien „offensichtlich auf dem Email-Rechner
des Unterzeichners (Rechtsanwalts) gelöscht“ worden.
Wegen des
weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze
verwiesen.
II.
Die zulässige
sofortige Beschwerde des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das
Landgericht die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens nach übereinstimmender
Erledigung gemäß § 91 a Abs. 1 ZPO dem Kläger auferlegt.
1. Gemäß
§ 91 a Abs. 1 ZPO richtet sich die Kostenentscheidung nach einer
übereinstimmenden Erledigung des Verfahrens nach billigem Ermessen des
Gerichts. Bei der Ausübung des Ermessens sind die Grundsätze der
Kostenregelungen gemäß §§ 91 ff. ZPO zu berücksichtigen. Das bedeutet,
dass die Kosten gemäß § 91 a Abs. 1 ZPO den Beklagten aufzuerlegen
sind, wenn zum Zeitpunkt der Erledigung die Voraussetzungen eines sofortigen
Anerkenntnisses (§ 93 ZPO) vorlagen. Dies war der Fall, weil die Beklagten
die Ansprüche des Klägers nach Klageerhebung zügig reguliert haben, und weil
sie vorprozessual keine Veranlassung zur Klage gegeben hatten.
a) Die
Beklagte Ziffer 1 hat die Ansprüche des Klägers nach Klageerhebung zügig
reguliert. Wenn nach einem Verkehrsunfall Ansprüche bei einem
Haftpflichtversicherer angemeldet werden, ist diesem eine Prüfungsfrist
zuzubilligen, insbesondere dann, wenn bestimmte Angaben des Anspruchsstellers
unvollständig sind oder Unterlagen fehlen. Das Verhalten der Beklagten Ziffer 1
entsprach nach Klageerhebung den Grundsätzen, die für die Zumessung einer
solchen Prüfungsfrist gelten. Eine endgültige Prüfung war der Beklagten Ziffer
1 erst möglich, nachdem der Kläger im November und Dezember 2019 verschiedene
ergänzende Unterlagen vorgelegt hatte. Unter diesen Umständen waren die
Entscheidungen der Beklagten über die Zahlung, hinsichtlich der letzten
Schadenspositionen mit Schreiben vom 12.01.2021, „sofort“ im Sinne von
§ 93 ZPO. Mit der Entscheidung der Beklagten ist gleichzeitig die Zahlung
an den Kläger erfolgt.
b) Die
Beklagten haben auch keine Veranlassung zur Klage gegeben im Sinne von
§ 93 ZPO. Denn die Beklagten wurden vorprozessual vom Kläger nicht zur
Zahlung aufgefordert. Von diesem Sachverhalt ist im Rahmen der Entscheidung
gemäß § 91 a Abs. 1 ZPO nach den anzuwendenden Grundsätzen über
Darlegungs- und Beweislast auszugehen.
2. Der
Senat kann vorprozessuale Zahlungsaufforderungen per Emails vom 23.12.2019 und
vom 28.01.2020 an das von der Beklagten Ziffer 1 beauftragte Regulierungsbüro
nicht feststellen.
a)
Allerdings kommt es entgegen der Auffassung des Landgerichts im
Nichtabhilfebeschluss vom 08.06.2021 nicht darauf an, ob den behaupteten
Anspruchsschreiben sämtliche aus der Perspektive der Beklagten erforderlichen
Unterlagen beigefügt waren. Vielmehr kann ein Geschädigter nach einem
Verkehrsunfall erwarten, dass der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners auf
ein Anspruchsschreiben zügig reagiert und gegebenenfalls darauf hinweist,
welche ergänzenden Angaben und Unterlagen zur Prüfung des Anspruchs aus der
Sicht des Versicherers erforderlich sind. Wenn hingegen ein Versicherer - wie
vom Kläger behauptet - auf mehrere Anspruchsschreiben über einen längeren
Zeitraum überhaupt nicht reagiert, dann besteht in der Regel aus der
Perspektive des Geschädigten Anlass für die Annahme, er werde voraussichtlich
ohne eine Klage seine Forderung nicht durchsetzen können. Das bedeutet, dass in
einem solchen Fall die Voraussetzungen eines sofortigen Anerkenntnisses in der
Regel nicht mehr in Betracht kommen, auch wenn während des Prozesses noch
bestimmte Angaben oder Unterlagen ergänzt werden müssen. Auch die Frage einer
Prüfungsfrist spielt - bei vorprozessualer Nichtreaktion des Versicherers - in
einem solchen Fall keine Rolle (vgl. Senat, VersR 2020, 377).
b) Bei
der Frage, ob ein Schuldner vorprozessual Anlass zur Klageerhebung gegeben hat,
kommt es oft darauf an, ob vorprozessual ein Anspruchsschreiben an den
Schuldner ohne Erfolg geblieben ist. Wenn zwischen den Parteien - im Hinblick
auf die Kostenfrage gemäß § 93 ZPO - Streit besteht, ob der Schuldner ein
Anspruchsschreiben erhalten hat, liegt die Beweislast dafür, dass dies nicht
der Fall war, grundsätzlich beim Schuldner. Dies ergibt sich aus der
Formulierung des Gesetzes in § 93 ZPO. Die Klageveranlassung ist aus der
Perspektive des Gesetzgebers der Regelfall, so dass der Schuldner im Rahmen von
§ 93 ZPO das Gegenteil (keine Klageveranlassung) zu beweisen hat, also
auch den fehlenden Zugang eines vorprozessualen Anspruchsschreibens. (Vgl. BGH,
MDR 2007, 1162; OLG Koblenz, NJW 2016, 2964; die vom Landgericht zitierte abweichende
Entscheidung des OLG Saarbrücken in NJW-RR 2019, 622 berücksichtigt die
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht.) Aus der Formulierung des Gesetzes
in § 93 ZPO ergibt sich für den Zugang eines Anspruchsschreibens eine
Beweislastverteilung, die von der Beweislastverteilung für die Frage des
Verzugseintritts gemäß § 286 Abs. 1 BGB abweicht.
c)
Allerdings ist vorliegend dennoch davon auszugehen, dass das Regulierungsbüro
der Beklagten Ziffer 1 vorprozessual kein Aufforderungsschreiben des
Klägervertreters per Email erhalten hat. Denn bei der Frage des Zugangs eines
Aufforderungsschreibens im Rahmen einer Entscheidung gemäß § 93 ZPO
obliegt dem Gläubiger eine gesteigerte sekundäre Darlegungslast (vgl. BGH, a.
a. O.; OLG Koblenz, a. a. O.). Dazu gehört eine substantiierte Darlegung, dass
das Aufforderungsschreiben jedenfalls versandt wurde, also den Bereich des
Gläubigers bzw. seines Prozessbevollmächtigten verlassen hat. Diesen
Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers nicht. Es fehlt eine substantiierte
Darlegung zur Absendung der behaupteten Emails, so dass für die
Kostenentscheidung davon auszugehen ist, dass die behaupteten Emails vom
Prozessbevollmächtigten des Klägers - möglicherweise wegen eines Büroversehens
- nicht abgesandt wurden.
Die Anforderungen
an eine substantiierte Darlegung der Absendung eines Aufforderungsschreibens
müssen sich nach den Umständen des Einzelfalls richten. Bei einer
Zahlungsaufforderung durch die Email eines Rechtsanwalts sind die Maßstäbe
einer üblichen Büroorganisation zur berücksichtigen. Es ist im Geschäftsverkehr
- und im Verkehr von Rechtsanwälten - üblich, dass abgesendete Emails auf dem
Rechner des Absenders dokumentiert und gespeichert werden, damit später die
Möglichkeit besteht, eine Kopie der abgesendeten Email vorzulegen, wobei sich
bei einer üblichen Dokumentation aus der Kopie die Email-Adressen des Absenders
und des Empfängers, sowie Datum und Uhrzeit ergeben. Eine solche Dokumentation
der behaupteten Emails seines Prozessbevollmächtigen vom 23.12.2019 und vom
28.01.2020 hat der Kläger nicht vorgelegt. Er hat auch nicht erklärt, warum die
Emails - entgegen der üblichen Organisation bei einem Rechtsanwalt - gelöscht
worden seien. Unter diesen Umständen sind die Angaben des Klägers zur Absendung
der behaupteten Emails im Rahmen der sekundären Darlegungslast nicht
ausreichend.
3. Die
Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
4. Der
Streitwert des Beschwerdeverfahrens entspricht den geschätzten
erstinstanzlichen Kosten.
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