In dem zu entscheidenden Rechtstreit war für den Erfolg der Klage erforderlich, dass zwischen den Parteien ein von der Klägerin behaupteter Vertrag abgeschlossen war. Für den bestrittenen Vertragsabschluss war die Klägerin darlegungs- und beweisbelastet. U.a. stützte sie sich auf die Grundsätze zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben und behauptete, der Beklagtenseite eine Mail zur Bestätigung des mündlich besprochenen Vertrages gesandt zu haben, der nicht widersprochen worden sei. Die Klage wurde abgewiesen. Mit seinem Hinweisbeschluss gem. § 522 ZPO teilte das Berufungsgericht mit, dass es beabsichtige, die Berufung als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.
Die Beklagtenseite hatte den Zugang einer entsprechenden Mail bestritten. Das Berufungsgericht negierte Beweiserleichterungen für die Klägern mittels der Annahme eines Anscheinsbeweises und wies darauf hin, dass „taugliche Beweismittel“ nicht vorlägen.
Selbst wenn feststeht, dass eine E-Mail abgesandt wurde (wie im vorliegenden Fall) schloss das Berufungsgericht bei einer einfachen, insbesondere ohne Empfangs- oder Lesebestätigung übermittelten E-Mail die Anwendung des Anscheinsbeweises aus. Es entspräche der (insbesondere) obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur nahezu einhelliger Auffassung, dass eine entsprechende Mail alleine deshalb, da die Absendung feststehen würde und eine Nichtzustellbarkeitsbescheinigung dem Absender nicht zugegangen sei, kein Anscheinsbeweis für den Zugang streite (z.B. OLG Hamm, Beschluss vom 10.08.2023 – I-26 W 13/23 -). Selbst wenn der Zugang unter den benannten Umständen die Regele darstellen würde, sei dies aber „jedenfalls unter den gegenwärtigen technischen Bedingungen (noch) nicht in einem Maße typisch“, dass dies die prima-facie-Beweiserleichterung rechtfertige.
Dem von der Klägerin gestellten Beweisantrag für den Zugang auf Vorlage/Offenlegung der gesamten elektronischen Posteingänge der Beklagten im fraglichen Zeitraum sei nicht nachzugehen gewesen. Auch in der „analogen Welt“ könne ein bestrittener Zugang nicht dadurch bewiesen werden, dass die Briefkästen oder sogar Wohn- und Geschäftsräume des angeblichen Empfängers umfassend auf den fraglichen Brief durchsucht würden und er Prozessgegner (angeblicher Empfänger) dies zu dulden, gar etwas dabei mitzuwirken habe. Entsprechendes gelte hier: Der Beweis des Zugangs könne der Mail könne nicht dadurch erbracht werden, dass der angebliche Empfänger selbst seinen E-Mail-Account mit dem virtuellem Posteingangskorb und ggf. weiteren Ablageordnern (wie „Gelöschte Elemente“ o.ä.) zu Beweiszwecken zur Verfügung stellen müsse, wobei auf sich beruhen könne, ob für den Beklagte eine steuer- oder handelsrechtliche Aufbewahrungspflicht bestanden habe.
Anmerkung: Die Entscheidung verdeutlicht, dass zwar die elektronische Korrespondenz im Hinblick auf Schnelligkeit und Leichtigkeit einen Vorzug gegenüber dem früher üblichen Briefverkehr hat, allerdings im Hinblick auf die Nachweisführung eines Zugangs ähnliche Schwierigkeiten bietet, wie der Briefverkehr als solcher, es sei denn, der Absender des Briefes wählt die Form des Einschreiben-Rückscheins oder Einwurf-Einschreibens. Während das Einschreiben-Rückschein evtl. nicht abgenommen oder abgefordert wird, bietet das Einwurf-Einschreiben eine Möglichkeit, den Zugang eines Schreibens im Wege des Anscheinsbeweises gleichwohl zu belegen, wenn der Absender den Einlieferungsbeleg zusammen mit der Reproduktion des Auslieferungsbelegs vorlegt (vgl. auch BGH, Urteil vom 27.09.2016 - II ZR 299/15 -; LAG Nürnberg, Urteil vom 15.06.2023 – 5 Sa 1/23 -).
OLG Rostock, Hinweisbeschluss vom
03.04.2024 - 7 U 2/24 -