Samstag, 18. November 2023

Rechtliches Gehör: Übergehen des Kerninhalts des eingeführten Privatgutachtens

Die Klägerin machte aus nach § 86 VVG die auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Brandschaden gegen die beklagte Herstellerin einer Geschirrspülmaschine geltend, die nach der Behauptung der Klägerin ursächlich für den Brand gewesen sein soll. Die Klage und die Berufung gegen das klageabweisende Urteil wurden zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

Die Aufhebung und Zurückverwesung erfolgte, da sich das OLG als Berufungsgericht nach Auffassung des BGH mit dem wesentlichen Vortrag der Klägerin zum konkreten Brandherd hinter einem Bedientableau der Geschirrspülmaschine sowie zum Ausschluss anderweitiger Brandursachen nicht auseinandergesetzt und dadurch die Klägerin in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) verletzt habe. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichte Gerichte dazu, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in ihre Erwägungen einzubeziehen. Zwar müsse sich das Gericht nicht mit jedem von einer Partei vorgebrachten Gesichtspunkt auseinandersetzen (vgl. auch § 313 Abs. 2 ZPO), doch müsse es auf den Kern der Tatsachenvortrages einer Partei eingehen, der für das Verfahren von zentraler Bedeutung sei (BVerfG, Beschluss vom 25.09.2020 - 2 BvR 854/20 -), was sich aus den Entscheidungsgründen erkennen lassen müsse (BGH, Beschluss vom 13.01.2015 - VI ZR 204/14 -).

Zwar habe das OLG im Tatbestand seines Urteils die Einwendungen der Klägerin umfassend aufgeführt, allerdings ließen die Entscheidungsgründe eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Klägerin nicht erkennen.

Soweit das OLG darauf hingewiesen habe, dass die elektrische Anlage nicht untersucht worden sei, fehle es an einer Auseinandersetzung mit dem auf dem Privatgutachten gestützten Vortrag der Klägerin, wonach die Ursächlichkeit der „elektrischen Anlage“ bzw. der „Elektroinstallation“ bereits aufgrund der zur Verfügung stehenden Bilder des Brandortes, der Auskunft des Netzbetreibers bzw. der im Einzelnen ausgeführten technischen Erwägungen ausgeschlossen werden könne.

Gestützt auf das Privatgutachten hatte die Klägerin im Einzelnen u.a. vorgetragen, dass sich das Feuer ausgehend von der hinter dem Bedienfeld befindlichen Platine nach oben entwickelt habe und dass im unmittelbaren Brandumfeld neben der Geschirrspülmaschine keine weitere Brandursache in Betracht käme. Das Brandbild, welches sich entwickelt habe, könne nur von der bis zum Bedientableau unter Spannung gestandenen Geschirrspülmaschine entwickelt worden sein und nur aufgrund eines technischen Defekts eines elektronischen Bauteils derselben entstanden sein, da andere Zündquellen nicht ersichtlich seien. Auch habe es nach (vorgelegter) Auskunft des Netzbetreibers keine Überspannung gegeben.

Die Erwägung des OLG, die Geschirrspülmaschine sei mittlerweile  entsorgt worden und könne nicht mehr begutachtet werden, weshalb sich die Brandursache nicht mehr feststellen lasse, stelle sich auch nicht als Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Klägerin dar, die unter Zugrundlegung des Privatgutachtens darauf hinwies dass mit den Lichtbildern des Brandortes und den – von den Zeugen bekundeten – Erkenntnissen vor Ort ausreichend Indizien für die Brandursächlichkeit eines Produktfehlers bestünden.

Eine Gehörsverletzung muss, damit die Rüge Erfolg hat, entscheidungserheblich sein. Das bejahte der BGH vorliegend, da nicht auszuschließen sei, dass das OLG bei gebotener Auseinandersetzung mit dem privatsachverständig gestützten Vortrag der Klägerin zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Der BGH wies das OLG für das weitere Verfahren darauf hin, dass der Geschädigte nur beweisen müsse, dass ein Schaden im Organisations- und Gefahrenbereich des Herstellers durch einen objektiven Mangel oder Zustand der Verkehrswidrigkeit ausgelöst sei. Nicht aufklären müsse der Geschädigte, ob der Produktfehler auf eine von dem Hersteller zu verantwortende Verletzung der Sorgfaltspflicht zurückzuführen sei und auf welche Weise die (etwaige) Pflichtverletzung zur Fehlerentstehung geführt habe (BGH, Urteil vom 30.04.1991 - VI ZR 178/90 -). Würden nach dem Ergebnis einer Beweisaufnahme alle verbleibenden möglichen Ursachen erwiesenermaßen aus dem Verantwortungsbereich des Herstellers stammen, sei ein Produktfehler nachgewiesen. Dabei käme es nicht darauf an, ob es sich um einen Konstruktions- oder Fabrikationsfehler handele (BGH, Urteil vom 24.11.1976 -VIII ZR 137/75 -).  Der Umstand, dass der angeblich produktfehlerhafte Gegenstand nicht mehr vorhanden sei, schließe den Beweis eines Produktfehlers nicht grundsätzlich aus.

BGH, Beschluss 28.03.2023 - VI ZR 29/21 -


Aus den Gründen

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 7. Januar 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 463.748,91 €

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten aus übergegangenem Recht die Zahlung von Schadensersatz wegen eines Brandfalls.

Die Klägerin leistete als Gebäude- und Inhaltsversicherer eines landwirtschaftlichen Anwesens in A. Zahlungen für einen Brandschaden, der am 5. Mai 2012 entstanden war. Die Klägerin behauptet, Ursache des Brandes sei ein Produktfehler einer von der Beklagten hergestellten Geschirrspülmaschine, die sich in der Waschküche des Anwesens befand und zum Zeitpunkt des Brandausbruchs an das Stromnetz angeschlossen, aber nicht in Betrieb war.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es vermöge nicht die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit erlangen, dass ein Produktfehler der Geschirrspülmaschine für den Brand ursächlich sei. Davon ausgehend, dass der Brand in der Geschirrspülmaschine ausgebrochen sein solle, lasse sich die Brandursache nicht mehr ermitteln. Zutreffend habe der Sachverständige darauf hingewiesen, dass nicht feststehe, warum die als Brandherd ausgemachte Geschirrspülmaschine gebrannt habe. Die elektrische Anlage sei nicht untersucht worden. Ebenso wenig sei die Geschirrspülmaschine begutachtet worden. Da die Geschirrspülmaschine entsorgt sei, lasse sich auch nicht mehr feststellen, was letztlich zum Brand geführt habe.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht sich mit dem wesentlichen Vortrag der Klägerin zum konkreten Brandherd hinter dem Bedientableau der Geschirrspülmaschine sowie zum Ausschluss weiterer Brandursachen nicht auseinandergesetzt hat und es sie dadurch in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat.

a) Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Geht das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage nicht ein, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstanziiert war (BVerfG, NVwZ-RR 2021, 131 Rn. 26; NJW 2009, 1584 Rn. 14; BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2022 - II ZR 118/21, NJW-RR 2022, 547 Rn. 12; vom 14. Mai 2019 - VIII ZR 126/18, NJW-RR 2019, 841 Rn. 12; jeweils mwN).

Zwar muss sich das Gericht nicht mit jedem von einer Partei vorgebrachten Gesichtspunkt auseinandersetzen. Es hat jedoch namentlich den auf eine privatgutachterliche Stellungnahme gestützten Parteivortrag hinreichend in seine Überzeugungsbildung einzubeziehen. Die Entscheidungsgründe müssen erkennen lassen, dass eine Auseinandersetzung mit den sich aus dem Privatgutachten ergebenden Einwendungen stattgefunden hat (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Januar 2015 - VI ZR 204/14, NJW 2015, 1311 Rn. 6; BGH, Beschluss vom 14. Mai 2019 - VIII ZR 126/18, NJW-RR 2019, 841 Rn. 13).

b) Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht gerecht. Es führt die Einwendungen der Klägerin zwar im Tatbestand umfassend auf, aber die Urteilsgründe lassen eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Klägerin nicht erkennen.

aa) Der Hinweis des Berufungsgerichts darauf, dass die elektrische Anlage nicht untersucht worden sei, entbehrt der Auseinandersetzung mit dem auf Privatgutachten gestützten Kernvorbringen der Klägerin, wonach eine Ursächlichkeit der "elektrischen Anlage" bzw. der "Elektroinstallation" bereits aufgrund der zur Verfügung stehenden Bilder des Brandorts, der Auskunft des Netzbetreibers bzw. der im Einzelnen ausgeführten technischen Erwägungen ausgeschlossen werden könne. Insoweit hat die Klägerin privatgutachterlich gestützt vorgetragen, dass sich das Feuer ausgehend von der hinter dem Bedienfeld befindlichen Platine nach oben entwickelt habe und dass im unmittelbaren Brandumfeld neben der Geschirrspülmaschine keine weitere Brandursache in Betracht komme. Die Geschirrspülmaschine habe bis zum Bedientableau hinter der Blende unter Spannung gestanden, so dass ein Brandbild, welches sich ausgehend von der Geschirrspülmaschine entwickelt habe, nur aufgrund eines elektronischen Defekts entstanden sein könne, weil andere Zündquellen nicht ersichtlich seien. Es sei bereits fraglich, in welcher Weise die "elektrische Anlage", welche nicht untersucht worden sei, Brandursache sein könne. Die Verkabelungssituation der im Brandumfeld befindlichen Geräte sei hinreichend geklärt. Einen "Oberwellenkurzschluss", welchen der Sachverständige als Brandursache für möglich gehalten habe, gebe es nicht. Soweit der Sachverständige eine "transiente Überspannung" gemeint habe, stehe dies der Annahme eines Produktfehlers nicht entgegen, da für das Auftreten von kurzzeitigen und vorübergehenden Überspannungen VDE-Richtlinien bestünden, wonach elektrische Geräte solchen transienten Überspannungen standhalten müssten. Zudem sei aus der vorgelegten Stellungnahme des Netzbetreibers ersichtlich, dass es im Zeitraum vom 2. bis zum 6. Mai 2012 keine Überspannung gegeben habe.

bb) Die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Geschirrspülmaschine, die mittlerweile entsorgt worden sei, nicht begutachtet worden sei und dass sich deshalb die Brandursache nicht mehr feststellen lasse, beinhaltet keine Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Klägerin, dass mit den Lichtbildern des Brandorts und den - von den Zeugen bekundeten - Erkenntnissen vor Ort ausreichend Indizien für die Brandursächlichkeit eines Produktfehlers bestünden.

c) Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich (§ 544 Abs. 9 ZPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei gebotener Auseinandersetzung mit dem privatsachverständig gestützten klägerischen Vortrag zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Der Geschädigte muss nur beweisen, dass sein Schaden im Organisations- und Gefahrenbereich des Herstellers durch einen objektiven Mangel oder Zustand der Verkehrswidrigkeit ausgelöst worden ist; er braucht nicht aufzuklären, ob der Produktfehler auf eine von dem Hersteller zu verantwortende Verletzung der Sorgfaltspflicht zurückzuführen ist und auf welche Weise die (etwaige) Pflichtverletzung zur Fehlerentstehung geführt hat (Senatsurteil vom 30. April 1991 - VI ZR 178/90, BGHZ 114, 284, 296, juris Rn. 57). Stammen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme alle verbleibenden möglichen Ursachen erwiesenermaßen aus dem Verantwortungsbereich des Herstellers, ist ein Produktfehler nachgewiesen, auch wenn als Ursachen sowohl Konstruktions- als auch Fabrikationsfehler in Betracht kommen, der Schaden also auf einem Konstruktions- oder Fabrikationsfehler beruht (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 1976 - VIII ZR 137/75, BGHZ 67, 359-367 [insoweit nicht abgedruckt], juris Rn. 22 f. - Schwimmschalter; Staudinger/J. Hager [2021] BGB § 823 Rn. F 39 mwN).

b) Der Umstand, dass der angeblich produktfehlerhafte Gegenstand nicht mehr vorhanden ist, schließt den Beweis eines Produktfehlers nicht grundsätzlich aus.


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